Ausgabe 1 / 2006 Andacht von Hanna Sauter-Diesing

Meine engen Grenzen

Andacht im Andenken an Hanna und ihren Sohn Samuel

Von Hanna Sauter-Diesing


Vorbereitung: Gesangbücher für jede; eine Kerze; größere helle Kieselsteine entsprechend der Anzahl der Frauen (erhältlich im Gartencenter in Tüten abgepackt); Eddings schwarz und rot (notfalls auch Filzstifte)
Papierstreifen je einzeln beschriftet und für alle kopiert:
Blatt 1: Und Hanna hatte keine Kinder. Und sie war von Herzen betrübt und betete zum Herrn und weinte sehr.
Blatt 2: Willst du meiner gedenken, und wirst du deiner Magd einen Sohn geben, so will ich ihn dem Herrn geben sein Leben lang.
Blatt 3: Und Hanna ward schwanger und sie gebar einen Sohn und nannte ihn Samuel; denn, so sprach sie, ich habe ihn vom Herrn erbeten.
Blatt 4: Nachdem sie ihn entwöhnt hatte, brachte sie ihn nach Silo, der Knabe aber war noch jung. Und Hanna sagte zu dem Priester Eli: „Um diesen Knaben bat ich. Nun hat der Herr meine Bitte erfüllt und darum gebe ich ihn an den Herrn wieder sein Leben lang.
Blätter für AbonnentInnen als Kopiervorlagen unter Service / zum Herunterladen verfügbar

Wenn zur Gruppe mehr als 8-10 Frauen gehören, sollten mehrere Tischgruppen gebildet werden; ggf. für jeden Tisch eine Kerze mitbringen.

Hinführung
Sprecherin: „Meine engen Grenzen“ – wenn es um Kinder geht, fallen uns viele Grenzen ein. Die Grenze unseres mütterlichen Einflusses zum Beispiel. Die Grenze unserer Geduld, die Grenze unserer Kraft.
Eine andere Grenze haben einige von uns auch erfahren: dass ich ein Kind will, und es nicht bekomme. Ich habe es nicht in der Hand.
Eine Frau aus dem Alten Testament erlebte die Grenze des unerfüllten Kinderwunsches in tiefer Verzweiflung. Im ersten Kapitel des Buches Samuel
(1 Sam 1,1-28) wird eindrücklich geschildert, dass Hanna lange keine Kinder bekam. Die Liebe ihres Mannes kann sie nicht trösten, der Kinderreichtum seiner zweiten Frau bedeutet für Hanna einen ständigem Schmerz. Einmal im Jahr zieht die Familie in das Heiligtum zu Silo, um Opfer zu bringen. Dort, beschließt Hanna, will sie ihr Anliegen vor Gott bringen.
Gemeinsam: laut lesen aus Psalm 96 (eg 732.1)
Anleitung: Jede Frau bekommt einen Kieselstein und die Kopie von Blatt 1; schwarze Eddings werden zur Verfügung gestellt.
Jede Frau schreibt nun auf eine Seite ihres Steins ein Wort, das ihrer Ansicht nach am meisten die Stimmung von Hanna trifft. (ca. 5 Minuten) Die Steine legen die Frauen vor sich auf den Tisch.

Das Versprechen
Sprecherin: „Und Hanna bat Gott um einen Sohn. Sie schüttete ihm ihr Herz aus. Und sie machte ein Versprechen: Wenn ich, Hanna, schwanger werde, so werde ich dir meinen Sohn zurückgeben.“
Was für ein Versprechen! Kann sie es überhaupt halten? Sie bestimmt über Gott – und über ihr noch ungezeugtes und ungeborenes Kind. Das ist ungewöhnlich. Doch schauen wir uns die Wörter auf unseren Steinen an: So tief ist die Verzweiflung dieser Frau, dass sie alles dafür geben würde, dass Gott ihre Bitte erhört. Einige von uns kennen solche Lagen: Da ist man so verzweifelt, dass man alles darum geben würde, wenn sich nur die Situation verändert. Und so sagt Hanna: „Willst du meiner gedenken, und wirst du deiner Magd einen Sohn geben, so will ich ihm den Herrn geben sein Leben lang.“
Anleitung: Blatt 2 austeilen und vorlesen: „Willst du meiner gedenken, und wirst du deiner Magd einen Sohn geben, so will ich ihm den Herrn geben sein Leben lang.“
Gemeinsam singen: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (eg 299,1-3) oder „Von Gott will ich nicht lassen“ (eg 365,1-3) oder „Ach bleib mit deiner Gnade“ (eg 347,1-3.6)
Sprecherin: Das Wunder geschieht. Hanna wird schwanger und sie bekommt einen Sohn. Sie nennt ihn Samuel. Was wird jetzt geschehen?
Anleitung: Blatt 3 austeilen und vorlesen: „Und Hanna ward schwanger und sie gebar einen Sohn und nannte ihn Samuel; denn, so sprach sie, ich habe ihn vom Herrn erbeten.“ Auf eine andere Seite des Steines sollen die Frauen mit rotem Edding schreiben, was sie Hanna nach der Geburt ihres Sohnes wünschen. Die Steine legen sie wieder vor sich auf den Tisch.

