Ausgabe 2 / 2007 Material von Monika Herrmann

So schön wie möglich

Von Monika Herrmann

Hamburg-Alsterdorf. In der Evangelischen Stiftung leben rund 500 Menschen, die überwiegend geistig schwer behindert sind. Eine traditionelle Einrichtung der Diakonie mit der unverwechselbaren Atmosphäre einer so genannten stationären Einrichtung. Seit fast drei Jahrzehnten arbeitet der Psychologe Bernd Zemella in den „Alsterdorfer Anstalten“. Er kennt die Probleme, die viele der Bewohner haben, auch wenn es um Sex geht. Aufklärung sei vor allem nötig, sagt er. In Zemellas Büro liegen, stehen und sitzen jede Menge Puppen. Große und kleine, Männlein und Weiblein. „Mit den Puppen demonstriere ich, wie man oder frau sich selbst befriedigen kann“, erzählt der Psychologe. In großer Offenheit wird gezeigt und geübt. Doch seine Aufklärung hat auch Grenzen. Im Klartext: Braucht ein Bewohner von Alsterdorf mehr als nur Puppen, vermittelt Zemella eine Prostituierte oder einen Callboy. Manchmal sucht er zusammen mit dem Bewohner oder der Bewohnerin entsprechende Kontakte in Tageszeitungen. „Wir rufen dort an und machen einen Termin aus.“ Wenn sie oder er dann in die Wohngruppe kommt, muss vor allem die Atmosphäre stimmen.

„Das gehört einfach dazu“, sagt Nina. Nina kommt aus Holland. Vor gut zehn Jahren hat sie angefangen, ihre sexuellen Dienstleistungen auch Menschen mit Handicap anzubieten. Inzwischen bildet sie Sexualbegleiter und -begleiterinnen aus. Manchmal sind das Prostituierte, die aus dem Milieu aussteigen wollen, manchmal auch „ganz normale Frauen und Männer“. Nina referiert auf Fachtagungen und leitet Weiterbildungen für Betreuer und Sozialarbeiter, wenn es um Aufklärung und Erklärung von Sex bei Menschen mit Handicap geht. Denn oft herrscht die Meinung vor: Behinderte wollen doch nur kuscheln. Rollstuhlfahrer Matthias Vernaldi in Berlin-Neukölln kennt diese Argumente, und sie machen ihn richtig wütend.

„Es gibt keinen Unterschied, was die sexuellen Bedürfnisse und Vorlieben von behinderten und nicht behinderten Menschen angeht. Natürlich gibt es Behinderungen, die keinen genitalen Sex ermöglichen. Das kann körperliche Gründe haben: zum Beispiel bei einer Querschnittslähmung oder Multiplen Sklerose. Aber das Vorurteil, nur kuscheln zu wollen, ist schon ein harter Brocken und typisch dafür, wie der Betrachter von außen auf das Leben von Behinderten schaut und es wertet.

gekürzt aus: So schön wie möglich, in: Publik-Forum 14 vom 28.07.2006; © bei der Autorin

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