Ausgabe 2 / 2005 Artikel von Inge v. Bönninghausen

Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen

150 Jahre Frauenbewegung

Von Inge v. Bönninghausen

Warum eigentlich sich mit Geschichte befassen? Was vorbei ist, ist vorbei, und die Gegenwart ist schon schwierig genug?

Mein persönliches Interesse am Leben, Denken und Wirken von Frauen ist Teil meiner politischen Entwicklung. Weder in der Schule noch in den vielen Studiensemestern mit Geschichte im Nebenfach hatte ich irgendetwas über Frauen erfahren, mal abgesehen von Königin Elisabeth von England, der russischen Zarin, Napoleons Gattin oder im günstigsten Fall auch noch Rosa Luxemburg. Und genauso wie ich keinen Anstoß genommen habe, wenn wir unterschiedslos als Schüler angesprochen wurden oder als Studenten, habe ich das Fehlen der weiblichen Hälfte der Menschheit in den Geschichtsbüchern und Vorlesungen nicht einmal wahr genommen.

Das änderte sich schlagartig in der Frauenbewegung Anfang der 70er  Jahre. Das Herzstück dieses Aufbruchs war die Erkenntnis, dass Frauen nicht nur individuell mehr oder weniger von Männern abhängig waren, sondern ihnen allein aufgrund des Geschlechts eine Rolle zugedacht war, die sie immer über den Mann definierte: die Tochter von…, die Frau von…, oder eben die Frau, die keinen Mann hat. Um sich aus dieser Rolle zu befreien, war es wichtig zu fragen, wie sie eigentlich entstanden war. Und so haben sich schon sehr bald junge Wissenschaftlerinnen und Studentinnen in die Erforschung der Frauen geschichte vertieft. Vor allem die sogenannte erste Frauenbewegung weckte großes Interesse. Konnte sie Vorbild sein? Gab es Anknüpfungspunkte? Denjenigen, von denen ich besonders viel gelernt habe, und auf die ich mich hier beziehe, ohne sie jedes mal ausdrück lich zu nennen, herzlichen Dank: Ute Gerhard, Christina von Braun, Herrad Schenk, Margit Götter und Barbara  Holland-Cunz.

Frei und gleich an
Rechten?

Dass Frauen in der Geschichtsschreibung nicht vorkamen, ist kein Zufall. Sie wurden nicht vergessen, sondern bewusst ausgeklammert. Im 18. Jahrhundert, der Epoche der europäischen Aufklärung, setzte sich der Gedanke durch, dass die Vernunft der Wesenskern des Menschen sei. Sie befähigt ihn zur Kultur im Gegensatz zur Natur. Aus diesem Gegensatzpaar entwickelten sich weitere Gegenüberstellungen: hier Verstand, da Gefühl; hier der Geist, da der Körper; und schließlich hier der Mann, da die Frau. ER sollte die Natur erforschen und beherrschen, sich Denkmäler setzen in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft und nicht zuletzt die Welt erobern. SIE blieb an den ewigen Kreislauf der Natur gebunden, sollte sie hüten und schützen, Kinder gebären und erziehen. Im Menschenbild der Aufklärung wurzelte auch die Französische Revolution, denn wenn alle Menschen mit Vernunft begabt sind, darf es keine Herrschaft der einen über die anderen geben. Und so beginnt die Erklärung der Menschenrechte von 1789 mit der Feststellung: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ Gemeint ist der Mann und sein Verhältnis als Bürger zum Staat. Die Frau dagegen kann gar nicht Bürgerin sein, ist sie doch Eigentum des Vaters oder Ehemannes.

Die ersten Impulse für eine deutsche Frauenbewegung gingen von den demokratischen Bewegungen aus, die in der Revolution von 1848 ihren Höhepunkt erreichten. Ihre Wortführerin war Luise Otto-Peters, die ihre „Frauen-Zeitung“ unter das Motto stellte: „Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen“. Sie wollte vor allem die politische Teilhabe von Frauen an der Überwindung des Feudalismus und der Kleinstaaterei in Deutschland erreichen.
Das Scheitern der Revolution brachte den Frauen vor allem ein Gesetz, das die nächsten 50 Jahre ihrer Bewegung zutiefst geprägt hat: Das Preußische Vereinsgesetz von 1850 verfügte, dass „Vereine, welche bezwecken politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern“ keine Frauenspersonen,  Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen dürfen. Sie durften bei Versammlungen nicht einmal anwesend sein. Das Vereinsgesetz galt nicht nur in Preußen bis 1908 (!) und bedeutete den Ausschluss der Frauen von allen Angelegenheiten, die die Verfassung, Gesetzgebung und die staatsbürgerlichen Rechte betrafen.

