Ausgabe 1 / 1995 Frauen in Bewegung von Inge Heiling

Charlotte von Kirschbaum

Eine Theologin ohne Studium

Von Inge Heiling

Charlotte von Kirschbaum war die einzige Tochter neben zwei Söhnen des Generalmajors Maximilian von Kirschbaum und seiner Frau Henriette. Am 25. Juli 1899 kam sie in Ingolstadt in Bayern zur Welt.

Als Armeebediensteter wurde der Vater sehr oft versetzt und die Familie musste immer wieder umziehen, sicherlich eine Belastung für die Kinder, sich immer wieder neu in Schule und Umgebung einzugewöhnen und Freundschaften zu pflegen.

Charlotte war ein sehr begabtes Mädchen. Diese Begabung erkannte ihr Vater schon früh. Doch wie es zur damaligen Zeit war, waren die Bildungschancen für Mädchen nicht sehr hoch.

Nachdem die Familie endgültig sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges in München niederlassen konnte, absolvierte Charlotte 1915 ihre Schulausbildung mit einem Abschluss der Höheren Töchterschule. Das berechtigte jedoch nicht zu einem Studium.

Während des Krieges verdiente sie sich ein Taschengeld bei der Briefzensur der Armee. Als ihr Vater 1916 in Frankreich fiel, begannen harte Zeiten für die Familie, Hungerzeiten griffen die Gesundheit von Charlotte an.

Nach dem Ende des Krieges wollte sie Diakonisse werden, änderte jedoch ihren Entschluss nach einem Besuch im Mutterhaus in Augsburg und begann stattdessen eine Ausbildung als Krankenschwester beim Deutschen Roten Kreuz und arbeitete nach dem Abschluss der Ausbildung auch als solche in München.

Schon als Schwesternschülerin bekam sie Zugang zu einem Kreis von Intellektuellen, zu dem auch Thomas Mann gehörte, und zu dem Pfarrer Georg Merz einlud. Merz gehörte zu den offenen Menschen, der die geistigen, politischen, kulturellen und theologischen Fragestellungen jener Zeit mit anderen zu beantworten versuchte. Der Zugang zu diesem Kreis war für Charlotte von Kirschbaum lebensbestimmend, ihre geistig-intellektuellen Fähigkeiten wurden hier entfaltet.

Durch diesen Kreis bekam sie auch erstmals Berührung mit Karl Barths Theologie, ihre Neugier auf die theologische Entwicklung in dieser Zeit wurde dadurch verstärkt.

In Begleitung von Georg Merz besuchte sie einen Vortrag Karl Barths. Vermutlich lud Barth sie nach einem anschließenden Gespräch zu sich in die Schweiz ein. Sie nahm dieses Urlaubsangebot auch an.

Ihr Urlaubsaufenthalt auf dem „Bergli“ am Zürichsee wiederholte sich und sie fand dort Zugang zu dem Barthschen Kreis. Langjährige Freundschaften zu einzelnen entstammen diesen Begegnungen. So wurde auch die Idee von diesem Kreis aus verwirklicht, Charlotte eine Weiterbildung zu ermöglichen, die auch einer von ihnen finanziell absicherte. So besuchte sie die soziale Frauenschule in München, wo sie u.a. für Sekretärinnenarbeit geschult wurde. Nach dem Abschluss dieser Ausbildung gab sie ihre Arbeit als Sekretärin auf und arbeitete bei den Siemens-Werken in Nürnberg. Der Kontakt zu Karl Barth hielt an. Sie standen in regem geistigem Austausch über seine Vorlesungen und Manuskripte. Karl Barth war verheiratet und hatte 5 Kinder. Ein gemeinsam mit der Familie verbrachter Urlaub intensivierte ihre gemeinsame Arbeit.

Charlotte entschloss sich zu einem weiteren Besuch einer sozialen Frauenschule mit der Absicht, das Abitur nachzuholen. Hier in Berlin begegnete sie auch Gertrud Staewen (s. ahzw 1/94).

Charlotte von Kirschbaum war Barth innerlich so zugewandt, dass sie sein Angebot, in sein Haus nach Münster zu ziehen und seine Mitarbeiterin zu werden, annahm, in vollem Bewusstsein, zu einem Mann zu ziehen, der Familie hatte. Es stieß bei vielen auf Unverständnis. Das Zusammenleben unter einem Dach barg viele Spannungsmomente in sich und forderte allen viel Toleranz ab. Nelly Barth versorgte Kinder und Haushalt, Charlotte, Lollo genannt, verbrachte die meiste Zeit mit gemeinsamer Arbeit mit Karl Barth. Sie wurde Barth ein unentbehrliches Gegenüber, die ihm theologisch in nichts nachstand, obwohl sie nie ein Studium absolviert hatte. Das Exerpieren von Büchern, die Korrespondenz, das Schreiben und Redigieren der Manuskripte, das Organisieren von Reisen und Vorträgen oblag vollkommen ihr. Jeder Tag war voll ausgefüllt, Ruhepausen gab es so gut wie keine.

Durch die Arbeit Barths in der Bekennenden Kirche in der Zeit des Kirchenkampfes und dem Werdegang der Barmer Theologischen Erklärung, entwickelte auch sie eine klare Stellungnahme zur Sozialdemokratie. Sie stand voll hinter Barths Ansichten, die Barth schließlich vom Bonner Lehrstuhl verbannte und er in die Schweiz ins Exil musste.

Ihre politische Tätigkeit unterstrich sie, indem sie sich in das Präsidium des Schweizer Nationalkomitees „Freies Deutschland“ wählen ließ.

Durch die Arbeit Barths an seiner Kirchlichen Dogmatik beschäftigte sich Charlotte sehr mit dem Verständnis der Rolle der Frau in der Wortverkündigung. Sie verfasste denn auch ein Schrift „Der Dienst der Frau in der Wortverkündigung“. Georg Casalis Köbler (s.u.)“ … dass sie für uns, für mich ganz besonders, die Tür zur weiblichen Lektüre der Schrift, zum kreativen Einbruch der Frauen in die Theologie und zu einem neuen Verständnis der Beziehungen zwischen Mann und Frau in der Politik, in der Gemeinde, in der Liebe … weithin geöffnet hat. Dies war und bleibt ihre geschichtliche Rolle …“.

Charlotte von Kirschbaum, die sich völlig der Arbeit mit Karl Barth hingab, die darin aufging, die nur geistig gefordert war, sich keine Ruhe gönnte, hauchte ihr Leben mit einer Gehirnsklerose aus.

In den Biographien über Karl Barth wird sie wenig bis gar nicht erwähnt. Ohne sie hätte K. Barth nicht so wirksam sein können. Wie so oft stand auch sie im Schatten eines berühmten Mannes.


Inge Heiling, Potsdam

Literatur
Renate Köbler, Schattenarbeit. Charlotte von Kirschbaum – Die Theologin an der Seite Karl Barths.
© Pahl-Rugenstein Verlag GmbH, Köln 1987

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