Alle Ausgaben / 2005 Artikel von Margot Papenheim

Rosen, Nelken und Mimosen

Über Frauen, Frauenbewegung und Blumen

Von Margot Papenheim

„Wenn der Frühling kommt, dann schenk' ich Dir Tulpen aus Amsterdam!“ Welche Frau bekäme nicht leuchtende Augen bei diesen im Dreivierteltakt schwingenden Lied- und Liebesworten? Nicht minder beliebt sind das Lied und die entsprechenden Blumen bei Herren jeden Alters auf Freiersfüßen. Denn „was mein Mund nicht sagen kann, sagen Tulpen aus Amsterdam“.

Nichts eignet sich besser als Blumen, um Gefühle auszudrücken. Ohne viele Worte können wir „durch die Blume“ die ganze Palette menschlicher Emotionen äußern, von Zuneigung und Liebe über Dankbarkeit oder Mitgefühl bis hin zu schlechtem Gewissen und Schuldgefühl. Darüber hinaus haben Blumen aber auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Einige dieser politischen Blumen möchte ich Ihnen im Folgenden überreichen.

Frauengold zum Muttertag

Nach wie vor werden zum Muttertag mehr Blumen verschenkt als zum „Fest der Liebenden“, dem Valentinstag. Zunächst könnte man/frau annehmen, dass Blumen zum Muttertag (1) eigentlich doch eine ganz private Angelegenheit sind. Aber schon ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Annahme ebenso falsch ist wie die weit verbreitete Vorstellung, der Muttertag sei eine Erfindung der Nazis und/oder der modernen Blumenindustrie.

In der Encyclopaedia Britannica von 1959 ist zu lesen, der Muttertag sei „ein Fest, das von dem Brauch des Mutterkults im alten Griechenland abgeleitet wurde. Ein förmlicher Mutterkult mit Zeremonien für Kybele oder Rhea, die große Göttermutter, wurde an den Iden des März in ganz Kleinasien getrieben.“ Muttergöttinnen und die damit verbundenen Kulte verloren in Europa in den Jahrhunderten des sich ausbreitenden Christentums natürlich zunehmend an Bedeutung. Aber ganz in Vergessenheit geriet die Tradition nicht, und sie lebte in christianisierter Form im Mittelalter wieder auf. Anfang des 13. Jahrhunderts führte der englische König Heinrich III. den „Mothering Sunday“ ein. An diesem Tag sollten die Kinder ihren Müttern danken – und der „Mutter Kirche“. Nicht von ungefähr also war der Muttertag ein Sonntag. Erst im 17. Jahrhundert verlor er seinen kirchlichen Bezug und wurde zum rein familiären Feiertag. Lediglich das Datum, der Sonntag Lätare (Sonntag in der Mitte der Fastenzeit), erinnerte noch an diesen Zusammenhang. Heute wird der Muttertag in den europäischen Ländern an unterschiedlichen Tagen gefeiert: immer noch am vierten Sonntag in der Fastenzeit (England); am ersten (Spanien), zweiten (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Italien) oder letzten Sonntag im Mai (Frankreich); am 15. August (in manchen Regionen Belgiens; vermutlich hat dieses Datum mit dem eben da gefeierten katholischen Fest „Maria Himmelfahrt“ zu tun, generell der Tag der Kräuterweihe).

Neu und nun mit politischer Bedeutung aufgeladen wurde das ursprünglich religiöse und dann mehr oder weniger familiäre Fest mit der erstarkenden Frauenbewegung. 1872 trat die amerikanische Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Julia Ward Howe mit der Forderung nach einem offiziellen Feiertag für amerikanische Mütter an die Öffentlichkeit. Dabei hatte Howe, die als Texterin der „Battle Hymn of the Republik“, dem – entschärften – meistgesungenen Lied des Bürgerkriegs, bekannt geworden war, keineswegs einen harmlosen privaten „Blumentag“ im Sinn. Vielmehr wollte sie ihn als „Mütter-Friedenstag“ initiieren. Etwa 25 Jahre später griff ihre Tochter, Ann Marie Reeves Jarvis, die Idee wieder auf und startete am 9. Mai 1907, dem zweiten Todestag ihrer Mutter, eine Kampagne für die Einführung eines offiziellen Muttertags. Zwei Jahre später wurde der nunmehr heißende „General Memorial Day of all Mothers“ erstmals in der Kirche ihres Heimatortes Grafton (West Virginia) gefeiert – und zwar, wie von Mutter Howe gedacht, als Friedenstag. Nun breitete die Idee sich sehr schnell aus, und bereits 1909 wurde der Muttergedenktag in 45 amerikanischen Bundesstaaten offiziell eingeführt. Am 8. Mai 1914 schließlich erklärte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson den zweiten Sonntag im Mai als Muttertag zum nationalen Feiertag. Unter anderem wurde es Brauch, an diesem Tag zu Ehren der lebenden Mütter eine farbige Nelke zu tragen und zum Andenken an bereits verstorbene Mütter eine weiße.

