Alle Ausgaben / 2010 Artikel von Barbara Hennig

Aktiv zuhören

Beziehungsarbeit unter PartnerInnen, in Gemeinden, zwischen Generationen

Von Barbara Hennig


Je treulicher du nach innen lauschst,
umso besser wirst du hören,
was um dich ertönt.
Nur wer hört, kann sprechen.
Dag Hammarskjöld

Beim Mittagstisch. Ich frage meine Tochter, wie sie als junge Erwachsene unsere Gesellschaft erlebt. Es folgen Stichworte wie Leistungs- und Ellen-bogengesellschaft, im Überfluss leben, Hektik. Telekommunikation, Handy und Computer also, sind unverzichtbar. Der Druck, sich anzupassen, ist groß.


Rundum vernetzt

Meine Tochter klärt mich auf: Ein soziales Netzwerk im Internet gehört einfach dazu. Konkret geschieht dies zum Beispiel über die Nutzung von Facebook,  einem Internetportal, bei dem es darum geht, Kontakte aufrechtzuerhalten und neue Freunde zu gewinnen. „Facebook(1) ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.“ Wie das? Über das Internetwörterbuch Wikipedia(2) mache ich mich schlau: „Jeder Benutzer verfügt über eine Profilseite, auf der er sich vorstellen und Fotos oder Videos hochladen kann. Auf der Pinnwand des Profils können Besucher öffentlich sichtbare Nachrichten hinterlassen oder Notizen/Blogs(3) veröffentlicht werden. Alternativ zu öffentlichen Nachrichten können sich Benutzer persönliche Nachrichten schicken oder chatten. Freunde können zu Gruppen und Events eingeladen werden. Facebook verfügt zudem über einen Marktplatz, auf dem Benutzer Kleinanzeigen aufgeben und einsehen können. Durch eine Beobachtungsliste wird man über Neuigkeiten, z.B. neue Pinwandeinträge auf den Profilseiten von Freunden informiert. Die Benutzer auf Facebook sind in Universitäts-, Schul-, Arbeitsplatz- und Regionsnetzwerke eingeteilt … Am 5. Februar 2010, zum sechsten Geburtstag der Website, hatte die Plattform nach eigenen Angaben 400 Millionen aktive Nutzer weltweit.“(4)

So funktioniert sie also, die moderne Form von Kommunikation. Wie altmodisch ich doch bin! Scheint ja alles viel einfacher zu machen, diese Technik. Aber der Schein trügt. „Du freust dich, wenn mehr als fünf Personen deinen Status kommentieren? Was du wirklich denkst, wird immer unwichtiger, solange du nur gut ankommst? Das rächt sich. Die Selbstdarstellung auf Facebook kann deine Persönlichkeit verändern“, warnt das Magazin NEON.(5)  „Wie ein Marketingstratege, der für seine Auftraggeber eine Corporate Identity, eine Unternehmensidentität, aus Briefkopf, Werbejingle und Konzernduft erschafft, entwickeln wir ein Image von uns selbst, eine Demoversion. Der eine präsentiert sich als Abenteurer und postet nur noch Fotos in Badehose zwischen Steinklippe und Meeresoberfläche, die andere inszeniert sich als Partyqueen und teilt mit uns jeden Morgen ihre bewegten Nächte, der Dritte lädt ständig Fotos seiner angerichteten Speisen hoch. Sechs Daumen hoch für einen Beitrag über einen selbst gemachten Schmorbraten, und schon hat die Konditionierung stattgefunden. Merke: ‚Irgendetwas übers Kochen schreibe ich mal wieder.' So posten wir nur noch Sachen, von denen wir wissen, dass man sie leicht konsumieren kann, und die zu der erdachten Version von uns passen. Aber selbst die wählen wir nicht selbstbestimmt.“

Und weiter: „Alles, was wir online tun, folgt nur dem Ziel, dafür bezahlt zu werden, in der härtesten Währung unserer Zeit: Aufmerksamkeit. Die ist deshalb so kostbar, weil die Möglichkeiten, sie zu verteilen, so zahlreich sind; wir empfangen dreißig Fernsehsender und können doch nur einem Programm folgen, wir können jedes Buch der Welt bestellen und trotzdem immer nur eins lesen, das Internet ist voller Informationen, und dennoch können wir nur eine nach der anderen aufnehmen. Wir haben hunderte Freunde und können trotzdem immer nur einem zuhören. Für die Fülle der Möglichkeiten fehlt uns schlicht die geistige Kapazität. Aufmerksamkeit ist kostbar.


