Ausgabe 1 / 2004 Artikel von Karin Böhmer

Willkommen – aber noch ohne Gesicht

Lesben in der Frauenhilfe (Auszug)

Von Karin Böhmer

„Lesben sind Teil der EFHiD und gestalten Frauenhilfe durch ihre Arbeit mit.“ So formuliert 1997 der Vorstand der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland die grundsätzliche Haltung zu lesbischen Frauen. Er distanziert sich von jeder Form der Ausgrenzung und Diskriminierung lesbischer Frauen und schwuler Männer und benennt die Mitverantwortung als christlicher Frauenverband für eine Kirche und Gesellschaft, in der „Männer und Frauen ohne Angst entsprechend ihrer sexuellen Identität leben können und verantwortlich gelebte Liebe respektiert wird“.

Damit heißt die Frauenhilfe lesbische Frauen in ihrem Verband öffentlich und offiziell willkommen. Diese Stellungnahme blieb aber im Gesamtverband stets umstritten. Die Haltung zum Thema „Homosexualität und Kirche“ ist in den einzelnen Mitgliedsorganisationen sowie unter den insgesamt 12.000 Gruppen des Verbandes sehr unterschiedlich.

Unter denen, die haupt- oder ehrenamtlich für die Frauenhilfe arbeiten, gibt es sicher frauenliebende Frauen. Aber sie gehen – wie alle anderen Lesben auch – sehr unterschiedlich mit ihrer Lebensform um. Die einen verheimlichen sie ganz, um sich zu schützen. Andere reden darüber nur, wenn sie direkt angesprochen werden. Wieder andere beteiligen sich wie selbstverständlich zum Beispiel an normalen Alltagsgesprächen mit Sätzen wie: „Dieser Termin passt mir leider gar nicht – meine Lebensgefährtin hat da Geburtstag.“ Eine lesbisch lebende Frau steht auch im Frauenhilfe-Kontext immer wieder in der Spannung: „Sag ich´s oder sag ich´s nicht?“ Wenn sie ihrem Bedürfnis folgt, offen über ihre Lebensform zu reden, riskiert sie Ablehnung oder Schlimmeres. Verschweigt sie auf Dauer ihre Lebensform, kann das auf Kosten ihrer Selbstachtung und Identität gehen. Daher verwundert es nicht, dass wir so wenig über lesbische Frauen unter uns wissen. Ein Dialog wird nur da möglich, wo lesbische Frauen nichts zu befürchten haben, wenn sie öffentlich zu ihrer Lebensform stehen – und eine Frauengruppe ist eine „kleine“ Öffentlichkeit. Damit aus „den anderen“ Lesben Frauen „unter uns“ werden und wir miteinander reden können, braucht es also eine Atmosphäre von Vertrauen und Toleranz.

Lesbisch leben – und die Frauenhilfe vor Ort

Manche Frauen aus den Frauenhilfegruppen kommen darüber hinaus mit dem Thema in Berührung – als Großmutter einer lesbischen Enkelin, Tante eines schwulen Neffen oder Mutter einer lesbischen Tochter. Zwar scheint der Gedanke nach wie vor fremd zu sein, dass Frauen, die Frauen lieben, neben anderen in der Kirchenbank sitzen oder sich in der Frauenarbeit engagieren. Gleichwohl werden die meisten Frauen eine Haltung dazu haben und sich eine Meinung bilden. Und so weit die Meinungen in Gesellschaft und Kirche auseinander gehen, so verschieden denken Frauenhilfe-Frauen über Lesben und Schwule. Ihre Sichtweisen bewegen sich in der üblichen Bandbreite: Kategorische Ablehnung trifft auf größte Akzeptanz, die Ansicht, „Homosexuelle“ müssten geheilt werden, auf das Engagement gegen deren Diskriminierung, der selbstverständliche Umgang mit Lesben und Schwulen auf Unsicherheit oder Befangenheit bei einer Begegnung, das Gebet um „Normalität“ auf Interesse an der anderen Lebensform.

„Darüber“ zu reden lernen

Wer „lesbisch leben“ in der Frauenhilfe oder anderen Gruppen zum Thema macht, bewegt sich also in einem und Konfliktfeld. Dennoch gibt es viele Anknüpfungspunkte für das Ziel, „die vielfältigen Lebensformen von Frauen in ihrer Verschiedenheit wahr- und anzunehmen und darauf hinzuwirken, dass lesbische Frauen innerhalb des Verbandes sichtbar werden können“ – insbesondere bei all den Frauen, die dieser Lebensform ambivalent, aber fragend gegenüber stehen, unsicher sind oder Ängste und Bedenken haben. Diese Frauen brauchen erst einmal den Raum, die eigene Haltung, die auch Abwehr beinhalten kann, zu spüren und in einem nächsten Schritt zu überprüfen und ggf. zu verändern. Ein allzu schnell hingeworfenes „Ich habe damit kein Problem!“ führt ebenso wenig zu mehr Toleranz und Dialog wie die kategorische Ablehnung von Homosexualität als „falsch“, „sündig“ oder „krank“. Daher braucht es die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen eigene Vorurteile wahrzunehmen, ohne sofort als „altmodisch“ oder rettungslos konservativ abgestempelt zu werden.

Über Lesbischsein mit Lesben reden

Eine wesentliche Erfahrung ist: Wo lesbische und heterosexuell lebende Frauen sich offen und ehrlich direkt begegnen, haben viele Bedenken, Ängste oder Vorurteile ein Ende. Denn so wenig, wie es „die“ Frau gibt, gibt es „die“ lesbische Frau. Frauen, die Frauen lieben, sind so unterschiedlich wie Frauen an sich unterschiedlich sind. Daher ist es ein wichtiger Schritt, nicht nur über Lesbischsein zu reden, sondern bewusst auf lesbische Frauen zuzugehen, Kontakt zu suchen und mit ihnen zu reden. Von ihnen ist zu erfahren, wie sie leben, warum sie so leben und was sie sich im alltäglichen Umgang wünschen und brauchen von ihrer Frauenhilfe, ihrer Gemeinde, ihrer Kirche, was sie verletzt und was sie stärkt, wie sie als lesbische Frauen ihr Christin-sein leben und vieles mehr. Erst durch einen solchen Dialog bekommen lesbische Frauen in der Frauenhilfe ein Gesicht und können wirklich bereichernder Teil dieses Verbandes werden.

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