Ausgabe 2 / 2023 Bibelarbeit von Katja Jochum und Carsten Jochum-Bortfeld

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe

Zur Jahreslosung 1 Kor 16,14

Von Katja Jochum und Carsten Jochum-Bortfeld

In dieser Bibelarbeit, die die Jahreslosung im Kontext der Verse 9-24 anschaut, wollen wir besondere Töne des Ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth anklingen lassen. Paulus weiß um die Herausforderungen der Gemeinschaft, die sich in Korinth von Christus hat ansprechen lassen. Wer gehört zu diesen Menschen? Wie hören sie – aus ihrer Alltagserfahrung heraus – die Verse, mit denen Paulus sich von ihnen im Brief verabschiedet, um später wieder gut anknüpfen zu können?

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Der Vers der Jahreslosung steht in diesem letzten Abschnitt des Briefes. Mit 1 Kor 16 beschließen Paulus und die anderen Briefschreiber*innen einen langen Brief an die Glaubensgeschwister in Korinth. Paulus hat diesen Brief nicht allein geschrieben. In 1,1 wird Sosthenes als Mitabsender genannt, in 16,19-20 richten viele ihre Grüße nach Korinth aus: Aquila und Priska werden diesen Brief mitverfasst haben. Wenn wir hier von Paulus sprechen, dann verstehen wir ihn als „Autor im Plural“, wie Elsa Tamez es genannt hat.1 Alles, was in dem Brief zum Ausdruck kommt, ist Teil eines solidarischen Netzwerks, das seinen Grund im Messias Jesus hat. Durch ihn sind die Menschen in den Gemeinden miteinander verbunden, auch über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinweg. Den Jesus-Anhänger*innen in Ephesus – dort ist der Brief entstanden (16,8) – sind die Geschwister in Korinth wichtig. Das zeigen die angekündigten Besuche von Timotheus und Apollos (16,10-12).

Gerade bei Timotheus wird deutlich, dass die Beziehungen der Gruppe um Paulus zu den Gemeinden in Korinth nicht konfliktfrei sind. Viele in Korinth sind Paulus und den anderen alles andere als freundlich gesonnen. Darum sollen die Beziehungen zu den Geschwistern in Korinth durch einen Besuch gefestigt werden. Paulus betont: Wenn Timotheus nach Korinth reist, braucht er die Hilfe der dortigen Geschwister – für Unterkunft und Verpflegung ebenso wie für die Finanzierung der Rückreise.

Auch der Brief dient der Kräftigung der Beziehung. Dabei spart Paulus die Probleme und Konflikte, die sie in Korinth wahrnehmen, nicht aus. In den Gemeinden haben sich Gruppen um diejenigen gebildet, die die Menschen getauft haben. Die Täufer genießen hohes Ansehen – und wenn man sich um sie schart, dann strahlt deren Glanz auf ihre Anhänger*innen ab. Ein Wettstreit um Ehre und Anerkennung spaltet die Gemeinschaft (1 Kor 1-3).

Prostitution ist in der Antike gesellschaftlich anerkannt. Auch Männer aus den Gemeinden gehen zu Prostituierten – was Paulus scharf kritisiert, ohne jedoch dabei die Folgen der Prostitution für die Frauen auch nur mit einem Wort zu erwähnen (6,12-20). Damit übersieht er für die Gemeinde Grundlegendes: Viele Sklavinnen werden von ihren Besitzern zur Prostitution gezwungen. Frauen, die das erleiden müssen, gehören auch den Gemeinden an und erleben, wie Paulus sie übersieht und übergeht.

