Ausgabe 1 / 2007 Frauen in Bewegung von Anja Jungchen

Ellen MacArthur

Volle Kraft voraus

Von Anja Jungchen

Stürme, Wellenberge, zerfetzte Segel und Mastschäden. Auf den Spuren besonderer Frauen stößt ahzw auf die 1.60m große Einhandseglerin Ellen MacArthur. Schon mit vier Jahren zeigt sie Interesse am Wasser. Mit acht Jahren ist sie so begeistert vom Boot ihrer Tante, dass sie von da an einen großen Teil ihres Lebens auf dem Wasser verbringt.

Auf einem Dingi (ein kleines Falt- oder Schlauchboot) macht sie ihre ersten Segelversuche. Nur 18 Jahre später wird sie eine Berühmtheit in der Regattaszene sein.


 „Das Leben hält viele Schätze bereit.“

Am 8. Juli 1976 wird Ellen MacArthur in Derbyshire geboren. Mit nur 17 Jahren wird sie die jüngste Kapitänin Englands. Was zuerst nur sportlicher Wettkampf ist, kristallisiert sich nun immer mehr zu einer besonderen sportlichen Begeisterungsgabe: das Segeln – und dabei das Überwinden immer neuer Hürden. Doch diese Gabe verlangt viel von ihr und deshalb muss sie schon sehr überzeugt sein von dem, was sie da Sportliches tun will.


 „Bei allem, was ich unternehme, versuche ich mein Bestes zu geben.“

Im Winter 2000/2001 macht die 24-Jährige mit bei der Vendée Globe, einer Non-Stop-Regatta für Einhandsegler rund um den Globus, einem der härtesten Rennen der Welt. Sie bewältigt die ca. 28.000 Seemeilen bzw. 50.000 Kilometer in 94 Tagen, 4 Stunden, 25 Minuten und 40 Sekunden und geht als Zweite durchs Ziel. Ein errungener Titel allein reicht ihr jedoch nicht aus, um sich ihre Träume zu erfüllen. Manchmal muss Frau für ihr Glück kämpfen, und deshalb schreibt Ellen 2000 (!) Bittbriefe an mögliche Sponsoren, bis sie endlich fündig wird und das nötige Startkapital bekommt. Denn billig ist ihr Trimaran gerade nicht. Und leicht ist er auch nicht. Ganze acht Tonnen wiegt das gute Stück, das in 15.000 Arbeitsstunden eigens für sie angefertigt wird. Doch es lohnen sich sowohl der Einsatz des Geldes als auch der Arbeitsort und die Arbeitsstunden, die sie investiert. Denn sie hat viel vor: Ellen MacArthur will ihren Kontrahenten, den Franzosen Francis Joyon, schlagen, der 72 Stunden brauchte, um die Welt zu umsegeln. Das ist ihr Ziel. Geschlechterverhältnisse sind ihr dabei ebenso „schnuppe“ wie auch, dass sie inmitten alter Profis segeln wird, die größtenteils Männer sind. Sie ist so gefangen von ihrem Traum, dass sie sogar neben ihrem Boot schläft. Es ist kalt draußen, und der Boden, auf dem sie schläft, ist hart. Aber für sie ist dieses Leben die Welt.


 „Auf die Perspektive kommt es an.“

Doch was ist das Besondere daran die Welt zu umsegeln? Ist es nicht eine Fahrt wie jede andere? Frau setzt sich ins Boot, packt die Füße in die Luft, hält das Ruder in der Hand und lässt sich treiben. Wenn Frau Hunger oder Durst hat, dann greift sie nach einem erfrischenden oder wärmenden Getränk, nimmt sich ein frisches Stück Obst und genießt die laue Seeluft …

Statt Füße in der Luft und Essen nach Lust und Laune gibt es für Ellen nur drei bis vier Stunden Schlaf am Tag, die sie sich jedoch nicht am Stück, sondern nie länger als eine halbe Stunde gönnt. Zu essen gibt es gefriergetrocknete Speisen, die wahrscheinlich genauso schmecken, wie sie sich lesen. Und statt Kaffee am Morgen gibt es nur entsalzenes Meerwasser. Wo bleibt da der Spaß? Was hat das mit Freude am Leben zu tun? Und was bewegt diese Frau dazu, sich den Strapazen dieser Segelturns und der Einsamkeit auszusetzen?

