Ausgabe 1 / 2007 Artikel von Hanne Finke

Recht auf Wasser

Von der Herausforderung privaten und politischen Handelns

Von Hanne Finke

Schöne Landschaften mit Flüssen, Bächen und Seen. Felder, auf denen Korn, Raps, Kartoffeln oder Rüben wachsen, Wald und Wiesen, üppige Gärten: so würden wir vielleicht über Deutschland berichten. Eine Radtour an Weser oder Elbe, Baden im Schwimmbad oder Surfen auf dem nahe gelegenen See, Saunabesuch in der Wasserlandschaft oder Entspannen im Fitnesscenter mit Whirlpool: das sind beliebte Freizeitbeschäftigungen in Deutschland.

Gehen wir in Gedanken durch das Gebiet, in dem wir wohnen: Welche Beziehung haben wir zu dem Wasser, das es dort gibt? Quellen und Wasserläufe, Teiche oder Meer, Seen oder Gletscher, Sümpfe und Moore als Gegebenheiten der Natur. Wir entdecken Brunnen, Pumpen, Wassermühlen, Tränken, Wasserleitungen, Rohre, Rinnen, Rückhaltebecken, Kläranlagen. Denken wir auch an Eimer und Gießkannen, Gartenschläuche, Wasch- und Geschirrspülmaschinen, Toiletten, Duschen und vieles mehr.

Und wenn wir ein wenig in der Geschichte forschen, werden wohl in jeder Stadt und in jedem Dorf interessante Berichte zu finden sein, die mit Wasser zu tun haben: das Trockenlegen eines Moores, der Brand, mit Wasser aus dem Dorfteich gelöscht, ein Sommer, in dem das Vieh nicht mehr getränkt werden konnte, die Überschwemmung nach tagelangem Regen. In meinem Ort lassen sich etliche Mühlen aufspüren, die z.B. für das Mahlen von Senf eingesetzt wurden.

Wasser gibt´s bei uns genug. Und einmal abgesehen von seltenen, sehr trockenen Sommern haben wir bislang in Deutschland keine Probleme. Wir bemühen uns, Wasser zu sparen (z.B. die allseits bekannte Spartaste für die Toilette), es gibt diverse Wasserschutzgesetze, moderne Kläranlagen, sauberes Wasser (Trinkwasserverordnung) aus dem Hahn. Und das Flaschenwasser im Getränkemarkt nimmt Flächen von der Größe eines früheren Tante-Emma-Ladens ein.


Blickwechsel

So einfach und klar ist die Sache mit dem Wasser bei näherem Hinsehen allerdings nicht. Wo kommt unser Wasser her, das wir zum Trinken und Kochen, zum Waschen, für die Körperpflege oder zum Putzen verwenden? Dieses so genannte Brauchwasser ist Süßwasser. Der Anteil des Süßwassers am Gesamtwasservorkommen der Erde beträgt aber lediglich 2,6 %. In einem Bild können wir uns das so vorstellen: Eine gefüllte Badewanne stellt das Salzwasser dar – im Verhältnis dazu kann die Menge des Süßwassers in vier Flaschen gefüllt werden. Nur eine dieser Flaschen kann als Brauchwasser genutzt werden, denn die anderen drei Viertel des Süßwassers sind uns nicht verfügbar, weil sie z.B. in Gletschern gebunden sind. Hinzu kommt: In den letzten 50 Jahren ist mehr als die Hälfte an verfügbarem Wasser verloren gegangen.

Grundsätzlich aber wird Wasser ja nicht „verbraucht“, sondern befindet sich in einem Kreislauf. Wir nutzen Wasser, das anschließend wieder dem Kreislauf zugeführt wird. In Deutschland sind sehr gute Voraussetzungen für die Versorgung mit Süßwasser gegeben, denn die Vorkommen an Oberflächen- und Grundwasser sind reich. In den europäischen Ländern ist die Situation unterschiedlich, je nach Klima und Niederschlag. Aber alle EU-Länder haben potentiell ausreichende Süßwasserressourcen.