Arbeit, Bildung und
Sozialarbeit

Das Politikverbot war einer der entscheidenden Gründe dafür, dass sich die Frauenbewegung im 19. Jahrhundert auf die Bereiche Bildung und  Sozialarbeit konzentrierte. So auch Luise Otto-Peters, als sie gemeinsam mit Auguste Schmidt 1865 den Leipziger Frauenbildungsverein gründete. Noch im selben Jahr luden sie ein zur ersten deutschen Frauenkonferenz. Aus ihr ging der „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ hervor, dessen wichtigster Programmpunkt besagt: „Wir erklären die Arbeit … welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, für eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts (und) nehmen das Recht der Arbeit in Anspruch und halten es für notwendig, dass alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse entfernt werden.“ Bildung war die Voraussetzung für eine Berufstätigkeit und würde außerdem den Nachweis erbringen, dass Frauen sehr wohl Verstand haben, Kultur schaffen können und deshalb als Bürgerin zum Allgemeinwohl beitragen.
Die Schulbildung der Mädchen war  katastrophal. Der dreijährigen Volksschulpflicht kamen, vor allem aus der Arbeiterklasse, noch weniger Mädchen als Jungen nach. Bürgerliche Mädchen wurden überwiegend zuhause unterrichtet oder besuchten Privatschulen. Und da lernten sie, dem Mann zu gefallen. Ein bisschen Konversation, Hand arbeiten, Klavierspielen. Lehrerin war der einzige akzeptable Beruf. Aber auch die eine Hand voll Lehrerinnenseminare bildeten ausschließlich für die Volksschule aus. Darüber hinaus blieben nur das Selbststudium oder private Lehrgänge.
Es ist also kein Zufall, dass die meisten in der Frauenbewegung Aktiven Lehrerinnen waren, und dass sie gleichzeitig für die Bildung der Mädchen und für eine staatliche Hochschulausbildung der Lehrerinnen kämpften. Sowohl der Allgemeine Deutsche Frauenverein als auch später der Verein Frauenwohl weiteten ihre Aktivitäten Schritt für Schritt aus. Sie richteten eigene Real- und Gymnasialkurse ein, eröffneten Privatschulen, setzten durch, dass ihre Schülerinnen an Jungengymnasien Abitur machen konnten, schufen Stipendien, damit Frauen in der Schweiz studieren konnten. Es würde hier viel zu weit führen, den „Kampf um Bildung“, der sich in erster Linie mit dem Namen Helene Lange verbindet, in allen seinen Verzweigungen darstellen zu wollen. Er war der wichtigste Motor der Bewegung und brachte ihr sowohl die aggressivsten Feinde als auch die größten Erfolge. Wenn man heute so stolz auf die bestausgebildete Frauen generation hinweist, wird völlig verdrängt, dass jeder Schritt dahin von ihren Groß- und Urgroßmüttern enorme Anstrengungen gefordert hat.

Die bürgerlichen Frauenvereine hatten nicht nur die Frauen ihres eigenen Standes im Blick, sondern durchaus auch die Arbeiterfrauen und -töchter, die in der Fabrik, in Heimarbeit oder als Dienst botinnen arbeiten mussten, wollten sie nicht verhungern. Schon der Leipziger Frauenbildungsverein richtete 1865 die „Sonntagsschule für schulentlassene Mädchen der Volksschule“ ein. Es wurde Deutsch und Französisch unterrichtet, Rechnen sowie Handarbeiten und später auch zur Buchhalterin ausge bildet oder zum qualifizierten Kindermädchen.
In den 80er und 90er Jahren entstanden neue Vereine, die gerade armen Frauen Weiterbildung, Rechtsberatung, Stellenvermittlung und Wohnheime anboten. Aus diesem Engagement ent  wickelten sie neue Berufe. Jeannette Schwerin und Minna Cauer gründeten die „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfs tätigkeit.“ Ziel und Anspruch waren aber weit mehr als Hilfstätigkeiten. Schwerin und ihre Nachfolgerin Alice Salomon konzipierten eine systematische Ausbildung für die Wohlfahrts pflege. Gerade die Sozialarbeit war  ideal, um mehrere Ziele miteinander zu verbinden. Sie bot bürgerlichen jungen Frauen ein Betätigungsfeld, das sie ohne allzu heftigen Widerstand der Eltern aus ihrem erzwungenen Nichtstun befreite. Und es konnte ein bezahlter Beruf daraus werden. Darüber hinaus glaubten die Initiatorinnen fest an die „soziale Verpflichtung von Besitz und Bildung, an die Klassengegensätze überbrückende Kraft der gebildeten Frau, an ihre soziale Mission.“ (A. Salomon) Für diese soziale Mission entwickelten Helene Lange und ihre Mitstreiterinnen das Konzept der „geistigen Mütterlichkeit“. Sie griffen das Argument auf, die Bestimmung der Frau zur Mutter unterscheide sie von Natur her vom Mann, und gaben ihm eine neue Wendung. Nicht Mutterschaft sondern Mütterlichkeit mache ihr Wesen aus, unabhängig davon, ob sie Kinder hat oder nicht. Gemeint ist „die feine menschliche Rücksicht auf den anderen, gleichviel ob er stark oder schwach, reich oder arm ist, die liebevolle Achtung vor dem Einzelnen überhaupt, die geistigere Auffassung des sexuellen Lebens und das immer gegenwärtige Bewußtsein, daß wir hier im Dienst der Zukunft stehen und der kommenden Generation verantwortlich sind.“ (Helene Lange: Rede über „Das Endziel der Frauen bewegung“ zum Abschluss des Internationalen Frauenkongresses 1904). Die geistige Mütterlichkeit sollte die verheiratete Frau ihren Kindern und ihrem Mann gegenüber verwirklichen. Die unverheiratete Frau würde Mütterlichkeit und materielle Selbständigkeit am besten in professioneller Sozialarbeit verbinden.

Kampf um das
Frauenstimmrecht

1894 hatten sich die zahlreichen Vereine im „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) zusammen geschlossen. In seinem Selbstverständnis entwickelte er sich immer weiter hin zur „Bewegung organisierter Mütterlichkeit“ (Helene Lange).
Durch Bildung und professionelle Wohlfahrtspflege würden Frauen sich beweisen und dann auch zu politischer Mitsprache fähig sein. Diesen Beweis traten sie im 1. Weltkrieg an. Unter seiner  Vorsitzenden Gertrud Bäumer hatte der Bund Deutscher Frauenvereine die  Pläne für einen „Nationalen Frauendienst“ fertig in der Schublade. Die vorhandenen Vereinsstrukturen wurden genutzt, um in kürzester Zeit in allen Städten Ortsgruppen zu bilden, die die neuen Aufgaben des Fürsorgewesens insbesondere für die Familien der Millionen Soldaten übernahmen.

Die Vorstellung, die Frau müsse erst zur gesellschaftlichen Teilhabe erzogen werden, löste gegen Ende des 19. Jahrhunderts die heftigste grundsätzliche Kontroverse innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung aus. Um Minna  Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava-Heymann gruppierten sich die „Radikalen“ mit ihrer Forderung nach dem Stimmrecht für Frauen. Sie beriefen sich auf die allgemeinen Menschenrechte der Gleichheit und Freiheit, so wie es die Schriftstellerin Hedwig Dohm formuliert hatte: „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“. Solange Frauen keinen Einfluss auf die Gesetzgebung hätten, würde es keine an die Wurzel gehenden Veränderungen geben. Neben ihrer intensiven Propaganda für das Stimmrecht thematisierten die Radikalen die sexuelle Doppelmoral, die den Männern alles erlaubte – zu Lasten der immens ansteigenden Zahl Prostituierter – den Frauen aber keinerlei Selbst bestimmung zugestand, weder außerhalb der Ehe noch in ihr.
Die Stimmrechtsbewegung war eine internationale Bewegung. An der Gründung der „International Suffrage Alliance“ (Int. Frauenstimmrechtsbund) beteiligten sich elf Länder. Aus ihren Reihen entwickelte sich eine Friedensbewegung, die in scharfer Opposition zur überwältigenden Mehrheit der kriegsbegeisterten Frauenbewegung 1915 einen Frauenfriedenskongress in Den Haag mit 2000 Teilnehmerinnen zustande brachte. Ohne die Stimmrechtsbewegung, aber auch ohne den „Nationalen Frauendienst“ und die kriegsbedingte enorme Ausweitung der Frauenerwerbsarbeit wäre das Frauenwahlrecht 1918 wahrscheinlich nicht durchsetzbar gewesen.

Ich mache an dieser Stelle einen Schnitt, obwohl noch unendlich viel Spannendes, Wichtiges und auch Erheiterndes zu erzählen wäre über Frauen, von denen nicht einmal die Namen in die Geschichtsbücher eingegangen sind, geschweige denn ihre Gedanken, Aktivitäten, Bündnisse und Auseinandersetzungen. Vieles muss ich weg lassen, wie z. B. die proletarische Frauenbewegung und die Abwehrkämpfe der Arbeiterbewegung gegen die Frauenerwerbsarbeit. Ich werde die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit schlechten Gewissens überspringen und mich bei einem kurzen Abriss der Neuen Frauenbewegung auf die Bundesrepublik beschränken.

Neue Frauenbewegung

Der Wiederaufbau sollte möglichst schnell Krieg und Naziherrschaft vergessen machen, alles sollte wieder seine Ordnung finden. So vor allem auch die Familie als „Keimzelle des Staates“, die überdies im Kalten Krieg als Bollwerk gegen den Kommunismus wirken sollte.
Der Nährboden für die Neue Frauenbewegung war die Erfahrung von eklatanten Widersprüchen: Das Grundgesetz garantierte Gleichberechtigung, aber Ehefrauen durften nur mit Genehmigung des Mannes berufstätig sein; Mädchen konnten studieren, aber mit der doppelten Botschaft: Zeig' was du kannst, und bring einen netten Schwiegersohn nach Hause; eine Schwangerschaft im Studium bedeutete das Ende aller eigenen Träume. Weil gerade linke Studenten, die öffentlich die Befreiung von allen Autoritäten propagierten, privat aber Paschas waren wie alle anderen, bildeten Studentinnen eigene Gruppen, in denen sie autonom ihre Situation reflektierten und eigene Zukunftsvisionen entwickelten. Autonomie war der Kern auch des Kampfes gegen den § 218, der Anfang der 70er in allen Industrieländern begann und zum Schmelztiegel vieler Gruppierungen wurde, in denen längst nicht mehr nur Studentinnen aktiv waren.
Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu fordern, löste Debatten über Sexualität aus, über Ehe, Familie, Gewalt und schließlich über das Geschlechterverhältnis im Patriarchat. Als autonom verstand die Frauenbewegung sich auch gegenüber Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften. Zu den traditionellen Verbänden hielt sie kritische Distanz.

Im Unterschied zur ersten Frauenbewegung wurden keine Vereine gegründet, sondern Frauenzentren, in denen sich Diskussions-, Aktions- oder Selbsterfahrungsgruppen trafen. Als das Verfassungsgericht 1975 die vom Bundestag verabschiedete Fristenlösung für ver fassungswidrig erklärte, war zwar die „Aktion 218“ gescheitert, aber die  Frauenbewegung ein gesellschaftlicher und politischer Faktor geworden.

Im Kern ging es darum, von den eigenen Erfahrungen her Gesellschaft neu zu sehen und zu verändern. Dabei kamen vor allem zwei Erkenntnisse zum Tragen: Die Trennung der Lebenssphären in eine öffentliche und eine private trennt auch die Zuständigkeiten der Geschlechter. Alles Öffentliche ist männlich; das Private ist weiblich – und daher bedeutungslos. Dem setzten Feministinnen entgegen: „Das Private ist politisch.“
Die zweite Erkenntnis setzte die Neue Frauenbewegung in scharfen Kontrast zur früheren Frauenbewegung: Unterschiedliche Eigenschaften und Zuständigkeiten sind nicht biologisch begründbar. Ob weibliches Einfühlungsvermögen oder männliches Beschützerverhalten – beides wird in einem langen Lernprozess erworben. Weiblichkeit und Männlichkeit sind nicht naturgegeben, sondern soziale Rollen und daher veränderbar. Es kam dann darauf an herauszufinden, wie Frauen selbst sich aus dem Korsett des Rollenstereotyps befreien können.

