Alle Ausgaben / 1993 Frauen in Bewegung von Dr. Katherina von Kellenbach

Frl. Rabbiner Regina Jonas

Eine religiöse Feministin vor ihrer Zeit

Von Dr. Katherina von Kellenbach

Regina Jonas wurde am 3. August 1902 in Berlin geboren. Regina Jonas begann ihre theologische Karriere als Religionslehrerin. Schon 1923 arbeitete sie – gerade 21jährig – als Religionslehrerin in der orthodoxen jüdischen Schule in Berlin, die sich in der Großen Hamburger Straße befand.

Der genaue Zeitpunkt, an dem sie sich an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums eingeschrieben hat, lässt sich momentan nicht feststellen.
Die Prüfungsordnung der Hochschule sah Geschlechtszugehörigkeit nicht als Hinderungsgrund zur Zulassung zur Prüfung vor, weshalb sich Regina Jonas problemlos zur Prüfung anmelden konnte. Die Ordination wurde ihr allerdings dennoch verweigert.
Ihre wurde lediglich eine Religionslehrerurkunde ausgehändigt.

Der halbherzige Kompromiss der Hochschule konnte keine Seite befriedigen. Regina Jonas war entschlossen, zu predigen und die Beschränkung auf das Lehramt, die ihr auferlegt wurde, nicht zu akzeptieren. Die Gegner der Frauenordination riefen nach einem zusätzlichen Vermerk oder Begründung, der das Eindringen von Frauen ins Rabbineramt verhindern konnte.

Interessanterweise war Jonas nicht die einzige Frau an der Hochschule. Der Jahresbericht der Hochschule vom Jahre 1932 erwähnt 27 Frauen (von 155). Diese hohe Einschreibung von Frauen erklärt der Jahresbericht mit den großen Hoffnungen auf die Öffnung des Rabbineramtes.

Die private S'micha ist im Judentum bis auf den heutigen Tag gültig. Jeder ordinierte Rabbiner hat theoretisch das Recht, andere Männer (und heutzutage auch Frauen) durch Handauflegen ins Rabbineramt zu berufen. Diese dezentrale Organisationsstruktur des Judentums kam Jonas zugute. Nach ihrer Ablehnung durch die Hochschule ließ sie sich von Rabbiner Max Dienemann, der in Offenbach arbeitete und dessen liberale und frauenfreundliche Haltung landesweit bekannt war, privat ordinieren.

Weder das genaue Datum, der Ort oder das Format dieser S'micha sind bekannt, aber Jonas konnte von diesem Zeitpunkt an den Titel „Rabbiner“ rechtmäßig führen.

Während sie für ihre Ordination die Hierarchie zu einem gewissen Grad umgehen konnte, war sie bei der Zuweisung einer Gemeinde auf die Berliner Gemeindeleitung der Reformsynagogen angewiesen. Die liberale Reformgemeinde gab sich zwar gerne frauenfreundlich, war aber nicht bereit, Konzessionen zu machen.

Hinzu kam, dass Jonas talmudisch argumentierte und der orthodoxen Bewegung nicht unbedingt abgeneigt gegenüberstand. Sie begründete die Rechtmäßigkeit der Frauenordination nicht mit dem überholten Charakter Jüdischer Halacha (Gesetztes), sondern zitierte die traditionelle jüdische Gesetzgebung, um ihre Position zu untermauern. Dies brachte sie in Konflikte mit radikaleren Reformvertreterinnen, die religiöse Veränderungen mit der Unzeitgemäßigkeit des Talmud begründeten.

Rabbiner Regina Jonas hatte nie eine eigene Gemeinde und das Ausmaß ihrer Predigeraktivität lässt sich schwer einschätzen. Sie gab weiterhin Religionsunterricht in Gymnasien, später, als die Nazis jüdischen Religionsunterricht in den Schulen verboten, auch privat.

Jonas arbeitete auch als Krankenhausseelsorgerin im Jüdischen Krankenhaus.

