Sie mag Harald Schmidt dafür, dass er immer elitärer wird und dabei Abend für Abend ein Millionenpublikum begeistert: Andrea Fischer, Ex-Gesundheitsministerin und eine der wichtigsten Expertinnen auf dem Gebiet der Biopolitik, wird ab Herbst nicht mehr Berufspolitikerin sein.
Ein funkelnagelneues Büro, ein aufgeräumter Schreibtisch. Und die berechtigte Frage: Sieht so eine Verliererin aus? Sechs Wochen nach der Abstimmungsniederlage, die Andrea Fischer ihren Listenplatz und die Grünen eine ihrer renommiertesten Politikerinnen kostete, ist Andrea Fischer bester Laune. Sichtlich entspannt erläutert sie bei Kaffee, Obst und Plätzchen ihre Pläne. Keinen Tag würde sie missen wollen von den acht Jahren im Bundestag, versichert sie. „Ich habe irre viel gelernt. Und ich glaube, ich habe auch was geändert – das ist doch ein Geschenk, wenn man das von sich sagen kann.“ Klar hätte sie nicht noch einmal für einen Listenplatz kandidiert, wenn sie nicht sicher wäre, dass sie noch weiteres zu geben habe. „Aber ich bin zuversichtlich, dass ich auch an der nächsten Stelle eine spannende Tätigkeit machen werde, wo ich etwas beisteuern kann.“
Rein äußerlich hat sie sich kaum verändert. Dasselbe offen-verschmitzte Lachen, dieselben weit ausholenden Gesten, um zu unterstreichen, was ihr wichtig ist, dieselbe kommunikative Brillanz, mit der sie zuhört, Fakten aufgreift und Überzeugungen formuliert – Andrea Fischer ist sich verblüffend treu geblieben, seit sie vor vier Jahren als Spitzenkandidatin der Berliner Grünen in den Wahlkampf zog und wenig später erste grüne Ministerin auf Bundesebene wurde. Da hatte die 38jährige gelernte Volkswirtschaftlerin schon eine beachtliche politische Karriere hinter sich: Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Europaparlament und in der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hatte sie praktisches Knowhow und eine Menge Verwaltungserfahrung gesammelt. 1994 zog sie dann zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag ein und erarbeitete sich dort schnell einen Ruf als sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Eine Linke, die ebenso intelligent wie engagiert nach pragmatischen Lösungen suchte, ohne dabei das große Ganze aus dem Auge zu verlieren – ein Glücksfall für die Grünen und nach dem rot-grünen Wahlsieg eine spannende Bereicherung für Schröders Kabinett.
Doch dort erwies sich ihre Art, „Politik zu einem Experimentierfeld ihrer persönlichen Neugierde zu machen“, wie eine Berliner Journalistin einmal über sie schrieb, schnell als Bumerang. In einer medialen Öffentlichkeit, in der sich politische Professionalität vor allem an der Fähigkeit festmacht, in Krisensituationen möglichst ungerührt abzuwiegeln, wirkte sie in ihrem zähen Ringen um den richtigen Weg plötzlich merkwürdig fehl am Platze. Öffentlichen Rückhalt, auch von den eigenen Leuten, bekam sie kaum. In Schröders Halbjahresbilanz tauchte sie nicht einmal auf, obwohl sie mit ihrem Vorschaltgesetz zur großen Gesundheitsreform sechs Wochen nach der Wahl das erste Gesetzesvorhaben der neuen Bundesregierung einbrachte.