Aufmerksam im Gespräch

Im Gespräch mit dem/der anderen ist Aufmerksamkeit ein menschliches Bedürfnis, nicht nur im Zeitalter der Telekommunikation. Wenn wirkliches Sprechen gelingen soll, dann braucht es die Achtsamkeit der Gesprächspartner. Es braucht das Nach-Innen-Lauschen auf die eigene innere Stimme, die mir kundtut, was Not tut, was „dran“ ist, wo es langgehen soll. Und es braucht die Achtsamkeit für die Befindlichkeit des anderen. In seinem Gedicht „Die Nähe eines Menschen“ sagt Wilhelm Willms:(6)

wußten sie schon
daß die stimme eines menschen
einen anderen menschen
wieder aufhorchen läßt
der für alles taub war

wußten sie schon
daß das wort
oder das tun eines menschen
wieder sehend machen kann
einen
der für alles blind war
der nichts mehr sah
der keinen sinn mehr sah in
    dieser welt
und in seinem leben

wußten sie schon
daß das zeithaben für einen menschen
mehr ist als geld
mehr als medikamente
unter umständen mehr
als eine geniale operation

wußten sie schon
daß das anhören eines menschen wunder wirkt

Jeder Mensch hat das tiefe Bedürfnis und die Sehnsucht danach, von seinem Gegenüber akzeptiert und wertgeschätzt zu werden. „Wer sich mitteilt, möchte immer zweierlei: verstanden werden und eine ehrliche Reaktion.“(7)  Wir brauchen menschliche Beziehungen, die heilsam sind. Ist Kontakt- und Beziehungsfähigkeit etwas, das man entweder hat oder nicht hat? Oder ist es etwas, worin wir uns schulen lassen können, was wir trainieren können? Ich meine: ja. Wir können üben, uns selbst und andere achtsamer wahrzunehmen.

„Achtsamkeit ist eine möglichst bewusste, absichtslose, nicht-bewertende Haltung zum gegenwärtigen Geschehen.“(8)  Achtsamkeit ist nicht selbstverständlich, sondern eine Haltung, die geübt werden muss. Sie ist auch elementarer Bestandteil jedes therapeutischen Arbeitens. Zu dieser Achtsamkeit gehört, dass ich für mein Gegenüber echtes Interesse zeige und dass ich mich darum bemühe, möglichst aktiv zuzuhören.

„Die Grundhaltung, die das Aktive Zuhören ausmacht, kann man als ‚einfühlendes Verstehen-Wollen' umschreiben. Ich versuche mich dabei in die Gefühls- und Gedankenwelt meines Gesprächspartners einzufühlen, ihn ganz zu verstehen. Ich vermittle als Zuhörer: ‚Ich habe nicht nur verstanden, was du sagst, sondern auch, wie du es meinst und wie dir dabei zumute ist.' Im besten Fall können mir dadurch zunächst unangemessen erscheinende Einstellungen verständlich werden. Ich versuche also – für eine begrenzte Zeit – einmal die Welt aus den Augen des anderen zu sehen. Ich nehme einen Perspektivwechsel vor.“(9)  Im Gegensatz zur „Facebook-Kommunikation“ bin ich daran interessiert, wie es meinem Gegenüber wirklich geht, was ihn oder sie ausmacht.


Stufen des aktiven Zuhörens

Stufe 1: Beziehungsebene
Ich signalisiere meinem Gegenüber: „Ich bin jetzt ganz Ohr.“ Dazu kann es zum Beispiel nötig sein, nicht „mit der Tür ins Haus zu fallen“, sondern sich Zeit für ein gemeinsames Gespräch zu nehmen. Ich wende mich dem/der anderen zu, indem ich Blickkontakt aufnehme und meine Aufmerksamkeit durch so genannte Telefonlaute („Ja“, „Hmm“) verdeutliche.

Stufe 2: Inhaltliches Verständnis
Auf dieser Beziehungsbasis findet das aktive Zuhören statt. Ich fasse die inhaltlichen Kernaussagen in eigenen Worten zusammen und bringe sie auf den Punkt. Dadurch überprüfe ich, ob ich mein Gegenüber richtig verstanden habe: „Verstehe ich dich richtig, dass du …?“ „Darf ich dich kurz unterbrechen und zusammenfassen, was ich bis jetzt verstanden habe …?“ „Du meinst also, dass …?“

Stufe 3: Gefühle verbalisieren
Hier kommt es darauf an, dem / der anderen „aus dem Herzen zu sprechen“. Ich versuche, die ausgesprochenen oder auch unausgesprochenen Gefühle meines Gegenübers in Worte zu fassen. „Das klingt, als seiest du ziemlich ärgerlich.“ Das hilft dem / der anderen, sich verstanden zu fühlen („Ja, das stimmt.“) oder die eigenen Gefühle präziser wahrzunehmen („Nein, ärgerlich bin ich nicht mehr. Aber ich bin enttäuscht.“). Das Verbalisieren der Gefühle ist wie ein Spiegel, durch den der / die GesprächspartnerIn mehr Klarheit gewinnt. Deshalb wird diese Form des Gesprächs auch als „Spiegeln“ bezeichnet.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin froh darüber, dass es mit dem Internet die Möglichkeit gibt, in alle Welt zu kommunizieren – vor allem, wenn ich nicht mehr mobil bin. Beide beschriebenen Kommunikationsformen, direkt und online, haben ihren Sinn und ihre Berechtigung. Doch eines ist auch klar: Für beides braucht es Achtsamkeit, wenn tatsächlich Kommunikation zwischen Menschen passieren soll.


Für die Arbeit mit der Gruppe

Ziel

Die Teilnehmer/innen werden sensibilisiert und üben sich im „aktiven Zuhören“.


Zeit

ca. 1 Stunde


Ablauf

– Die Leiterin liest den Auszug aus dem Gedicht von Wilhelm Willms „Die Nähe eines Menschen“ vor.

– Impuls: Wilhelm Willms beschreibt in seinem Gedicht die heilsame Nähe eines Menschen. Rückblickend auf eigene Erfahrungen:
Was erleben Sie als hilfreich / förderlich / heilsam im Gespräch?
Was hingegen ist schwierig / hinderlich / zerstörerisch?
Die Teilnehmer/innen tauschen sich im Plenum über ihre Erfahrungen aus.

Alternativ: Hat die Gruppe Freude an Gruppenarbeit, erfolgt der Austausch in der Gruppe.
Impuls: Tauscht Euch über Eure Erfahrungen aus. Schreibt anschließend die fünf wichtigsten förderlichen und fünf wichtigsten hinderlichen Faktoren auf jeweils eine Karte! Die Karten werden im Plenum gesichtet und sortiert.

– Die Leiterin greift das Thema „Zu-hören“ auf. Sie stellt die Methode des aktiven Zuhörens vor.

Methodenvorschlag: Auf einen großen Papierbogen werden drei Stufen gezeichnet. Auf der unteren Stufe wird eingetragen: Beziehung – ich bin „ganz Ohr“; auf der zweiten Stufe: Inhalt – Kernaussagen „auf den Punkt bringen“; auf der dritten Stufe: Gefühle – dem/der anderen „aus dem Herzen sprechen“.

An Beispielen aus dem Plenum werden die Schritte „Kernaussagen auf den Punkt bringen“ und „Gefühle benennen“ erläutert.

– Übung zu dritt:
A erzählt eine kurze Sequenz aus dem heutigen Tag.
B wiederholt die Kernaussagen und die wahr genommenen Gefühle.
C beobachtet und gibt Rückmeldung dazu.
Dann Wechsel der Rollen, ca. 5 Minuten für jede Person.
Kurze Rückmeldung im Plenum.

– Die gemachten Erfahrungen werden reflektiert: Was war hilfreich? Was war schwierig?

– Lied zum Abschluss: Wo ein Mensch Vertrauen gibt (EG 604)
oder: Schweige und höre


Barbara Hennig, Jahrgang 1955, arbeitet freiberuflich als Supervisorin, Organisationsentwicklerin und geistliche Begleiterin. Sie ist ehrenamtlich in der Rundbriefredaktion der Ev. Frauenhilfe Landesverband Braunschweig e.V. tätig.


Anmerkungen:

1 http://de-de.facebook.com/
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Facebook
3 Blog, eigentlich Weblog, setzt sich zusammen aus den engl. Wörtern World Wide Web und Log (für Logbuch) und ist eine Art Tagebuch, öffentlich im Internet geführt.
4 Vgl. facebookmarketing.de; abgerufen am 24. März 2010
5 Lara Fritzsche: Über-Ich, in: NEON, April 2010, S. 68 ff
6 Wilhelm Willms, wußten sie schon, aus: ders., der geerdete himmel, ©1974 Verlag Butzon & Bercker GmbH, 47623 Kevelaer, 7. Auflage 1986, S. 5, www.bube.de (gekürzt)
7 Stierlin, Schulz von Thun, 2000, in: Friedemann Schulz von Thun / Johannes Ruppel / Roswitha Stratmann. Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 4. Auflage 2002, S. 80
8 Michael Huppertz: Achtsamkeit. Befreiung zur Gegenwart. Achtsamkeit, Spiritualität und Vernunft in Psychotherapie und Lebenskunst. Theorie und Praxis. Junfermann Verlag, Paderborn 2009, S. 23
9 vgl. Friedemann Schulz von Thun, Johannes Ruppel, Roswitha Stratmann, 4. Auflage 2002, S. 70ff

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