Ausgabe 2 / 2005 Frauen in Bewegung von Ute Scheub

Gertrude Mongella

Von Mama Peking zu Mama Afrika

Von Ute Scheub

Die tansanische Diplomatin Gertrude Mongella hat in ihrem Leben schon viel bewegt: Als „Mama Peking“ und Generalsekretärin der Weltfrauen konferenz international bekannt geworden, ist sie nunmehr Präsidentin des Panafrikanischen  Parlamentes.

Der 59-jährigen Tansanierin Gertrude Mongella mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. „Ich bin die erste Frau, die in meinem Wahlkreis gewählt worden ist“, stellte sie sich im September 2004 zu Beginn des vom Deutschen Frauenrat ausgerichteten internationalen Kongresses „Geschlecht und Demokratie“ der Berliner Presse vor. „Und ich sage den Leuten: Ich bin nicht in der Politik, um Kinder zu säugen, sondern weil ich die Beste war.“ Die Diplomatin, 1995 als Generalsekretärin der Weltfrauenkonferenz in Peking und als „Mama Peking“ weltbekannt geworden, lacht ihr verschmitztes Lächeln, und eine kleine  Lücke zwischen den Schneidezähnen blitzt auf. Anfang 2004 hat Tansania  seine „Beste“ ins neu konstituierte  Panafrikanische Parlament geschickt, und dieses hat Gertrude Mongella zu seiner Präsidentin gewählt. Damit ist „Mama Peking“ nunmehr zu „Mama Afrika“ geworden.

Etappen einer Erfolgs geschichte

In ihrem Heimatland Tansania werden allerdings alle erwachsenen Frauen „Mama“ genannt, egal ob sie Kinder haben oder nicht. „Mama Gertrude“, wie sie dort also auch heißt, stammt ursprünglich von einer Insel im Viktoriasee. Dort wurde sie 1945 geboren. Mit zwölf Jahren verließ sie die Insel in einem Kanu, um ein Internat des Maryknoll-Ordens zu besuchen. Der kleine katholische Missionsorden, der 1911 in den USA gegründet und nach seinem Mutterhaus Maryknoll benannt wurde, arbeitet in 22 Ländern der Welt, darunter Bangladesh, Bolivien, El Salvador, Guatemala, Kambodscha, Nepal und eben auch Tansania. Seine Mitglieder solidarisieren sich mit den Armen und Unterdrückten, unterstützen Flüchtlinge in Kriegsregionen, Waisen und Aidskranke. Damals wollten die Nonnen die Mädchen in ihrer tansanischen Schule befähigen, sich als Erwachsene selbstbewusst und aktiv für die Entwicklung ihres Landes einzusetzen. Im Falle von Gertrude Mongella mit offensichtlichem Erfolg.

Die junge Gertrude studierte in der tansanischen Hauptstadt Dar-es-Salaam, heiratete und bekam vier Kinder, wurde Lehrerin, Schulinspektorin und Feminis tin. Überzeugt davon, fähiger zu sein als viele Männer, ging sie in die Politik. 15 Jahre lang, von 1977 bis 1992, saß sie im Zentralkomitee ihrer Partei „Chama Cha Mapenduzi“ (CCM), die unter dem legendären afrikanischen Führer Julius Nyerere für einen „afrikanischen Sozialismus“ eintrat.

Der damalige Präsident Nyerere, von seinen Anhängern nach seinem früheren Beruf in liebevoller Verehrung „Mwalimu“ genannt, „Lehrer“, vertrat in den siebziger Jahren den „dritten Weg“ eines gewaltlosen Sozialismus, der an die afrikanischen Traditionen des dörflichen Gemeinschaftseigentums anknüpfen sollte. „Ujamaa“ heißt Sozialismus in der Landessprache Kisuaheli. „U“ vor einem Wort bedeutet „das Abstrakte“, „das Prinzip“, und „Jamaa“ ist die Großfamilie. „Ujamaa“ bedeutet also mehr oder weniger „Prinzip der Großfamilie“. Das Gegenteil davon, Imperialismus, ist „Ubeberu“, übersetzt „Prinzip des Rhinozeros“. Um den Sozialismus zu verwirklichen, setzten übereifrige Nyerere-Anhänger in manchen Dörfern auch Zwangsumsiedlungen und Zwangskollektivierungen durch, sodass „Ujamaa“ in der  Praxis dann doch nicht immer gewaltfrei war, sondern manchmal auch
„Ubeberu“.