Ein knappes, schmallippiges Ja ist alles, was man zu hören bekommt, wenn man sie heute fragt, ob sie sich damals mehr Rückendeckung für ihr Projekt gewünscht hätte. Und auch ihr verbindlichstes Lächeln kann nicht darüber hinweg täuschen, wie vorsichtig sie geworden ist. Wenn die Abgeordnete Fischer heute beschreiben soll, worum es ihr als Gesundheitsministerin ging, fällt keines der Reizworte, die noch vor drei Jahren die Debatte um ihr Reformpaket bestimmten. Sie befördere mit ihrer Kostendämpfungs-Politik das „sozialverträgliche Frühableben der Patienten“ hatte ihr der Ärztepräsident Karsten Villmar damals öffentlich vorgeworfen. Und auch vor offenem Sexismus schreckten die Ärztefunktionäre nicht zurück. Als „Möchtegern-Lolita“ verunglimpfte sie eine Fachzeitschrift. Da habe sie schon manchmal nach Luft geschnappt, erinnert sich Andrea Fischer. Und besteht im selben Atemzug darauf, sich nicht als Opfer zu sehen, sondern als engagierte Kämpferin, die mit ihrem ambitionierten Reformprojekt solche Reaktionen erst provoziert habe.
Tatsächlich hat sie den Widerstand der versammelten Ärzte- und Pharmalobby innerhalb wie außerhalb des Parlaments wohl schlicht unterschätzt. Aus Unerfahrenheit und auch, weil sie wie kaum eine andere PolitikerIn wirklich an die Macht der besseren Argumente glaubt, hat sie damals an allen Fronten gleichzeitig gekämpft und schließlich, wie die Berliner tageszeitung formulierte, „furios verloren“: Die Kernelemente ihrer Reform fielen im Bundesrat durch, die mühsam durchgesetzte Budgetierung der Medikamentenausgaben wurde kurz nach Fischers Rücktritt von ihrer Nachfolgerin wieder aufgehoben.
Eine enttäuschende Bilanz? Nicht nur: Auf einem anderen wichtigen Gebiet hat sie mit ihrem Politikstil tatsächlich neue Maßstäbe gesetzt und nachhaltige Veränderungen bewirkt. Mit einem viel beachteten Symposion im Mai 2000 brachte Andrea Fischer das Thema Fortpflanzungsmedizin auf die gesellschaftliche Tagesordnung. Was zuvor nur Eingeweihte beschäftigt hatte, wurde nun erstmals öffentlich und kontrovers diskutiert: Gibt es ein Recht von Eltern auf ein genetisch eigenes, gesundes Kind? Was heißt eigentlich gesund? Und wie verhält sich das Existenzrecht eines in der Petrischale gezeugten Embryonen zur Hoffnung auf eventuelle Heilungschancen, die MedizinerInnen mit der Forschung an embryonalen Stammzellen oder dem therapeutischen Klonen verbinden?
Ausgesucht hat sie sich das Thema nicht. Es sei ihr „nachgelaufen“, erinnert sich Andrea Fischer. Tatsächlich war sie wohl geradezu prädestiniert dafür, das ethisch hochkomplexe Thema in die Öffentlichkeit zu tragen: Dass sie keine Berührungsängste kannte und die Konfrontation mit Fachleuten nicht scheute, hatte sie bereits im Kampf um die Gesundheitsreform bewiesen. Zudem war sie, die selbst mit zwei behinderten Onkeln aufgewachsen ist, seit 1994 in ihrer Fraktion für Behindertenpolitik zuständig, kannte die Verbände und ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Medizintechnik, die ihr Instrumentarium zur pränatalen Diagnostik behinderter Föten in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch erweitert hat, ohne über entsprechende therapeutische Möglichkeiten zu verfügen.
Für die Katholikin Andrea Fischer dagegen ist die Grundaussage, dass „vor Gott alle Menschen gleich geliebt sind“ etwas, das sie zum Glauben zurückgeführt hat und sie, wie sie sagt, „nicht nur intellektuell, sondern auch emotional“ tief geprägt hat. Verfahren wie die umstrittene Präimplantationsdiagnostik, bei der im Reagenzglas gezeugte Embryonen vor ihrer Einsetzung in die Gebärmutter einer Qualitätsüberprüfung unterzogen werden, lehnt sie deshalb ebenso ab wie die verbrauchende Embryonenforschung. Dass sie mit ihrem Glauben kaum öffentlich argumentiert, ist eine bewusste Entscheidung, die nichts mit Opportunismus oder schamhaftem Verschweigen zu tun hat: „Als Politikerin in einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft muss ich mir etwas anderes einfallen lassen, wenn ich Menschen für meine Position gewinnen will. Ich kann sie nicht auf das christliche Menschenbild verpflichten wollen, das nicht alle Menschen mit mir teilen,“ begründet sie ihre Haltung.
