Ausgabe 2 / 2006 Artikel von Christiane Wessels

Meine Schönheit – mein Kapital

Ein ungewöhnlicher Blickwinkel

Von Christiane Wessels


Schönheit als Kapital zu verstehen, mag etwas ungewohnt erscheinen. Schönheit aus dieser Perspektive zu betrachten, kommt einer am ehesten in Zusammenhang mit Schönheitskonkurrenzen oder dem Beruf des Models oder des Bodybuilders in den Sinn, wird hier doch der Körper und seine Schönheit ganz bewusst als Kapital eingesetzt.

Im Wettbewerb mit anderen Frauen oder auch Männern lohnt es sich ganz offensichtlich, in den Körper zu investieren, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Aber gilt das nicht auch für die alltäglichen Konkurrenzsituationen, in denen es um soziale Macht, Ansehen und Anerkennung geht? Welche Rolle spielen hier Schönheit oder gutes Aussehen? Steckt hinter dem täglichen Sich-schön-machen womöglich mehr als nur der Wunsch nach Wohlbefinden?

 

Körper als Kapital

Um Schönheit als Kapital zu verstehen, ist ein Blick auf die Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu hilfreich. Bourdieu unterscheidet zwischen ökonomischem Kapital (Geld, Eigentum), sozialem Kapital (Beziehungen, soziale Netze) und kulturellem Kapital (Bildung, Wissen, Titel). Vom Besitz dieser Kapitalarten hängt ab, zu welcher sozialen Klasse eine/r gehört. Und, so fand Bourdieu heraus, von der Klassenzugehörigkeit wird wiederum die Art und Weise geprägt, wie Menschen ihren Körper wahrnehmen und mit ihm umgehen.

Neben den drei zentralen Kapitalformen spricht Bourdieu auch vom so genannten „körperlichen Kapital“ als einer weiteren Kapitalform, konkret etwa: handwerkliches, sportliches oder stimmliches Talent, Gesundheit, Fitness, Benehmen, Stil, Ausdauer, Fleiß, Disziplin. Zum körperlichen Kapital gehören aber auch gutes Aussehen und Schönheit. Diese unterschiedlichen Arten des körperlichen Kapitals haben einen Eigenwert, lassen sich aber auch in andere Kapital sorten verwandeln. So kann z.B. Schönheit in ökonomisches Kapital verwandelt werden. Auch der Körper ist eine Kapitalform, in die man Zeit, Aufmerksamkeit und Mühe, kurz: Arbeit stecken kann, um den Kapitalstock gewissermaßen zu erhöhen. Körper ist immer weniger biologisches Schicksal als vielmehr ein Produkt, das nach eigenen Wünschen und Vorstellungen gestaltbar ist. Investitionen in den eigenen Körper erscheinen sinnvoll und lohnenswert, weil sie persönliche und soziale Gewinne versprechen: Soziale Anerkennung und ein gesteigertes Selbstwertgefühl winken als Belohnung. Wer in sein Körperkapital investiert, verbessert ganz offensichtlich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und dem Heiratsmarkt.(1)

Dabei geht es um weit mehr als um oberflächliche Veränderungen und Korrekturen. Über diese Art der „Körperarbeit“ findet auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität statt. Bleibt allerdings die Frage, wo im massenmedialen Zeitalter die Selbstbestimmung endet und Fremdbestimmung beginnt.

 

Das Geschäft mit der Schönheit

Schönheit ist nicht nur persönliches Kapital, mit Schönheit lässt sich auch viel (ökonomisches) Kapital verdienen. Der Markt der Schönheitsindustrie wächst weltweit wie kaum ein anderer. So konnte der Marktriese Procter & Gamble seinen Nettogewinn im Geschäftsbereich Kosmetik im dritten Quartal 2005/2006 um 16% auf 783 Mio. US Dollar steigern. Besonders hohe Umsatzsteigerungen gibt es in Asien (vor allem China und Indonesien), Lateinamerika und Osteuropa. Die Firmengruppe L´Oreal gibt für den gleichen Zeitraum eine Umsatzsteigerung von 28,4% in Osteuropa an. In Deutschland wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2003 monatlich pro Haushalt 50 Euro für Körperpflege ausgegeben. Trotz allgemeiner Flaute machte sich bislang beim Absatz von Kosmetik- und Körperpflegemitteln keine Konsumschwäche bemerkbar. Im Jahr 2002 wurden in Deutschland kosmetische Artikel und Körperpflegemittel im Wert von 17,4 Mrd. Euro verkauft.

