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Das Bernsteinamulett

Von Peter Prange

Das Schicksal einer Familie in Deutschland zwischen 1944 und 1990 spiegelt den Weg des geteilten Landes wider. Barbara Reichenbachs Familie findet erst ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg wieder zusammen. Barbara muss sich zwischen ihrem Ehemann Alex und Mischa, dem geheimnisvollen Offizier, der in die Machtzentren der Sowjetunion aufsteigt, entscheiden.

„Mach die Augen zu und dreh dich nicht um“, sagte Alex. Brav wie ein Lamm schloss Barbara die Augen… Zärtlich berührte er ihren Hals. Sie spürte ein leises, angenehmes Kribbeln im Nacken. Was macht er da? „Na gut, du kannst die Augen aufmachen“. Als sie aufschaute, war sie für einen Moment irritiert. Die Landschaft vor ihr war verschwunden; stattdessen sah sie ihr eigenes Gesicht in dem Handspiegel von ihrer Frisierkommode, den Alex ihr vorhielt. „Na, wie gefällt sie dir?“ fragte er voller Erwartung. Barbara biss sich vor Freude auf die Lippen. Um ihren Hals schmiegte sich eine goldene Kette, in der sich die Sonnenstrahlen funkelnd brachen. Am Ende der Kette hing ein Bernstein–Amulett von der Größe eines Kieselsteins, das dunkelrotbraun auf ihrer beigefarbenen Bluse schimmerte.
„Das ist wunderschön!“ „Wirklich? Findest du? Hast Du schon den Einschluss
gesehen?“ Sie versuchte zu erkennen, was in dem Bernstein verborgen war. Eine Ameise? Ein Käfer? „Das ist eine richtige Biene“, staunte sie. „Nein“, rief er, „keine Biene – eine Bienenkönigin!“ Er nahm das Amulett  in die Hand, polierte die Oberfläche an der Manschette seines Uniformrocks und hielt es gegen das Licht. „Siehst du hier den Hinterleib? Ich habe alle Juweliere von Königsberg abgeklappert, bis ich sie endlich fand. Die meisten hatten nur Einschlüsse mit langweiligen Insekten. Aber ich wollte unbedingt eine Bienenkönigin für dich.“ „Was bist du für ein Schatz“, sagte sie und strich ihm über das kurze, blonde Haar. „Danke, Alex, ich werde immer an dich denken, wenn ich sie trage“.

Peter Prange
Das Bernstein-Amulett
© Droemer/Knaur
München 2005

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