Den „Sprung in ein anderes Leben“ hat die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim das Mutterwerden genannt. In den westlichen Industrieländern bedeutet für Frauen und für die „neuen Männer“ die Geburt des ersten Kindes: Nichts ist mehr, wie es war. Im Leben „davor“ waren Arbeits- und Lebensformen vorwiegend auf das eigene Leben bezogen, im Leben „danach“ zentrieren sie ums Kind. In diesem neuen Leben gehen die Uhren anders und auch Regeln, Pflichten, Werte sind andere. Und in vielen Fällen war und ist es für Frauen in der Bundesrepublik mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes verbunden: Sie gehen in den sogenannten Erziehungsurlaub – im Jahr 1996 waren es 54% der erwerbstätigen Mütter – oder sie reduzieren ihre Erwerbstätigkeit, oder sie geben ihren Beruf bei Geburt des ersten Kindes auf.
Versorgungs- und Organisationsarbeiten halten nicht nur den eigenen Hausstand in Schwung, auch in „Vater Staats“ Institutionen scheint nichts mehr ohne privat getane „Arbeit aus Liebe“ zu laufen. Was wäre zum Beispiel, wenn es die Milchmütter nicht gäbe? Eine Kakaoflasche lenkt den Blick auf eine Dienstleistung im Schatten und zugleich Hamburger Spezialität: die der Milchmütter nämlich, die im Ehrenamt – versteht sich – in der großen Pause Schulmilch verkaufen. In der Ausstellung (1) ist die Geschichte zu lesen, die Angelika Schirmer dafür aufgeschrieben hat: „Als ,Milchmutter' habe ich jahrelang in der großen Pause Schulmilch verkauft. Das ging unter den Müttern reihum, einmal im Monat. Da hatten wir alle Hände voll zu tun: Geld einsammeln, Wechselgeld rausgeben und oftmals helfen, den Strohhalm in das Päckchen zu stecken. Danach musste das Kleingeld abgezählt und eingerollt werden, die verkauften Päckchen wurden in eine Liste eingetragen. Dann Mülleimer einsammeln und leeren, Schlüssel, Geld und Bestell-Liste abgeben. Auch wenn's Spaß machte – ich war jedes Mal froh, wenn ein Milchmutter-Tag vorbei war.“
Auch pädagogische Dienstleistungen gehören zum Ser vicepaket für das Gelingen des Nachwuchses: Das Spiel „Lerne Lesen und Schreiben im Spiel“ aus den frühen 1960ern zeigt unmissverständlich die Funktion der Mutter als Hilfslehrerin. In erfrischender Ungeschminktheit werden hier auf dem Schachtelbild die Geschlechterrollen in Szene gesetzt: Die Mutter als sanft Anleitende stärkt Hänschen den Rücken beim Lernspiel. Wenn daraus der Ernstfall des Lebens geworden ist, wird sicher dem erwachsenen Hans auch eine Frau im Hintergrund assistieren.
Die Geschichte einer Mutter, die ihr eigenes Geschäft aufgeben musste, als ihre Tochter zur Schule kam, ist typisch für die Zwickmühle Erwerbs- und Mutterarbeit. Sie berichtet: „Am Elternabend wird dann den Müttern vorgehalten, dass es doch zu sehen ist, welche Kinder nachmittags eine Mama zu Hause haben und einen geregelten Mittagstisch: Die würden was leisten! Man fühlt sich quasi gedrängt, zu Hause zu bleiben und nachmittags den Hilfslehrer zu machen.“
Unbeachtet ist auch der Extradienst der außerschulischen Förderungen, der nicht selten auch noch zu mütterlichen Kutschierjob geraten kann, wie Doris Bishop berichtet: „Ich hab ja den ganzen Shuttleservice gemacht, der heute gang und gäbe ist, weil in den Schulen nur ein Mini-Programm angeboten wird. Und wenn ein Kind noch ein bisschen Musik und Sport haben soll und noch andere Fähigkeiten entwickeln darf, dann muss man ja nachmittags quasi die fahrbare Mutter sein, die das Kind hierhin und dahin fährt.“
aus: Arbeitsplatz Kind
in: polis 26
© Hessische Landeszentrale für politische Bildung Wiesbaden
1 Ausstellung im Museum der Arbeit Hamburg; vgl. Anm. 10 auf S. 66 dieser Arbeitshilfe.
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