Ausgabe 1 / 2013 Material von Thomas Mooren

An Zypern vorbei segeln

Von Thomas Mooren

Paulus und seine Gefährten „segelten dicht an Zypern vorbei, da wir Gegenwind hatten“ (Apg 27,4). Folgen wir unserer „spekulativen Neugier“ und stellen uns die Frage: Wofür steht Zypern eigentlich? Wofür könnte es Symbol sein, sagen wir auf einer psychologischen oder missiologisch-theologischen Ebene? Zypern steht da für den Anfang, für die ersten Lernschritte des Saulus/Paulus in seiner Missionstätigkeit (Apg 13,3.4). An Zypern vorbei segeln hieße dann zunächst einmal: Der Konstrukteur der Apostelgeschichte, Lukas, nimmt nicht die Chance wahr, Paulus an den Anfangsort seiner Tätigkeit zurückzuführen. Keine falsche Sentimentalität, sagt der „Gegenwind“, Zypern war seinerzeit gut, war damals notwendig, aber jetzt musst du nach Rom und zunächst – doch das weiß Paulus noch nicht – musst du nach Malta, um Schiffbruch zu erleiden, denn nur so wirst du deine neue Missionsmethode ausprobieren können.

Was hatte Paulus denn auf Zypern gemacht? Einem jüdischen Zauberer hatte er tief in die Augen geblickt und ihn angefahren: „Du Sohn des Teufels, voll Falschheit und Bosheit jeder Art, du Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, die geraden Wege des Herrn zu durchkreuzen?“ (Apg 13,10) Das ist die härteste Konfrontation, Feindschaft auf Gedeih und Verderb, Verwerfung, Verdammung im Namen von keinem Geringeren als dem „Heiligen Geist“ selbst (Apg 13,9). Steht der jüdische Zauberer Berjesus alias Elymas hier für die Welt des „Anderen“, die Welt der sog. „nicht-christlichen“ Religionen, so ist jede auch noch so minimale „friedliche“ Koexistenz mit dem „Anderen“ ausgeschlossen. Dass es vielleicht Zweifel geben könnte ob des „geraden Weges“ des Herrn, wird nicht in Erwägung gezogen. Im Gegenteil – auf die verbale Verbannung folgt auf der Stelle die konkrete Sanktion. Apg 13,11: „,Jetzt kommt die Hand des Herrn über dich. Du sollst blind sein und eine Zeitlang nichts mehr sehen.'“ Ein erschütterndes Bild – von der Rache oder Strafe Gottes, die dem Paulus pünktlich zur Verfügung zu stehen scheint. Das ist „Zypern“! Das ist die erste Großtat des frischgebackenen Missionars. Und dahin soll Paulus nicht mehr zurück. Es gibt kein Zurück mehr zu dieser Welt in schwarz-weiß, zu dieser Position gnadenloser Konfrontation – auf Leben und Tod, Licht und Finsternis, Augenlicht und Blindheit. Die Welt ist noch voller „Zypern“. Der „gerade Weg“ des Herrn, von dem Paulus auf Zypern spricht – er weiß noch nicht, dass dieser Weg das Zentralthema der Eröffnungssure des Korans und das „Herzstück“ einer ganzen Religion sein wird, die mit derselben Unnachgiebigkeit und Härte, die wir von Juden und Christen her kennen, ihre Version dieses Weges verfechten wird. Die Anrufung der sofortigen Sanktion Gottes wird dabei genauso prompt zur Stelle sein, wenn auch nicht immer so erfolgreich, wie es bei Paulus der Fall war. Und Zauberer, Magier sind nicht das Privileg von Christentum, Judentum und Islam. Volksverhetzer und Fanatiker stehen überall bereit, in der Wüste, im Busch und in den Tropen, in den Folterkammern moderner „säkularer“ Heilslehren oder den Chefetagen der wirtschaftlich-politischen Macht. Einen rächenden Gott auf seiner Seite zu wissen und mit ihm die Lizenz zu verdammen und zuzuschlagen, das ist „Zypern“ und ist immer noch lebendig.

Aber es gibt ja doch ihn, den „Gegenwind“, der nicht zulässt, dass wir uns in diesen „Gefilden“ erneut aufhalten. Vertraut man sich diesem „Gegenwind“ an, so gibt es noch eine andere Art, dem „Anderen“ zu begegnen, den Weg der Geduld, der Gelassenheit und Freundschaft, nicht nur „spekulative“, sondern auch brüderlich-schwesterliche „Neugier“ nicht ausgeschlossen, denn ohne Neugier gibt es keine Begegnung und deshalb auch kein Wissen. Doch Sehen-, Verstehen- und Lernen-Wollen schließt durchaus den kritischen Blick nicht aus. Vieles kann man verstehen, aber hinnehmen muss man Sklaverei, Genozid, Ausbeutung der Menschen durch die Menschen oder Vergewaltigungen jeder Art deshalb nicht. Doch bevor wir das paulinische Fluchwort in den Mund nehmen und zur entsprechenden Tat schreiten, sollten wir sehr genau hinschauen. An einem solchen Verdikt unserer Mitmenschen „vorbei segeln“ zu können, nicht weil wir die Augen schlössen, sondern weil es unbegründet ist – das ist die Hoffnung, auch wenn die nächste Etappe, wie so oft in der Geschichte von Friedensstiftung und Dialog zunächst einmal Malta, Schiffbruch heißt.

Auszüge aus:
Missiologie im Gegenwind.
Bausteine für eine narrative Missiologie
© 2012 LIT Verlag

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