Ausgabe 1 / 2014 Andacht von Christa Möbius

Anwältinnen des Lebendigen

Andacht um Mut zum Engagement

Von Christa Möbius


Material: Kopien 1 Sam 2,1-10 in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache; Gesangbücher; Kärtchen mit Namen/Engaments von Frauen (s.u.) – Kopiervorlagen für Abonnentinnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.

Begrüßung:
Unser Andachtsthema heute könnte heißen: Misch dich ein! Bei dieser Aufforderung kann es um die unterschiedlichsten Formen von Engagement gehen. Gewiss haben viele von uns schon einmal einen Aufruf zum Protest gegen irgendeinen Missstand unterschrieben. Andere bekleiden Ehrenämter in Kirche und Gesellschaft. Vielleicht sind Sie sogar Mitglied in einer Partei oder arbeiten in einem kommunalen Gremium mit? Oder liegen Ihnen skeptische Fragen und Einwände näher? Ich soll mich einmischen? Das kann ich nicht. Dazu fehlt mir der Mut. Was sollte es auch nützen? Was kann ich als einzelne schon ausrichten? Und überhaupt: Wer sagt mir das? Und wer stärkt mir den Rücken?

Lied:
Brich mit den Hungrigen dein Brot
(EG 420)

Psalm der Hanna
In einem biblischen Lied spricht eine Frau davon, was sie dazu ermutigt, Veränderungen zu erwarten. – Lesen wir im Wechsel den Psalm der Hanna in 1 Samuel 2,1-10:

1Dann betete Hanna und sagte:
Es frohlockt mein Herz in Gott,
erhaben ist mein Horn in Gott.
Mein Mund ist aufgetan gegen die,
die mir feind sind,
denn ich erfreue mich deiner Hilfe.
2Keine ist heilig wie Gott, ja keine außer dir.
Keine ist ein Fels wie unser Gott.
3Redet nicht so viel Hochtrabendes daher!
Vorlautes kommt aus eurem Mund hervor.
Ja, eine wissende Gottheit ist Gott, Schandtaten haben keinen Bestand.
4Die Bogen der Helden zerbrechen,
und die Strauchelnden rüsten sich mit Macht.
5Die Satten müssen sich um Brot verdingen,
und die Hungrigen kommen zur Ruhe.
Sogar die Unfruchtbare gebiert siebenfach,
und die Kinderreiche welkt dahin.
6Gott tötet und macht lebendig,
führt hinab in die Unterwelt und herauf.
7Gott beraubt und bereichert, erniedrigt und erhöht,
8richtet Geringe aus dem Staub auf,
erhebt Arme aus dem Müll,
um sie an die Seite Edler zu setzen.
Einen Ehrenplatz gibt ihnen Gott zu eigen.
Ja, Gottes sind die Pfeiler der Erde, gegründet auf ihnen das Erdenrund.
9Die Schritte der Getreuen behütet Gott,
und die Übeltäter kommen im Finstern um.
Denn nicht in seiner Kraft liegt die Stärke eines Menschen.
10Die gegen Gott streiten, erschrecken,
über sie donnert die Gottheit im Himmel!
Gott richtet die Enden der Erde.
Sie gebe ihrem König Stärke, erhebe das Horn ihres Gesalbten!
Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache (BigS)

Impuls:
Hannas Lied wurde weitergesungen …

In der Mitte liegen Karten in zwei Farben. Auf den einen stehen Namen bekannter Frauen aus Politik und Gesellschaft, auf den anderen ihre jeweiligen Engagements in Stichworten. Die Teilnehmerinnen werden gebeten, die Namen und die passenden Engagements zusammenzulegen und sich dabei über diese Frauen auszutauschen. – Es können noch Namen zugefügt werden, dafür müssen freie Karten und Stifte bereit liegen.

In der Vergangenheit haben immer wieder Menschen den Mut gehabt, sich gegen Missstände aufzulehnen und sich politisch und gesellschaftlich einzumischen. Wir erinnern uns an Frauen, die Veränderungen angestrebt und bewirkt haben.

Die Leiterin lädt dazu ein, dass jede, die das möchte, sich nun eine der Karten mit einem Namen nimmt und sagt, warum sie gerade diese Frau beeindruckt hat.

Gedanken zu 1 Samuel 2,1-10:
„Gemeinde setzt sich ein für Familie aus Afghanistan.“ „Pastor öffnet seine Kirche für afrikanische Flüchtlinge.“ Immer wieder erscheinen solche Meldungen in der Zeitung. Die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union bewegt Menschen dazu, sich einzumischen. Sie wollen es nicht hinnehmen, dass durch Abschiebung Familien zerrissen werden, dass Flüchtlinge in überfüllte Lager zurückgeschickt werden oder gar in Länder zurückgeflogen, in denen ihnen Folter und Verfolgung droht.

Oft werden die Helferinnen und Helfer dabei tätig für Menschen, die sie persönlich kennengelernt haben und nicht einem ungewissen Schicksal überlassen wollen. Aber auch zu anderen Aktionen finden sich Menschen zusammen: Sie blockieren durch ein Volksfest eine ganze Innenstadt für einen geplanten Aufmarsch rechtsradikaler Gruppen.
Sie protestieren wochenlang gegen ein Geschäft, das Kleidung und Tonträger verkauft, die in solchen Kreisen beliebt sind. Frauen bringen den eingeschlafenen Dialog zwischen Kirchengemeinde und Moschee-Verein wieder in Schwung, indem sie sich zu einem regelmäßigen Frauenfrühstück zusammentun, nachdem sie sich bisher bei den offiziellen Treffen allenfalls im Hintergrund hielten.

Was half all diesen Menschen, die Trägheit zu überwinden, die uns zurückgezogen und untätig verharren lässt? Was bewegt uns dazu, die Mutlosigkeit abzuschütteln, die uns oft resigniert fragen lässt: Wer hört schon auf mich? Was kann ich überhaupt ausrichten? Wie kommt es, dass wir uns manchmal in eine Aktion hineinziehen lassen, ja, sogar die Initiative ergreifen, uns mutig ins Getümmel stürzen?

In den 1980er Jahren hatte die Friedensbewegung in Westdeutschland einen neuen Impuls bekommen: In der Bundesrepublik sollten Raketen mit atomaren Sprengköpfen stationiert werden. Dagegen erhob sich an vielen Orten Protest. Damals wurde immer wieder ein bestimmtes Lied gesungen, das für einen Kirchentag geschrieben worden war. Es erklang beim Protestmarsch durch die Fußgängerzone und im Friedenskreis auf dem Marktplatz: „Einsam bist du klein. Aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen sein“.

Das also kann uns Mut machen: Wir sehen, dass auch andere sich für die gleichen Ziele einsetzen – für die gerechtere Behandlung von Flüchtlingen, für die Bewahrung der Schöpfung genau an unserem Lebensort, für Verständigung unter Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Kulturen. Manchmal aber ist es auch gerade das allgemeine Wegschauen und Verstummen, das zum Handeln treibt. „Eine musste es doch tun“, sagt dann die Frau, die als erste auf der Protestliste für ein bedrohtes Naturschutzgebiet unterschreibt. „Wenn nicht wir, wer dann?“ stand hinter dem Mut der Pfarrerinnen und Pfarrer und Kirchengemeinderäte, die ihre Kirchen für die Treffen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR öffneten.

Solcher Protest zeigte sich auch in der Praxis widerständigen Totengedenkens in den Gemeinden Südamerikas zur Zeit der Militärdiktaturen: Im Gottesdienst wurden die Namen Ermordeter oder Verschwundener gerufen, und aus der Gemeinde erklang die Antwort: „presente!“ Denn sie, die auch aus der Erinnerung getilgt werden sollten, sind in der Gemeinschaft der Glaubenden anwesend wie der auferstandene Jesus Christus. Schon der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti hat diese Verbindung zwischen dem Vertrauen auf den zum Leben auferweckenden Gott und dem Aufstand gegen die Todesmächte in der Welt ausgesprochen. Vielen von uns ist der Text aus dem über Jahrzehnte gern gesungenen Kirchentagslied „Das könnte den Herren der Welt ja so passen“ vertraut; hören wir ihn jetzt einmal in seiner ursprünglichen Form:

das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren
die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer

das könnte manchen herren so passen
wenn sie in ewigkeit
herren blieben im teuren privatgrab
und ihre knechte
knechte in billigen reihengräbern

aber es kommt eine auferstehung
die anders ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist
der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren: den Tod

Kurt Marti, das könnte manchen herren so passen.
In: Marti, Leichenreden. © 2001 Nagel und Kimche im Carl Hanser Verlag, München

Vorhin haben wir das alte Lied aus der hebräischen Bibel gelesen: den Psalm der Hanna. Gesungen von einer Frau, die selber jahrelang Beschämung und Spott ertragen hat. Wegen ihrer Kinderlosigkeit war sie verachtet und herabgesetzt. Als sie endlich doch den ersehnten Sohn bekommt, weiht sie ihn zum Dienst für den Gott, der ihr Bitten erhört hat. Er wird als der Prophet Samuel die ersten Könige des Volkes Israel salben. Aber er wird zugleich deren Politik scharf angreifen, Unrecht beim Namen nennen und die Befolgung der Gebote Gottes anmahnen.