Unsere Grenzen

Sprecherin: Wir freuen uns mit Hanna – haben ihr viele Wünsche mitgegeben. Doch es ist noch nicht „Ende gut, alles gut“. Noch steht das Versprechen im Raum. Hanna erzählt ihrem Mann, dass sie vorhat, den Jungen, sobald er entwöhnt ist – was später als bei uns heute war – in das Heiligtum zu bringen, damit er dort für immer bleibt. „So tu, wie es dir gefällt“, sagt er. Freut sich der Vater denn gar nicht über sein Kind, dass er es Hanna einfach so überlässt, den gemeinsamen Sohn für immer ins Heiligtum zu schicken?
Wer denkt an das Kind? Wer denkt an seine Wünsche, seine Zukunft? Braucht das Kind denn nicht seine Mutter? Muss so ein Versprechen vor Gott erfüllt werden, auch wenn es in tiefster Verzweiflung gegeben wurde? Hanna jedenfalls glaubt es. Ob sie es richtig macht, kann sie jetzt noch nicht wissen.
Anleitung: Blatt 4 austeilen und vorlesen: „Nachdem sie ihn entwöhnt hatte, brachte sie ihn nach Silo, der Knabe aber war noch jung. Und Hanna sagte zu dem Priester Eli: Um diesen Knaben bat ich. Nun hat der Herr meine Bitte erfüllt und darum gebe ich ihn an den Herrn wieder sein Leben lang.“
Sprecherin: Der libanesische Philosoph und Dichter Khalil Gibran schrieb in seinem Werk „Der Prophet“ (1923): „Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. … Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden. Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen. … Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.“
Gespräch: In manchen Gruppen wird das Gespräch nach einigen Impulsen von alleine laufen, bei anderen ¬ empfiehlt es sich, dass zunächst reihum jede Frau etwas zu den Fragen sagen kann. Wichtig ist in dem Falle, dass die Antworten nicht sofort zerredet, sondern als persönliche Äußerungen respektiert werden; anschließend Diskussion. Beenden Sie die Runde ca. 15 Minuten vor Ende der Andacht.
Impulse: Unsere Gefühle gegenüber Hanna als Mutter: Was finde ich gut an Hanna und was macht mich ärgerlich oder wütend? Wenn Hanna meine Tochter/ Schwester wäre, was würde ich ihr am liebsten sagen? Was würde ich sie am liebsten fragen?
Unsere Gefühle gegenüber Müttern, die es anders machen als ich es mir vorstelle: Was kann ich an Müttern nicht verstehen? Kann ich mir vorstellen, warum sie so handeln? Gibt es Mütter, die ich für unfähig halte, Kinder zu haben?
Sprecherin: Wir haben Hanna auf einer Strecke ihres Lebensweges begleitet. Manches von dem, was sie dachte und tat, ist uns fremd – anderes sehr vertraut. Unsere Steine, die wir beschriftet haben, sind ein Bild für diese Weg¬ strecke, Teil unseres Weges, den wir heute mit Hanna gegangen sind.
Und Samuel? Am Ende hat es sich als nicht schlecht erwiesen, dass Hanna ihr Versprechen gehalten und ihn „geopfert“ hat. Denn Gott selbst hat Samuel dort im Heiligtum angesprochen, ihn berufen. Und Samuel antwortete Gott: Der Junge konnte selber entscheiden.
Vielen Frauen geht es wie Hanna: Sie erleben ihre Grenzen und wissen nicht, was sie tun sollen. Wie wir ihnen gerne helfen würden, haben wir Hanna geholfen: Wir haben Hannas Gefühlen nachgespürt und sie auf die Steine geschrieben, ihr so unser Verständnis gezeigt. Mehr konnten wir nicht für Hanna tun. Mehr können wir oft nicht für Frauen tun, denen es geht wie ihr. Aber das ist schon viel!
Wie für die Frauen, die ihre Kinder bekommen, haben wir uns mit Hanna gefreut und ihr gute Wünsche mit auf den Weg gegeben – auch wenn wir mit ihrer Entscheidung vielleicht nicht einverstanden sind. Aber wir wollen nicht verurteilen. Wir wissen nur zu gut um unsere eigenen Grenzen…
Legen wir unsere Steine jetzt auf dem Tisch zusammen.
(Die Frauen legen die Steine auf den Tisch. Die Kerze wird in die Mitte der Steine gestellt und angezündet. Die Frauen stellen sich im Kreis um den Tisch.)
Sprecherin: Lasst uns beten: (Text des Liedes „Meine engen Grenzen“; eg 600)

Hanna Sauter-Diesing ist Gemeindepfarrerin in Budberg, verheiratet und Mutter eines Sohnes. Sie ist Mitglied in der Arbeitsgruppe ahzw.

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