In ihrer Rede am 30. Januar vor dem Deutschen Bundestag zitiert hat sie noch einmal deutlich gemacht, dass menschliches Leben und seine Schutzwürdigkeit für sie bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Dennoch – und obwohl sie sich bewusst ist, dass auch für die bereits existierenden Stammzelllinien Embryonen geopfert wurden – hat sie nicht für ein Totalverbot gestimmt. Ein Widerspruch?
Ja, aber ein notwendiger, argumentiert sie. Denn was Andrea Fischer von vielen anderen KritikerInnen auch innerhalb der eigenen Fraktion unterscheidet, ist, dass sie den moralischen Zwiespalt, den die neuen Möglichkeiten eröffnen, zutiefst ernst nimmt. „Ich stelle mich der Tatsache, dass ich mich in jeder Hinsicht schuldig mache, egal, wie ich entscheide“, betont sie. „Denn, da ich ja nicht weiß, ob die Menschheit mit diesen Forschungen nicht tatsächlich von schweren Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und anderen befreit wird, weiß ich auch nicht, ob ich mich mit einem Verbot nicht der Unterlassung schuldig mache.“
Offensiv warb sie deshalb für ihren Antrag, dem sich schließlich auch eine Mehrheit der Abgeordneten anschloss: Ein grundsätzliches Verbot der verbrauchenden Forschung, aber eng umrissene Bedingungen, unter denen Ausnahmen zum Import bereits existierender Stammzelllinien für hochrangige Forschungsvorhaben – etwa in der Grundlagenforschung oder zur Entwicklung neuer Therapien – zulässig sind. Kein fauler Kompromiss, wie Fischer betont: „Gerade in solchen existenziellen Fragen ist es wichtig, eine Lösung zu finden, mit der auch die unterlegene Seite leben kann.“
Sie selbst hat jedenfalls gelernt, aus Niederlagen das Beste zu machen. Auf ihre erklärte Lieblingssendung, die Harald-Schmidt-Show, wird sie demnächst allerdings eine Weile verzichten müssen: Ende des Jahres geht Andrea Fischer für drei Monate als Gastwissenschaftlerin nach Kanada, um sich dem deutsch-kanadischen Vergleich in Sachen Biopolitik zu widmen. Eine beglückende Vorstellung, wie sie findet, und ein unerhörter Luxus, sich so intensiv mit einem Thema beschäftigen zu können. Dass die Kanadier „alles 150 Prozent anders machen als wir und überhaupt keine gesetzlichen Regelungen haben“, hat ihre Neugierde geweckt: „Die Kanadier überlassen es einfach dem Markt – was bedeutet das für die Inanspruchnahme von Reproduktionsmedizin? Führt das zu einer Ungleichverteilung von Behinderung in den unterschiedlichen sozialen Schichten? Solche Fragen finde ich hochspannend.“
Hier wird sie fehlen. Spätestens, wenn in der nächsten Legislaturperiode die Novellierung des Embryonenschutzgesetzes und die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik zur Entscheidung anstehen, hätten wir sie bitter nötig: als kluge Moralistin und als überzeugte Demokratin.
Karin Nungeßer ist 35 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem Freund und dem gemeinsamen 10-jährigen Sohn in Berlin. Sie hat Theater- und Literaturwissenschaften studiert und arbeitet jetzt als Journalistin. Sie schreibt vor allem zu gender- und frauenpolitischen Themen, u.a. für das Online-Magazin weibblick und die Ost-West-Wochenzeitung Freitag.
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