Über die Grenzen, die Sch(m)erzgrenzen und die Schattenseiten des Lachens nachzudenken – dieser „Denksportaufgabe“ hat Pfarrer Siegfried Eckert aus Bonn-Friesdorf sich auf Bitten der ahzw gestellt. Wir laden ein, mit ihm ins Gespräch über seine spannenden Erfahrungen und anregenden Gedanken zu kommen …
Einstieg
3-5 Frauen treten auf und erzählen Witze: harmlose und solche, die hart an der Schmerzgrenze sind.
Eine: Mit den Witzen ist das ja so eine Sache. Wie ging es Ihnen damit? – Stellen Sie sich vor: Quer durch den Raum läuft eine Linie. Ein Stimmungsbarometer! Die Skala reicht von 10 „Ach, was habe ich gelacht!“ bis 1 „Da ist mir das Lachen im Halse stecken geblieben!“ Wie ging es Ihnen mit den Witzen vorhin? Stellen Sie sich spontan auf den für Sie gerade passende Platz der Skala.
Nachdem sich alle aufgestellt haben, werden einzelne Frauen befragt: „Sie haben sich hier aufgestellt. Warum?“ Ergänzend oder alternativ können die Frauen auch zum Austausch untereinander eingeladen werden.
Talkrunde
Eine: Wir freuen uns, dass wir heute einen spannenden Gast bei uns begrüßen dürfen. Siegfried Eckert ist Dorfpfarrer in Bonn-Friesdorf – und Kabarettist. Auf dem Kirchentag in Hamburg hat er den 1. Church Comedy Club ins Leben gerufen, mit dem Wissenschaftskabarettisten Vince Ebert und dem jüdischen Comedian Oliver Polak. Besonders Polak überschreitet mit seinem Humor gerne die Schmerzgrenze des guten Geschmacks. „Doch er ist Jude, er darf das!“, sagt Eckert. Auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München war er so genervt vom Zustand der „Missbrauchs-Ökumene“, dass er mit Jürgen Becker und Eckart v. Hirschhausen ein „Ökumenisches Freudenfest“ mit der Musikerin Judy Bailey veranstaltete. Sein Motto: „Diese Ökumene kannst Du nur mit Humor ertragen“. – Herr Eckert, schön, dass Sie bei uns sind. Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen von Humor und Kirche?
Wer sich einsetzt, setzt sich aus. Wer sich als Kirche auf Kabarett einlässt, kann sich nie sicher sein, dass jeder Witz politisch korrekt ist und alle Lacher oberhalb der Gürtellinie landen. Besonders das politische Kabarett lebt von der Narrenfreiheit, auf dem schmalen Grad von Grenzverletzungen zu balancieren. Gibt es einen point of no return, an dem herzhaftes Lachen in verletzenden Humor umschlägt? Wann wird aus geistreicher Ironie schäbige Schadenfreude? Wo kippt das mit Wortwitz „Aufgespießte“ gar in die Verletzung religiöser Gefühle um? Kurzum: wo hört der Spaß auf? Gibt es eine Ethik des guten Humors, gar einen humoristischen Imperativ? Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem andern zu?
Im Herbst des Jahres 2012 lud ich in meiner Dorfkirche zu einer 1. Kabarettistischen Glaubenswoche ein. Margie Kinsky, Bill Mockridge, Vince Ebert, Oliver Polak, Jürgen Becker, Eckart v. Hirschhausen, Manfred Lütz und Oliver Welke waren gekommen. Wir bauten die Kirche zur Kabarettbühne um. Ohne Zensur durfte die jeweilige humoristische Weltsicht zum Besten geben werden. Im Vorfeld wurde ich öfter gefragt, ob ich keine Angst hätte vor Geschmacklosigkeiten oder Blasphemie? No risk, no fun, war meine Antwort mit nötigem Gottvertrauen. Als Gastgeber trage ich Verantwortung für klare Rahmenbedingungen. Für ihre Inhalte haben die Künstler die Gewähr zu übernehmen. Von erwachsenen Menschen Benimmregeln in der Kirche einzufordern, ist nicht meine Aufgabe.
Zugegeben – es gab Momente, da blieb selbst mir das Lachen im Halse stecken, war Fremdschämen angesagt, empfand ich manche Zote unpassend für Bad Godesberger Bildungschristen. Doch unterm Strich war es eine tolle Woche, mit 3000 Besucherinnen und Besuchern und vielen frohen Gesichtern. Keine(r) brauchte in meiner Kirche zum Lachen in den Keller zu gehen. Wir waren so frei, als freie Christenmenschen, den Närrinnen und Narren um Christi willen ein kabarettistisches Denkmal zu setzen. Im Herbst 2014 werden wir es wieder sein.
Am meisten gefreut hat mich die Toleranzfähigkeit der Gemeinde. Sieben Jahre zuvor war ich hier mit dem Bibelwort „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Traurigen“ eingeführt worden. Als frisch fusionierter Erstversuch im Kirchenkreis lagen schwere Zeiten hinter ihr. Zum Lachen war keiner und keinem zumute. Zu viele Tränen waren geflossen. Umso mehr plädierte ich in meiner ersten Predigt für eine Kirche mit Bandbreite. Wo getauft und beerdigt wird, darf weiter gelacht und geweint, getanzt und geschwiegen, gefeiert und gestritten werden. „Lachen oder Weinen, soll gesegnet sein“, heißt es in einem Segenslied unserer Zeit. Was haben Sarah und Abraham gelacht, als sie erfuhren, dass sie nach hundert Jahren Unfruchtbarkeit endlich schwanger waren. Deshalb nannten sie ihr Kind Isaak, was so viel bedeutet wie: „Ich habe gelacht“.
Wissen Sie was? Ich möchte mir keine weiteren Gedanken über die verletzende Seiten des Humors machen. Es gibt sie – jedoch eher als Grenzfälle. Im Regelfall hat der Humor eine befreiende, Milieu überschreitende, interkulturell verbindende Seite. Jüdischer oder britischer Humor sind gar zu Markenzeichen ganzer Völker geworden. Das Lachen macht den Menschen kulturübergreifend aus, wie das Küssen.
Eine: Danke für dieses Statement, Herr Eckert. Wir reden gleich weiter. Hören wir aber zunächst, was Ihr Publikum hier dazu denkt. Die verletzenden Seiten des Humors gebe es nur als Grenzfälle, sagt Herr Eckert, und betont die befreiende und verbindende Seite des Humors. Wie sehen Sie das? Kommen wir darüber ins Gespräch! – evtl. zunächst Murmelgruppen; der letzte Absatz „Ich möchte mir keine …“ liegt auf den Tischen aus
Eine: Herr Eckert, unsere Gesprächszeit neigt sich langsam dem Ende zu. Gibt es etwas, das Sie uns noch mit auf den Weg geben möchten?
Manchmal zwinge ich mich, die ärgerlichen Seiten des Lebens mit mehr Humor zu sehen. Schwarzer Humor ist dann immer noch besser, als alles nur schwarz zu sehen. Eckart v. Hirschhausen wirbt für seine Stiftung „Humor hilft heilen“ mit dem Verkauf roter Clowns-Nasen. Er empfiehlt, sie in ärgerlichen Situationen aufzusetzen, um dem unfrohen Moment ein anderes Gesicht aufzusetzen, zum Beispiel, wenn du im Stau stehst.
