Kann ich dieser Erinnerung trauen? Ich stehe – ein kleines Mädchen noch – zwischen Mutter und Großmutter. Die Frau vor uns hat ein weißes Kleid an. Ich finde sie schön und mache einen Knicks. Mir gefällt es gut bei den vielen Frauen. Die Frau mit dem weißen Kleid hält eine lange Rede und alle klatschen. Ich auch. – Viele Jahre später finde ich in Protokollbüchern auch Berichte dieser Art: „Unsere verehrte Landesverbandsvorsitzende Agnes von Grone nahm an unserem Kreisverbandsfest teil. In ihrer wamherzigen und humorvollen Art hielt sie eine Rede über unsere Aufgabe als evangelische Frauen in heutiger Zeit.“
Als Kind mit neugierigen Ohren höre ich den Namen Agnes von Grone immer wieder. Oft ist ein besorgter Unterton dabei. Noch ein anderer Name wird genannt: Gertrud Scholtz-Klink. Ich verstehe nicht, worum es geht, und es erklärt mir niemand ….
Lange nach dem Krieg – sie ist 86 Jahre alt und hat den Vorsitz im Landesverband schon abgegeben – begegne ich Agnes von Grone wieder. Sie gibt vor 2000 Frauen ihre Erfahrungen aus langen Amtsjahren weiter. Als ich vor ihr stehe, sagt sie: „Wie schön, liebes Kind, daß Ihr immer wieder nachwachst!“
Ein Briefwechsel entwickelt sich, denn natürlich bleibt sie interessiert an Nachrichten aus ihrem einstigen Wirkungsbereich. Vielleicht treibt sie auch Unruhe um, ausgelöst durch kritische Fragen nach ihrem Verhalten während der nationalsozialistischen Zeit. Sie verteidigt sich, beschreibt die Zwänge dieser Jahre, weist auf die Verantwortung hin, die sie für tausende evangelischer Frauen nicht nur im Landesverband der braunschweigischen Frauenhilfe, sondern ab 1933 auch als Vorsitzende des Frauenwerkes der Deutschen Evangelischen Kirche zu tragen hatte. Im Juni 1980 bekommt die 90jährige Besuch von dem rheinischen Pfarrer Fritz Mybes. Er arbeitet an einer Geschichte des Evangelischen Frauenwerkes. Einen halben Tag lang spricht sich Agnes von Grone diese Geschichte von der Seele. Wenige Tage später stirbt sie …….
Kenntnis von Herkunft und Lebensverhältnissen macht uns ihr Denken und Handeln verständlich: 1889 wird sie als Agnes von Hammerstein in Schwerin geboren. 1909 – heiraten sie und Siegfried von Grone – die Braut ist 20 Jahre jung. Schon zu Beginn des 1. Weltkrieges wird der Ehemann schwer verwundet. Die Kopfverletzung wird ihn für seine weiteren Lebensjahre bei der Leitung seines landwirtschaftlichen Betriebes behindern. Seine Frau muß in diese Aufgabe hineinwachsen, und sie erzieht auch die 4 Kinder. Nun kommen die Jahre, in denen man sagen wird: “ Mit Anni Grone kann man nur noch über Kühe und Kirche reden! Sie kämpft ja nicht nur für den Erhalt des Gutes, sondern steht auch ein für die Ziele der Ev. Frauenhilfe, die 1899 von Kaiserin Auguste Viktoria ins Leben gerufen worden ist. 1913 gründet sie die Frauenhilfe in Westerbrak, übernimmt die Leitung.
Im selben Jahr entsteht der Landesverband Braunschweig – mit einem Mann an der Spitze. Erst 1925 kann eine Frau den Vorsitz übernehmen, Agnes von Grone wird berufen und bleibt 36 Jahre im Amt. Sie schätzt den Wert der Laienbewegung Frauenhilfe hoch ein und bringt das nötige Selbstbewußtsein, das sie für die Zusammenarbeit mit den Kirchenvertretern braucht, mit. Die braunschweigische Frauenhilfe gedeiht in jenen Jahren und genießt hohes Ansehen.