Ein neuer, expandierender Markt der Schönheitsindustrie ist der Bereich der Schönheitsoperationen. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie gibt an, dass sich Zahl der Schönheitsoperationen seit 1990 in Deutschland etwa versechsfacht hat.(2) Überraschend ist, dass sich nicht nur Menschen in den reichen westlichen Industrieländern mit medizinischen Mitteln verschönern lassen wollen; eines der Länder mit einer enormen Wachstumsrate im Bereich der Schönheitsoperationen ist etwa Brasilien. Das Bedürfnis, sich einer Operation zu unterziehen, wenn der eigene Körper nicht den jeweiligen Idealvorstellungen entspricht, geht dabei quer durch alle Bevölkerungsschichten. Während die einen sich jedoch eine teure Operation in einer Privatklinik mit Fachpersonal leisten können, liefern sich die anderen Kurpfuschern aus, oft mit fatalen gesundheitlichen Folgen.

 

Anerkennung und Erfolg

Die Investitionen in das Körperkapital wachsen weltweit. Was versprechen sich Frauen und Männer davon? Glaubt man der Brigitte-Umfrage: „Was bedeutet Ihnen Schönheit?“, so ist die Frage, warum sich Frauen schön machen, „so einfach wie eindeutig zu beantworten: Nicht Beruf, nicht Partner und nicht der Neid der anderen sind die Gründe. Frauen jeden Alters pflegen und schminken sich, weil sie sich dann selbstsicherer und wohler fühlen.“ Von allen befragten Frauen gaben 72% an, sie machten sich schön, weil sie sich dann wohler fühlten, 22% behaupteten, es mache sie selbstsicherer. Für 94% der Befragten stehen damit Wohlbefinden und Selbstsicherheit im Vordergrund. Nur 3% gaben an, sich schön zu machen, „um anderen zu gefallen“; in einer vergleichbaren Umfrage von 1978 waren dies immerhin noch 14%. Kritisch anzumerken bleibt bei diesen Studien, dass es bei vielen Antworten eher um die soziale Erwünschtheit als um ehrliche Selbsteinschätzungen der Befragten geht. Wer gibt schon gerne zu, sich schön zu machen, um anderen zu gefallen?(3)

Soziologische Studien zum Thema Körper und Schönheit scheinen aber gerade dies zu bestätigen: Frauen und auch Männer machen sich schön, um anderen zu gefallen. Es geht in erster Linie um Anerkennung, darum, angenommen zu werden und dazu zu gehören. „Ich gehöre dazu“ – das gehört nach der Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun heute zu den größten Sehnsüchten. Demnach geht es auch bei kosmetischer Chirurgie, dem Besuch von Fitness Centern und anderen Aktivitäten nicht primär um Schönheit, sondern um die Anpassung an eine Norm, um das Bedürfnis, nicht anders zu sein.(4)

Die Freiburger Soziologin Nina Degele spricht daher in ihrer Untersuchung bewusst nicht von Schönheit, sondern von Schönheitshandeln.(5) Schönheit ist demnach nicht eine Eigenschaft, die Menschen besitzen, sondern etwas, das geschaffen wird. Dieses Schönheitshandeln ist mitunter alles andere als Spaß, ist im Gegenteil harte Arbeit. Und es handelt sich auch nicht um eine Privatangelegenheit: Schönheitshandeln ist erfolgsorientiertes Handeln, das auf Anerkennung von außen zielt. Um die zu erreichen, unterwerfen sich Frauen und Männer einem mitunter brutalen Schönheitskult um Attraktivität, Sportlichkeit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Ziel all dieser Aktivitäten ist Aufmerksamkeit und letztlich Erfolg – sei es bei der PartnerInnenwahl oder im Beruf.

Schönheitshandeln hat für Frauen eine andere Bedeutung als für Männer. Degele spricht von der „allgemein als legitim akzeptierte(n) männliche(n) Attraktivitätserwartung“ an Frauen. Demnach dürfen Männer erwarten, dass Frauen sich für sie schön machen, umgekehrt gilt dies nicht. Dennoch ist Schönheitshandeln kein weibliches Privileg. Auch von Männern wird heute, insbesondere im verschärften Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze, ein attraktives Äußeres erwartet. Dabei sind Frauen wie Männer geschlechtsspezifischen Erwartungen und Zumutungen in Bezug auf Körper und Schönheit ausgesetzt. Die normativen Erwartungen, wie eine Frau und wie ein Mann zu sein hat, steuern auch das Schönheitshandeln. Die verwendeten Techniken wie Schminken, Kleiden, Frisieren, Rasieren, Bodybuilding, Ernähren oder Operieren sind also keineswegs geschlechtsneutral.

