Ausgabe 1 / 2023 Bibelarbeit von Klaus Wengst

Es wird nicht immer so weitergehen

Apokalypse als Enthüllung der Macht

Von Klaus Wengst

Das letzte Buch der christlichen Bibel beginnt mit dem Wort apokálypsis. „Apokalypse“ bedeutet nicht „Weltuntergang“, sondern „Offenbarung“, genauer: „Enthüllung“.

Enthüllt wird in der Offenbarung des Johannes die Macht in doppelter Weise. Johannes lebt im Imperium Romanum. Er vermag darin kein Friedensreich zu erblicken und stimmt nicht in das Lob der Pax Romana ein. Er enthüllt die bestialischen Züge imperialer Gewalt und den teuflischen Charakter der von Menschen ausgeübten Weltherrschaft. Zugleich enthüllt er, dass diese Gewalt nicht die alles bestimmende Wirklichkeit ist, sondern dass, gegen allen Augenschein, Gott die Herrschaft innehat – Gott und sein Gesalbter, der Messias Jesus, den Johannes als siegreichen Löwen und als geschlachtetes Lamm zugleich darstellt (Offenbarung 5,5-6). Er setzt damit auf die Macht dieses am Kreuz hingerichteten Ohnmächtigen und gibt so den ohnmächtig dem Geschichtsverlauf Unterworfenen eine Hoffnungsperspektive.

Diese Enthüllung erfolgt in visionären Bildern, die geprägt sind von der Sprache der Bibel und ihrer weitergehenden Auslegung. Wenn Johannes in Offenbarung 13,1-2 das Tier aus dem Meer beschreibt, liegt für mit Daniel 7 Vertraute „die Enthüllung der Macht“ klar auf der Hand: Die dort durch Raubtiere symbolisierten aufeinander folgenden Weltreiche, die dadurch als gewaltsam und ausbeuterisch charakterisiert werden, stehen hier, zu einem einzigen Untier verschmolzen, für das gegenwärtige, das römische Imperium als die Kumulation aller vorherigen Imperien. Den mit der Bibel nicht Vertrauten wird das abstrus erscheinen, Zensoren werden über solchen Unsinn überlegen lächeln – und ihn passieren lassen. Hier zeigt sich, dass die Apokalypse Untergrundliteratur ist, ein zugleich hochtheologisches und hochpolitisches Buch.

Dass Gott die Macht gehört und nicht dem Imperium, muss in der Tat enthüllt werden, denn die tatsächliche Erfahrung scheint eine ganz andere Sprache zu sprechen. Johannes erwartet nicht die Katastrophe, er erfährt bereits seine Gegenwart als katastrophal. Das zeigt sich anschaulich in Kapitel 5. Dort ist von einer Buchrolle mit sieben Siegeln auf der Hand Gottes die Rede, und es wird nach jemandem gefragt, der die Siegel öffnen und die Rolle lesen könnte.

Im Kontext der Offenbarung und der eingespielten biblischen Stellen enthält die Rolle das Endzeitgeschehen, den Anbruch eines wirklich Neuen entgegen der weiterlaufenden Katastrophe. Das käme in Gang, würden die Siegel geöffnet. Als sich niemand findet, der das vermöchte, weint Johannes sehr (5,4). Denn wenn die Rolle nicht geöffnet wird, bleibt alles beim Alten. Dem Johannes gilt der Weltlauf nicht als großartige Fortschrittsgeschichte, an der man voller Optimismus teilhat. Im Gegenteil: So wie es läuft, ist es zum Heulen. Der Weltlauf ist zum Heulen, wenn er aus der Perspektive der Opfer betrachtet wird. Und er ist es erst recht, wenn sich seine Geschlossenheit und Unentrinnbarkeit aufdrängt, wenn keine Öffnung möglich erscheint, keine „Gegenlektüre“. Die Lektüre der Rolle, wenn sie denn gelänge, wäre eine Lektüre, die ihn aufbräche. Indem die Offenbarung des Johannes genau davon im Folgenden erzählt, wird sie selbst zur Gegenlektüre gegen die Propagandisten des „ewigen Rom“, gegen die Verfechter dessen, dass es schon immer so weitergehen wird. Das ist die Grunderfahrung von Apokalyptik: Die Katastrophe ist schon da – im ganz „normalen“ Leben. Deshalb kann und darf es so nicht weitergehen. Und so richtet sich alle Hoffnung auf den radikalen Abbruch einer tödlichen Geschichte.

Deshalb macht sich Johannes in der noch weiterlaufenden Geschichte die Perspektive der Opfer zu eigen. In 6,9 erblickt er unter dem himmlischen Altar „die Seelen derjenigen, die um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses willen, das sie hatten, hingeschlachtet worden sind“, und hört sie mit lauter Stimme schreien: „Wie lange noch, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest Du nicht und vergiltst Du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?!“ Die Ermordeten erheben hier Protest gegen die Gewaltgeschichte, deren Opfer sie geworden sind, und verlangen ihr Ende. Selbst und gerade sie, die Märtyrerinnen und Märtyrer, sind noch nicht am Ziel, solange die Gewaltgeschichte unablässig weiterläuft. Indem Johannes sie schreien lässt: „Wie lange noch?“, hält er fest, dass ihr Tod Protest bleibt, wie das Widerspruch war, was zu ihrer Verurteilung führte: die Verweigerung gegenüber Götzendienst und Kaiserkult, die Weigerung, sich den Herrschenden anzupassen. Ihr Tod bleibt Protest gegen eine Wirklichkeit, die solche Opfer verlangt, und er ist zugleich Zeugnis für eine andere Wirklichkeit, für eine bessere Welt der Gerechtigkeit Gottes. Der Ruf „Wie lange noch?!“ (vgl. Ps 94,3) ist ein Schrei nach der Wiederherstellung des Rechts. Gott soll als Richter handeln und den Ermordeten zu ihrem Recht verhelfen. Darum geht es, nicht um „Rache“.

Die Sicht auf das Imperium von unten

Weil Johannes das Imperium von unten und vom Rande her wahrnimmt, ist er alles andere als ein Bewunderer Roms. Diejenigen, denen dessen gewaltige Macht imponiert, gelten ihm geradezu als Gotteslästerer. Was nach 2. Mose 15,11 nur Gott zukommt, sagen sie in rhetorischer Frage von „dem Tier“: „Wer ist dem Tier gleich?“ Und fahren fort: „Wer kann gegen es Krieg führen?“

Dass Roms Waffen „unwiderstehlich“ seien, lehrte die Erfahrung und wurde von antiken Autoren öfters festgestellt, etwa von Flavius Josephus: „Gott, der unter den Völkern die Herrschaft von einem zum anderen übergehen lässt, steht jetzt zu Italien. Als mächtigstes Gesetz gilt eben tatsächlich bei den Tieren wie bei den Menschen, dass man dem Stärkeren weichen muss, und dass die Macht nur erlangt, wer die schärfsten Waffen führt.“ (Jüdischer Krieg V 367) Für Johannes dagegen ist diese Macht diabolisch. „Der Drache“ hat „dem Tier“ die Macht gegeben (Offb 13,2.4). Ihr zu huldigen ist nichts anderes als die Anbetung nackter Gewalt. Solche Verehrung gilt allemal einem Monstrum.

Dass dieses „Tier“ die Macht vom Teufel habe, ist aber nur die eine Seite. In 13,5-7 ist viermal gesagt, dass dem Tier „gegeben worden ist“, das zu tun, was es tut, wobei als logisches Subjekt in diesem Passiv Gott gedacht ist. Johannes bemüht sich nicht um einen logischen Ausgleich. Der wäre auch nur um einen sehr hohen Preis zu haben. Das kann man sich daran klar machen, wenn jeweils nur eine Aussage gemacht würde. Würde nur gesagt, dass der Drache dem Tier seine Macht gegeben hat, würde die Welt im wahrsten Sinn dem Teufel überlassen. Würde nur gesagt, dass sie dem Tier von Gott gegeben wurde, würde eine teuflische Wirklichkeit theologisch legitimiert. Johannes muss also beide Aussagen machen. Wie sollte angesichts der von ihm und den Seinen blutig erlittenen Herrschaft Roms der Glaube an Gott als Schöpfer und Herrn der Welt anders festgehalten werden können als – im Widerspruch?!