„An Mut hat es meiner Mutter nie gefehlt“, schreibt Christian v. Grone. Ganz anders formuliert Claudia Koonz: „Zwischen den anpassungswilligen Karrieristinnen und der dünkelhaft-reservierten Garde hatte sich eine ehrgeizige Frau in den Vordergrund geschoben.“ So führt die amerikansiche Historikerin in ihrem Buch „Mütter im Vaterland“ Agnes von Grone ein. Menschen in ihrem Lebenskreis sprechen von ihrem großen Pflichtbewußtsein, das sie zum Einsatz für die Frauenhilfe, für die Kirche und „für das Vaterland“ herausforderte. „Einer muß es doch machen!“ …
„Die Zeit der Täuschungen“ überschreibt Fritz Mybes ein Kapitel seines Buches. Als Hitler nach der Machtübernahme 1933 einen „christlichen Vertrauensfeldzug“ unternimmt, tritt Agnes v. Grone in die NSDAP ein. Sie glaubt, die Interessen der evangelischen Frauen in dem neuen Staat vertreten zu können. Die Ent-Täuschung – auch diesen Begriff verwendet Mybes – beginnt schon 1934. Gertrud Scholtz-Klink, die Führerin der Reichsfrauenschaft (Parteiorgan) versucht, den Totalitätsanspruch des Staates durchzusetzen, z.B. mit dem Verbot von Neuaufnahmen und -gründungen bei der Frauenhilfe. Agnes von Grone protestiert gegen den Eingriff und erreicht schließlich eine Rücknahme des Verbotes. – Zu dieser Zeit ist ihr schon bewußt, daß sie nicht nur das Gleichschaltungsprinzip des Staates abzuwehren hat, sondern mit den evangelischen Frauenverbänden in den Strudel des Kirchenkampfes zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche geraten ist. Sie findet zu der Aussage: „Die klare Glaubenshaltung zu Bibel und Bekenntnis der Väter ist die alleinige Richtschnur unseres Handelns.“ Nach heftigen Auseinandersetzungen mit Reichsbischof Müller legt sie ihr Leitungsamt im Ev. Frauenwerk nieder und geht zurück in den Landesverband Braunschweig. Auch hier muß sie unter der Belastung leben, daß ihr Verhalten und ihre Äußerungen ständig beobachtet werden und daß „ihre Frauen“ sich vertrauensvoll nach ihr richten. Wenn es angstvolle Anfragen aus den Frauenhilfen gibt, macht sie Besuche, beruhigt, tröstet. In den Stuben der Frauenhilfsschwestern gilt ja das Redeverbot nicht, das ihr vom Reichskirchenausschuß erteilt worden ist. Ihr ältester Sohn fällt -, so teilt sie auch das Leid vieler Frauen …
Mit dem Kriegsende kommt eine neue Bewährungsprobe für die Frauenhilfe. Agnes von Grone bleibt Landesverbandsvorsitzende. Ungehindert kann die Frauenhilfe ihrer Hauptaufgabe, der Hilfeleistung für Menschen in Not, nachkommen.
Anfang der 60er Jahre hält Agnes von Grone nach einer Nachfolgerin Ausschau. „Ich habe mir Luise Brendecke ausgesucht“, sagt sie. So ganz demokratisch kann man das nicht nennen, aber überall muß ja erst ein Demokratisierungsprozeß in Gang gebracht werden …
Die braunschweigische Frauenhilfe behält ihre erste Vorsitzende in liebevoller Erinnerung, in die sich viel Nachdenklichkeit mischt. Damit ihr Bild nicht zur Legende gerät, haben wir mit der Aufarbeitung staubiger Aktenberge im Keller unseres Hauses begonnen: ein Beitrag zur Geschichte der Frauenhilfe in Deutschland, zu deren stärksten Persönlichkeiten Agnes von Grone gehört.
Anne Edling-Unger, Lucklum
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