Bei der Feier des Abendmahls teilen einige ihre mitgebrachten Lebensmittel nicht mit denen, die wenig oder gar nichts haben. Die Mahlzeit, die in Erinnerung an Jesus gefeiert wird, offenbart, wie liebloses Verhalten in den Gemeinden um sich greift (11,17-22). Aber auch die Frage, ob und wie die Toten auferstehen, treibt die Menschen in Korinth um. Paulus hält an der Auferstehung der Toten fest – inmitten eines von Gewalt und Tod geprägten Lebens (15,12-28). Das Leben im römischen Imperium ist durch und durch von Gewalt und Unterdrückung geprägt, Jesus ist selbst Opfer dieser Gewalt geworden. Dennoch erzählt Paulus von der Auferweckung Jesu und trotzt der allgegenwärtigen Gewalt: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (15,55)

Die Theologin Paula Fredriksen betont, wie sehr Paulus mit der Wiederkunft Christi in allernächster Zeit rechnet – das, was die Menschen noch bedrängt, sind in seinen Augen nur vorläufige Fragen.2 Der Schluss des Briefes ist geprägt von der Bitte um das Kommen Jesu (16,22).

Die Menschen in den frühen Gemeinden gehörten fast alle der Unterschicht an. Sie konnten mit ihrer Arbeit das zum Leben Notwendige erwirtschaften, mehr nicht. Die Sorge um das Überleben gehörte zu ihrem Alltag dazu. Auch Sklav*innen hatten sich den Gemeinden angeschlossen. Dass ihre Körper anderen gehörten und nach Belieben benutzt werden konnten, dass Sklavinnen zur Prostitution gezwungen wurden, diese Lebens- und Leidenserfahrungen brachten sie in die Gemeinde mit.

Nur wenige in den Gemeinden verfügten über etwas größere Vermögen, die sie, wenn es gut lief, zum Wohl aller einsetzen (1,28). So wird angenommen, dass sie sich zum Beispiel in Werkstätten der Handwerker*innen zu ihren Versammlungen trafen und Gottesdienste miteinander feierten – und auch den Brief lasen. In 11,17-22 zeigt sich aber: Die, die etwas hatten, teilten es nicht unbedingt. Soziale Hierarchien spiegelten sich hier wider.

Dass in einer solchen Situation die Liebe im Briefschluss so eine prominente Rolle einnimmt, ist nur konsequent. Hier in 16,14 geht es um Liebe und Solidarität in einer unsolidarischen Welt. Paulus ermuntert die Angesprochenen, dass sie in ihrem Alltag Liebe wirksam werden lassen. In 1 Kor 13 hatte er sich bereits mit der Liebe beschäftigt, mit der Liebe zwischen Gott und den Menschen und der Liebe zwischen den Menschen. Dass Menschen miteinander liebe- und respektvoll umgehen sollen, gründet in der unverbrüchlichen Gottesbeziehung. In Röm 8,39 schreibt Paulus später, dass die Menschen nichts von der Liebe Gottes trennen kann.

In 1 Kor 16,14 will Paulus, dass die Geschwister die Liebe Gottes untereinander weitergeben und miteinander teilen. In einem solchen Netzwerk der Liebe sollen sie andere Erfahrungen machen als sonst in ihrem Alltag. In 16,22 zeigt sich allerdings die Kehrseite der Vorstellung, dass die Nächstenliebe aus der Gottesliebe kommt: Für Paulus hängt alles an der Beziehung zu Gott – deswegen sei „verflucht, wer die Ewige nicht liebt“. (16,22) Texte wie dieser und Gal 1,8 wurden später im Christentum häufig benutzt, um andere auszugrenzen und ihnen Gewalt anzutun. Mt 25,37-40 hingegen spricht anerkennend von Nächstenliebe, die allein im Erkennen der Not des anderen ihren Grund hat, eine hilfreiche Korrektur der paulinischen Sicht. Die, die in Mt 25 das Notwendige tun, betonen, dass sie es um der Notleidenden willen getan haben – und nicht, weil sie Christus erkannt haben. Das Matthäusevangelium erkennt atheistische, gott-lose Nächstenliebe ausdrücklich an. Für Paulus scheint das unmöglich zu sein. Die Verfluchung in 1 Kor 16,22 bleibt eine Irritation.

Zum Weiterlesen:
Paula Fredriksen: Als Christen Juden waren, Stuttgart 2021.
Carsten Jochum-Bortfeld: Paulus in Ephesus. Eine Expedition in die Entstehungszeit des Neuen Testaments, Gütersloh 2021.
Luise Schottroff: Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, ThKNT 7, Stuttgart 22021.

