Die kleine „Meditation mit Zweigen und welkem Herbstlaub“ begegnet mir bei der Vorbereitung dieser Arbeitshilfe. Ich soll die Augen schließen und den Zweig in die Hand nehmen, soll die Knospen ertasten, die so unscheinbar sind, dass sie unter den verdorrten Blättern leicht übersehen werden. Soll verstehen: Das Blatt stirbt, aber die Knospe darunter steckt voller Leben. Noch ist nichts davon zu sehen. Geheimnis des Glaubens – im Tod ist das Leben.
Ausprobieren kann ich die vorgeschlagene Übung in spiritueller Achtsamkeit jetzt nicht. Das welke Herbstlaub vom letzten Jahr ist längst abgefallen, selbst der späte Apfelbaum steht bereits in voller Blüte. Doch das Bild lässt mich nicht los, tagelang kreisen meine Gedanken darum.
Zugleich regt sich innerer Widerstand. Bin ich doch so gar kein „meditativer Typ“, suche und finde Nahrung eher in einem geistvollen biblischen oder theologischen Text als in geistlichen Übungen. Die Skeptikerin in mir bekommt Oberwasser. Was soll das bringen? Lenkt es nicht von dem ab, was zählt: sich mit aller Kraft einzusetzen für das Leben, einzutreten für Gerechtigkeit, für Frieden? Oder stimmt doch, dass sorgsame Pflege des geistlichen Lebens auch achtsamer für das alltägliche Leben macht?
Mitten in meiner Diskussion mit mir selbst entfaltet sich vor meinem inneren Auge eine längst vergessene Szene. Frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit – im Bus auch wieder die zierliche junge Frau, die an ihrer Haltestelle nie die Rampe ausfahren lässt, sondern ihren Rollstuhl mit einem kräftigen Griff in die Räder auf den Bürgersteig schwingt. Sie sieht nicht, dass der Höhenunterschied wegen der Straßenbauarbeiten diesmal größer ist, der Rolli kracht so schwer auf die Straße, dass eins der Räder blockiert. Verzweifelt versucht sie, das Rad wieder zu lösen. Vergebens. Wütend schwingt sie sich aus dem Rollstuhl auf die Straße, vom Sitzen direkt auf die Knie – dann fährt der Bus los. Wie gelähmt habe ich die Szene beobachtet. Fühle auch jetzt wieder die tiefe Scham, nichts getan zu haben. Hoffe, dass die Bauarbeiter geholfen haben.
Zufall, dass mir dieses Bild gerade jetzt wieder einfällt? Oder sollte die kleine, nur nachgelesene Meditation mit Zweigen und welkem Herbstlaub tatsächlich meine Achtsamkeit für das ganz alltägliche Leben geschärft haben? Wie auch immer – wer achtsam mit sich selbst umgeht, wird unweigerlich auch aufmerksamer wahrnehmen, was um sie, was um ihn herum vorgeht. Darum achten Sie auf sich, achten Sie auf die Menschen, die Ihnen nahe sind, achten Sie aufeinander in Ihren Gruppen. Und bleiben Sie, nicht zuletzt, geborgen und behütet in der liebenden Achtsamkeit Gottes für Sie.
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