Die logische Widersprüchlichkeit ist die Konsequenz dessen, dass Gott selbst an der widersprüchlichen Wirklichkeit teilhat, an ihr leidet und ihr widerspricht und so dem Widersprechen Raum gibt. Die widersprüchliche Redeweise macht deutlich, dass Gott noch nicht am Ziel ist. Deshalb redet Johannes vom kommenden Gott. Er tut das, weil er sich nicht abfinden will mit dem Unrecht und der Gewalt, der Not und dem Elend, den Tränen, die aus Leid und aus Wut vergossen werden müssen. Gott ist noch nicht am Ziel. Aber als der kommende Gott überlässt er diejenigen nicht der Hoffnungslosigkeit, die ihr Vertrauen auf ihn setzen.

In Kapitel 13 ist noch von einem zweiten Tier die Rede. Es steht für die Oberpriesterschaft des Kaiserkults in der Provinz und damit für die Abteilung „Propaganda“. Besonders aufschlussreich ist die Aussage in 13,12, dass es „alle Herrschergewalt des ersten Tieres vor ihm“ wirkt und damit zur Huldigung aller vor diesem Tier führt. Damit wird ein eigenartiger Kreislauf angedeutet: Die Propaganda, die im Reden des zweiten Tieres zu Wort kommt, ist Zelebration und Selbstdarstellung der Herrschaftsgewalt. Man denke an Aufmärsche und Feiern in Nazideutschland, vor allem an die Parteitage in Nürnberg. Die Feier der Herrschaftsgewalt dient zugleich ihrer Erhaltung, ja mehr noch: Sie verhilft der usurpierten, der gewaltsam an sich gerissenen Macht erst zur vollen Wirklichkeit. Erst wenn niemand mehr widerspricht, wenn sich niemand mehr querstellt, wenn alle mitmachen, wird diese Macht total und kann sich hemmungslos in voller Willkür austoben. Von der Zelebration der Macht geht ein ungeheurer Sog aus, ein enormer Anpassungsdruck, sich ihr zu unterwerfen, schlicht: mitzumachen und mitzulaufen.

Die Offenlegung der „Dynamik des Luxus“

In den Kapiteln 17 und 18 nimmt Johannes den wirtschaftlichen Aspekt römischer Herrschaft in biblischer Tradition mit dem Bild der Hure in den Blick. Das verbindende Moment ist die Käuflichkeit. Johannes bringt das prägnant zum Ausdruck, wenn er in visionärer Vorwegnahme des Untergangs Roms die Großhändler klagen lässt, „weil ihre Fracht niemand mehr kauft“ (18,12). Für die merkantile Mentalität ist Kaufen und Verkaufen alles. Eine ganze Welt geht zugrunde, und sie klagen, dass niemand mehr ihre Warenmassen kauft! In 18,3 heißt es: „… und die Großhändler der Erde sind reich geworden von der Dynamik ihres [der Stadt ‚Babylon‘, also Roms] Luxus.“ Der Luxus der parasitären Metropole wird zu einer eigenen „Macht“ (dýnamis). Es kommt zu einer vom Luxusbedarf gesteuerten „Dynamik“, die das Wirtschaftsleben organisiert und bestimmt. Wer – wie die Großhändler – dieser Steuerung unmittelbar folgt, wird reich. Sie betrieben Handel im großen Stil und gehörten in der Regel dem römischen Ritterstand an. Durch ihr Wirken ließen sie die Metropole zu ihrem Luxusleben kommen, und sie selbst kamen dabei zu Geld.

In 18,12-13 zählt Johannes auf, was alles nach Rom verfrachtet wurde: „Gold und Silber, Edelsteine und Perlen, Byssusstoff und Purpur, Seide und Scharlach, alle Zitrushölzer, alle Produkte aus Elfenbein, alle Produkte aus Edelhölzern, Kupfer, Eisen und Marmor, Zimt und Kardamon, Räucherwerk, Salböl und Weihrauch, Wein und Öl, Feinmehl und Weizen, Rinder und Schafe, Pferde und Reisewagen und Sklaven – sogar beseelte Menschen“. Diese Angaben lassen sich durch andere antike Quellen bestätigen; die sind allerdings aus anderer Perspektive geschrieben und beurteilen dieselbe Wirklichkeit positiv. Der Rhetor Aelius Aristides etwa spricht vor Kaiser Antoninus Pius davon, dass die Länder rund ums Mittelmeer die Römer stets mit ihren Erzeugnissen versorgen: „Herbeigeschafft wird aus jedem Land und aus jedem Meer, was immer die Jahreszeiten wachsen lassen und sämtliche Gebiete, Flüsse, Seen und die Kunstfertigkeit von Griechen und Barbaren hervorbringen. Wenn jemand das alles betrachten wollte, müsste er daher entweder die ganze Welt durchwandern und es so in Augenschein nehmen oder aber in diese Stadt kommen. Was immer nämlich bei den einzelnen Völkern erzeugt und angefertigt wird, von dem ist es unmöglich, dass es nicht hier wäre, und zwar ständig und im Überfluss.“ Erdbeeren im Dezember…