Fragen des Lebensstils

Die Wassernutzungen der Länder auf der Welt sind sehr unterschiedlich. In Deutschland und einigen anderen europäischen Nationen, die stark industriell geprägt sind, können wir von einer Aufteilung ausgehen, die etwa so aussieht: Kühlwasserversorgung der Wärmekraftwerke 69 %; Brauchwasserversorgung der Industrie 16 %; Trinkwasserversorgung 12 %; Landwirtschaft 3 %. In Ländern mit geringen Niederschlägen, wie Spanien oder Italien, wird für Agrarprodukte wie z.B. Oliven und Gemüse oder auch Blumen eine intensive Bewässerung betrieben; da beträgt die Wasserentnahme durch die Landwirtschaft manchmal bis zu 83 % des Gesamtverbrauchs.

Doch richten wir den Blick auf unseren persönlichen Verbrauch. Stellen Sie sich vor: 13 Eimer Wasser stehen vor Ihnen. Diese Menge wird in Deutschland durchschnittlich pro Person täglich genutzt; das bedeutet für einen 4-Personen-Haushalt 52 Eimer Wasser pro Tag. Hinzu kommt ein Anteil pro Person am öffentlichen Verbrauch (z.B. Schwimmbad), der beispielsweise in Österreich etwa 150 Liter pro Person/ Tag beträgt.

Für die Arbeit in der Gruppe:
Machen Sie doch einmal einen kleinen Versuch: Tragen Sie in jeder Hand einen Eimer oder eine Gießkanne mit je 10 Litern Wasser. Wie lange schaffen Sie es? Wie lange würden Sie gehen, wenn Ihre öffentliche Wasserleitung eine Straße weiter angezapft werden müsste? Und wenn Sie gar 500 Meter gehen sollten, damit Sie den Brunnen erreichen?

Ich erinnere mich daran, wie meine Eltern früher am wöchentlichen Badetag viele Eimer warmes Wasser aus der Waschküche unseres Hauses über zehn Stufen bis in die Küche schleppten, wo die große Zinkbadewanne aufgestellt worden war. Erinnern Sie auch Beispiele von früher?

Für einzelne Bereiche im Alltag eines Menschen sind Durchschnittswerte an Wasserverbrauch errechnet worden: 46 Liter für Baden, Duschen, Körperpflege, 35 für Toilette, 15 für Wäsche, 11 für Kleingewerbe, 8 für Geschirrspülen, 8 für Putzen, Garten, Auto, 5 für Kochen und Trinken. Die Menge von etwa 130 Litern pro Person und Tag in unserem Land ist schon recht groß, und in anderen Industrienationen verbrauchen die Menschen noch viel mehr. Dabei liegen die USA an der Spitze mit rund 350 – 400 Litern pro Person und Tag. Im Vergleich dazu werden uns Zahlen aus armen und wasserarmen Ländern von 10 – 20 Litern pro Person und Tag genannt.

In Wirklichkeit aber sind die genannten Zahlen noch geschönt. Eigentlich müsste die Rechnung nämlich so gehen: Sie kochen eine Kanne Kaffee – dafür benötigen Sie 840 Liter Wasser. Ein Steak, sie grillen es natürlich nicht mit Wasser, braucht 3200 Liter Wasser. In einer einzigen Zitrone, die etwa 1-2 Esslöffel Saft gibt, stecken 100 Liter Wasser. Sie haben richtig gelesen! Denn es handelt sich um so genanntes „virtuelles Wasser“. Das bedeutet: Für alles, was dazu beiträgt, dass die Kaffeebohnen, das Steak oder die Zitrone bei Ihnen in der Küche landen, sind tatsächlich Hunderte von Litern Wasser genutzt worden. Für die Erzeugung von einem Liter Milch sind 1000 Liter Wasser erforderlich. Für andere Produkte oder auch Dienstleistungen wird sogar noch wesentlich mehr Wasser eingesetzt. So „stecken“ in einem Auto über 20 000 Liter, und auch die Herstellung von Computern oder Papier verschlingt Unmengen von Wasser. Man weiß sogar, dass im Bedarf der vegetarischen Ernährung virtuelles Wasser pro Tag/Person von etwa 2,6 Kubikmeter enthalten ist, in dem von Nahrung mit viel Fleisch rund 5 m^3. Zum Überleben braucht ein Mensch etwa 1 m^3.

