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Apocalypse now?

Vom Bleiben und Vergehen

Das Bild gefiel mir auf Anhieb. Sehr passend, um das „Vergehen von Himmel und Erde“ anschaulich zu machen – und also geeignet für den Titel dieser Arbeitshilfe. Neugierig fragte ich den Besitzer, wo er das Foto gemacht habe. Schließlich hatte ich selbst, am sizilianischen Ätna, glühende Lava gesehen, aber leider nicht fotografiert. Freundlich teilte er mir mit, dass er auch wenig vom Fotografieren verstehe. Und überhaupt sei dies gar kein Foto, sondern ein künstlich am Computer hergestelltes Bild. Nicht wirklich. Rein virtuell.

Mir kam in den Sinn, dass es dann erst recht zur Jahreslosung 2004 passt. Himmel und Erde werden vergehen. Klingt die biblische Ansage in unseren modernen Ohren nicht auch eher unwirklich? Rechnen wir damit, dass das passieren könnte? Oder taugen die kraftvollen biblischen Beschreibungen vom Ende der Welt nur noch dazu, Kriegs- oder auch Antikriegsfilme wie „Apocalypse now“ mit kernigen Titeln zu versehen? Oder uns aus unserer Sprachlosigkeit zu verhelfen angesichts der Schrecken von Klima- und Atomkatastrophen oder Kriegen, die menschliches (Un-) Vermögen hervorruft. Als ob dies zu glauben nicht schon Zumutung genug wäre, setzt das Markusevangelium mit der zweiten Hälfte des Satzes noch eins drauf: Meine Worte aber werden nicht vergehen. Wo wir doch inzwischen daran gewöhnt wurden, in einer Medien- und Kommunikationsgesellschaft zu über-leben, in der heute schon nicht mehr gilt und interessiert, was gestern noch aktuell war. In der Worte oft mehr verdunkeln als enthüllen. In der Worte, Worte, Worte, vom fröhlichen Radiowecker angefangen, uns rund um die Uhr begleiten. Nichts wirklich Wichtiges sagend meist.

Kein Zweifel: Die Jahreslosung „passt“. Sie fordert heraus innezuhalten im Getriebe der Zeit und nach dem zu fragen, was bleibt. Und zu fragen, wie wir es aushalten zu wissen, dass vieles, fast alles vergehen wird, was uns vielleicht im Moment so dauerhaft erscheint. Wir selbst eingeschlossen.

Grundlage und Ausgangspunkt für die angesprochenen Themen bildet die Bibelarbeit von Kerstin Pustoslemšek zum Vers der Jahreslosung aus dem Markusevangelium (Mk 13,31). Ein einziges Bild der Vergänglichkeit stellt eine der drei Jahreslosungskarten dar. Anke Kreutz spürt in ihrer Andacht dem Gott nach, der genau dort, in den Hinterhöfen des Lebens begegnet, wo nichts die Vergänglichkeit überdeckt. Wer darüber nachdenkt, wird schnell erinnert, dass zur vergänglichen Natur auch alle Menschen gehören. Auseinandersetzungen mit dieser schmerzlichen Gewissheit in der Literatur arbeitet Hanna Sauter-Diesing für das Gespräch in Frauengruppen auf.

Sich mit der eigenen Vergänglichkeit, den vielen kleinen Toden schon im Leben auseinander zu setzen und dadurch den Blick frei zu bekommen für das, was Bestand hat, ist das Anliegen der Andacht von Bärbel Haug. Immer schon wussten Menschen, dass Rituale wichtig sind, um lebensgefährliche Übergänge zu bewältigen – etwa dann, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist und wir in Gefahr sind, den Kontakt zum Leben zu verlieren. Ellen Wagener beschreibt, was nach ihrer Erfahrung als Trauerrednerin bei nicht kirchlichen Bestattungen den Angehörigen zum Weiterleben hilft. Und regt an, in Frauengruppen über eigene Erfahrungen zu sprechen und zu prüfen, welche der uns vertrauten Rituale hilfreich sind und welche nicht. Dass Worte, das Wort Gottes zumal, der Vergänglichkeit trotzen können, ist der leitende Gedanke der dritten Andacht, die Brigitte Trompeter geschrieben hat. Im Ersten Testament ist das bleibende, Leben spendende Wort Gottes eng verbunden mit der schöpferischen, heilenden und Zukunft eröffnenden Weisheit, die genaueren Zusammenhänge zeigt Ulrike Denecke in ihrer Bibelarbeit auf.

Die apokalyptischen Traditionen der Bibel verknüpfen das Ende von Zeit und Welt sehr selbstverständlich mit einem Gericht Gottes. Diesem aus heutiger Sicht unzeitgemäßen Gedanken habe ich selbst mich in einer Arbeitseinheit genähert. Und fand heraus, dass die Erwartung eines „dies irae“, eines Tags des göttlichen Zorns manchmal durchaus tröstlich ist. Bedrohlich ist er für diejenigen die meinen, sie besäßen einen Freifahrschein zur rücksichtslosen Ausbeutung der Schöpfung, weil die sowieso ein Ende hat. Anja Vollendorf plädiert für eine verstärkte Politik mit dem Einkaufskorb – in einer Zeit, wo BSE und Hühnerpest in aller Munde sind, zugleich aber „lieber billig statt bio“ eingekauft wird.

Dem unvergänglichen Wort Gottes treu zu bleiben, war für ChristInnen in der DDR die ständige Herausforderung, nach den Grenzen des Möglichen zu suchen. Annemarie Schönherr erinnert daran, was es bedeutete, unter „Ost-Bedingungen“ zu glauben. Die „West-Bedingungen“ des Glaubens in den Jahren vor der Wende reflektieren Elisabeth Freifrau v. Stackelberg und Marielisa v. Thadden. Sie engagierten sich haupt- und ehrenamtlich in der Frauenhilfearbeit, als diese immer neu vor Frage stand, ob, wo und in wieweit sie sich gesellschaftlich-politisch einbringen dürfte, müsste, könnte. Damit schließt die Sonderserie OstWestSichten, mit der wir zehn Jahre gemeinsamer Arbeitshilfe zum Weitergeben gewürdigt haben. Wir danken auch an dieser Stelle den Frauen, die ihre Erinnerungen daraufhin abgeklopft haben, welche Erfahrungen „von damals“ für heute und morgen wegweisend sein könnten.

Im Moment herrscht Hochsommer – aber auch der wird unweigerlich vergehen. Und mit dem Herbst kommen die Vorbereitungen für die Wintersaison der Frauenarbeit. Helgard Mähnert hat dankenswerterweise unterm Sonnenschirm den Vorschlag für eine Adventsfeier in der Frauengruppe erarbeitet.

Möge die Arbeit mit der Jahreslosung es Ihnen leichter machen, das Vergehen zu ertragen – und neue Blicke eröffnen auf das, was bleibt!

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