Viele Feministinnen suchten nach Möglichkeiten, in festeren Strukturen als den Zentren ihre Ideen zu verbreiten und praktisch umzusetzen. Es begann die Phase der Projektgründungen: Frauenbildungshäuser, Beratungsstellen, Gesundheitszentren, Buchläden, Verlage, Cafés und – nicht zuletzt – die Zeitschriften „Courage“ und „Emma“. Damit schafften Frauen sich auch ihre eigenen Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Ohne Hierarchie sollte in der Gruppe jede alle Arbeiten übernehmen können, alle trugen gemeinsam das finanzielle Risiko.
Genau an dieser Stelle musste die Frage nach der Autonomie neu gestellt werden, vor allem in den sozial- und gesundheitspolitisch arbeitenden Projekten. Übernahmen nicht Beratungsstellen, Notrufe und Frauenhäuser Aufgaben, für die der Staat verantwortlich war und die er auch finanzieren müsste? Machte nicht andererseits „Staatsknete“ abhängig? Die Entscheidung, staatliche Förderung zu verlangen, zog Auseinandersetzungen mit Politik und  Verwaltung nach sich – ein völlig neues Terrain.

Die anfangs scharfen Trennlinien zwischen Autonomen und Frauen in Parteien und Gewerkschaften wurden in den 80ern durchlässig: In der neuen Partei der Grünen sahen viele Feministinnen eine Chance, auch parteipolitisch aktiv zu werden; Frauen setzten die Quotierung aller Ämter und Mandate in der SPD durch; der DGB veranstaltete 1983 in Bonn die größte Frauendemonstration mit 30.000 Teilnehmerinnen; kommunale Frauenbeauftragte wurden berufen. Man spricht von einer Institutionalisierung der Frauenbewegung, deren Aktivistinnen und Forderungen sowohl in den Projekten als auch in Politik und Verwaltung ihren Platz fanden.

Parallel zu dieser Entwicklung bekam das feministische Denken und Handeln neue Impulse durch internationale Begegnungen, insbesondere seit dem Internationalen Jahr der Frau 1975. Bei den Weltfrauenkonferenzen 1975 in Mexiko City, 1980 in Kopenhagen, 1985 in Nairobi und 1995 in Peking kam es zunächst zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Norden und Süden. Frauen in den Entwicklungsländern fühlten sich dominiert vom einseitig westlich und weiß geprägten Feminismus, der ihre eigenen Erfahrungen von Unterdrückung nicht berücksichtigte. Es war ein schwieriger und langer Prozess bis zur gegenseitigen Anerkennung vielfältiger Bewegungen, die sich respektieren und voneinander lernen. Ihren Höhepunkt haben sie auf der Pekinger Weltfrauenkonferenz erreicht. Die von der Staatengemeinschaft verabschiedete Aktionsplattform wäre ohne den Einfluss der Frauenbewegungen auf allen Kontinenten so nie zustande gekommen. Die Ziele und Forderungen haben Bestand, auch wenn sie seit Peking immer wieder neu verteidigt werden müssen.


Dr. Inge v. Bönninghausen, geb. 1938, hat nach dem Studium der Germanistik und Geschichte als freie Journalistin gearbeitet, bis sie von 1974 bis 1999 als Fernsehredakteurin beim Westdeutschen Rundfund vorrangig das frauenpolitische Magazin „Frauen-Fragen“ geleitet und moderiert hat. Anfang der 80er war sie maßgeblich beteiligt an der Durchsetzung des Gleichstellungsplans beim WDR und gründete mit Kolleginnen 1987 den Journalistinnenbund. Einladungen zu Frauen-Medien-Konferenzen in Lateinamerika, Afrika und Asien sowie die Berichterstattung aus Kairo (UN-Weltkonferenz über Entwicklung und Bevölkerung) und Peking (Weltfrauenkonferenz) brachten internationale Erfahrungen. Ab 2000 ist Inge v. Bönninghausen für vier Jahre Vorsitzende des Deutschen Frauenrates und im Vorstand der European Women's Lobby.

Zum Weiterlesen
Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek (Rowohlt TB) 1990 (nicht mehr im Buchhandel erhältlich)
Dies., Atempause, Frankfurt (Fischer TB) 1999
Margit Göttert, Macht und Eros, Königstein (Ulrike Helmer Verlag) 2000
Barbara Holland-Cunz, Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt (edition suhrkamp) 2003
Herrad Schenk, Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München (Beck) 41988 (nicht mehr im Buchhandel erhältlich)

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