Alle Ausgaben / 2005 Material von Renate Liebenwein-Krämer

Das Paradiesgärtlein

Von Renate Liebenwein-Krämer


Die kleine, kaum die Maße eines Briefbogens überschreitende Tafel stammt aus der Sammlung des Frankfurter Konditormeisters Johann Valentin Prehn (1749-1811). ¬ Seiner Gattung nach gehört unsere Tafel zu den Andachtsbildern, die sich im Gegensatz zu dem repräsentativen Altarbild an die private Erbauung eines einzelnen Betrachters wenden. Es verlangt ein Sichversenken in das Geschehen und ein Meditieren über die dargestellten oder symbolisch angedeuteten Heilswahrheiten.
Geistiger Mittelpunkt des Gemäldes ist die Muttergottes. Sie sitzt auf zwei purpurnen Kissen vor einer eingezäunten Rasenbank und blättert in einem großen roten Buch. Durch ihre Krone ist sie als Himmelgöttin ausgezeichnet, zugleich aber gibt ihr Sitzen auf dem Boden einen Hinweis auf ihre Bescheidenheit. Auch die zahlreichen blühenden Pflanzen sind fast alle Symbole für die Tugenden der Maria; so bedeuten beispielsweise die roten Rosen auf der Rasenbank ihre Vollkommenheit; die Maiglöckchen und Veilchen am vorderen Bildrand weisen auf ihre Demut; die weißen Lilien rechts außen symbolisieren ihre Reinheit ebenso wie die Schneeglöckchen und die weißen Rosen. Von besonderer Bedeutung ist der zugleich blühende und fruchttragende Erdbeerstrauch neben dem Erzengel Michael (nicht im Bildausschnitt). Er steht für die gleichzeitige Jungfräulichkeit und Mutterschaft der Himmelskönigin.

Zusammen mit der Madonna befinden sich das Christuskind und weitere heilige Personen im Garten. Links pflückt eine Frau Kirschen von einem Baum, dessen zweigeteilter Stamm sich umeinander verschlingt. Es soll dies der Baum des Lebens sein; sein zweifacher Stamm ist ein Hinweis auf die doppelte Natur Christi, seine menschliche und seine göttliche, die beide untrennbar in einer Person verbunden sind. Es handelt sich um die hl. Dorothea, eine der „Großen Jungfrauen“ (virgines capitales) der Heiligenlegende. Meist wird sie mit einem Blumenkorb und Blütenkranz dargestellt, bisweilen aber auch mit dem Kirschkörbchen und dem Christuskind. Unterhalb von Dorothea ist eine junge Frau damit beschäftigt, Wasser aus einem Brunnen zu schöpfen. Über ihre Identität herrscht keine einhellige Meinung, am ehesten ist es die hl. Barbara.
Bei der dritten Jungfrau handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Katharina von Alexandrien, die Königstochter aus Zypern.

aus: Städel, Kleine Werkmonographie 9 © bei der Autorin

Anmerkung der Redaktion:
Der Text bezieht sich auf einen Ausschnitt aus: Das Paradiesgärtlein (Oberrheinischer Meister um 1410), der auf der Seite 35 der Printausgabe abgedruckt ist. Farbige Postkarten des Bildes sind zu beziehen über: Städelsches Kunstinstitut, Frau Okos, Dürerstr. 2, 60596 Frankfurt/Main; Tel: 069/605098121; e-mail: okos@staedelmuseum.de

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