Alle Ausgaben / 1993 Frauen in Bewegung von Anna Sticker

Friederike Fliedner

Erste Vorsteherin der Diakonissen der Neuzeit

Von Anna Sticker

Am 28. April 1828 traf Friederike Fliedner als Pfarrfrau der kleinen evangelischen Gemeinde in Kaiserswerth ein. Am 22. April 1842 starb sie, die zehn Kinder getragen hatte, von denen fünf nicht lebensfähig waren, an den Folgen einer zu frühen Entbindung.

Vor dem Hintergrund dieses erschütternden Mutterschicksals bekommt das Kaiserswerther Wirken der Friederike Fliedner geb. Münster sein besonderes Gewicht. Sie stammt aus Braunfels, älteste Tochter eines willensstarken, mutigen, bis zur Starrheit unbeugsamen Vaters … Ihre Mutter hatte Friederike Münster schon früh verloren, sie hatte sich bei der Pflege von Flecktyphus angesteckt. Münster überließ seiner fähigen sechzehnjährigen Tochter die Leitung des Gutshaushaltes mit zwei Knechten und zwei Mägden, die Erziehung der sechs jüngeren Geschwister und die Pflege der 76jährigen Großmutter.
Als der Vater nach Jahresfrist wieder heiratete, hatte seine selbständige Friederike einen schweren Stand. Nach schweren Jahren bot sich ihr der Ausweg, als Erzieherin in dem neubegründeten Kinderrettungswerk Düsselthal bei Düsseldorf zu wirken – für jene Zeit ein kühnes Unterfangen für eine Frau. So kam Friederike Münster an den Niederrhein.

Dem Kaiserswerther Pfarrer Theodor Fliedner war die Düsselthaler Erzieherin als Fürsorgerin in seiner Gefängnisarbeit empfohlen worden. Als er sie kennen lernte, fand er in ihr eine ebenbürtige, vielseitig begabte Frau, die ihm die rechte Lebensgefährtin zu sein versprach. Gegen eine zu große Selbständigkeit verwahrte er sich von vornherein. Friederike Fliedner fand zunächst den füllenden Bereich einer Hausfrau vor, ähnlich dem der anderen Kaiserswerther Bürgersfrauen. Noch gab es keinerlei technische Erleichterungen im Haushalt. Jeder Tropfen Wasser wurde an der Pumpe oder aus der Regentonne geholt. Die Wäsche wurde am Bach gewaschen und auf der Wiese gebleicht. Jährlich kamen die Kälker, um in Zimmern, Küche und Fluren den Ruß der eisernen Öfen zu übertünchen. Alle Fleisch-, Gemüse- und Obstvorräte für den Jahresbedarf besorgte die Pfarrfrei selbst …

1833 nahm das Pfarrhaus eine entlassene Gefangene aus dem Zuchthaus in Werden auf, um ihr zur Eingliederung in die Gesellschaft zu verhelfen. Ein kleines Gartenhaus, die Arbeitsstube der Mina, wurde der Anfang des Kaiserswerther Werks. Ende des Jahres konnte in der Fliednerstraße ein Haus mit großem Garten als Asyl gemietet werden.

Das nach Düsseldorf gehörte zu den früh industrialisierten Städten und hatte 1831 eine der ersten Industrie- und Handelskammern zur selbständigen Wahrnehmung seiner wirtschaftlichen Interessen. Die Bevölkerung wuchs sprunghaft. Als Kehrseite der Industrialisierung entstand ein verarmtes Proletariat mit Fabrikarbeit von Frauen und Kindern … In Theodor und Friederike Fliedner reifte der Plan eines umfassenden Frauenbildungswerks, um beiden Nöten zu begegnen, unverheirateten Frauen einen Wirkungskreis zu geben und den verelendenden Menschen Pflege.

Am 13. Oktober 1836 wurde im Stammhaus am Kaiserswerther Markt die Diakonissenanstalt  eröffnet zur Ausbildung von Kranken- und Armenpflegerinnen, von Kinderschwestern und Fürsorgerinnen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen Fliedners, eine geeignete Vorsteherin zu gewinnen, übernahm Frau Fliedner neben der Führung des Pfarrhaushaltes und der Erziehung ihrer drei, später vier Mädchen, zu denen dann noch ein Junge kam, ganz die Leitung der Krankenanstalt. Es konnte niemand besseres gefunden werden. Friederike Fliedner war ganz in den Planreichtum ihres Mannes hineingewachsen und besaß neben ihrem Verwaltungstalent und ihrer Haushaltskenntnis gute pflegerische und erzieherische Gaben. Sie war ganz Partnerin ihres Mannes, nicht nur ausführendes Organ. Selbständig und kritisch durchdachte sie die Fragen des Frauenwerks und wusste gegenüber ihrem Man, in innerer Freiheit den Standpunkt der Frau zu vertreten …

Wenn Theodor Fliedner verreist war – und er war in den letzten Jahren meist drei Monate unterwegs, um für die Diakonissenanstalt zu werben und die Gelder zusammenzubringen – trug Friederike Fliedner als seine Stellvertreterin die volle Verantwortung für den Krankenhausbetrieb und die Ausbildung der Schwestern.

Die Arbeit und die Verantwortlichkeit der Vorsteherin steigert sich, als Kaiserswerth nacheinander fünf auswärtige Kranken- und Armenhäuser übernimmt, um eine gelernte Krankenpflege auch in anderen Städten zu verbreiten. Ein kennzeichnender Fall wurde die Umstellung des Hospitals in Saarbrücken, eines völlig verwahrlosten Hauses: Schmutz, Schmier und Läuse …

Frau Fliedner hatte die Reise mit je zwei Schwestern für Kreuznach und Saarbrücken unter großer Sorge angetreten, ihr Mann und ihre älteste Tochter hatten den Typhus gehabt. Als sie kaum genesen waren, brach der Typhus bei der neunjährigen Simonette und der vierjährigen Hanna aus. Die sechsjährige Mina und der anderthalbjährige Georg blieben verschont. Als es den Kindern besser zu gehen schien, glaubte Frau Fliedner, die lang geplante Reise nicht länger verschieben zu dürfen.

Der Mutter brach fast das Herz vor Sorge um die kranken Kinder. Länger als geplant musste sie sich in Saarbrücken aufhalten.

So sah sie Simonette nicht mehr lebend wieder, und wenige Tage nach ihrer Rückkehr starb auch die kleine Johanna. Der Verlust der beiden Kinder hat Friederike Fliedner im Tiefsten getroffen. Ernst und sehr still ging sie das letzte Stück ihres Weges …

Fünfeinhalb Jahre hat Friederike Fliedner um der Heranbildung mündiger Frauen zum Dienst der Liebe gerungen. Auf dem alten evangelischen Gemeindefriedhof, auf dem sie beigesetzt wurde, findet man ihren Grabstein mit der Inschrift:

Hier ruht Friederike Fliedner geborene Münster erste Vorsteherin der Diakonissen mit sieben Kindern …


Literatur
Lebensbild nach dem Buch von Anna Sticker: Friederike Fliedner und die Anfänge der Frauendiakonie. Ein Quellenbuch
© Neukirchner Verlag des Erziehungsvereins GmbH, Neukirchen-Vluyn 1961

 

 

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