Ausgabe 2 / 2008 Bibelarbeit von Ilona Helena Eisner

Auch ohne Vaters Segen leben

Bibelarbeit zu Lukas 15,11-32

Von Ilona Helena Eisner

11Er sprach: „Ein Mann hatte zwei Söhne. 12Der jüngere von ihnen sagte zum Vater: ‚Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht.‘ Und er verteilte seine Habe an sie. 13Bald danach nahm der jüngere Sohn alles mit sich und zog in ein fernes Land. Dort verschleuderte er sein Vermögen und lebte in Saus und Braus. 14Nachdem er aber all das Seine durchgebracht hatte, kam ein gewaltiger Hunger in jenes Land, und er begann, Not zu leiden.
15Er zog los und begab sich in die Abhängigkeit eines Bürgers jenes Landes, und der schickte ihn auf die Felder, seine Schweine zu hüten. 16Er hätte sich unheimlich gern satt gegessen an den Schoten des Johannisbrotbaums, die die Schweine fraßen, aber niemand gab ihm davon. 17Da ging er in sich und sagte: So viele Tagelöhner und Tagelöhnerinnen meines Vaters haben Brot im Überfluss – und ich komme hier um vor Hunger! 18Ich stehe auf, wandere zu meinem Vater und sage zu ihm: ‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Mach‘ mich zu einem deiner Tagelöhner!‘ 20Er stand auf und ging zu seinem Vater. Schon von ferne sah ihn sein Vater kommen, und Mitleid regte sich in ihm, und er eilte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21Der Sohn sprach zu ihm: ‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.‘ 22Der Vater aber sagte zu seinen Sklaven und Sklavinnen: ‚Schnell, bringt das beste Kleid her und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und Sandalen an die Füße! 23Holt das Mastkalb und schlachtet es, lasset uns essen und fröhlich sein! 24Denn dieser, mein Sohn, war tot und ist wieder lebendig, er war verloren und ist gefunden!‘ Und sie begannen sich zu freuen.
25Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimkam und sich dem Haus näherte, hörte er Singen und Tanzschritte. 26Er rief einen der jungen Sklaven und fragte ihn, was denn sei. 27Der aber sagte ihm: ‚Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater ließ das Mastkalb schlachten, weil er ihn gesund wieder erhalten hat!‘ 28Da wurde der Bruder wütend und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und lud ihn ein. 29Er antwortete aber seinem Vater: ‚Siehe, ich diene dir schon so viele Jahre und habe nie ein Gebot von dir übertreten, und nie hast du mir einen Bock gegeben, damit ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30Nun aber kommt dein Sohn, der deine Habe mit Unzüchtigen verfressen hat, und du lässt für ihn das Mastkalb schlachten!‘ 31Er sagte zu ihm: ‚Kind, du warst alle Zeit mit mir zusammen, und alles, was mir gehört, gehört auch dir. 32Nun ist es Zeit, sich zu freuen und fröhlich zu sein, weil dein Bruder, der tot war, lebendig ist. Er war verloren und ist gefunden!'“(1)

Vater – Bild der Güte Gottes

Wir alle kennen diese Geschichte aus dem 15. Kapitel des Lukasevangeliums zur Genüge, meine ich. Sie gehört zur ausgewählten Perikopenreihe und wird uns jedes Jahr wieder von der Kanzel neu ausgelegt. Dabei haben wir nicht nur einmal gehört, dass der Vater in der Geschichte „wie Gott ist“. Und sofort laufen bestimmte Spulen ab: Gott wird auf das Bild des gütigen Vaters fest gelegt, und der Sohn mit all seinen Verfehlungen wird immer im Herzen und im Haus dieses gütigen Gott-Vaters einen Platz haben. Mit dem Älteren tun wir uns schwerer. Uns fallen vielleicht Sprüche ein wie: „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“ und: „Ist das der Dank dafür?“ Vielleicht laufen Bilder von eigenen Lebensentscheidungen ab, die  ähnlich ausfielen und der Undank, den wir selber spüren, ist plötzlich wieder so präsent. Besser also nicht über den  Älteren reden …

