Alle Ausgaben / 2004 Material von Norbert Blüm

Wir alle sind in Gottes Hand

Von Norbert Blüm


Einmal traf eine Bombe genau unser Haus. Das Haus brannte, und zu allem Unglück war die Haustür gesplittert, sie klemmte und wir konnten nicht aus dem Haus hinaus. Wir saßen in der Falle. Doch Gott sei Dank, wir wurden gerettet. Im gegenüberliegenden Hauptportal der Adam-Opel- AG (das ist das Portal, durch das auch heute noch die Arbeiter gehen, die Opel-Autos bauen) hörte ein Mann unser Schreien und schlug die schwere Eichentür mit drei Axthieben entzwei, und so entkamen wir dem Feuer. Wir rannten unter Splitterhagel und Bomben über die Straße unter das Schutzdach des Opelportals – und waren gerettet. Wir: Mama, Hans Peter und ich und mein „Luftschutz-köfferchen“.

„Lauf, lauf, Norbert“, hat Mama im Rennen über die Straße geschrieen. Ich wollte nicht. Ich blieb stehen. Sie gab mir einen Schubs mit den Knien. Auf den Händen trug sie den kleinen Hans-Peter, ich mein „Luftschutzköfferchen“. Nie in meinem Leben ist mir ein Weg so lang vorgekommen wie diese dreißig Schritte über die Straße in der brandhellen Nacht, und niemals habe ich mich mehr gefürchtet als damals.

Meine Mama, Deine Urgroßmutter, an die ich oft denke und die Du nicht mehr erlebt hast, war eine kleine, zierliche Frau. Aber sie war stark! Selbst als wir im Luftschutzkeller eingeschlossen waren, blieb sie ganz ruhig. Sie war stark nicht mit ihren Muskeln, aber in ihrem Herzen.
Warum, fragst Du? Ich weiß es auch nicht. Vielleicht lag ihre Stärke in einem unerschöpflichen Gottvertrauen. Es konnte passieren, was wollte. Meine Mama glaubte unerschütterlich daran, dass wir alle in Gottes Hand sind. „Der liebe Gott wird es schon richten“, sagte sie dann. Und selbst in jener schlimmen Bombennacht blieb sie in unerschütterlicher Gelassenheit. Wenn es turbulent wurde, hat sie gebetet. Irgendwo hatte sie eine geheime Telefonleitung zum lieben Gott, mit dem sie immer sprach, selbst wenn sie den Mund nicht aufmachte. Sie redete dann mit ihm in Gedanken, und oft erzählte sie uns Kindern, was er ihr gerade gesagt hatte. Ich wünsche Dir, liebe Lili, das Gottvertrauen Deiner Urgroßmutter Gretel.

aus: Klaus Möllering (Hg.), Worauf du dich verlassen kannst
© Evangelische Verlagsanstalt, GmbH, Leipzig 1999

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