Alle Ausgaben / 2011 Material von Reinhard Mey

Der Nasenmann

Von Reinhard Mey

Ich nehm' den Fahrstuhl früh am Morgen, dräng' mich zwischen die Meute
Nehm' die Witterung auf: Lauter wohlduftende Leute
Eingesprüht und eingekremt und eingepfercht, dicht beieinander
Davidoff und Calvin Klein, Döner Kebap und Jil Sander.
Von hinten Joop, von vorne Dior, und als der Fahrstuhl hält,
Steigen noch zwei dazu, HB und Lagerfeld.
Im 4. Stock paaren sich 4711 und Odol
Und im 6. Chanel No. 5 mit Restalkohol.
Stylinggel, Intimspray, der Fahrstuhl wird noch voller,
Im 8. Stock versagt schon mal der Deo-Roller.
Das Anhalten, das Losfahr'n, Magensenken-Magenheben,
Body-Lotion, After-Shave, ich glaub' ich muss mich übergeben.
Es ist so eng, dass ich mich kaum erbrechen kann,
Es gelingt mir schließlich doch – ich bin der Nasenmann!

Ich trag' ein N auf meiner Mütze, das zeigt dir an:
Ich bin der Rächer der Geruchlosen, der Nasenmann.
Nimm das Z von Zorro, dreh's um 90 Grad und dann
Wird aus dem Z ein N und das heißt Nasenmann!

Ich hab 'ne Karte für Nabucco, Parkett, 5. Reihe, Mitte,
Mein Nachbar transpiriert kalten Tabak und kalte Fritte
Und in der Reihe vor mir erinnert mich ein Opa
Vom Geruch her unerhört an das Phantom der Oper.
Mein Hintermann lehnt sich vor und schnauft mir aufgeregt ins Ohr,
Der riecht allein schon wie der ganze Gefangenenchor.
Die Dame neben mir verströmt den schweren Maiglöckchenduft
Gleichzeitig, scheint mir, kommt ihr Atem gradewegs aus der Gruft.
Und aus der räudigen Pelzjacke spür' ich den ungesunden
Hauch von Mottenkugeln und nassen deutschen Schäferhunden.
Passt auf, ihr Opernfreunde, jetzt geb' ich mir die volle
Dröhnung, 'ne als Konfekt getarnte Knoblauchknolle.
Woll'n doch mal seh'n, ob ich die Oper nicht allein hören kann.
Die Reihe lichtet sich – ich bin der Nasenmann!

Du kennst mich als Ästhet, du kennst mich sonnig, mild und friedlich.
Doch jetzt werd' ich militant, jetzt bin ich gar nicht appetitlich.
Es geht um Umweltverpester und Atemluftverbraucher,
Um Körperverletzer und um Zigarrenraucher.
Im Restaurant das niederträchtige Parfum-Attentat,
Die Ohnmacht, wenn man dem nichts entgegenzusetzen hat.
Es geht um Nasenbeleidigung, eine Form von Gewalt,
Feige Geruchsverbreitung aus dem Hinterhalt.
Es geht um Teufelswerk wie Tannenduft auf der Toilette,
Wo es dann riecht, als ob da wer in den Wald genotdurft hätte.
Du kannst die Augen schließen, Pfropfen in die Ohren treiben,
Nur die Nase muss atemtechnisch leider immer offen bleiben.
Drum brauchst Du einen, der furchtlos für dich stänkern kann,
Du brauchst 'nen Freund wie mich – du brauchst den Nasenmann!

Du schnuchelst und du schnüffelst und du schnupperst mich an.
Keine Angst, trau dich ran – ich bin der Nasenmann!

aus:
Taschenbuch „Alle Lieder“
© Edition Reinhard Mey Berlin

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