Viele Frauen, die gelernt haben mit den Augen und Ohren aufmerksamer zu sein, fragen nach den Frauen in dieser Geschichte: Hatte der Mann keine Frau, hatten die Brüder keine Mutter? Könnte es nicht auch die Geschichte der verlorenen Tochter sein? Gab es überhaupt Schwestern – und warum spielen die keine Rolle? Auch erinnert sich vielleicht die eine oder andere Leserin daran, schon etwas vom Lukasevangelium als Evangelium der Armen gehört zu haben, wie es uns u.a. Luise Schottroff verständlich macht. Dann ist es eher die Geschichte vom Scheitern des Jüngeren an den Lebensumständen in der „Römischen Zone“, wo über 90 Prozent der Bevölkerung wirklich arm zu nennen war und das Verlieren des Erbteils, mit dem er sich eine eigene Existenz aufzubauen versuchte, nichts Ungewöhnliches. Viele Zuhörende in der Gefolgschaft Jesu wussten sicher ganz genau, wovon da die Rede war. Hungrig hingen sie an seinen Lippen, wenn er mit solch einer Geschichte die völlige Umkehr der Notsituation beschrieb: ein Festessen anstatt des Hungers, Ehrung anstatt Entwürdigung, ein neues Kleid, ein  Festkleid sogar anstatt der Lumpen und der Inhaber eines Siegelrings zum Abschließen von Verträgen und Geschäften anstatt der Machtlosigkeit als Diener eines anderen Herrn.

Mit Sicherheit ist den meisten Leserinnen auch nicht mehr fremd, mit welchem Gesellschaftssystem wir es zu tun haben, wenn wir die Geschichten und Gleichnisse Jesu verstehen wollen. „Das Gesellschaftssystem … ist ein patriarchales Rechts-System, in dem Männer die Handelnden sind. Männer entlassen Frauen oder nehmen sie zu sich, sie benennen ihre Söhne und legitimieren sie damit als ihre rechtlichen Nachkommen. Die Stellung des Kindes in diesem Rechtssystem … lässt sich folgendermaßen beschreiben: Der Kopf der Familie heißt pater familias, ihm ist das Kind zu- und untergeordnet.“(2) Die soziale Stellung des Kindes war also ähnlich niedrig wie die von Sklaven oder Dienenden.

Söhne – Abbilder des Vaters?

Für eine Arbeitshilfe zum Thema „Väter“ habe mich auf die Suche nach einem anderen „Acker“ gemacht. Dabei kamen mir die Beschreibungen von Verena Kast in den Sinn zu den Mutter- und Vaterkomplexen, mit denen wir als Kinder aufwachsen und von denen wir uns im Laufe der Jugend dringend ab lösen müssen. Und ich möchte Sie an meinen Entdeckungen dieser Beschreibungen im Zusammenhang mit der biblischen Geschichte „Vom verlorenen Sohn“ teilhaben lassen. Ich möchte  diese Geschichte sozusagen in die Psychoanalyse unserer Zeit transportieren, da biblische Texte für mich, ähnlich wie Märchen, zu den archetypischen Geschichten der Menschen gehören. Ein zweiter Grund für diesen Schritt liegt für mich in der viel zitierten Verwirrtheit der heutigen Männer und Väter, die es schwer haben, ihre „Rolle“ in der (angeblich) so veränderten Gesellschaft zu finden, und denen das neue Selbstbewusstsein der Frauen Angst vor eigenem Identitätsverlust macht. Was ist dran an dieser Verwirrtheit? Welchen Anteil haben die Männer selbst, welchen unser immer noch pa triarchales Gesellschaftssystem? Und: Kann uns eine andere Sichtweise auf den biblischen Text helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden?

Verena Kast beschreibt vier Aspekte des ursprünglich negativen Vaterkomplexes des Mannes. Ich möchte sie im Folgenden kurz zitieren und in Zusammenhang mit den handelnden Männern des biblischen Textes bringen.

1 Der Vater ist Vertreter des einen gültigen Gesetzes. Der Sohn bleibt ein „Nichts“, es herrscht ein Herrschafts-Untertanen-Verhältnis. Teilhabe wird verweigert.

Der Vater in Lk 15 ist der pater familias schlechthin. Er allein kann dem Sohn den Erbteil auszahlen, er allein nimmt ihn wieder auf, bestimmt über Hab und Gut. Er lässt das Mastkalb schlachten, ohne jemanden zu fragen, verteilt Kleid und Siegelring. Er legt fest, wie der Laden läuft, befehligt über mehrere Sklavinnen und Sklaven. Gerade in Bezug auf den älteren Sohn wird dies besonders deutlich: Was mein ist, ist auch dein – aber ich frage dich trotzdem nicht. Ich lege fest, was wann von wem getan wird. Ein klassisches Herrschafts-Untertanen-Verhältnis mit Verweigerung der Teilhabe!