Ein Überlebender erinnert sich:
„In Berlin lebte zu der Zeit, in den 30er Jahren, die erste Rabbinerin … Frl. Rabbiner Regina Jonas. Sie achtete sehr darauf, dass man Fräulein Rabbiner sagte, denn eine Frau Rabbiner war die Frau von einem Rabbiner … Sie kam sehr oft ins Krankenhaus und Altersheim, und da wollte sie als Rabbinerin funktionieren. Im Altersheim ging das im allgemeinen. Im Krankenhaus kam sie in die Synagoge, sie hatte einen lila Talar, keinen schwarzen und sie hat sich unten hingesetzt, neben die Männer auf den Rabbinerplatz. Sie wollte während des Gebetes ihren Vortrag oder Predigt halten, aber immer wenn dieser Arzt da war und mit den Leuten gebetet hat, hat er zu ihr gesagt: „Sie können machen was Sie wollen, aber zum Beten gehen Sie oben rauf zu den Frauen, danach können Sie runterkommen.“

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, was in Jonas in diesen Situationen vorgegangen sein muss. Die täglichen Erniedrigungen, die sie als Frau über sich hat ergehen lassen müssen, haben zweifellos ihre Wirkung hinterlassen. Nicht umsonst wird sie von einem früheren Kollegen als „streitsüchtig“ beschrieben. Es bedurfte einer starken und aggressiven Persönlichkeit, um diesen Widerständen standzuhalten.
Während sie für mehr Rechte der Frauen in der Synagoge kämpfte, wurde ihr das Recht, als Jüdin in Deutschland zu leben, eingeschränkt und entzogen. Regina Jonas zog zu ihrer Mutter zurück, als sie zwischen den immer enger werdenden Maschen der antisemitischen Gesetzgebung keine eigene Wohnung mehr finanzieren konnte. Sie wurde zur Zwangsarbeit in einer Kartonagenfabrik in Berlin/Lichtenberg eingezogen.
Am 6. November 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert.

Zusammen mit dem bekannten Psychologen Prof. Dr. Victor Frankl, dessen Erlebnisse in Theresienstadt als „Trotzdem ja zum Leben sagen“ veröffentlicht wurden, betreute sie Neuankömmlingen. Frankl bat sie, Mitarbeiterin seines „Referats für psychische Hygiene“ zu werden, weil er sie für eine „begnadete Predigerin und Rednerin“ hielt. Ihre spezielle Aufgabe war es, Transporte an der Bahnstation abzufangen und den ersten Schock der Menschen zu lindern.

Jonas hatte den Auftrag, zu predigen und die Menschen aufzurichten. Victor Frankl beschrieb sie als „energiegeladen“, „grader Michel“ und eine „beeindruckende Persönlichkeit“, die von ihrer Mission als Seelsorgerin erfüllt war.

Jonas gab auch Vorträge in Theresienstadt. Eine handgeschriebene Liste, überschrieben „Vorträge der einzigen weiblichen Rabbiners: Regina Jonas“, befindet sich in den Archiven Theresienstadts.

An diese Vortragsliste sind Stichpunkte einer Predigt, in der Regina Jonas den Vers „Du sollst das Volk nicht verfluchen, denn es ist gesegnet“ auslegte, angehängt. Diese handgeschriebenen Notizen sind der einzig überlieferte Originaltext:
„Unser jüdisches Volk ist von Gott in die Geschichte gesandt worden als ein „gesegnetes“, „von Gott gesegnetes“ sein heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden – Demut vor Gott, selbstlose, hingebungsvolle Liebe zu seinen Geschöpfen erhalten die Welt. Diese Grundpfeiler der Welt zu errichten war und ist Israels Aufgabe. – Mann und Frau, Frau und Mann haben diese Pflicht in gleicher jüdischer Treue übernommen. Diesem Ideal dient auch unsere ernste, prüfungsreiche Theresienstädter Arbeit. Diener Gottes zu sein und als solche rücken wir aus irdischen in ewige Sphären. Möge all unsere Arbeit, die wir uns bemühten als Diener Gottes zu leisten, zum Segen für Israels Zukunft sein, und die der Menschheit.“

Diese Predigt ist das Werk einer ungebrochenen jüdischen Frau, die dem physischen und ideologischen Zerstörungswerk des deutschen Antisemitismus Einhalt gebot, indem sie an der Botschaft des Judentums festhielt. Dem Tod, der sie umgab, hielt sie die absolute Gewissheit der Liebe Gottes und der Mission Israels entgegen. Der Segen Gottes wird hier als Anspruch an die Menschen verstanden, dem immer und überall – also auch in Theresienstadt entsprochen werden kann. Gott ermächtigt Israel zu Hingabe an Gott und die Menschheit. Hier spricht eine Frau, die sich weigert, der Unterdrückung das letzte Wort zu gewähren.

Am 9. Oktober 1944 wurde Fräulein Rabbiner Regina Jonas als Nummer 722 nach Auschwitz deportiert und vergast.

Dr. Katherina von Kellenbach


Anmerkung
Dieses Lebensbild ist ein leider stark gekürzter Auszug aus einem Artikel in der Schlangebrut Nr. 38, vom August 1992. Allen, die mehr wissen wollen, können sie bestellen: Schlangebrut e.V., Postfach 74 67, 48040 Münster

 

 

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