Sich schön machen ist also mehr als nur ein oberflächlicher Akt. Es ist vielmehr Arbeit an der eigenen Präsentation. Wird diese als stimmig empfunden und reagiert das Gegenüber positiv, stellt sich wahrscheinlich auch die Empfindung des Wohlfühlens ein: Die Investition in das Kapital Schönheit hat sich gelohnt.

 

Schönheit, Macht und Konkurrenz

Macht Schönheit erfolgreich? „Wer gut aussieht hat mehr Chancen im Leben.“ Das jedenfalls gaben 89% der befragten Frauen quer durch alle Altersgruppen in der Brigitte-Studie an. Während jüngere Frauen sich dabei vor allem im Privatbereich Vorteile von einem guten Aussehen versprechen, setzen ältere Frauen vor allem auf die positiven Effekte im beruflichen Bereich. Ob hier Erfahrungen oder eher Wunschdenken zu diesem Wandel in den Einschätzungen führen, lässt sich anhand der erhobenen Daten nicht beantworten.(6)

Zum Thema PartnerInnenwahl lässt sich sagen, dass hier Werte, Normen und Sozialisation ebenso eine Rolle spielen wie individuelle Motive, zu denen beispielsweise die soziale Absicherung oder die Attraktivität eines Partners oder einer Partnerin gehören. Wie stark welche Faktoren bewertet werden, ist nicht nur kulturellem Wandel unterworfen, sondern auch einer beträchtlichen individuellen Veränderbarkeit.(7) Mit anderen Worten: Ein attraktives Äußeres steigert zwar die Chancen auf dem PartnerInnen-Markt, ist aber nur einer von vielen Faktoren.

Für die Besetzung von Stellen oder Beförderungen sollten eigentlich fachliche Leistung und Erfahrung ausschlaggebend sein. Und welcher Personalchef würde schon zugeben, dass oft ganz andere Faktoren den Ausschlag geben? Gefragt sind in höheren Positionen Attraktivität – also Schönheit, Ausstrahlung und Natürlichkeit – und „das Auftreten“ einer Person.(8) Plausibel scheint, dass Faktoren wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Beziehungen oder äußeres Erscheinungsbild eine wachsende Bedeutung haben, je mehr Frauen und Männer mit gleichen Qualifikationen um immer weniger Stellen konkurrieren. Personen, die nicht dem gängigen Schlankheitsideal entsprechen, dürften es schwerer haben auf dem Arbeitsmarkt, da Dicksein oft gleichgesetzt wird mit mangelnder Leistungsbereitschaft, geistiger Trägheit und mangelnder Motivation. Oft unbewusst trauen viele Personalverantwortliche den dynamisch wirkenden, weil schlankeren Bewerberinnen und Bewerbern mehr Leistungsfähigkeit im Beruf zu.

Auf die Frage, inwieweit Schönheit den sozialen Status bestimmt, antwortet die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun: „Das stimmt als Fantasie oder Hoffnung, aber ich bin nicht sicher, ob es in der Realität stimmt. (…) Ich glaube sogar, dass Frauen bessere Aufstiegsmöglichkeiten haben, wenn sie sich nicht auf ihre Schönheit verlassen. Denn Schönheit kann insbesondere für Frauen zu einem Gefängnis werden, wenn sie permanent glauben, dies sei das einzige Kapital, über das sie verfügen, anstatt sich am Konferenztisch mal durchzusetzen – auch wenn sie in Kauf nehmen müssen, dafür nicht ,geliebt' zu werden.“(9)