Der Sohn bleibt ganz und gar vom Vater abhängig, und dieser als „letzte Instanz“ hat es jederzeit in der Hand, aus dem Sohn ein „Nichts“ zu machen, ihn zu vernichten oder einer abgrundtiefen Scham auszusetzen. „Es ist ein wesentlicher Aspekt des negativen Vaterkomplexes des Sohnes, dass die Gesetze des Vaters gelten, und wenn diese gelten, dann gelten die Gesetze des Sohnes eben nicht. Wenn der Sohn nicht dagegen rebellieren kann – und tut er das, dann verliert er den Segen des Vaters -, dann verfällt er im Extrem in Gefühle der Nichtigkeit.“(3) Der Jüngere rebelliert, bekommt sein Erbteil – aber den Segen? Ist sein absolutes Scheitern Ausdruck dieses Gefühls von Nichtigkeit? Weniger wert zu sein, als selbst die Schweine auf dem Feld: ein starkes Bild!

2 Der Vater verbietet dem Sohn den eigenen Weg. Er bestimmt, fordert Anpassung, die aber nie gut genug ist.

„Ein zweiter Aspekt des negativen Vaterkomplexes des Sohnes besteht  darin, dass der Sohn nicht zum eigenen Weg ermutigt wird, sondern dass er den Weg gehen soll, den der Vater für ihn vorgesehen hat.“(4) Der Vater im Lukasevangelium sagt nichts zur  Forderung des Jüngeren. Wortlos zahlt er den Anteil aus. Keine Ermutigung und kein Segen. Wenn ich mir diese stumme Geste vorstelle und den Ausspruch: „Wenn Blicke töten könnten“ daneben lege, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Es ist für mich ein eisiges Schweigen, in dem mehr Vorwurf zu finden ist, als in jedem wütenden Wortschwall. Der Ältere versucht die Rebellion gar nicht erst. Er versucht sich anzupassen, schafft es aber nicht, gut genug zu sein; darauf deutet die  Verweigerung der Teilhabe durch den Vater.

Viele Familienbetriebe leben auch heute noch davon, dass die Tradition von den Kindern fortgeführt wird. Ich will dies auch gar nicht in Frage stellen. Ich wage nur zu bedenken, ob diese Kinder auch die Möglichkeit eigener Gestaltung erhalten haben und somit eigene Ideen entwickeln konnten. Wie viel Argwohn wird Neuem entgegengebracht? Und ob es immer im Sinne des Kindes war, den Betrieb zu übernehmen? Wie viele ungeträumte und ungelebte Träume finden sich wohl hinter so mancher Familientradition?

3 Zwischen Vater und Sohn herrscht Rivalität. Der Sohn bekommt keine Anstöße, sondern wird beschämt, weil er etwas (noch) nicht kann. Eine Teilhabe ist unmöglich, weil der Sohn die Anforderungen des Vaters nie erfüllen kann.

Ich stelle mir den Älteren vor, wie er Tag für Tag seine Arbeit tut, sich müht, dem Vater alles recht zu machen. Und wie er jeden Tag aufs Neue Enttäuschung erlebt, weil ihn der Vater trotz allem nicht wahrnimmt. Es ist so selbstverständlich, dass er da ist. Und es ist so selbstverständlich, dass der Vater seine Macht nicht teilt. „Man müsste immer schon auf dem Stand der Autorität sein, ist man das nicht, ist das eine Ursache, sich nichtig vorzukommen. Denn nur, wenn man wäre wie diese ‚letzte Instanz‘, hätte man die Möglichkeit, nicht mehr Opfer dieser Instanz zu werden. Aus diesem unbewussten Befreiungsversuch, so zu werden wie die letzte Instanz, was allerdings nicht die wirkliche Freiheit brächte, aber immerhin die Möglichkeit, sich aus der Opferposition zu  entwickeln, entsteht eine unheilvolle Haltung der Überforderung, die dann bewirkt, dass diese sich überfordernden Menschen an ihren unerreichbaren  Zielen scheitern müssen und sich dann einmal mehr vernichtet fühlen.“(5) Die Wut auf den Vater bei der Rückkehr des Bruders ist vielleicht ein erster verzweifelter Versuch, sich aus dieser Opferrolle zu befreien. Und sie scheitert mal wieder am Unverständnis des Vaters: Was mein ist, ist auch dein – und ich tue dennoch, was ich für richtig halte.