Für Ellen ist es nicht nur das Glück und die Bestätigung in dem, was sie kann. Das Entscheidende für sie ist die Herausforderung. Die Herausforderung, schneller zu sein als ihr Kontrahent. Es ist die Herausforderung, an ihre Grenzen zu gehen und nicht auf die Stimme in sich zu hören, die ständig zweifelt: „Ach, das schaffst du nicht. Das ist zu schwer.“

Ellen fragt nicht groß nach dem Sinn. Sie tut es einfach – und sprengt vielleicht gerade dadurch die eigenen Ketten. Sie fährt nicht halbe Kraft, sondern ganze, sie wagt das Risiko. Volle Kraft bedeutet, dass sie beim Einhandrennen um die Welt im Indischen und im Südlichen Ozean rund um die gefürchteten Kaps immer vorn segelt. Bedeutet, dass sie weitermacht, obwohl sie kurz vor dem Ziel einen unter Wasser schwimmenden Container rammt, eines der Schwerter ihrer Kingfisher bricht, und sie alles allein reparieren muss. Es heißt auch, dass sie nicht aufgibt, als kurze Zeit nach der Reparatur des ersten Schwerts gleich noch die Aufhängung ihres Roll-Vorsegels bricht, und sie dennoch als Zweite ins Ziel kommt. Für sie ist es Leidenschaft, und Leidenschaft versteht sich bei Ellen MacArthur so, dass sie in ihren Anfangszeiten ihre erste Regatta-Yacht in Eigenarbeit rennfähig macht und auch gleich draußen, im Hafen des französischen Segelstädtchens Sables d´Olonnes, wieder einmal auf ihrem Boot schläft. Nur, damit sie am nächsten Morgen gleich aufstehen und weiterarbeiten kann, ohne Zeit zu verlieren.


 „Ziele sind Träume mit einem Termin.“

Für Ellen gibt es solche „Ziele mit Termin“. Anfänglich sind es kleinere Träume und Ziele: überhaupt in ein Boot zu steigen, das erste Dingi zu steuern, die erste Regatta mitzufahren. Doch schließlich werden die Träume größer, konkreter, werden zu dem Wunsch, die Welt zu umsegeln. Nicht als erste Frau – Weltumseglerinnen gab es auch schon vorher. Für sie ist es wichtig, dabei zu sein. Dies alles überhaupt zu wagen. Und natürlich: schnell zu sein, schneller als alle anderen vor ihr. Der 7. Februar 2005 ist der Termin, an dem auch dieser Traum in Erfüllung geht. Nach 71 Tagen, 14 Stunden, 18 Minuten und 33 Sekunden ist sie die neue Weltrekordlerin im Einhandsegeln. Um einen Tag und gut acht Stunden schneller als Francis Joyon, der als Erster die Welt in weniger als 80 Tagen um¬ segelt hatte.

Ein Blick auf ihre Internetseite zeigt, dass die von der englischen Königin Elisabeth II für Ihre Leistung in den Adelsstand erhobene und nunmehr also Lady Ellen MacArthur schon wieder neue Ziele hat. Das Umsegeln der Welt – und das schneller als ihr Kontrahent – war wohl erst der Anfang. Wie ist das mit unseren Wünschen und Zielen und Träumen? Träumen wir noch? Und haben wir noch „Ziele mit Termin“? Es müssen ja nicht immer die ganz großen sein …

Anja Jungchen, 31 Jahre und Mutter zweier Kinder, arbeitet als Psychologische Beraterin in einem Frauenbildungs- und Beratungszentrum und studiert u.a. Evangelische Theologie in Greifswald.

Kleines Lexikon:
Dingi: kleines Boot, meist Schlauchboot
Trimaran: ein Boot mit drei parallel angeordneten, sehr schmalen Rümpfen
Katamaran: Boot mit zwei schmalen Rümpfen
Mehrrumpfboot: größer als der Katamaran, hat mehr Kippstabilität
Kingfisher: Mini-Transat
Transat: (auch: Minitransat) Einhand-Translantikregatta auf Einrumpfyachten

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang