Ausgabe 1 / 2023 Artikel von Ulrike Helwerth

An die Verhandlungstische!

Feministische Außenpolitik zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Von Ulrike Helwerth

Als „Zeitenwende“ beschrieb Bundeskanzler Olaf Scholz die Lage, in der er Deutschland, Europa und die Welt nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar vergangenen Jahres sah. Bei der aktuellen Zusammenballung von militärischen Konflikten, humanitären Katastrophen und wirtschaftlichen Krisen – welche Antworten findet da feministische Außenpolitik? Und hat sie überhaupt eine Chance, wirkmächtig zu werden?

Diese Fragen stehen im Raum, seitdem Außenministerin Annalena Baerbock verkündet hat, dass die deutsche Außenpolitik zukünftig „im Sinne einer feminist foreign policy“ (FFP)1 gestaltet werden solle.

Die drei R

Das Rad muss dabei nicht neu erfunden werden, denn Schweden legte bereits vor Jahren vor. 2014 rief die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström die Ära feministischer Außenpolitik für ihr Land aus. Ein logischer Schritt, denn Schweden gehörte schon seit Jahrzehnten in Sachen Gleichstellung zu den Besten im internationalen Vergleich. „Die nordischen Länder“, darunter Schweden, waren immer schon gut für „best practise“ Beispiele. Und nun auch für „feminist foreign policy“. Ein Begriff, der übrigens von der neuen, rechtskonservativen Regierung in Schweden im Oktober 2022 umgehend kassiert wurde.

Von den Schwed*innen wurden zum ersten Mal die drei zentralen Säulen definiert, auf denen eine feministische Außenpolitik ruhen sollte:
– Rechte (rights) für Frauen und Mädchen sollen unter Einhaltung der Menschenrechte weltweit gestärkt werden. Dazu gehört auch die Bekämpfung jeder Form von Gewalt, von sozialer, gesetzlicher und anderweitiger Diskriminierung.
– Repräsentanz (representation): Frauen sollen an allen Entscheidungs- und Verhandlungsprozessen auf allen Ebenen und in allen Bereichen gleichberechtigt beteiligt werden.
– Ressourcen (resources): Alle verfügbaren Mittel sollen geschlechtergerecht und unter besonderer Berücksichtigung der Förderung von Gleichstellung verteilt werden.

Wie diese drei R in die politische Praxis umgesetzt werden, und zwar nach außen wie nach innen, darüber gibt das „Handbook Sweden`s feminist foreign policy“2 Auskunft, das 2018 von der Regierung veröffentlicht wurde. Es erklärt und bilanziert das Grundverständnis und den methodischen Ansatz der schwedischen feministischen Außenpolitik, die einen Schwerpunkt in der Entwicklungszusammenarbeit hat.

FFP ist für Schweden vielleicht kein solcher Verkaufsschlager wie IKEA und das Handbuch keine Aufbauanleitung. Auf jeden Fall aber ist es eine der wesentlichen Grundlagen für die Diskurse über und Konzeptualisierungen von feministischer Außenpolitik, die seit Jahren auch in anderen Ländern laufen. So verkündete Kanada unter Ministerpräsident Justin Trudeau im Jahr 2017 den Beginn einer feministischen Entwicklungspolitik. Dafür wurde zunächst ein mehrjähriger Konsultationsprozess in Gang gesetzt, an dem mehr als 15.000 Personen in 65 Ländern beteiligt waren. Eigentlich sollte daraus ein umfassendes „Weißbuch“ entstehen, das bislang aber noch nicht vorliegt. Auch in Frankreich, Spanien, Luxemburg und Mexiko haben progressive Regierungen die politische Öffnung genutzt, um eine FFP für ihr Land zu proklamieren. Doch es ist schwer herauszufinden, in welchem Stadium der Umsetzung sie sich befinden. So ist FFP zunächst vor allem eines: eine Absichtserklärung.

Und nun Deutschland: Im Januar haben weibliche Bundestagsabgeordnete von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen informellen Parlamentskreis „Feministische Außenpolitik“ gegründet, während im Auswärtigen Amt die Leitlinien für eine FFP für Deutschland durch die Endredaktion gingen. Sie wurden am 1. März veröffentlicht, wie von Außenministerin Baerbock im vergangenen September auf einer internationalen Konferenz zum Thema angekündigt: „Rechte, Ressourcen und Repräsentanz. Wir wollen feministische Außenpolitik mit Blick auf diese drei R ‚mainstreamen‘“, und zwar in die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik.

Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit

In den recht kurzfristigen Konsultationsprozess des Auswärtigen Amtes wurden auch Vertreterinnen aus dem feministischen Netzwerk 1325 einbezogen. Im Rahmen der internationalen Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ (WPS – Women, Peace, Security) haben sie sich über Jahre als FFP-Expertinnen profiliert. Denn diese Agenda ist Herzstück einer jeden feministischen Außenpolitik. Im Mittelpunkt steht die bahnbrechende Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates, die im Jahr 2000 verabschiedet wurde. Darin bestätigte das UN-Gremium zum ersten Mal, dass Frieden nur mit Beteiligung von Frauen geschaffen und erhalten werden kann, und dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt keine unvermeidbare Begleiterscheinung von Kriegen ist, sondern ein Verbrechen, das verfolgt, bestraft und verhindert werden muss.

Bis heute haben neun Folgeresolutionen3 diese Agenda weiter ausdefiniert: Die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an allen nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten – und zwar auf allen Entscheidungsebenen. In der Kurzfassung „Frauen an die Verhandlungstische“. Denn wenn sie an zentralen Friedensverhandlungen beteiligt sind, währt der erzielte Frieden durchschnittlich länger, genauer: in 20 Prozent der Fälle länger als zwei Jahre. So propagieren es nicht nur die Vereinten Nationen seit vielen Jahren. Zu WPS gehören außerdem die Krisenprävention unter geschlechtergerechten und -sensiblen Maßgaben, Vorbeugung von und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, ein Ende der Straflosigkeit und die Unterstützung der Überlebenden sowie Soforthilfe und Wiederaufbau unter dem Gesichtspunkt von Geschlechtergerechtigkeit.

Keine feministische Revolution

2021 trat der dritte „Aktionsplan der Bundesregierung zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit“4 in Kraft, der auf nationaler Ebene die Umsetzung von WPS regelt. Er sei durchaus gut, heißt es aus den Reihen des Netzwerkes 1325. Aber mit Blick auf die FFP-Leitlinien wird vom Auswärtigen Amt, wenn schon „keine feministische Revolution“, so doch mehr Ehrgeiz erwartet, als diesen Aktionsplan einfach etwas aufzupeppen.

Bereits im Sommer 2022 veröffentlichte das Netzwerk 1325 seine grundlegenden Positionen5 zur FFP. Demnach verlangt eine feministische Außenpolitik mehr als die „im Rahmen des Gender Mainstreaming formulierten 3Rs“: FFP muss radikal und transformativ für die gesamte Außenpolitik sein; sie muss kohärent institutionalisiert und durch Gender Budgeting im Haushalt verankert sein und in den Bereichen Multilateralismus, Abrüstung, Handelspolitik, Entwicklungspolitik, humanitäre Hilfe, Flucht und Migration, Bekämpfung von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie der Klimaaußenpolitik umgesetzt werden. Von ihrer Ausrichtung her ist FFP antipatriarchal und menschenrechtsbasiert, das heißt, sie orientiert sich am Konzept der menschlichen Sicherheit – nicht der staatlichen Sicherheit – und ihrer sieben Dimensionen (gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische, gesundheitliche, persönliche Sicherheit sowie Ernährungs- und Umweltsicherheit). FFP ist intersektional und stellt sich jeder Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegen. So heißt es im Positionspapier des Netzwerks 1325.

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr

Dort steht auch: „Abrüstung ist eine zentrale Bedingung für eine feministische Außenpolitik. Eine feministische Außenpolitik steht im Gegensatz zu Militarisierung und widersteht damit dem globalen Trend stetiger Aufrüstung. Die Abschaffung von Nuklearwaffen ist ohne Alternative.“ Und hier zeichnet sich bereits das größte Dilemma für die FFP ab: Im vergangenen Jahr betrugen die deutschen Rüstungsexporte 8,35 Milliarden Euro, das ist der zweithöchste Betrag in der Geschichte der Bundesrepublik. Und das steht in krassem Gegensatz zum Koalitionsvertrag, in dem sich die Regierung für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz und für eine „EU-Rüstungsexportverordnung“ einsetzen will.

Dann läutete Russlands neuerliche Invasion der Ukraine im Februar 2022 die „Zeitenwende“ ein. Seitdem dreht sich die internationale Rüstungsspirale schneller; die Lager der Waffenproduzenten sind leer, die Auftragsbücher voll, die Gewinne gewaltig. Der Bundestag bewilligte ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die militärische Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr. Dabei geht es bekanntlich nicht nur um neue Stiefel und Stahlhelme, um bessere Maschinengewehre und Munition für die Truppe, sondern auch um schwere und hochmoderne Waffen wie das F35-Kampfflugzeug, das atomare Sprengköpfe tragen kann. Bei der Ablehnung dieses Sondervermögens scheint sich das Netzwerk 1325 einig. Aber wie ist es mit „schweren Waffen für die Ukraine“? Dazu gibt es keine gemeinsame Position. Letztlich, sagt eine Vertreterin des Netzwerks, „wer sind wir, dass wir unseren ukrainischen Partnerinnen und Freundinnen sagten können, dass sie diese Waffen nicht brauchen.“ Es sei nachvollziehbar, dass die Ukraine sich selbst verteidigen müsse. In einer „hypermilitarisierten Welt“ könnten „hypermilitarisierte Waffen“ aber nur eine kurzfristige Lösung sein – niemals eine langfristige.

Falscher Anspruch

Der Feminismus war (und ist) trotz seiner inneren Nähe zu den Friedensbewegungen nie kategorisch pazifistisch. So gab es immer feministische Unterstützung für bewaffnete Befreiungsbewegungen, sei es in Lateinamerika, Südafrika oder sonst wo. Manchmal haben sich in und aus diesen Befreiungsbewegungen emanzipatorische Frauenbewegungen entwickelt, manchmal nicht. Auch die Ukraine lässt sich durchaus in diese Beispiele einreihen: Dort werden die Streitkräfte, lange durch ihr sowjetisches Erbe belastet, als Freiheitshelden verehrt, auch von 1325-Aktivistinnen. Hervorgehoben wird der inzwischen hohe Frauenanteil in den kämpfenden Einheiten, der in der Ukraine höher sein soll als in allen NATO-Staaten. Hingewiesen wird auf neue Gesetze, die die Gleichberechtigung auch in der Armee vorantreiben sollen. Gleichzeitig gab und gibt es in diesen Kriegen und Bewegungen auf der Seite der „Guten“ immer auch sexualisierte Gewalt und Geschlechterungleichheit – ein Thema, das von Feministinnen in der Ukraine gerade erforscht wird.

Der Einsatz von Gewalt „als ultimatives Mittel“ könne von feministischer Politik also durchaus gerechtfertigt werden, so Uta Ruppert, Professorin für Politikwissenschaft und politische Soziologie in Frankfurt. „Aber sie muss per se antimilitaristisch sein.“ Denn „das Militärische in all seinen Dimensionen – die Gewaltanwendung, die Disziplinierung, die notwendige Hierarchisierung“ sei nicht in einer Form zu denken, die eine Dimension von „Care“ in den Mittelpunkt stelle. Sagt Ruppert und warnt entschieden davor, im jetzigen Augenblick einer militärischen Eskalation an eine feministische Außenpolitik als „Allheilmittel“ zu appellieren. Das sei ein „abwegiger Gedanke und ein falscher Anspruch“. Feministische Außenpolitik müsse in ihrem Kern vor allem eine Anti-Gewalt-Politik sein. „Und da stehen wir – mitten im Krieg – schon im Dilemma.“6

Anmerkungen
1) Koalitionsvertrag 2021 – 2025
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, aufgerufen am 30.12.22
2) Handbook Sweden’s feminist foreign policy
https://www.government.se/492c36/contentassets/fc115607a4ad4bca913cd8d11c2339dc/handbook—swedens-feminist-foreign-policy—english.pdf, aufgerufen am 30.12.22
3) Ohne Frauen kein Frieden: Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/menschenrechte/05-frauen/frauen-
konfliktpraevention/209848, aufgerufen am 22.1.2023
4) Aktionsplan der Bundesregierung zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit 2021 bis 2024 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/216940/3596859eebe39f90fa327e81ede416a3/aktionsplan1325-data.pdf, aufgerufen am 2.1.23
5) Annäherung an eine feministische Außenpolitik
Deutschlands https://www.frauenrat.de/netzwerk-1325-annaeherung-an-eine-feministische-aussenpolitik-deutschlands/, aufgerufen am 30.12.22
6) Philosophie Magazin vom 31.10.2022 https://www.philomag.de/artikel/was-ist-feministische-aussenpolitik-frau-ruppert, aufgerufen am 2.1.2023

Ulrike Helwerth ist freie Journalistin. Bis 2020 war sie Presse- und Öffentlichkeitsreferentin beim Deutschen Frauenrat.

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