Seine Mutter Hanna scheint in ihrem Lied etwas von dieser Kritik und diesem Einsatz für Gerechtigkeit vorwegzunehmen. Denn sie preist den Gott, der für die Armen, Hungrigen und Erniedrigten eintritt. Gottes eigenes Handeln erscheint so als Vorbild für den Einsatz für Rechtlose und Bedürftige.

Auf diesen Willen Gottes zu einem guten Leben für alle haben sich immer wieder Menschen berufen, die sich um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bemühen. Denn: Gott schafft Recht durch gerechte Richterinnen, Gott bewirkt Frieden durch Friedensstifter, Gott macht Hungernde satt, wenn Menschen beginnen, ihre Güter zu teilen. Kann das auch uns ermutigen: Gemeinsam werden wir Anwältinnen des Lebendigen sein?

Hanna lobt Gott für das Handeln an Menschen, die zu ihrer Zeit Not und Unterdrückung leiden. Er macht Hungrige satt und befreit Versklavte. Wofür könnten wir heute Gott loben? Welche lebensschaffenden machtvollen Taten Gottes könnten wir zur Sprache bringen?
– Lasst uns das versuchen: Gott, ich lobe dich für …

Fürbittengebet:
Gott, wir bitten dich für Menschen, die sich in Parlamenten und Gremien engagieren. Hilf, dass sie deine Gebote der Gerechtigkeit bei ihren Entscheidungen vor Augen haben.

Wir bitten dich für alle, die sich um Frieden bemühen zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Völkern und Religionen. Schenk ihnen Mut und einen langen Atem.

Wir bitten für alle, die sich einsetzten für die Gleichstellung von Frauen und Mädchen, für ihr Recht auf Bildung und Berufsausbildung. Sei an ihrer Seite bei diesem mühsamen Kampf.

Wir empfehlen dir diejenigen an, die deine wunderbare Schöpfung bewahren wollen und andere dazu aufrufen.

Zeige uns, Gott, wo unser Platz ist in diesem weltweiten Einsatz für das Leben und gib uns Kraft dazu.
Amen

Vater unser

Segenswunsch:
Gott,
ewig und barmherzig,
segne und behüte uns,
wenn wir gehen
und wenn wir wiederkommen.
Amen

Lied:
Mache dem Furchtsamen Mut
(z.B. im Kirchentagsliederheft 1981) oder:
Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst (EG 607)


Christa Möbius, geb. 1936, hat Theologie studiert. Nach dem Vikariat heiratete sie einen Studienkollegen und engagierte sich zunächst in ihrer Familie mit drei Kindern und ehrenamtlich in den Gemeinden des Ehemannes. Nach dem anschließend abgelegten zweiten Examen arbeitete sie als Pastorin der Nordelbischen Kirche. Mit Eintritt in den Ruhestand begann sie zu schreiben und veröffentlichte Nacherzählungen biblischer Geschichten unter den Titeln „Liebe Schwestern in Christus“ und „Das Nest im Feigenbaum“.


Material: Kärtchen mit Namen / Engagements von Frauen
Helene Lange – Gründerin von Mädchenschulen; Anita Augspurg – Kämpferin für Frauenstimmrecht; Rosa Luxemburg – Mitbegründerin der KPD; Bertha von Suttner – Pazifistin; Elisabeth Selbert – Juristin, eine der vier Mütter des Grundgesetzes; Elisabeth Schwarzkopf – erste Bundesministerin für Gesundheit; Jutta Limbach – erste Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts; Heide Simonis – erste Ministerpräsidentin eines deutschen Bundeslandes; Regine Hildebrand – Bürgerrechtlerin in der DDR und später Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in Brandenburg; Marion Gräfin Dönhoff – Publizistin und Kämpferin für Politik der Aussöhnung mit Polen; Alice Schwarzer – Journalistin und eine der zentralen Figuren der 2. Frauenbewegung; Käthe Kollwitz – Sozialistin und eine der bekanntesten deutschen Bildhauerinnen; Sophie Scholl – Studentin und Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus; Hannah Arendt – jüdische, deutsch-amerikanische Philosophin; Dorothee Sölle – Theologin und Mitbegründerin des Politischen Nachtgebets; Jane Goodal – Verhaltensforscherin und Kämpferin für den Schutz der Lebensräume von Primaten; Elisabeth Käsemann – Sozialarbeiterin, ermordet durch das Militärregime in Argentinien; Indira Gandhi – Ministerpräsidentin von Indien; Hildegard Zumach – Generalsekretärin der EFD und Initiatorin der Kampagne „Kauft keine Früchte der Apartheid“; Annemarie Schönherr – Theologin, Vorsitzende der Ev. Frauenarbeit in der DDR; Madeleine Albright – erste Außenministerin der USA

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