Ausgabe 1 / 2000 Frauen in Bewegung von Wilfriede Neermann

Hedwig Dohm

Für ein selbstbestimmtes Leben

Von Wilfriede Neermann

Portrait der Hedwig Dohm (1831-1919)

„Die Überlegenheit der Frau nimmt der Mann fast immer als eine persönliche Beleidigung auf.“

Diese scharfzüngige Bemerkung hat eine Frau gemacht, eine der radikalsten in der Frauenbewegung. Sie war klein, zartgliedrig und sehr hübsch und wirkte schüchtern und träumerisch. Obwohl diese Frau viel Sympathie, Wärme und Verständnis zeigte, wurde sie von manchen kritisiert: „Sie habe zu ihrer Zeit weiter gedacht als die meisten Frauen. Sie habe geschrieben. Aber sie habe sich nie in der Frauenbewegung organisiert. Sie sei nie öffentlich aufgetreten, habe ihren bürgerlichen Lebenskreis nicht verlassen.“ Sie selbst begründet diesen Zwiespalt mit Schüchternheit.

Wer war diese Frau? Hedwig Dohm wurde 1831 in Berlin geboren. Innerhalb ihrer großen Familie fühlte sie sich nicht wohl. Besondere Angst verspürte sie vor ihrer resoluten Mutter, die mit der verträumten Tochter wenig anzufangen wußte. Hedwig ist froh, wenn sie die Schule besuchen kann, auch wenn das Lernprogramm erbärmlich ist.
Mit 15 Jahren muß sie die Schule verlassen und beneidet die Brüder, die, obwohl faul und lernunwillig, eine bessere Ausbildung erhalten. Sie soll der Zeit gemäß – auf einen Ehemann warten und sich derweil mit Hausarbeit und mit Handarbeiten beschäftigen, die ihr verhaßt sind. Sie setzt schließlich den Besuch eines Lehrerinnenseminars durch, aber hier besteht die Ausbildung hauptsächlich aus dem Erlernen von Gesangsbuchversen! Ihre mangelnde Bildung, nur weil sie eine Frau ist, hat sie ihr Leben lang beklagt. Dadurch sei ihr Wunsch vereitelt worden, eine wirklich gute Schriftstellerin zu werden: „Die ganze Denk- und Gefühlswelt (der Frau) wird durch die Erziehung abgegrenzt und fixiert!“
Hedwig heiratet jung den Satiriker Ernst Dohm. Über ihre Ehe äußert sie sich nie. Sie hat fünf Kinder. Der Sohn stirbt bereits als Kind. Durch ihren Mann lernt sie einen neuen Bekanntenkreis kennen. Sie hält sich in Gesprächen zurück, hört zu, beobachtet und denkt nach. Als Ausgleich zu der verhaßten und sie überanstrengenden Hausarbeit liest sie, soviel sie nur kann.

„Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“

Das Beobachten hat ein Ende: Hewdig Dohm tritt mit kämpferischen Schriften zur Frauenfrage an die Öffentlichkeit. Sie entpuppt sich als eine, die kaum jemand mit der schüchternen und zurückhaltenden Frau in Verbindung zu bringen vermag. Sie erntet Hohn und Spott, nicht nur von Männern. Die Frauenbewegung reagiert distanziert bis ablehnend.
In den siebziger Jahren gibt sie sich eher bürgerlich und vorsichtig. Sie fordert bessere Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und 'frauliche' Berufe für alleinstehende Frauen. An das Wahlrecht für Frauen denkt kaum jemand und wenn, dann erst in ferner Zukunft als eine Art Belohnung für Bewährung.
Für sie, diese einsame Denkerin ohne Freundin und Gesprächspartnerin, steht zu dem damaligen Zeitpunkt fest – und das als nahezu einziger im deutschen Raum: ohne Wahlrecht, ohne politische Einflußnahme werden die Frauen keinerlei grundlegende Interessen durchsetzen.