In den letzten Monaten habe ich mir ein Buch von der Seele geschrieben, in dem ich der EKD eine rote Nase aufsetze. Es trägt den Titel „2017. Reformation statt Reförmchen“. Inhaltlich geht es um die unbefriedigenden Reformbemühungen in der EKD und eine spaßfreie Vorbereitung des anstehenden Reformationsjubiläums. Ich schließe mit einer Kostprobe:1
Mein erster Supervisor lehrte mich: Gib am Ende dem Bären Honig. Jede Gruppensitzung schloss mit einer Wohltat. Die Süße des Honigs sollte infrage gestellten Seelen auf die Beine helfen. Mit einer wohltuenden Geschichte will ich auf die Zielgerade … gehen, die ihren Ort hatte auf einer Konfirmation, die ich unter dem Motto feierte: „Das Glück kommt selten allein“. Die Idee war dem Buchtitel von Eckart von Hirschhausen entlehnt. Eine Konfirmandenmutter las statt des Evangeliums die Pinguin-Geschichte von Hirschhausen als frohe Botschaft vor.2 Sie geht ungefähr so und soll tatsächlich passiert sein:
Vor Jahren war Herr Hirschhausen als Moderator auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert. Jeder denkt da: „Tolle Sache“. Das dachte Hirschhausen auch, bis er auf das Schiff kam. Dort merkte er schnell, was das Publikum betraf, er war auf dem falschen Dampfer. Die Gäste hatten sicher einen Sinn für Humor, nur hatte er diesen nicht bei ihnen finden können. Kurz gesagt – er war auf der Kreuzfahrt kreuzunglücklich. Nach einigen Tagen auf See erreichte er festen Boden. Er ging in den Zoo. Oder besser gesagt: Er wankte. Im Zoo sah er einen Pinguin verloren auf einen Felsen stehen. Hirschhausen dachte: „Du hast es ja auch nicht besser als ich. Immerzu Smoking? Wo ist eigentlich deine Taille? Die Flügel zu klein. Du kannst nicht fliegen. Und vor allem: Hat der Schöpfer bei dir die Knie vergessen?“ Sein Urteil stand fest: Fehlkonstruktion. Dann ging unser Zoobesucher eine Treppe hinunter und sah durch eine Glasscheibe in das Schwimmbecken der Pinguine. Da sprang „sein“ Pinguin ins Wasser, schwamm dicht vor sein Gesicht, schaute ihn an, und er spürte, jetzt hatte der Pinguin Mitleid mit ihm. Er war in seinem Element.
Unser wissbegieriger Doktor machte sich kundig: Ein Pinguin ist zehnmal windschnittiger als ein Porsche! Mit der Energie aus einem Liter Benzin kommt er über 2500 km weit! Pinguine sind hervorragend geeignet zu schwimmen, zu jagen, zu spielen – und im Wasser Spaß zu haben. Sie sind besser als alles, was Menschen jemals gebaut haben. Von wegen Fehlkonstruktion. Diese Erfahrung erinnerte Hirschhausen an zwei Dinge: erstens, wie schnell man seine Urteile über andere fällt. Und zweitens: wie wichtig das Umfeld ist, damit das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt.
Daraus folgerte unser Humorist: „Menschen haben die Tendenz, sich an allem festzubeißen, was sie nicht können. Viele unternehmen sogar große Anstrengungen, um ihre Macken auszubügeln. ‚Verbessert' man seine Schwächen, wird man eventuell mittelmäßig. Stärkt man seine Stärken, wird man einzigartig. Wenn wir denken: ,Ich wäre gerne so wie die anderen', kleiner Tipp: ‚Andere gibt es schon genug!' Viel sinnvoller, als sich mit Gewalt an die Umgebung anzupassen, ist es, das Umfeld zu wechseln. Menschen ändern sich nur selten. Wer als Pinguin geboren wurde, wird auch nach sieben Jahren Therapie keine Giraffe mehr werden. Und wenn du merkst, du bist ein Pinguin, schau dich um, wo du bist. Wenn du feststellst, dass du dich in der Wüste aufhältst, liegt es nicht nur an dir, wenn es nicht ‚flutscht'. Alles, was es braucht, sind Schritte in die Richtung deines Elements. Finde dein Wasser. Spring ins Kalte! Und schwimm! Und du weißt, wie es ist in deinem Element zu sein.“
Eine: Herzlichen Dank für diese wunderbare Geschichte. Sie wirft die Frage auf: Welches Umfeld braucht Humor? In welchem „Element“ müssen wir sein, dass Humor wachsen und aufblühen kann? – Austausch
Eine: Ihr abschließendes Statement, Herr Pfarrer?