Verweigerung gegenüber dem herrschenden System

Was Johannes angesichts der von ihm wahrgenommenen und gedeuteten Situation von seiner Leser- und Hörer*innenschaft will, formuliert er am prägnantesten in 18,4: „Zieht, mein Volk, aus ihr heraus, damit ihr nicht Komplizen ihrer Sünden werdet, und damit ihr nichts von ihren Schlägen abbekommt!“ Da die Angeschriebenen in der Provinz Asia leben, kann hier kein wörtlich verstandener Auszug aus der Stadt Rom gemeint sein. Es geht vielmehr um Verweigerung gegenüber dem herrschenden Gewaltsystem. Das hat soziale Isolierung zur Konsequenz – und die soll bewusst bejaht werden. Denn wenn die bestehenden Strukturen Sünde sind, bedeutet das Mitmachen unweigerlich Komplizenschaft mit der Sünde. Und das schließt die Folgen der Sünde ein: Nur, wer nicht mitgegangen ist, wird auch nicht mitgefangen und mitgehangen. Gegenüber einem System, das sich selbst vergötzt, kann es für Johannes nur den völligen Nonkonformismus, die kompromisslose Verweigerung geben.

Das Gericht und der Strom von Blut

Das damit angedeutete Verständnis des Gerichts ist prägnant in 16,6 formuliert: „Denn Blut der Heiligen und Propheten haben sie vergossen, und Blut gabst Du ihnen zu trinken. Es geschieht ihnen recht (áxios).“ Die Entsprechung zeigt sich in dem Bild, dass die Mörder das von ihnen vergossene Blut trinken müssen und so an ihrem eigenen Tun sterben. Dafür steht Gott als Richter ein, der ihre Taten auf sie selbst zurückwendet. Die Entsprechung wird zudem im Schlusssatz des Verses festgestellt. Hinter dem Wort áxios steht das Bild vom Waagebalken. Die häufig vorgenommene Übersetzung „Sie sind es wert“ trifft den hier gemeinten Sinn nicht pointiert genug: Ihr Schicksal entspricht ihrem Tun, es „geschieht ihnen recht“.

Im Ganzen wird hier zum Ausdruck gebracht: Rom stirbt an seinem eigenen Morden, es siegt sich zu Tode. Dem fiktiven Strom von Blut (14,20) entspricht das von Rom tatsächlich vergossene Blut. Johannes nimmt über die Ermordeten der eigenen Gemeinschaft hinaus an Roms „Hand“ auch das Blut „aller Hingeschlachteten auf der Erde“ wahr (18,24). Dem leichenübersäten visionären Schlachtfeld (19,21) entsprechen tatsächliche Leichen auf den überaus zahlreichen Feldern der von römischen Legionen geschlagenen Schlachten. Johannes bietet keine Kriegsberichterstattung. Der Sieg wird in der Kategorie des Wunders von Gott her geschildert (19,20). Der Reiter auf weißem Pferd, womit Jesus als messianischer Endzeitkönig dargestellt wird, kämpft allein mit dem zweischneidigen Schwert aus seinem Mund, also mit seinem Wort (19,21). Seine himmlischen Reiterheere (19,14) treten nicht in Aktion. Und vor allem die Menschen in den Gemeinden sind in keiner Weise an diesem Krieg beteiligt. Das Gericht ist Gottes Sache, Gott allein hat das letzte Wort.