„Ohne politische Rechte seid Ihr den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos. Rafft Euch empor! Organisiert Euch!“

Politische Rechte und ökonomische Selbständigkeit in jedem erwünschten Beruf gehören für Hedwig Dohm zusammen.
Mit entlarvendem Witz und Scharfsinn weist sie nach, daß die angebliche Sanftmut und Unwissenschaftlichkeit der Frauen nur dazu dient, den Männern das erhabene Gefühl zu verleihen, ihnen sei jemand unterlegen.

„Mit Stolz, Ihr Frauen! Wie ist es nur möglich, daß Ihr Euch nicht aufbäumt gegen die Verachtung, die Euch immer noch trifft?“

Nach ihrer Vorstellung solle jede Frau und jeder Mann seine eigene 'Individualität' enfalten können.
Sie selbst wäre gern Schriftstellerin geworden. Sie empfindet sich aber – trotz ihrer Versuche mit Romanen, Kurzgeschichten und Theaterstücken – stets schmerzlich als Dilettantin. So vertritt sie die Auffassung, daß der Staat den Rahmen zu schaffen habe für die Entfaltung der individuellen Anlagen. Frauen müßten vom Haushalt entlastet werden. Ökonomische Unabhängigkeit würde Eheschließungen endlich auf ehrlicher Grundlage ermöglichen: Die Frau soll nicht heiraten müssen, um versorgt zu sein. Kinder erfüllter Mütter seien glücklicher.
Hedwig Dohm geht es auch um alte Frauen, die oft – ohne eigentliche Aufgabe – von ihren Familien mitgeschleppt werden.

„Untätigkeit ist der Schlaftrunk, den man Dir, alte Frau, reicht. Trink ihn nicht! Sei etwas“ Schaffen ist Freude, und Freude ist fast Jugend.“

Sie nimmt auch die belastenden Beziehungen zwischen Töchtern und Müttern bzw. Schwiegermüttern aufs Korn. Die Frauen, die sich an die Töchter klammern, seien Opfer ihrer Unerfülltheit.

Erst um 1900 findet Hedwig Dohm Gesinnungsgenossinnen in der jüngeren Frau-enbewegung. Sie wird als Vordenkerin anerkannt. Aber sie tritt nach wie vor nicht öffentlich auf, schreibt „nur“. Sie erlebt noch die Zulassung für Frauen zum Studium und die Einführung des Wahlrechts. „Zu spät“, kommentiert sie müde. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges haben sie hart getroffen. Sie hatte versucht, die Frauen zu einer Pazifistinnenaktion gegen den Krieg zu bewegen. Vergeblich. Nahezu alle Frauen der Bewegung schwenkten in die vaterländische Linie ein. „Und dem lieben, schuldlosen Gott wur-de die Hauptrolle in de blutigen Ringen zugewiesen.“
War diese beeindruckende Frau gläubig? Wohl nicht im offiziellen, kirchlichen Sinn. Aber sie erwähnt oft das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden und fordert die Frauen auf, mit ihnen zu ,wuchern', also alles dafür zu tun, ihre Fähigkeiten zu entwickeln.

Vermögen wir Frauen heute mit unseren 'Pfunden zu wuchern'? Wahlrecht und bessere Ausbildungsmöglichkeiten haben wir zwar. Nutzen wir diese verschie-denen Möglichkeiten für unsere lebensgestaltung? Hedwig Dohm war eine Frau, die radikal schrieb aber zu schüchtern war, um öffentlich zu sprechen. War das ein Fehler? Müssen wir als frauenbewegte Frauen alles können, ohne ab und an wenigstens unseren Ängsten nachzugeben?

Hedwig Dohm starb 1919 in Berlin an einer Lungenentzündung.

Literatur:
Die Mitarbeiterin. Werkheft für Frauenbildung und Frauenseelsorge. Klens-Verlag 1990

Wilfriede Neermann, Bad Driburg

Anregung zur Gestaltung. Der letzte Abschnitt kann als Einstieg für ein Gespräch in der Gruppe verwendet werden Thema: Die Zukunft ist weiblich. Die Zitate können ebenso dafür bzw. ergänzend eingesetzt werden. Zur Hintergrundinformation können die Informationsteile der Beiträge in diesem Heft herangezogen werden.

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