Viele der Produkte, die in reichen Ländern konsumiert werden, kommen aus Ländern, in denen das Wasser äußerst knapp ist. Machen wir uns ebenso klar, dass unsere Reisen nicht nur Geld kosten, sondern auch die Wasserreserven nicht schonen. Denn wenn sich Touristen und Touristinnen bewegen, sind sie auch mit dem Wasser nicht knauserig: ihr Wasserverbrauch ist doppelt so hoch wie der von Einheimischen. In einigen Ländern werden Wasservorräte für die Hotels oder die Landwirtschaft (Produkte, die exportiert werden) reserviert bzw. für viel Geld abgegeben, während die arme Bevölkerung gleich nebenan viel zu wenig hat, um den täglichen Bedarf zu decken. Hier kommen Fragen auf: Was brauchen Menschen zu einem guten Leben? Wie kann Gerechtigkeit gelebt werden?


Wasserwirtschaft

Wissen Sie, wo Ihr Frischwasser herkommt und Ihr Abwasser hinläuft? Was passiert mit dem Regenwasser in Ihrer Stadt oder Ihrem Dorf? Vielleicht ärgern Sie sich über die Preise von Frisch- und Schmutzwasser? Kennen Sie Wasserschutzgebiete innerhalb ihrer Heimatkommune? Und warum ist das Regenwasserrückhaltebecken nicht immer gefüllt? Läuft Ihr Keller manchmal voll, wenn es stark regnet?

Für die Arbeit in der Gruppe:
Organisieren Sie doch einmal einen Besuch in einem Klärwerk Ihres Ortes. Lassen Sie sich herumführen und erzählen, wie alles funktioniert. Von besonderer Bedeutung ist dabei, wer das Klärwerk betreibt und nach welchen Verträgen gearbeitet wird. Welche Meinung haben die KommunalpolitikerInnen, was die Wasserversorgung und -reinigung angeht?

„Wasserwirtschaft beinhaltet zum Einen die Umverteilung des natürlichen Wasserangebots gemäß den Bedürfnissen der Gesellschaft nach Wassermenge und Wassergüte sowie die Behandlung anfallender Abwässer. Wasserwirtschaft setzt sich damit zusammen aus Maßnahmen der Wassernutzung – bspw. Trinkwasser, Bewässerung oder Wasserkraft – und Maßnahmen zum Schutz vor Wasser – bspw. vor Hochwasser oder vor Vernässung von Böden.“ (Aktionshandbuch Nachhaltige Wasserwirtschaft) Die Versorgung mit sicherem Wasser aus Wasserleitungen liegt in Europa bei 92 %, in Deutschland sogar bei fast 99 %. In der Stadt, in der
ich wohne (Kleinstadt mit Ortsteilen, ca. 30.000 EinwohnerInnen), ist das Kanalnetz 290 km lang, und in den Klärwerken werden jährlich 3,85 Millionen m^3 Wasser behandelt. Pro Jahr werden 1,395 Millionen m3 Frischwasser in unserer Stadt gekauft. Unsere Wasserwirtschaft wird von der Stadt selbst betrieben und befindet sich damit in Deutschland unter den rund 6.700 kommunalen Wasserversorgern.


Handelsware Wasser?

Ein weiteres Thema bereitet vielen Menschen Sorge: der Handel mit Wasser. Wasser wird zunehmend als Ware betrachtet, die Liberalisierung des Marktes (durch politische Regelungen und Gesetze) ermöglicht Unternehmen, Wasser zu verkaufen.

Vor allem der Handel mit Flaschenwasser ist in den letzten Jahren stark angestiegen, und die Privatisierung von Wasserwirtschaft schreitet voran. Die so genannten „Global Players“, weltweit agierende Konzerne wie RWE aus Deutschland und Vivendi aus Frankreich, erhoffen sich lukrative Geschäfte. In unseren Nachbarländern hat die Kommerzialisierung / Privatisierung zum Teil schon stattgefunden: In England sind zehn Großunternehmen tätig (früher 3500 lokale Versorger), in Frankreich gibt es nur noch vier und in den Niederlanden 15 Unternehmen (früher 111).

Vernachlässigt wird dabei völlig, dass Wasser nicht gleichbehandelt werden kann mit Produkten wie Elektrizität, Handys oder Autos. Denn Wasser gehört in den Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge, und Wasserversorgung sollte daher in kommunaler bzw. staatlicher Verantwortung betrieben und nicht dem Profit unterworfen werden. Die Beteiligung und Verantwortung von BürgerInnen müsste allerdings selbstverständlich sein; vorbildlich dafür könnte z.B. das erfolgreiche Bürgerbegehren „Wasserkreislauf in Bürgerhand“ in Augsburg sein.


