Alle Ausgaben / 2005 Bibelarbeit von Petra-Edith Pietz

Zur Freiheit hat uns Christus befreit

Bibelarbeit zu Galater 5,1

Von Petra-Edith Pietz


„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ Diese Zusage Gottes, die uns mit der Jahreslosung 2006 vor Augen gestellt wird, ist der gute und feste Grund für die Freiheit der Chris tenmenschen. Getragen von diesem Glauben können wir hören und leben, was Paulus den Christinnen und Christen zuruft: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ (Gal 5,1)

 

Autor und Adressatin

Der Galaterbrief gehört zu den sieben „echten“ Paulusbriefen (Römerbrief, Korintherbriefe, Philipper-, 1. Thessalonicher- und Philemonbrief). Zur Verfassungszeit werden unterschiedliche Angaben gemacht. In Frage kommen die  Jahre zwischen 52 und 56 nach unserer Zeitrechnung. Ob die Gemeinden in Galatien alle durch die Mission des Paulus entstanden sind, ist nicht ganz sicher. Der Brief an die GalaterInnen ist nicht einer bestimmten Gemeinde, sondern verschiedenen Gemeinden in der Provinz bzw. dem Gebiet Galatien (Kleinasien) zugedacht, also ein Rundbrief.

Anlass

Paulus ist der Apostel für die sogenannten Heiden, die Nicht-Juden/-Jüdinnen.
Auf einem Treffen (Apostelkonzil in Jerusalem, Apg 15,1ff; Gal 2,1ff) mit den Aposteln aus der direkten Nachfolge Jesu, zu denen Petrus (Kephas) und Jakobus gehören, wird festgelegt, dass Paulus das Christuszeugnis zu den Völkern (den Heiden) bringen soll und die anderen Apostel zum jüdischen Volk. Strittig bleibt, ob die christliche Mission unter den Völkern an die der Taufe vorausgehende Beschneidung als Zeichen der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk und des Gebundenseins an die Tora (das Gesetz) stattfinden soll. Paulus
sagt ganz deutlich: nein. „In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ (Gal. 5, 6)
Das allerdings scheint durch judenchristliche Missionare in Frage gestellt. Paulus erfährt, dass in einigen Gemeinden die Forderung erhoben wird, vor der Taufe die Beschneidung durchzuführen. Dieses „Einmischen“ in sein Missionsgebiet und das Unterlaufen der in Jerusalem getroffenen Vereinbarungen veranlassen Paulus zu einem ziemlich harschen Brief an die GalaterInnen: „O ihr unverständigen, törichten Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte?“ (Gal 3,1)

Themen

Paulus verhandelt schon in diesem Brief große Themen, die er etwas später sehr ausführlich im Römerbrief bearbeitet:

– Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt
– das Verhältnis von Verheißung und Gesetz
– Knechtschaft und Freiheit
– Leben im Geist
– ethische Konsequenzen – Ermahnungen

Voraus geht die Schilderung seiner Berufung zum Apostel, die Anerkennung durch die Apostel in Jerusalem und eine Auseinandersetzung mit Petrus. (Gal 1,11-2,21)

Der Freiheitsbegriff bei Paulus

Wenn Paulus das Wort „Freiheit“ benutzt, meint er selbstverständlich nicht ein Grundrecht von Menschen, wie wir es z.B. aus der Charta der Menschenrechte kennen und wie es in unseren modernen Verfassungen verankert ist. Paulus ist ein Mensch, ein Mann der Antike. Als freier, römischer Staatsbürger genießt er gewisse Privilegien, z.B. steht ihm eine ordentliche Gerichtsverhandlung zu, wenn es zu einer Anklage kommt.
Paulus entwickelt und füllt den Freiheitsbegriff in ganz eigenständiger Weise. Gerhard Ebeling hat das so formuliert:
„Eine der erstaunlichsten Leistungen paulinischer Theologie besteht darin, dass sie den Begriff der Freiheit, der aus dem griechischen Denken stammt, für den christlichen Glauben … in Anspruch genommen hat. … Aber trotz gewisser Berührungen mit dem Freiheitsverständnis der griechischen Polis (des griechischen Gemeinwesens, die Verf.) ist das Freiheitsverständnis des Paulus … im Entscheidenden eine originäre Konzeption. Freiheit ist für ihn allerdings nicht primär eine Idee, sondern ein Widerfahrnis. … Wenn Paulus die Freiheit im Gekreuzigten gegründet sieht und sie vom Geistempfang her als Widerfahrnis kennt, so drängt sich die Abgrenzung nach allen Seiten hin auf. Nicht im Gesetz (Abgrenzung zum Judentum, die Verf.), nicht im Individuum (Abgrenzung zur griechischen Philosophie, die Verf.), nicht in der Weltflucht (Abgrenzung zu gnostischen Strömungen, die Verf.) gründet die Freiheit, sondern in der empfangenen Liebe Jesu Christi, die sich durch den Glauben an ihn wiederum in Liebe zum Mitmenschen hinein umsetzt und ergießt.“(1)