Anmerkungen
1)
Vgl. Elsa Tamez, Gegen die Verurteilung zum Tod. Paulus oder die Rechtfertigung durch den Glauben aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgeschlossenen, Luzern 1998, S. 52-56.
2) Vgl. Fredriksen, S. 85-99.

Katja Jochum ist Pfarrerin in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Eidinghausen-Dehme in Bad Oeynhausen. Zudem ist sie Bibliodramaleiterin und Beauftragte für Frauenarbeit im Kirchenkreis Vlotho. Dr. Carsten Jochum-Bortfeld ist Professor am Institut für Ev. Theologie der Universität Hildesheim. Er gehört zum Vorstand von Bibel in gerechter Sprache e.V. – Im Gemeindekontext bieten beide gemeinsam Bibelseminare an, in denen sie sozialgeschichtliche Bibelauslegung und Methoden, die zur persönlichen Verortung im Bibeltext einladen, verbinden. Beim Seminar 2023 zum 1. Korintherbrief war die Bibelarbeit dieser Ausgabe leicht&SINN der letzte Abend der Reihe.

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Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit / circa 120 Minuten

Begrüßen Sie  die TN und nennen Sie die Jahreslosung 2024 „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ als Thema der Bibelarbeit.

Tauschen Sie sich  jeweils zu zweit kurz aus: Was macht für mich Liebe aus?
[2 Minuten]

Lesen Sie gemeinsam  das „Hohelied der Liebe“ 1 Kor 13 versweise reihum;  evtl. wieder von vorne, bis jede*r TN einen Vers gelesen hat.

Tauschen Sie sich  mit einer oder einem anderen Partner*in kurz aus: Was ist Liebe bei Paulus?
[2 Minuten]

Nicht nur Anfängen „wohnt ein Zauber inne“, Abschiede haben ebensolches Gewicht. Sie dienen der gegenseitigen Versicherung, was man einander bedeutet – und sie entscheiden mit darüber, ob und wie man sich wiederbegegnet.

Wechseln Sie  noch einmal die oder den Gesprächspartner*in und tauschen sich aus: Wie geht gutes Verabschieden?
[2 Minuten]

Hinweis für Leiter*innen: Jetzt geht es darum, sich in die Menschen der Gemeinde, die den Brief damals gemeinsam gelesen haben, hineinzuversetzen. Dazu ziehen alle eine Rollenkarte. In den Rollenbeschreibungen klingt die angenommene soziale Zusammensetzung der Gemeinde an – und mit ihr die Herausforderungen, denen die noch junge Christusgemeinschaft begegnet. Auch einige der Probleme, auf die Paulus im Ersten Brief an die Gemeinde in Korinth eingeht, klingen hier an.

Jede*r zieht eine Rollenkarte „Angehörige der korinthischen Gemeinde“

Delia, eine Sklavin: Delia stammt von der griechischen Insel Delos und wurde als Sklavin nach Korinth verkauft. Sie ist für die schmutzigen Tätigkeiten in Haus und Hof zuständig. Sie wohnt mit anderen Sklavinnen in einem Kellerverlies. Ihr Herr findet sie schön, manchmal muss sie mit ihm schlafen. Wenn er Besuch hat, dürfen sich auch seine Freunde mit Delia vergnügen.

Xenia, eine freie Frau: Xenia hat auf dem Markt einen Stand für Salben, die sie in ihrer Werkstatt selbst herstellt. Sie kommt mit Kunden aus der ganzen Welt zusammen. Es ist nicht einfach, aber sie muss mit allen auskommen.

Adelphos, ein Seiler: Adelphos stellt Seile für die vielen Handelsschiffe und die Schiffe der römischen Kriegsflotte in den beiden Häfen von Korinth her. Er hat eine Werkstatt, die er für die Treffen der Gemeinde zur Verfügung stellt.

Phoebe, eine Frau, die aus der Synagogengemeinde stammt: Phoebe hat Bildung im jüdischen Glauben genossen – sie ist eine Schriftgelehrte. Sie hat Paulus und Timotheus in einer Synagoge in Korinth kennengelernt und sich von ihrer Botschaft von dem Messias Jesus angesprochen gefühlt. Seitdem arbeitet sie aktiv für die Gemeinde der Jesusleute. Schon mehrmals hat sie weitergeholfen, wenn die anderen sich gefragt haben, was Paulus ihnen denn in seinen schwierigen Texten sagen will – und hat sie so ausgelegt, dass die anderen verstehen konnten.

Antonios, ein Tagelöhner: Antonios schaut jeden Tag, ob in den Häfen Hilfe beim Be- oder Entladen gebraucht wird. Er lebt in dieser finanziellen Unsicherheit, ob das Geld für heute und morgen reicht. In den letzten Jahren hat er sich den Rücken krumm gearbeitet und fragt sich, wie lange das wohl noch gutgehen wird.

Jason, ein freier Mann: Jason ist in Korinth für die Straßenreinigung zuständig. Sein Geld bekommt er von der Stadt Korinth. Er muss den ganzen Dreck, der in der Stadt anfällt, fortschaffen. Korinth ist unglaublich schmutzig – so viele Menschen wohnen in der Stadt, so viel Handelsverkehr mit Eselkarren gibt es, so viele tierische und menschliche Exkremente, so viel Müll. Manchmal gehört auch ein Toter dazu, der in der Gasse einfach liegengelassen wurde.

Hektor, ein Bäcker: Hektor sichert seine Existenz dadurch, dass er regelmäßig für die Götterfeste in den römischen Tempeln Backwaren liefert.

Penelope, eine Sklavin: Penelope arbeitet als Amme. Sie betreut die Kinder ihrer Herrin und hat es gut angetroffen. Sie wird gut behandelt und kann Geld zurücklegen. In ein paar Jahren kann sie sich vielleicht sogar freikaufen.

Nikolaos, ein Zöllner: Nikolaos arbeitet an der Zollstelle in den Häfen. Zusammen mit anderen kassiert er die vom römischen Staat festgesetzten Zollgebühren von Schiffen, die ihre Waren nach Korinth bringen. Sein Einkommen ist sicher. Er hat noch nie etwas veruntreut – dazu ist sein Respekt vor den Römern und den drohenden Strafen zu groß.

Agatha, eine Köchin: Agatha arbeitet in den Markthallen und bietet dort Essen für alle an. In vielen Wohnungen ist kein Platz für eine Küche oder Kochstelle, darum müssen viele Menschen einen großen Teil ihres Geldes für Essen ausgeben, das andere für sie zubereiten.

Lesen und denken Sie sich in Ihre Rolle ein:
– Wie lebe ich als dieser Mensch – beruflich und in der Zugehörigkeit zur Jesusgemeinde?
– Was mache ich in der Gemeinde – was erlebe ich mit den anderen? Wo habe ich Probleme? Wo hilft mir die Gemeinde?

Stellen Sie sich einander vor und holen so den damaligen Kontext in den Raum.

Hören Sie 1 Kor 16,9-24.  Die Leiterin oder der Leiter liest den Bibeltext (siehe vorn S. 2) Vers für Vers vor. Nach jedem Vers haben Sie die Möglichkeit, aus Ihrer Rolle heraus auf das Gehörte zu antworten: Wie verstehe ich (Xenia, Delia, Antonios…) diesen Satz? Was bedeutet dieses kleine Stück des Briefes für mich in meiner Lebenswirklichkeit? Was hat es mit dem zu tun, was ich hoffe?

Hinweis für die Leiter*innen: Es sollen möglichst viele Äußerungen aus den verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden können. Hilfreich ist es, zu Beginn oder auch mehrfach daran zu erinnern, dass die TN aus der Ich-Perspektive der Rolle heraus sprechen. Wenn viele sich beteiligen, dauert dieser Teil der Bibelarbeit lange – wir haben eine Stunde damit verbracht. Wir haben aber darauf geachtet, längere Diskussionen abzubremsen.

Reflektieren Sie gemeinsam:
– Wie habe ich diesen Abschied von Paulus, der der Briefschluss ja ist, erlebt?
– Was ist bei mir angekommen? Was geht mir nach?
– Was habe ich als heilsame Erinnerung erlebt? Wo hat Paulus mir auf die Füße getreten?
– Welche Frage ist offengeblieben?

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