Alle Ausgaben / 2013 Material von Barbara Driessen

Haustiere helfen bei Krisen und Krankheit

Von Barbara Driessen


Wenn Jonas (11) von der Schule nach Hause kommt, streichelt und knuddelt der Kölner als erstes seine Katze. Dann spielt er mit ihr, zieht eine Spielzeugmaus an einem Stock über den Boden, die Katze springt hinterher. Das hilft ihm, nach einem langen Schultag abzuschalten. Mit Tieren aufzuwachsen oder engen Kontakt zu Tieren zu haben sei sehr wichtig für Kinder, sagt Psychologin Andrea Beetz, die an den Universitäten von Rostock und Wien lehrt: „Das ist einfach gut für die Empathieentwicklung.“

Kinder, die schon früh die Verantwortung für eine Katze oder einen Hund übernehmen und sich zuverlässig um das Tier kümmern, gelten als einfühlsamer. Im sozialen Umgang mit anderen Menschen sind sie oft kompetenter als andere Kinder. „Sie haben eine höhere Kontaktfähigkeit, eine bessere Selbstbehauptung und zeigen weniger Aggressivität in der Schule“, sagt der Psychologe Reinhold Bergler. Er hat bereits 1980 an der Universität Bonn eine Forschungsgruppe zur Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung gegründet.

Einen Hund zu haben, kann für Kinder in schwierigen Lebenslagen eine große Stütze sein, etwa dann, wenn sich die Eltern trennen oder ein Umzug in eine andere Stadt ansteht. „Der Hund bleibt eine feste ‚Bezugsperson', die das Einsamkeitsgefühl nimmt und positive Effekte stimuliert“, meint Bergler, der auch Vorsitzender des Forschungskreises Heimtiere in der Gesellschaft ist. Das Tier symbolisiere ein Stück Normalität; wenn das Kind mit dem Hund rausgeht, kommt es auch mit anderen Kindern in Kontakt.

Werden Tiere im Schulunterricht eingesetzt, sind die Schüler motivierter und weniger aggressiv: „Sie sind einfach entspannter und haben weniger Angst, sich zu blamieren“, sagt Andrea Beetz, die auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie forscht und in Klassenräumen Schulhunde oder Meerschweinchen zum Einsatz bringt. Der Effekt bei den Kindern sei selbst körperlich messbar: „Der Puls geht runter, und es werden weniger Stresshormone ausgeschüttet.“

Doch nicht nur auf Kinder, auch auf Erwachsene haben Haustiere oft einen sehr positiven Einfluss: Gerade Katzen sind dafür bekannt, mit ihrer ruhigen, bedächtigen Art den Blutdruck ihrer Besitzer zu senken – oft wirksamer als Arzneimittel. In einer umfangreichen Studie fand Reinhold Bergler heraus, dass Katzen ihren Besitzern bei der Bewältigung von Lebenskrisen helfen, etwa bei Arbeitslosigkeit, Verlust des Partners und schwerer Krankheit.

Von der Testgruppe ohne Katze nahmen fast zwei Drittel der Betroffenen die Hilfe eines Psychotherapeuten in Anspruch – von den Katzenbesitzern jedoch kein einziger. „Die Katze wirkt hier als Katalysator. Mit ihrer unaufdringlichen, aber gleichbleibenden Zuwendung führt sie den Menschen langsam wieder aus seiner Sprachlosigkeit heraus“, urteilt Bergler. Katzenhalter entwickelten aktive Verarbeitungsmechanismen und eine positivere Grundhaltung als andere.

Auch ein Wellensittich als Haustier kann erstaunliche Effekte haben: Für eine andere Studie stattete Bergler 225 Altenheimbewohner mit jeweils einem Wellensittich aus. „Nach acht Wochen wollten wir die Vögel eigentlich wieder abholen, aber niemand wollte seinen abgeben.“ Die Tiere hätten die gesamte Atmosphäre in den Heimen verändert: „Die Menschen hatten plötzlichen einen neuen Lebenssinn und eine Aufgabe. Sie vergaßen die eigenen Wehwehchen, die Vögel wurden zum ständigen Gesprächsthema, die Bewohner waren viel selbstständiger und ausgeglichener“, sagt der Psychologe. „Tiere können sehr hilfreich bei der Pflege von Menschen sein, die motorisch wie kognitiv eingeschränkt sind“, sagt die Psychologin und Krankenschwester Christine Sowinski, die beim Kuratorium den Bereich Beratung von Einrichtungen und Diensten leitet. Die Tiere führten dazu, dass ältere oder pflegebedürftige Menschen selbstständiger und aktiver würden. „Demenzkranke, die einen Hund haben, reden mehr, sind ausgeglichener und schlafen nachts besser“, sagt sie. Ausgebildete Therapiehunde könnten sehr sinnvoll bei der Pflege helfen und es alten Menschen ermöglichen, länger eigenständig zu Hause zu leben. Sie findet: „Eigentlich müsste jeder, der gern möchte und der für eine artgerechte Haltung sorgen kann, einen eigenen Therapiehund bekommen.“

Plötzlich ein neuer Lebenssinn – Haustiere helfen Kindern
wie Erwachsenen bei Krisen und Krankheit
leicht gekürzt
© epd-Südwest

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang