Alle Ausgaben / 1996 Frauen in Bewegung von Dagmar Henze

Annemarie Rübens

Von Dagmar Henze

Am 27. Februar 1933 wurde das deutsche Parlamentsgebäude in Berlin angezündet. Dies diente den Nationalsozialisten als Vorwand, um eine systematische Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer politischen Ansichten oder ihrer Abstammung auszulösen. Am 1. April 1933 wurden die Maßnahmen handgreiflich, und es kam zum Boykott jüdischer Geschäft durch die SA. In dieser angespannten Atmosphäre bereitete die Vikarin Annemarie Rübens den abendlichen Gottesdienst für den 2. April 1933 vor. Der Bibelvers, der ihrer Predigt zugrunde lag, war Lk 12,49: „Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, als es brennete schon.“

Annemarie Rübens legte diesen Vers so aus, dass das Feuer, das es auf Erden anzuzünden gilt, ein Feuer der Liebe sein muss. Und zwar einer Liebe, die sich nicht am Volksgedanken orientiert. „Wir sind nicht bloß Deutsche, wir sind Kinder Gottes.“ Annemarie Rübens warnte ausdrücklich vor der „Flut des Hasses gegen unsere jüdischen Volksgenossen“ und rief jede Christin und jeden Christen auf, nicht erst auf den Ruf der Amtskirche zu warten, sondern als „freie und verantwortliche Glieder“ der Kirche zu handeln. Wie in dieser Predigt von 1933, so zog sich kritisches Denken und couragiertes Handeln als ein roter Faden durch ihr Leben. Annemarie Rübens wurde am 24. Mai 1900 als Kind deutscher Eltern in Banfield bei Buenos Aires geboren. Die Familie kehrte 1909 nach Deutschland zurück. Nach dem Abitur arbeitete sie in der Landwirtschaft und begann anschließend eine Lehre als Gärtnerin. Erst zu Ostern 1924 entschloss sich Annemarie Rübens, in Marburg mit dem Theologiestudium zu beginnen. Ihre familiäre Situation motivierte sie zu diesem Studium. Die Spannung zwischen dem aus einem streng katholischen Elternhaus, selber aber freidenkenden Vater und der aus einem streng evangelischen Elternhaus stammenden Mutter, sei für sie so interessant gewesen, dass sie wissen wollte, was von den beiden nun „richtig“ sei.

In Marburg begegnete sie in Ina Gschlössl, Aenne Schürmer, verh. Traub und Elisabeth von Aschoff, verh. Bizer, drei Frauen, mit denen sie in den nächsten Jahren neben einer tiefen Freundschaft auch der gemeinsame Kampf um die Öffnung des Pfarramtes für Frauen verbinden sollte. Seit 1925, dem Gründungsjahr des Verbandes Evangelischer Theologinnen, an dessen Entstehung die vier Frauen wesentlich beteiligt waren, kämpften sie sowohl innerhalb des Theologinnenverbandes als auch gegen die kirchliche Obrigkeit für ein volles Pfarramt für die Theologin.

Am 9. Mai 1927 verabschiedete die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union, zu der auch Annemarie Rübens als Rheinländerin gehörte, das „Kirchengesetz betreffend Vorbildung und Anstellung der Vikarinnen“. Das sog. „Vikarinnengesetz“ legte die Arbeitsgebiete der Vikarinnen auf die Arbeit mit Frauen und Kindern fest. Ausdrücklich ausgeschlossen blieben sie von den Funktionen des männlichen Pfarramtes wie dem Gemeindegottesdienst, der Sakramentsverwaltung und anderen herkömmlich vom Pfarrer zu vollziehenden Amtshandlungen. Lediglich im Ausnahmefall konnte Theologinnen die Sakramentsverwaltung in geschlossenen Frauenabteilungen übertragen werden. Ina Gschlössl und Annemarie Rübens nahmen 1928 in der Zeitschrift „Christliche Freiheit“ zu dem Gesetz Stellung. Abschließend kamen sie zu dem Ergebnis, dass „bei der Abfassung dieses Gesetzes nicht die Sache des Evangeliums und seiner Verkündigung maß- und ausschlaggebend gewesen ist; sondern dass hier letzten Endes bestimmend war Präventiv-Taktik verbunden mit einer höchst fragwürdigen Ontologie der Frau, die wohl mit einer längst überholten Psychologie gleichzusetzen ist.“ Als deutlich wurde, dass die Mehrheit der Verbandsfrauen die scharfen und eindeutigen Forderungen der „Vier“ nicht teilen wollte, traten sie 1930 aus dem Verband aus und gründeten zusammen mit vier weiteren Theologinnen die „Vereinigung evangelischer Theologinnen“, deren erklärtes Ziel die Durchsetzung des vollen Pfarramtes auch für die Theologin war.

Annemarie Rübens legte am 22. Dezember 1927 das Erste Theologische Examen vor der Marburger Theologischen Fakultät ab. Sie begann 1928 ihr Lehrvikariat bei dem „roten Pfarrer“ Fritze in einer Kölner Gemeinde.

Am 17. April 1932 legte sie das Zweite Theologische Examen vor der Konsistorium der Rheinprovinz ab. Sie selbst erzählte dazu, dass ihre Mutter von ihr verlangte, sie solle einen Hut aufsetzen, damit die Prüfer an ihrem Äußeren keinen Anstoß nehmen konnten. Denn sie trug schon damals ihre Haare gegen alle Konventionen kurzgeschnitten. Als sie jedoch auf dem Weg zur Prüfung über eine Rheinbrücke kam, warf sie den Hut in den Rhein. Sie wollte wegen ihrer Leistungen und nicht wegen des Einhaltens von Konventionen die Prüfung bestehen. Zusammen mit Elisabeth von Aschoff, Aenne Schürmer und Ina Gschlössel, die nun auch in Köln arbeiteten, trat sie 1928 in die SPD ein. Aufgrund ihrer politischen Einstellung wurden alle vier Frauen 1933 entlassen. In knappen Worten formuliert Annemarie Rübens selbst ihren „politischen Lebenslauf“: „Durch und schon im Anfang des Studiums Sozialistin. Eintritt in die SPD bei Beginn der ökonomischen Unabhängigkeit in Köln. Aufgrund der Zugehörigkeit zur SPD im Uni 1933 Entlassung aus dem Kirchendienst, Emigration nach Holland im August 1933, 1936 nach Uruguay, dort Beteiligung an der Arbeit der Gruppe des Anderen Deutschland.“ Bereits im August 1933 musste Annemarie Rübens aus dem faschistischen Deutschland fliehen. Als sie in Holland ankam, hatte sie nur ein paar Adressen, die ihr Georg Fritze mit auf den Weg gegeben hatte. Eine davon führt zu Bram Burger, einem Theologen, der damals eine Art Volkshochschule in Nordwijkerhout leitete. Er nach Annemarie Rübens auf. Sie arbeitete in Haus und Garten, und, was noch wichtiger war, sie fand Verständnis für ihren Zorn über Nazi-Deutschland und die willfährigen Kirchenoberen in Köln. Es muss wohl ihre Initiative gewesen sein, die das Ehepaar Burger veranlasste, fünf Kölner Arbeitskinder aufzunehmen, deren kommunistische Eltern politisch schwer gefährdet waren. 1936 wanderte Annemarie Rübens nach Uruguay aus. Dort kaufte sie sich aus dem Erbe ihres verstorbenen Bruders eine Chacra in der Colonia Valdense. Es war die Zeit, in der die große Auswanderungswelle aus dem nationalsozialistischen Deutschland begann. Jüdische EmigrantInnen kamen nach Uruguay, Einzelne und ganze Familien. Annemarie Rübens nahm viele, vor allem Kinder, in ihre Chacra auf.

Mit den Menschen in ihrem Haus entwickelte sie ein Leben eigener Art: Schwimmen und Wandern, Arbeit in Feld und Garten, Theateraufführungen, abends am Lagerfeuer singen. Hier zeigt sich das Erbe der Wandervogelzeit. „Die Gedanken sind frei“ war eines ihrer Lieblingslieder. Annemarie Rübens hatte sich immer ein Kind gewünscht. Ein Kind, aber keinen Mann. 1943 wurde ihr Sohn Thomas geboren. Anfang der siebziger Jahre, als die demokratische Regierung in Uruguay zusammenbrach und die Militärdiktatur an die Macht kam, war Annemarie Rübens über 70 Jahre alt. Wieder holte sie Kinder von politisch Verfolgten in ihre Chacra. Es dauerte nicht lange, da stand Annemarie Rübens auf der Liste der Verdächtigen der Geheimpolizei. Nun musste sie erneut fliehen. Ihr Weg führte sie zurück nach Deutschland. Hier schloss sie sich der Friedensbewegung an und beteiligt sich noch im hohen Alter an zahlreichen Demonstrationen. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Altenwohnstift in Göttingen. Hier starb sie am 8. Mai 1991.


Literatur
aus: Dem Himmel so nah, dem Pfarramt so fern. Erste evangelische Theologinnen im geistlichen Amt; bearbeitet von Heike Köhler, Dagmar Herbrecht, Dagmar Henze, Hannelore Erhart, Neukirchen-Vluyn 1996.

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