Beim Jüngeren ist dieser Aspekt wieder in seinem Scheitern zu finden. „Beim ursprünglich negativen Vaterkomplex erlebt der Sohn zunächst die Dominanz des Vaters, die mit einer Unterdrückung des Sohnes einhergeht. Dadurch wird unter anderem auch das Vertrauen in das eigene Tun untergraben … Und dazu kommt die Forderung, dem Vater endlich zu ge fallen, ihm gleich sein zu müssen, um endlich akzeptiert zu werden. So ist Scheitern unumgänglich.“(6) Das eigene Leben in die Hand zu nehmen, eine eigene Existenz aufzu bauen, dazu hatte er die (finanziellen) Mittel. Doch ohne Ermutigung, ohne Segen hat er bald an seinen eigenen Fähigkeiten gezweifelt. Wie oft sind  diese Selbstzweifel der Anfang vom Ende einer gerade begonnenen Ablösung. Und wie angewiesen sind wir auf die Akzeptanz, Ermutigung und den Beistand uns nahe stehender Menschen.

4 Die vorherrschenden Gefühle des Sohnes sind Schuld und Scham, verbunden mit Nichtigkeit. Und dazu kommt die Überforderung.

„Einmal ist der Sohn psychologisch überfordert: Befolgt er die Gesetze, dann ist das Schande, weil er sich dabei als einer ausweist, der sich immer noch den Gesetzen des Vaters unterzieht, nicht fähig ist, sich eigene Gesetze zu geben.“(7) Und hier begegnet uns wieder der ältere Sohn. Brav und folgsam verpasst er den Anfang seiner eigenen Entwicklung und damit die Ablösung vom Vater. In dieser „Schande“ wird er wohl verbleiben und selbst nach dem Tod des Vaters sind diese Männer oft nicht (mehr) in der Lage, eigene Akzente zu setzen, sondern sind eine meist schlechte Kopie des Vaters.

„Rebelliert er, was er zur Selbstverwirklichung müsste, dann ist das wiederum Schande, weil das vom Vater aus nicht erlaubt ist. Er ist gefangen in sich widersprechenden Gesetzen, die es ihm nicht ermöglichen, das eigene Lebensgesetz zu finden. Neben dieser psychologischen Überforderung ist eine ganz handfeste, alltägliche zu finden: nicht die Kraft des Vaters, nicht den Appetit des Vaters, nicht die Geschicklichkeit des Vaters zu haben … Diese Aufzählung lässt darauf schließen, dass dem Vater wichtig war, dem Sohn überlegen zu sein, und dass der Sohn sich von diesen lächerlichen Forderungen nicht distanzieren konnte.“(8) Der Jüngere scheitert mit dem Versuch, den eigenen Weg zu finden, und kehrt schließlich zum Vater zurück. Damit misslingt sein Versuch der Distanz endgültig und er begibt sich wieder in die Unterwürfigkeit des Vaters, lässt sich kleiden und „füttern“. Auch der Vater ist nicht in der Lage, das Kind frei zu geben, ins Leben hinaus zu lassen, obwohl in ihrer Beziehung so viel Enttäuschung und Qual zu erleben war.

Vom Abziehbild zum Original

In ihrer Einleitung schreibt Verena Kast: „Ich möchte diese Komplexe beschreiben, damit uns deutlich wird, wo wir von ihnen geprägt sind, und damit es uns in der Folge möglich wird, uns durch das Benennen und das Bewusstwerden von ihnen abzulösen, um eigenständigere und bindungsfähigere Menschen zu werden.“ Für mich haben viele Probleme heutiger Männer und Väter damit zu tun, sich dieser Komplexe nicht bewusst zu sein. Einfacher ist es, die Ursachen im neuen Selbstbewusstsein der Frauen zu suchen. Doch die eigenen männlich geprägten Anteile sind nicht zu unterschätzen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater wird allzu oft nicht geführt und es scheint wenige Vorbilder für gelingende Vaterschaft zu geben. Die Geschichte „vom verlorenen Sohn“ im Zusammenhang mit dem ursprünglich negativen Vaterkomplex zeigt aber ganz deutlich, wie notwendig Ablösung ist. „Ablösung ist ein Kompromiss zwischen dem, was das eigene Leben von einem Menschen will, und dem, was die Umwelt will, letztlich Vater und Mutter, die Lehrer, die Gesellschaftsschicht, in der wir leben. Deutliche Ablösephasen, wie die Adoleszenz, sind verbunden mit einer Aufbruchstimmung, sind Umbruchs phasen. Der Ichkomplex strukturiert sich um, das heißt, es besteht ein labiles Selbstwertgefühl.“