Das neue Jerusalem als Vision der Gemeinde

Das vom Himmel herabkommenden Jerusalem als der Braut des Lammes – diese Vision ist der Vision von der auf dem Tier reitenden Hure genau entgegengesetzt (vgl. 21,9-10 mit 17,1-3). Das heißt, Johannes konzipiert Gemeinde als einen antiimperialen Entwurf. Am Ende der Vision heißt es von den Bewohner*innen dieser Stadt: „Und sie werden machtvoll regieren für immer und alle Zeit.“ (22,5) Allerdings ist diese Regentschaft im wahrsten Sinn des Wortes gegenstandslos. Sie hat keine Objekte. Wenn alle herrschen, gibt es keine Beherrschten. Ihren Sinn hat solche Redeweise nur im Bestreiten noch ausgeübter Herrschaft, unter der Johannes und die Seinen zu leiden haben.

Vorhanden ist jedoch im neuen Jerusalem das Luxuriöse, sogar in verschwenderischer Fülle (21,18–21.24.26), aber nicht als Privatbesitz einer dünnen Oberschicht. Es ist – im Falle der aus reinem Gold bestehenden Hauptstraße (21,21) buchstäblich – zugänglich für alle, es ist sozialisiert. Es geht dabei um die Partizipation aller und das Ende der Hierarchien.

Im Protest gegen eine als niederschmetternd erfahrene Realität bietet die Offenbarung die Imagination einer anderen Welt. Johannes ist kein Fetischist der Katastrophe. Sein Buch ist nicht düster, es ist durchzogen von Gesang. Immer wieder finden sich Stücke, die Gott und seinen Messias lobpreisen. In diesen Gesang kann und soll die Gemeinde beim Verlesen des Buches einstimmen. Denn es gilt: Das „neue Lied“ (5,9), dass es nicht immer so weiter gehen wird, wird schon gesungen, Gottesdienst wird schon gefeiert. Das Miteinander in der Gemeinde wird schon gelebt. Die Verweigerung des Mitmachens bei den Ritualen der herrschenden Macht, des Mitlaufens im allgemeinen gesellschaftlichen Trend ist kein Ausstieg aus der Geschichte, kein Rückzug in einen Raum untätigen Abwartens. Es geht vielmehr darum, dass eine Alternative gelebt wird: eine Prolepse, eine Vorwegnahme aus der Kraft dessen, woran geglaubt und worauf gehofft wird, aus der Kraft des kommenden Gottes.

Zum Weiterlesen:
Zu den in der Bibelarbeit angerissenen Aspekten vgl. ausführlich: Klaus Wengst, „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010.

Prof. i.R. Dr. Klaus Wengst ist ev. Theologe und hat bis zu seiner Pensionierung NT, am längsten in Bochum, gelehrt. Geprägt ist seine Arbeit durch eine sozialgeschichtlich orientierte Exegese und vielfältige Begegnungen mit dem Judentum. Er ist Mitübersetzer der Bibel in gerechter Sprache. In seiner Freizeit läuft „es“ noch – reduziert – mit der Arbeit, aber er nicht, schon gar nicht mehr Marathon. Denn „dass es nicht ‚immer so weiter‘ geht, habe ich schon lange theoretisch gewusst, nun spüre ich es leiblich, was kein Grund zum Klagen ist“.

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Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit / circa 120 Minuten

von Simone Kluge

Einstieg

Die Leiterin / der Leiter der Gruppenarbeit hält ein Plakat mit der Aufschrift Wie lange noch? hoch und liest die Frage laut vor.

Impuls: Was fällt Euch ein, wenn Ihr diese Worte hört? Wir machen eine kleine Runde: Wie würdet Ihr spontan diesen Satz ergänzen:
Wie lange noch wird / werden… ?

Leiter*in: Es gibt so vieles, was zu beklagen ist – im privaten Umfeld, in unserer Gesellschaft, weltweit. Vieles erfüllt uns mit Sorge und lässt uns fragen: „Wie lange noch?“ Wir sehnen uns nach einem Ende von Gewalt, von Unrecht und Zerstörung, von Leid und Schuld. Manchmal droht die Kraft verloren zu gehen, und die Hoffnung schwindet. Das ging auch vielen Menschen so, die vor etwa 2.000 Jahren unter römischer Gewaltherrschaft leben mussten. [circa 15 Minuten]

Einige Informationen aus der Bibelarbeit ergänzen

Enthüllung der „Raubtiere“

Das damalige Weltreich Rom wird in der Offenbarung mit einem Raubtier verglichen. Ein Tier mit scharfen Zähnen und Krallen. Ein raubendendes und tötendes Tier, das Unheil über die Welt bringt. Welche „Raubtiere“ begegnen uns heute? Welche Namen tragen sie? Wo sind wir selbst „Raubtier“? – Nehmt Euch zehn Minuten Zeit und notiert Eure Gedanken zu den drei Fragen.

