Ausgabe 1 / 2021 Material von Gabriele Schlesiger

Ohne Wenn und Aber

Von Gabriele Schlesiger

Hilfe, in meiner Brust brennt es. Ich darf nicht schreien.
Sehe Licht am Horizont. Stockfinster. Eiskalt. Stockfinster.
Das Boot ist defekt. Die Luft geht raus. // Alles verschwindet im Wasser.
// Wir sinken. Schwimmwesten.
Wir haben „Himmel sei Dank“ Schwimmwesten an. Ich darf nicht rufen.
Wo sind meine Kinder? Wo ist mein Mann? Kurz vor dem Ziel.
Dunkel. Schwarz. In der Nacht siehst du auf dem Meer nichts. Einfach nichts.
// Versuchen an Land zu schwimmen. // Wir haben es geschafft.
Warten am Strand im Dunkeln. Es fehlen Väter, Mütter, Kinder.
Wo sind sie? Ertrunken im Mittelmeer.

Diese Familie habe ich begleitet und mit ihnen vier Monate zusammengewohnt. Heute, sechs Jahre später, sind die Kinder auf dem Gymnasium, der Vater arbeitet als Arzt in einer Klinik.

Zählt Menschleben auf dem Mittelmeer? Diese Frage stelle ich mir seit Jahren. Das Mittelmeer ist zum tödlichsten Gewässer der Welt geworden. Wie kann es sein, das von 2014 bis heute über 21.000 Geflüchtete an Europas tödlicher Seegrenze ertrinken mussten? Allein 2016 starben 5.000 Geflüchtete auf dem Seeweg nach Europa und 2020 immer noch 1.166. Die Zahlen der Toten und Vermissten können jedoch nur Schätzungen sein. Die genaue Zahl wird für immer im kalten Dunkel bleiben.

Eine stärkere Koordinierung und mehr Solidarität aller EU-Mitgliedstaaten ist hier gefragt. Such- und Rettungskapazitäten müssen erweitert werden. Es muss Regelungen zur Anlandung an Häfen geben.


Schutz von Leben und grundlegende Menschenrechte müssen oberste Priorität sein. Rettung auf See ist eine absolute Verpflichtung nach dem Völkerrecht und ein humanitärer Imperativ ohne Wenn und Aber.

Das gilt natürlich auch und besonders in Corona-Zeiten. Quarantäne, Gesundheitschecks und andere Maßnahmen müssen gewährleistet werden um dem Anliegen der Anrainerstaaten gerecht zu werden. Das heißt auf keinen Fall, Seenotrettung auszusetzen. Immer öfter werden Boote wieder zurückgetrieben, beschädigt oder die Geflüchteten bewusst auf dem Meer in Gefahr gebracht. Unter dem Motto: Bekommen sie Hilfe, kommen noch mehr.

Nordeuropa sieht nicht, wie Menschen ertrinken. Wir alle lassen die Anrainerstaaten alleine. Wir schotten uns ab und stecken den Kopf in den Sand.

Und genau hier setzt Hand in Hand Rettungskette für Menschenrechte e.V. ein Zeichen. Ein wichtiges Zeichen mit über 60 Initiativen, die untereinander vernetzt sind für Menschlichkeit, für Menschenrechte und gegen das Sterben im Mittelmeer.

Menschenrechte gelten universell. Aus diesem Grund hat die Rettungskette, eine Gruppe von Menschen aus Deutschland, Österreich und Italien, diese Initiative gegründet. Es wird eine ideelle Menschenkette von Norddeutschland bis zum Mittelmeer geben. Die Rettungskette steht mit vielen Verbündeten (Kirchen, Gewerkschaften, Einzelinitiativen, Seenotrettungsgruppen, Künstler*innen etc.) geschlossen am 18. September 2021 für ein geeintes Europa und gegen die Angst- und Abschottungspolitik.

Die Rettungskette fordert mit ihren Verbündeten ein Europa, das keine Festung baut, sondern alle Menschen so behandelt, wie sie sind: gleich und frei in Würde und Rechten.

Umso mehr Menschen mitwirken, desto stärker das Zeichen, das wir setzen. Wenn Sie sehen möchten, was in Ihrer Nähe geplant ist und wo Sie sich anschließen können, können Sie alle Informationen bei uns erhalten.
Hand in Hand Rettungskette
für Menschenrechte e.V.

www.rettungskette2019.de
Kontakt: info@rettungskette2019.de

Gabriela Schlesiger Dipl. Päd., verh. 1 Tochter, lebt in Freiburg und arbeitet seit 2015 mit geflüchteten Frauen und Mädchen im Frauenraum. Sie ist Lehrerin und Ansprechpartnerin für Hochbegabung, Theater Freiburg Kopfstand.

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