Menschenrecht auf Wasser sichern

Bei allen Tendenzen, die Versorgung mit Wasser zu kommerzialisieren, ist festzuhalten: Es gibt ein Menschenrecht auf Wasser! Gesetzliche und politische Grundlagen dazu sind bereits vorhanden. Dazu gehören zunächst die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von 1948 sowie die Pakte für wirtschaftliche, soziale, kulturelle Rechte und bürgerliche, politische Rechte. Das ausdrückliche Recht auf Wasser ist allerdings noch nicht so lange im Blick. Einer der wichtigsten Schritte dahin war im Jahr 2001 die Ernennung eines UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Wasser und dann, 2002, der „Allgemeine Kommentar 15 zum Menschenrecht auf Wasser“ der UN. (Weitere Informationen unter: www.menschen-recht-wasser.de) Schließlich gehören u.a. noch die „Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“ für den Bereich Wasserpolitik und die „Erklärung zur nachhaltigen Wasserwirtschaft“ im Jahr 2001 des Deutschen Bundestages in dieses Paket der gesetzlichen und politischen Grundlagentexte.

Wirklichkeit werden sie allerdings nur, wenn wir, jede und jeder nach ihren und seinen Möglichkeiten, bei der Verwirklichung des Menschenrechts auf Wasser mithelfen und uns dabei durch die „Teilhabe am Sehen Gottes“ (M. Barros, Litauen) zum Handeln motivieren lassen.


Für die Arbeit in der Gruppe

Außer den im Text bereits vorgeschlagenen Handlungsmöglichkeiten hier noch weitere Ideen:

– Postkarten oder Fotos von Wasser (Brunnen, Flüsse, Seen …) eignen sich hervorragend, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Vielleicht bitten Sie die Mitglieder Ihrer Gruppe, zu einem Treffen zum Thema  „Wasser“ Bilder mitzubringen: schöne ebenso wie solche, die Probleme mit Wasser (Hochwasser, Verschmutzung etc.) zeigen. Wenn zu Beginn alle ihre Bilder in die Mitte legen und jede Frau eines aussucht, das sie besonders anspricht, kommt die Gruppe wie von selbst ins Gespräch.

– Sie können auch Musik zum Thema Wasser hören (z.B. von der Gruppe Urknall auf der CD Sho Sho Loza: „Ton und Wasser“ oder von Deuter: „Sea and Silence“) und Instrumente wie Regenrohr oder Ocean Drum mitbringen und gemeinsam „Wassermusik“ machen. Zum Einstieg eignen sich ebenfalls Karten mit Begriffen wie Freizeit, Verkehr, Gesundheit, Kleidung, Nahrung, Geld und Arbeit: In Arbeitsgruppen wird dann überlegt, was die Begriffe mit Wasser zu tun haben.

– Viele weitere Vorschläge können Sie aus Materialien von „Brot für die Welt“ zur Wasserkampagne entnehmen, z.B. aus dem „Werkheft Gottesdienste“.

Hanne Finke, 54, ist Landesbeauftragte (ehrenamtlich) im Frauenwerk der Ev.- Luth. Landeskirche Hannovers. Die Diplom–Pädagogin hat neun Jahre als Erzieherin gearbeitet sowie zehn Jahre als kommunale Frauenbeauftragte. Seit April 2006 ist sie in der kommunalen Sozialarbeit tätig.

zum Weiterlesen
Deutscher Städtetag, Positionspapier: Zukunft der kommunalen Wasserversorgung in Deutschland (ohne Angabe des Jahres)
M. Barlow, T. Clarke: Blaues Gold, München 2003
Marcelo Barros: Gottes Geist kommt im Wasser, Luzern 2004
Friedrich Ebert Stiftung: Menschenrecht auf Wasser – Frauen und Trinkwasserversorgung, Bonn 2003
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Aktionshandbuch Nachhaltige Wasserwirtschaft, Bonn 2001
Brot für die Welt: Materialien zur Wasserkampagne
H. Silvester, M.-F. Dupois-Tate, B. Fischesser: Wasser – Quell des Lebens, München 2001

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