Unter Präsident Nyerere und seinem Nachfolger Ali Hassan Mwinyi war  Gertrude Mongella Frauen-, Tourismus- und Staatsministerin. In dieser Zeit konnte Tansania einige spektakuläre Entwicklungserfolge vorweisen: Alle Kinder besuchten kostenlos die Schule, die Analphabetenrate sank rapide, auch die medizinische Versorgung war gratis. Dass die Regierung diese „sozialistischen Errungenschaften“ später nach und nach zurücknehmen musste, war eine Folge der Schuldenkrise auf dem Weltmarkt. Tansania gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, es besitzt keine Rohstoffe und keine Industrie, und beim Verkauf seiner Agrarprodukte wie Kaffee, Tee oder Sisal konnte es immer weniger Einnahmen erzielen. Das ist der Hauptgrund, warum das tansanische Entwicklungsmodell heute als gescheitert angesehen werden muss.

Nicht gescheitert ist hingegen Gertrude Mongella. „Viele Frauen haben Angst vor Macht“, verriet sie den Teilnehmerinnen des Berliner Kongresses lächelnd. „Aber einen Mann beim Fahren zu überholen und dabei freundlich zu winken – ist das schlimm?“ Sie jedenfalls sauste auf der Überholspur voran. Im Rahmen ihres Engagements für verschiedene UN-Organisationen wurde sie zur Leiterin der UN-Frauenkonferenz in China ernannt. Manche schimpften damals auf ihren „zu verständnisvollen“ Umgang mit der chinesischen Regierung. Andere erinnern sich noch heute mit Bewunderung an ihre „starken Auftritte“, denen es mit zu verdanken gewesen sei, dass die UN-Konferenz zu einem Meilenstein der internationalen Frauenbewegung wurde.

Inzwischen sitzt Gertrude Mongella auf einer Vielzahl von Posten, auch ein internationaler Preis für verdiente Geschäftsfrauen ist nach ihr benannt. Unter anderem ist sie „Botschafterin des guten Willens“ der Weltgesundheitsorganisation in Afrika, Präsidentin des Netzwerkes „Advocacy for Women in Africa“ und Mitglied der „Afrikanischen Frauenkommission für Frieden und Entwicklung“, die dem neugebildeten Afrikanischen Sicherheitsrat als eine Art Frauensicherheitsrat zur Seite stehen soll. „Unsere Frauen sind ständig mit dem Überleben in Krieg und Krisen konfrontiert“, erläuterte sie in Berlin. „Sie haben schon immer eine große Rolle in der Friedensbewegung gespielt. Zum Beispiel in Somalia, aber auch in vielen anderen Ländern.“ Dennoch seien sie bei offiziellen Friedensverhandlungen so gut wie nie beteiligt. Die „Afrikanische Frauenkommission für Frieden und Entwicklung“, die sich aus fünf weiblichen Mitgliedern verschiedener Regierungen, fünf Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen und fünf Prominenten zusammensetzt, habe sich vorgenommen, das zu ändern, aber noch sei unklar, wie das Frauengremium „in die Struktur der Afrikanischen Union integriert wird.“

Für eine bessere Zukunft Afrikas

Die 53 Mitgliedsstaaten der „Afrikanischen Union“, wie die frühere OAU seit 2001 heißt, haben sich auf Initiative Libyens die politische und ökonomische Vereinigung des afrikanischen Kontinents zum Ziel gesetzt. Hauptorgane des Vereinigungsprozesses sollen das Panafrikanische Parlament mit seiner Vorsitzenden Gertrude Mongella sein, ein Afrikanischer Sicherheitsrat, eine (noch nicht existierende) Afrikanische Zentralbank und ein (ebensowenig existierender) Afrikanischer Gerichtshof. Das im März 2004 in Addis Abeba gegründete Parlament, das seinen Sitz nunmehr im südafrikanischen Midrand hat, will die „Stimme des afrikanischen Volkes“ und eine neue Vertretung für rund 700 Millionen Menschen sein, erklärtes Vorbild ist dabei das EU-Parlament. Alle Mitgliedsstaaten der „Afrikanischen Union“ sollen jeweils fünf PolitikerInnen nach Südafrika senden, davon mindestens eine Frau. In den ersten fünf Jahren soll das Parlament allerdings nur beratende und keine gesetzgeberische Funktion haben. Ob es tatsächlich die Vereinigung des krisengeschüttelten Kontinents voranbringen wird, steht in den Sternen. Aber eine vernünftige Alternative dazu gibt es nicht.

Die Parlamentspräsidentin hatte denn auch keine Zeit, lange in Berlin zu verweilen. Noch vor Ende des Berliner Kongresses flog sie nach Südafrika zurück, um die erste Sitzung vorzubereiten. Am 16. September 2004 wurde das neue Parlament mit Tänzen und Gesängen eröffnet, und Gertrude Mongella gemahnte die frisch vereidigten Abgeordneten, „für eine bessere und friedlichere Zukunft Afrikas“ zu sorgen.


Ute Scheub, 49 Jahre, lebt und arbeitet als freie Autorin in Berlin. Näheres unter: www.utescheub.de


 

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