Nach dem 1. Weltkrieg setzte sich der Muttertag nach und nach auch auf dem europäischen Festland durch. Die treibende Kraft hinter dem Aufschwung in Deutschland war allerdings weniger die Frauenbewegung als vielmehr die Blumenindustrie. 1922 beschloss der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber, den Muttertag zu übernehmen, und setzte eine Kampagne dazu in Gang. Die Hoffnung der Blumenhändler, „weite Kreise hierfür zu interessieren, Kirche und Schule zu gewinnen und die Regierung dahin zu bringen, den Muttertag am zweiten Sonntag im Mai als offiziellen Feiertag festzulegen“ (2) erfüllte sich zehn Jahre später: 1933 erklärten die Nationalsozialisten den Muttertag zum Nationalfeiertag. Anerkennend vermerkte die Verbandszeitung Deutscher Blumenhändler, dass „das Ziel der Regierung, die Familie zu harmonischem Familienleben zurückzuführen, … durch solche allgemeine Familientage wie den Muttertag am besten erreicht (wird).“ (3) Das allem anderen als nur „harmonischem Familienleben“ dienende und nunmehr „Tag der deutschen Mutter“ geheißene Fest ergänzte das NS-Regime 1939 durch die Verleihung des „Ehrenkreuzes der deutschen Mutter“, im Volksmund bald als „Nahkampfspange“ bekannt. Ausgezeichnet wurden nicht nur kinderreiche Mütter, sondern auch „Mütter, die einen Sohn oder ihren Mann im Felde verloren haben“. Die von Ann Jarvis so sehr gewollte Verbindung von Muttertag und Frieden war gründlich in ihr Gegenteil verkehrt worden.

Kaum hatten die Trümmerfrauen die in ihre Einzelteile zerlegten Städte aufgeräumt, gab es in der Bundesrepublik wieder Blumen für die Mütter – nun aber gänzlich „unpolitisch“. Unpolitisch? Ihren großen Durchbruch hatten die „Blumen zum Muttertag“ 1950, mit der ersten Sammlung für das gerade von Elly Heuss-Knapp, der Frau des ersten Bundespräsidenten, gegründete Deutsche Müttergenesungswerk (MGW). Sieben Millionen Blümchen hatte das MGW beschafft und verkauft – und damit 2,5 Millionen Mark als Grundstock für das MGW erwirtschaftet. (4) Mit Werbeslogans wie „Das Glück aller Frauen heißt Frauengold“ unterstützte die deutsche Blumenindustrie – nur zu gerne – die sich rasch ausbreitende Idee. Zwar wurden „als sinniges Geschenk zum Muttertag“ auch andere Produkte wie „Klosterfrau Melissengeist“ angeboten. Ohne viel Mühe aber machten bald die Blumen das Rennen. In den 70er Jahren regte sich aus der Frauenbewegung heraus zunehmend Protest gegen den Muttertag. Flugblätter mit dem Titel „Ein Muttertag – 365 Patriarchentage“ machten deutlich, dass immer mehr Frauen misstrauisch wurden, wenn Politiker die Fahne der Mütterlichkeit hissten. Auch wenn die große Mehrheit der Bevölkerung im Westen Deutschlands am Muttertag (als privater Familientag) festhielt: die Rolle und Bedeutung, die den Müttern in einer Gesellschaft zugeschrieben wird, ist niemals „unpolitisch“. Unpolitisch können darum auch die „Blumen für die Mütter“ nie sein.

Rosen und Nelken zum Frauentag

Was der jungen Bundesrepublik ihr Muttertag, war der gleichaltrigen DDR ihr Internationaler Frauentag. Anders als beim Muttertag ist die Datierung eindeutig. Warum aber ist der 8. März der Internationale Frauentag? (5) Entwickelte sich jener aus der christlichen und pazifistischen Tradition, so ist dieser unauflöslich mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung verbunden. Am 8. März 1857 traten Textilarbeiterinnen in New York in einen Streik, am selben Tag 1908 gingen die Arbeiterinnen der Textilfabrik Cotton in New York mit der Forderung nach „Brot und Rosen“ auf die Straße. Um eine Solidarisierung der Gewerkschaften und anderer Belegschaften zu verhindern, wurden die streikenden Frauen in der Fabrik eingeschlossen, wo dann aus ungeklärten Gründen ein Brand ausbrach. Nur wenigen der eingeschlossenen Frauen gelang die Flucht. 129 Arbeiterinnen starben in den Flammen.
1910 beschließt eine Internationale Frauenkonferenz in Kopenhagen, neben dem 1. Mai einen eigenen Kampf- und Forderungstag für Frauen einzuführen. Am 19. März 1911 wird der Internationale Frauentag erstmals in verschiedenen Ländern durchgeführt. Vorrangiges Ziel ist das Wahlrecht für Frauen. 1917 schließlich beginnt, wieder am 8. März, ein großer Textilarbeiterinnen-Streik in St. Petersburg, der große Arbeiterinnendemonstrationen auslöst und in die Februarrevolution mündet. (Der 8. März war nach dem alten russischen Kalender der 23. Februar.) In Erinnerung an diese Ereignisse legt schließlich die 2. Kommunistische Frauenkonferenz den 8. März als Internationalen Frauentag fest. Er wird seither in vielen Ländern und auch durch die UNO als Feiertag begangen. In Deutschland wurde der Antrag zur Festlegung eines jährlichen Internationalen Frauentages bereits auf dem Parteitag der SPD 1913 angenommen – auch wenn einer der Genossen „nicht dafür (war), dass irgendwelchen Gruppen in unserer Partei extra Würste gebraten werden, am wenigsten für das weibliche Geschlecht, das ja sehr geeignet ist, gleich die ganze Hand zu nehmen, wenn man den kleinen Finger bietet.“

In den sozialistischen Ländern war in den Jahrzehnten zwischen Ende des 2. Weltkriegs und der „Wende“ durch die äußeren Voraussetzungen dafür gesorgt, dass der Internationale Frauentag „groß begangen“ wurde und in engem Zusammenhang mit der Tradition der ArbeiterInnenbewegung blieb – auch wenn er, wie ich mir von „Ostfrauen“ erzählen lassen habe, durchaus „Muttertagszüge“ annehmen konnte.

Die den Frauen anlässlich des Internationalen Frauentages am häufigsten verehrten Blumen waren natürlich rote Nelken. (6) Ursprünglich über die Kreuzfahrer aus dem Orient nach Europa gekommen und hier zunächst als Mariensymbol verwendet, wurde die rote Nelke, „Kampfblume“ gegen die vornehme Rose, im 20. Jahrhundert zum Symbol des Sozialismus, von der „die Roten“ ihren Farbnamen bekamen. Die rote Nelke erinnert an das Blut der Opfer, hat aber auch als Symbol des friedlichen Wandels Bedeutung erlangt. So ist etwa die unblutig verlaufene Demokratisierung Portugals als „Nelkenrevolution“ in die Geschichte eingegangen.