„Verbessert man seine Schwächen, wird man eventuell mittelmäßig. Stärkt man seine Stärken, wird man einzigartig. Lebe in deinem Element!“ Für mich ist das Evangelium! Lebe in deinem Element … – Es macht keinen Sinn, ein Kamel werden zu wollen, wenn du ein Frosch bist. Wir wären nicht in unserem Element, würden wir weiter zu einem Konzern mutieren, Gemeindeglieder als Kunden ansehen und die Welt zum Basar machen. Wir sind in unserem Element, wenn wir uns unserer Geschichten vergewissern, der Toten erinnern und im Leben den Tod nicht verdrängen. Wir sind in unserem Element, wo Gottes Geist weht, wie er will, und wir als Kirche Verantwortung für die Zukunft übernehmen im Wissen, hier haben wir keine bleibende Stadt.
Kirche ist in ihrem Element, wo sie die Trennung von sakral und profan überwindet und die gebotene Distanz zur Welt einhält, sie ihren vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt und den Sonntag als Fest des Lebens feiert. Kirche ist in ihrem Element, wo sie ihre Berührungsängste vor Aussätzigen und Andersdenken verliert und Aufklärung betreibt; den Reichtum der Kultur als Lebensäußerung begabter Gotteskinder achtet und jeglichem Fundamentalismus wehrt. Wir sind in unserem Element, wo Spiritualität kein Fremdwort ist, sondern als tägliches Ein- und Ausatmen göttlicher Gegenwart genossen wird. Nicht zuletzt ist der Mensch in seinem Element, wenn er seinen Humor nicht verliert.
„Der Humor weist eine große Nähe zur Religion auf. Im Humor verweigert sich das Ich …, sich durch die Realität kränken oder zum Leiden nötigen zu lassen. Humor ist eine Form, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen … Im Humor kann ich mich von mir selbst distanzieren und verliert das Handeln seine Bissigkeit. Der Humor relativiert die eigenen Überzeugungen, Sehnsüchte und Verletzungen. Der Humor verweist wie Religion ‚auf die Relativität von Wissen, Standpunkt und Perspektive', beide ‚wehren somit der Gefahr, sich in Sicherheit zu wiegen'.“3
Luther verlor seinen Humor nicht, gerade wenn er mit sich und seinen Welten am Ringen war. In einer Erklärung zur Taufe schrieb er: „Der alte adam in uns durch tegliche reuw und busz soll erseufft werden und sterben mit allen sünden … aber paß auf das Biest kann schwimmen.“4
Eine: Drei Gründe führt Siegfried Eckert an, um die Nähe zwischen Humor und Religion zu begründen: Erstens weigern sich beide, sich von der Realität kränken zu lassen, und trotzen so den Widrigkeiten des Lebens. Zweitens: Humor und Religion ermöglichen es, uns von uns selbst, von unserem eigenen Wollen und unserer Bissigkeit zu distanzieren. Und drittens verweisen beide darauf, dass unser Wissen und unsere Standpunkte relativ sind, dass wir uns also nie allzu sicher sein können. Sehen wir das auch so? Haben wir Erfahrungen, die für (oder gegen) diese These sprechen? – vorletzter Absatz „Der Humor weist … in Sicherheit zu wiegen“ liegt auf den Tischen aus; Austausch
Eine: Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Eckert! Und danke allen für die anregenden Gespräche an den Tischen – und dass auch bei uns hier keine zum Lachen in den Keller muss.
Siegfried Eckert, Jahrgang 1963, ist Pfarrer der Ev. Thomaskirchengemeinde Bad Godesberg. Er ist Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn, Autor verschiedener Predigtstudien, Aufsätze und Bücher und verantwortlich für zahlreiche Veranstaltungsreihen im Bereich Kirche und Kultur.
Vorschlag für die Arbeit in der Gruppe:
Simone Kluge, Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw.
Anmerkungen
1) Siegfried Eckert: 2017. Reformation statt Reförmchen, Gütersloh 2014, S. 256ff
2) vgl. Eckart von Hirschhausen: Glück kommt selten allen, Reinbek (Rowohlt) 2009, S. 355ff
3) Isolde Carle: Kirche im Reformstress, Gütersloh 2010, S. 222
4) Zitiert nach Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München (C.H.Beck) 2013, S. 177f
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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