Freiheit und Verantwortung gehören für Paulus zusammen. Provokant und zugespitzt schreibt er es zweimal so an die KorintherInnen: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.“ (1 Kor 6,1) Und: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ (1 Kor 10,23)

Bibelarbeit in der Gruppe

Zeit: ca. 60 Minuten

Material: 3 große Blätter bzw. Plakate mit Beschriftung (Texte siehe unten unter „Ablauf“); unbeschriftete Zettel etwa in Postkartengröße; 4 Zettel gleicher Größe, beschriftet mit Paulusworten 1 Kor 6,12b / Gal 5,22.23a / Gal 3,28 / Gal 6,10 (Texte s.u.); Stifte; Gesangbücher; evtl. Kopie der Theologischen Erklärung von Barmen (für AbonnentInnen der Arbeitshilfe Kopiervorlage als Material zum Herunterladen im Servicebereich der Internetseite www.ahzw.de)

Ablauf: Lied: Ich glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben (EG 253)

Was macht Freiheit aus?

Die Leiterin hat ein großes Blatt vorbereitet, auf dem steht:
WENN ICH AN FREIHEIT DENKE, FÄLLT MIR EIN…
Die Gruppe trägt assoziativ Gedanken und Bilder zusammen, die in Stichworten auf dem Blatt notiert werden. Evtl. kann die Leiterin Folgendes ergänzen: Fall der Mauer. Die Gedanken sind frei. Meinungs-, Religions-, Presse-, Versammlungsfreiheit (Grundgesetz). Freie Fahrt für freie Bürger. Freiheit ist immer auch die Freiheit des/der Andersdenkenden. Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. Freiheitsstatue in New York. Urlaub. Tag der Befreiung…

Die Leiterin hat ein zweites Blatt vorbereitet, auf dem steht:
WAS MACHT UNFREI?
Die Gruppe trägt wieder ihre Ideen zusammen; u.U. ergänzt die Leiterin: Autoritäre Ideologien. Bevormundung durch PartnerIn. Krieg. Psychische und physische Gewalt. Macht der Gewohnheit. Hass. Neid. Übertreten von Gesetzen – Gefängnis.

Vergleichend können die Artikel 2-4 des Grundgesetzes herangezogen werden; u.a. zu finden auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung (unter www.bpb.de / Wissen / Gesetze; Kopiervorlage für AbonnentInnen im Servicebereich von www.ahzw.de als Material zum Herunterladen):
Art. 2 (1): Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Art. 2 (2): Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 3 (1): Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Art. 3 (2): Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Art. 3 (3): Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Art. 4 (1): Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Art. 4 (2): Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Art. 4 (3): Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Fazit dieser ersten Annäherung: Was macht „Freiheit“ aus?

Zum einen: Wegfall von Einschränkungen, Begrenzungen, Zwängen, die meinem Menschsein entgegenstehen.

Zum anderen: Freiheit muss beschrieben werden können, muss sich nach Normen und Gesetzen richten. Freiheit für alle ist da, wo Gesetze gelten und von uns eingehalten werden.

Freiheit in Jesus Christus

Die Leiterin hat ein drittes Blatt vorbereitet, auf dem steht:
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ Gal 5,1
Darunter ist eine Waage gemalt, in deren Waagschalen mit den folgenden Gesprächsgängen Argumente gelegt werden. Die eine Waagschale heißt „Freiheit in Jesus Christus“, die andere heißt „Knechtschaft in meinem Leben“.

Was ist das Joch der Knechtschaft für Paulus?

Die Leiterin referiert kurz aus dem Text der Bibelarbeit. Dann führt sie folgendermaßen weiter:
Für Paulus lautet die Frage nach dem Sinn des Lebens: Wie kann ich als Mensch vor Gott bestehen, der mir sein Gesetz (die 10 Gebote nach Exodus / 2. Mose 20,1-17) aufgetragen hat, das ich doch nicht halten kann – durch das ich also auch nicht Freiheit gewinnen kann? Seine Antwort lautet: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit sie die Kindschaft empfingen.“ (Gal 4,4.5) Das heißt: Gott hat sich in dem Menschen Jesus selbst dem Anspruch seines Gesetzes ausgeliefert und hat diesen Anspruch erfüllt. „Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ (Röm 10,4)
Wenn nun in einigen galatischen Gemeinden die Beschneidung gefordert wird, bevor man zu Christus kommen kann, so wird die Botschaft des Evangeliums abhängig gemacht von der Zugehörigkeit zum Volk Israel und vom Halten der Tora als Weg zum Heil. Das lehnt Paulus strikt ab.

Was knechtet uns? Was nimmt uns gefangen? Wer bindet uns an sich – was bindet uns an etwas?