Im Westen war der Internationale Frauentag lange auf den nicht gerade kleinen, aber doch klar begrenzten gewerkschaftlichen Bereich beschränkt. Zwar blieb dort der 8. März der Tag für die Veröffentlichung frauenpolitischer Forderungen, zum Beispiel nach dem bis heute nicht erreichten gleichen Lohn für gleiche Arbeit, egal, ob von Männern oder Frauen geleistet. Ansonsten aber wurde er in den westlichen Ländern dem Muttertag immer ähnlicher: „Mann schenkt Blumen.“

Mimosen für die Damen

Eine eigentümlich anmutende Variante des Themas Internationaler Frauentag und Blumen begegnete mir vor einigen Jahren in Italien. Ahnungslos betrat ich, zufällig am 8. März, mit meiner Familie eine Pizzeria im Umland von Rom. Der sich bietende Anblick war überwältigend: auf jedem Tisch, in jeder Ecke – überall Mimosen! Gerade aufgeblühte, zart sich wiegende, leuchtend gelbe Mimosen. (7) „Typisch Macho!“, war mein erster Gedanke. „Darauf können auch nur italienische Männer kommen, ihren Frauen zum Internationalen Frauentag ausgerechnet Mimosen zu schenken!“ Inzwischen weiß ich, dass ich ihnen damit Unrecht tat.

Mimosen sind nämlich keineswegs nur Rühr-mich-nicht-an-Pflanzen. Das sind nur die echten Mimosen, an deren feinen fiedrigen Blättchen der Bewegungsreiz von Pflanzen erforscht werden konnte, weil sie bei der kleinsten Berührung blitzschnell zusammenklappen. Diese echten Mimosen blühen aber nicht gelb, sondern rosa. „Unsere“ Mimosen, die mit den gelben Blüten, sind in Wirklichkeit Akazien. Der Akazienbaum stammt ursprünglich aus ¬ tropischen und subtropischen Regionen und wächst inzwischen in über 450 ¬ Sorten weltweit zu großen Sträuchern oder riesigen, bis zu 30 Metern hohen Bäumen.

Aufgrund ihrer botanischen Eigenschaften wurden den Akazien schon früh symbolische Kräfte zugeschrieben. Akazien haben eine ungewöhnlich große Regenerationskraft, erholen sich zum Beispiel sehr schnell von Frost. Weil sich hinter ihrem zarten Äußeren erstaunliche Lebenskraft und Stärke verbergen, gelten sie als Symbol für Weiblichkeit. Genauer als „Symbol der neuen Weiblichkeit“, die „in Kombination mit anderen Frühlingsblühern … die optimistische Aufbruchstimmung der Frauenbewegung besonders gut aus(drücken).“ (8) 

Dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass Mimosen in den vergangenen Jahrhunderten vor allem als Symbol von Keuschheit und reiner Liebe verstanden wurden. Vielleicht deshalb werden sie im rheinischen Karneval zu den begehrten Sträußchen zusammengebunden und Frauen zugeworfen? Bei den Indianern Nordamerikas jedenfalls hatten sie noch eine leicht andere Bedeutung. Dort wurde das Liebesversprechen in einen Ritus eingebunden, bei dem der ernsthaft engagierte junge Mann dem begehrten Mädchen einen Akazienzweig überreichte…

Nelken, Rosen, Tulpen oder Mimosen? Die Sprache der Blumen ist komplizierter als gemeinhin angenommen. Eine wahre Hochsprache, die nicht „so mal eben“ zu erlernen ist. Und doch eine Sprache, die zu lernen sich lohnt. Weil, daran gibt es für mich jedenfalls nicht den geringsten Zweifel, die Sprache der Blumen eine der schönsten Sprachen der Welt ist.

Anmerkungen:
1
Zu den folgenden Informationen vgl. die Internet¬ seiten: www.shopping-kl.de/Geschichten/Muttertag; www.frauennews.de/themen/mutter; www.3sat.de/nano/glossar/muttertag.html
2 Verbandszeitung Deutscher Blumenhändler 13/1926, zitiert nach: www.frauennews.de
3 Quelle wie Anm. 2
4 Information aus: www.muettergenesungswerk.de
5 Informationen im Folgenden vor allem aus: www.igmetall.de/frauen/frauentag (Die Geschichte des 8. März)
6 Informationen im Folgenden aus: w.modernpolitics.at/de/zeit_schritt/15/warum
7 Informationen im Folgenden vor allem aus: www.wdr5.de/service/service_umwelt/244814.phtml; www.flower-pr.de
8 gefunden unter: www.blumengrossmarkt-hh.de

Margot Papenheim, 49 Jahre, ist Theologin und arbeitet als Ökumenereferentin und Redakteurin der ahzw bei der Ev. Frauenhilfe in Deutschland.

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