Die amerikanische Feministin Naomi Wolf schreibt dem so genannten Schönheitsmythos noch ganz andere Funktionen zu. Sie sieht darin ein Instrument sozialer Kontrolle, eine reaktionäre Rück schlagbewegung gegen den Feminismus. Der Schönheitsmythos habe wenig mit Weiblichkeit zu tun, aber viel mit Institutionen und Macht. Er verordne quasi die Konkurrenz unter Frauen und spalte sie damit. Das für Wolf Entscheidende ist, dass die Frauen von äußerer Anerkennung abhängig bleiben.(10) Längst hat dieser Schönheitsmythos jedoch auch die Männer erfasst. Für Frauen wie Männer gilt gleichermaßen, dass Schönheit zunehmend als Ergebnis einer „richtigen“, gesunden Lebensweise in die eigene Verantwortung gelegt wird. Der Druck zum „Schönheitshandeln“ erhöht sich weiter durch die wachsenden Möglichkeiten der Schönheitsindustrie und das Maß, in dem operative Eingriffe alltäglicher werden. Der Körper muss nicht mehr als natürliche, schicksalhafte biologische Gegebenheit akzeptiert, sondern kann als bewusst gestaltbares Projekt betrachtet werden. Schönheit ist nicht nur machbar – es gibt quasi eine Verpflichtung zur Schönheit. Wenn aber jede/r die Möglichkeit dazu hat, wird Nichthandeln begründungspflichtig. Wie stark dieser Druck heute insbesondere auf junge Mädchen und Frauen ist, wird deutlich, wenn diese äußern, sie würden lieber die gesamte erste Schulstunde verpassen, als ohne Make-up und Lidschatten im Unterricht zu erscheinen.

 

Fazit

Wer Schönheit als persönliches Kapital versteht und einsetzt, sollte sich bewusst machen, dass der Wert des Kapitals sich nach der zukünftigen Entwicklung der Zinsen bestimmt. Renditeaussichten sind aber immer ungewiss. So gesehen kann sich die Investition in das Kapital Körper lohnen – oder auch nicht. Für Schönheitshandeln gibt es keine Gewähr. Eine Investition in den Körper ist aber etwas anderes als eine Investition in Bildung, in ein Unternehmen oder in Altervorsorge. Investitionen in Körperkapital sind Auseinandersetzungen mit der eigenen Identität. Wenn die Erwartungen in den Erfolg all zu hoch sind und das Versprechen der Schönheit nicht eingelöst wird, birgt dies natürlich Risiken. Dennoch besteht kein Grund zur Resignation, wenn der Spaß am Ausprobieren, an der Inszenierung oder an der bewussten Provokation im Vordergrund steht. Vielleicht sollte frau / man den ganzen Kult um die Schönheit einfach nicht so ernst nehmen?


Für die Diskussion in der Gruppe

Für wen mache ich mich schön? Stimmt die These von Nina Degele, dass es bei dem Sich-schön-machen in erster Linie um die Außenwirkung geht?

In welchen Situationen setze ich ganz bewusst auf mein Äußeres? Was verspreche ich mir davon? Welche Erfahrungen habe ich mit dieser Strategie gemacht?

Ist die Art und Weise, wie Menschen mit ihrem Körper und dem Thema Schönheit umgehen, in Schichten oder Klassen nach wie vor unterschiedlich? Wo klafft es auseinander? Wo gibt es Angleichungen? Welche Wahrnehmungen und Erfahrungen habe ich?


Dr. Christiane Wessels, Jahrgang 1963, ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet als Referentin für Frauenbildung in der Erwachsenenbildung im Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Zum Weiterlesen
EMMA Nr. 1/2003, Dossier „Schönheitsterror“:
Noch immer sehr lesenswert, hintergründig und amüsant. Die Autorinnen entlarven die ökonomischen Interessen hinter dem Schönheitswahn. Es gibt aber auch einiges zum Schmunzeln: neben Franziska  Beckers karikaturistischer Interpretation des Schönheitsthemas die „kritische“ Betrachtung der Venus von Milo, an der es, nach den Maßstäben der Schönheitsindustrie, auch einiges zu verbessern gäbe…

Robert Gugutzer: Soziologie des Körpers, Bielefeld 2004: Für soziologisch interessierte Frauen. Robert Gugutzer gibt einen guten Überblick über die Behandlung des Themas Körper in der Soziologie. Unter prägnanten Überschriften finden sich relativ kurze Darstellungen der wichtigsten theoretischen Zugänge, z.B. zu Pierre Bourdieu (Körper als Kapital), Judith Butler (Geschlechterkörper) oder Gesa Lindemann (der spürbare Körper).

Der Überblick. Quartalsschrift des kirchlichen Entwick lungsdienstes. Sonderdruck 2005 „Schönheit ganz anders“: Wer sich für die interkulturellen Aspekte des Themas Schönheit interessiert, sollte dieses Sonderheft lesen. Es liefert viele z.T. überraschende Einblicke in fremde Kulturen.

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