A5-Blätter (weiß, blau und grün) und Stifte liegen in greifbarer Nähe bereit
10 Minuten Stille

Tauscht Euch jetzt zu dritt oder viert über Eure Notizen aus.

Formuliert dann gemeinsam Wehklagen und Schuldbekenntnisse; auf die blauen Blätter „Gott, wir beklagen…“, auf die grünen „Gott, wir bekennen…“.
[circa 30 Minuten]

Im anschließenden Plenum werden zunächst die Klagen (blaue Blätter) vorgelesen, dazwischen wird jeweils der Liedruf 2 aus dem WGT Taiwan „O God, hear our prayer“ gesungen (alternativ: Kyrie-Ruf z.B. eg eg 178,9). Nach den Bekenntnissen (grüne Blätter) wird der Liedruf 7 „Dir vertraue ich“ mit unterschiedlichen Texteinschüben angestimmt (alternativ z.B. fortlaufend je eine Strophe „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“ oder den Kanon „Sende dein Licht und deine Wahrheit“ eg 172). [circa 20 Minuten]

Enthüllung unserer „Vision(en)“

Die Offenbarung des Johannes wird durchzogen von Gesang, von einem neuen Lied.

Leiterin präsentiert auf Blättern
„neues Jerusalem“, „Braut des Lammes“, „alle herrschen“,
„Miteinander in der Gemeinschaft“, „Gottesdienst“, „Ende der Hierarchie“, „Partizipation aller“

Lasst uns in dieses Lied einstimmen. Dazu stehen wir auf und finden zunächst einen gemeinsamen Rhythmus im großen Kreis. Ihr könnt gemeinsam schneller und langsamer werden, bis Ihr Euch auf einen gemeinsamen Rhythmus eingependelt habt. Wenn Ihr mögt, könnt Ihr dazu schnipsen oder durch Body-Percussion – also mit Euern Körpern unter Zuhilfenahme Eurer Hände, Finger, Füße und Eures Munds – zusätzliche Rhythmen erzeugen. Bleibt bei Eurem Rhythmus und sprecht dazu neue Worte in den Raum, die dann nach dem Call-and-Response-Prinzip von allen wiederholt werden. [circa 15 Minuten]

Abschluss

Austauschrunde:
„Wie geht es mir jetzt?“

Leiter*in: Etty Hillesum wurde am 15. Januar 1914 als Esther Hillesum in Middelburg geboren und am 30. November 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Sie schrieb 1942 in ihr Tagebuch: „Es ist trostlos. Und trotzdem bleibe ich dabei. Wenn wir dem Chaos hier nicht Trotz bieten, durch etwas Strahlendes und Starkes, das irgendwo an einem ganz anderen Ort völlig von Neuem beginnt, dann sind wir verloren, endgültig und für alle Zeiten verloren. Ich werde den Weg zu diesem Neuen, Strahlenden finden, auch wenn er jetzt verschüttet ist.“ Und sie schreibt weiter: „Und wenn mein Ungestüm zu groß ist und ich mir keinen Rat mehr weiß, dann bleiben mir immer noch die gefalteten Hände und das gebeugte Knie.“ So lasst uns nun mit ihren Worten beten:

„Schenke mir
eine Gedichtzeile am Tag, mein Gott,
und wenn ich sie nicht aufschreiben kann,
weil es kein Papier und kein Licht gibt,
dann werde ich sie abends leise
unter deinem großen Himmel aufsagen.
Aber schenke mir ab und zu
eine einzige kleine Gedichtzeile.“
Amen

Zitate aus J.G. Gaarlandt (Hg.): Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, Reinbek bei Hamburg, 28. Aufl. 2018, S. 165, 204, 188

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