Eine neue Stabilität wird nur erreicht, wenn der notwendige Entwicklungsschritt gelingt. „Die Suche nach dem eigenen Weg – ohne den Segen des Vaters – ist vorrangig. Diese Suche setzt voraus, dass man den Gedanken opfert, so erfolgreich oder noch erfolgreicher zu werden als der Vater. Steigt man  einmal aus der Rivalität aus, dann  werden die Lebensgebiete sichtbar und ‚bewohnbar‘, die beim Vater ausgespart waren.“(9) Es muss gelingen, das Bedürfnis nach Akzeptanz durch den Vater aufzugeben und sich selbst die Daseinsberechtigung zu erteilen. Das eigene Leben mit Kreativität und Selbstbewusstsein zu führen und auch mutig neue Wege zu gehen. Und wer sagt uns, ob Jesus mit dem Erzählen dieser Geschichte nicht auch genau darauf verweisen wollte? An seinem Mut, neue Wege zu beschreiten und diese konsequent zu gehen, könnte sich so  mancher Mann auch heute noch ein Beispiel nehmen.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:
Da sowohl Frauen als auch Männer von den ursprünglich positiven und negativen Mutter- und Vaterkomplexen betroffen sind, wäre eine Möglichkeit, mit Hilfe der Geschichte eigene Abhängigkeiten aufzuspüren, über eigene Lebensentscheidungen und deren Folgen nachzudenken und den Umgang mit der Ablösung der nächsten Generation zu reflektieren.

Zeit: ca. 90 min

Ablauf:
1Die TN bekommen ein Blatt, auf dem eine „Lebenslinie“ gezeichnet ist. Die Einteilung kann in Fünf-Jahres-Abschnitte vorgenommen werden. Sie werden gebeten, sich an wichtige Entscheidungen in ihrem Leben zu erinnern und diese in die Skala einzutragen.

Anschließend werden folgende Fragen bedacht: Welche Bedeutung hatte diese Entscheidung damals für mich? Wie reagierten meine Eltern? Was ist daraus geworden? Welche Bedeutung hat diese Entscheidung heute noch für mich? Je nach Vertrautheit der Gruppe kann im Plenum oder in Kleingruppen ausgetauscht werden.

2 Der Text Lk 15,11-32 wird gelesen, anschließend für jede in Kopie verteilt. Die Gruppe wird gebeten, den Text zu untersuchen: Wer trifft hier welche  Entscheidung? Wie reagieren die  anderen genannten Personen? Welche  Konsequenzen hat die Entscheidung (1) für jeden selbst und (2) für die anderen beiden?

Die Leiterin macht mit Hilfe der Erläuterungen oben die Abhängigkeitsverhältnisse (Komplexe) von Vater und Söhnen im Lk-Text sichtbar und damit die Blockierung der Entwicklung beider zum eigenständigen Leben.

4 Gesprächsrunde mit Impulsen:
Wie viel Freiheit und wie viel Unterstützung braucht die eigene Entwicklung und die von Kindern überhaupt?
Wie ist es möglich, uns von einengenden Bindungen zu lösen und uns selbst die Daseinsberechtigung zu geben, die wir nötig haben?
Was heißt es, „ich selbst“ zu sein?
Wie ist meine Ablösung von den eigenen Eltern gelungen?
Welchen Rat würde ich werdenden Vätern geben im Blick auf den Umgang mit dem neuen Leben?

Ilona Helena Eisner, Jg. 1966, ist Pädagogische Referentin und hat elf Jahre als Referentin bei der Frauenarbeit der EKM gearbeitet. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe ahzw.

Anmerkungen:
1 Übersetzung: Luzia Sutter Rehmann, aus: „Bibel in gerechter Sprache“, hg. von Ulrike Bail u.a., (c) Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2006
2 Bettina Eltrop, S. 35
3 Verena Kast, S. 228
4 ebd., S. 230
5 ebd., S. 233
6 ebd., S. 233f
7 ebd., S. 232
8 ebd., S. 233
9 ebd., S. 245

Verwendete Literatur:
Bettina Eltrop: Denn solchen gehört das Himmelreich, Stuttgart (Verlag Ulrich E. Grauer) 1996
Verena Kast: Vater-Töchter Mutter-Söhne, Stuttgart (Kreuz Verlag) 1994
Luise Schottroff: Das Evangelium der Armen in Jesu Gleichnissen, unveröffentlichte Bibelarbeit, Bielefeld 2007
Luise Schottroff, Marie-Theres Wacker (Hgg.): Kompendium Feministische Bibelauslegung,  Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1998

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