Mit den Äußerungen der Frauen füllt die Leiterin die Waagschale „Knechtschaft in meinem Leben“ und kann ergänzen mit: vorgegebene Rollen, denen ich genügen soll; Erwartungen, die ich erfüllen muss, um anerkannt zu sein; Absichern gegen alle Eventualitäten; ständiges Sich-Sorgen um die Familie; Geringschätzung der eigenen Meinung und des eigenen Wirkens; bedingungsloses Anerkennen von Meinungen anderer; Maßlosigkeit, Feindschaft, Neid, Eifersucht, Zank, Treulosigkeit u.a.m. (siehe Gal 5,19ff)

Und welche Freiheit gewinnen wir im Blick auf Jesus Christus? Wie erfahren wir diese Freiheit?

Im Blick auf Jesus Christus werden Sachverhalte, Einflüsse, Machtbereiche, Sorgen relativiert. Sie bekommen nicht das letzte Wort. Denn der Einfluss Jesu Christi, sein Machtbereich, seine Wirkkraft durchdringt mein Leben jetzt und hier und auch meinen Tod, der mich nicht in alle Ewigkeit gefangen nehmen kann. Weil wir heiligen Geist empfangen haben und dieser Geist unser Leben bestimmt, können wir auch den schlechten Eigenschaften und Missständen im privaten und öffentlichen Leben entgegentreten.

Welche Konsequenzen hat das für mein Leben?

In die Waagschale „Freiheit in Jesus Christus“ legt die Leiterin, was die Frauen benennen, z. B.: Zivilcourage, Nächstenliebe, politisches Engagement, Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Nachbarschaftshilfe.
Dazu legt sie folgende Paulusworte:
„Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll mich gefangen nehmen.“ 1 Kor 6,12b
„Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit.“
Gal 5,22.23a
„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus.“ Gal 3,28
„Lasst uns Gutes tun an allen, besonders aber an denen, die uns im Glauben verbunden sind.“ Gal 6,10

Lied: Er ist erstanden, Halleluja (EG 116)

Als gemeinsames Bekenntnis und Abschluss kann die Barmer Theologische Erklärung gesprochen werden. (EG)


Petra-Edith Pietz ist Pfarrerin und Geschäftsführerin im Sprengel Görlitz der Frauenarbeit der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.


Anmerkung
1
Gerhard Ebeling: Die Wahrheit des Eangeliums, Tübingen 1981, S. 325 und 326


Zum Verständnis von „Gesetz“ bei Paulus und ethischen Konsequenzen:

„Paulus sieht die Menschen in einer radikalen, die Unterschiede (zwischen dem auserwählten Volk Israel und den vielen Völkern, die Verf.) aufhebenden Verlorenheit vor Gott, und er weiß von einer ebenso radikalen Zuwendung Gottes zu erzählen, personifiziert in Jesus Christus. Das Judentum wiederum weiß vor allem in seinen Gebeten in beeindruckender Weise von dem Menschen als Sünder und von Gott als dem begnadenden Richter zu reden. Aber es traut dem Menschen der alten Schöpfung mehr zu, als es der Apos tel tut. Aufgrund dieser jeweils anderen Sicht des Menschen kommt dem Gesetz jeweils eine andere Funktion zu: Bei Paulus hat es die Rolle, die Verlorenheit des Menschen vor Gott festzuschreiben und ihn dahin zu führen, dass er sich ganz auf das rettende Erbarmen Gottes wirft. Im Judentum hat es die Aufgabe zu lehren, wie man die Verletzung des göttlichen Willens vermeidet und diesem Willen folgt, immer unter der Voraussetzung, dass die Tore der Umkehr und Vergebung ständig offen stehen. … Es gibt diese Differenz zwischen der christlichen und der jüdischen Sicht, und doch führt Paulus in bestimmtem Sinne zugleich auch die Linie fort, die für das Judentum charakteristisch ist. Er verpflichtet die Gemeinde auf das Liebesgebot als das Zentrum aller Gebote, und er zeigt ihnen damit, worin der Wille Gottes für ihr Zusammenleben besteht und wie der Wille Gottes oder das Gesetz Gottes in ihrem Miteinander erfüllt wird (vgl. Gal 5,13-14; Röm 13,8-10). Er nimmt das Gesetz oder Gebot als Weisung auf, nach der das Leben zu gestalten ist. Selbst hier also, im Verständnis des Gesetzes mit seinen deutlichen Unterschieden auf christlicher und jüdischer Seite, verbinden sich die Unterschiede mit kräftigen Gemeinsamkeiten.“
Peter von Osten-Sacken: Paulus und Luther im Einklang? In: Paulus der Jude, hgg. von Sung-Hee Lee-Linke, Verlag Otto Lembeck, Frankfurt a.M. 2005,
S. 81/82

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