Ausgabe 2 / 2010 Material von Simone Kluge

Arbeit mit dem Titelbild

Von Simone Kluge


– Bild austeilen oder über OHP/Beamer an die Wand werfen
– Teilnehmerinnen ihren ersten Eindruck äußern lassen: Wie geht es mir mit dem Bild? Wie wirkt es auf mich?
– Bildbetrachtung: Was sehe ich? Was fällt mir auf?

Der Pistolenlauf ist direkt auf die Betrachterin gerichtet. Die Pistole zum Schuss bereit. Fast automatisch richtet sich der Blick auf das schwarze gähnende Loch, den einzig scharfen Punkt in diesem Bild. Die Waffe wird zum Fixpunkt, auf den sich alles konzentriert. Unangenehm sticht sie hervor.

Erst im nächsten Moment kommen die zur Faust geballten Hände in den Blick, hinter denen das Gesicht der „Täterin“ fast verschwindet. Kalkweiß die gekrampften Hände. So unscharf der Kopf, umso stechender der Blick. Die Pupillen – so schwarz wie der Pistolenlauf. Und doch bleibt der Mensch dahinter unscharf, verschwommen.

Eine schmale Gestalt. Eng liegt der Pulli an. Auch das Gesicht wirkt schmal. Hinter dem rechten Ohr gucken ein paar Haarsträhnen hervor. Eigentlich eine gepflegten Erscheinung. Eine junge Frau, so scheint es.

Im Hintergrund eine Wand mit Graffiti. Eine Backsteinwand mit hell abgesetzten Trägern, wie wir sie aus Turnhallen, Schulgebäuden und Unterführungen kennen.

Die Bildoberfläche ist angekratzt. Kratzspuren, wie man sie manchmal in U-Bahnen, Bussen oder Zügen findet. Eine Beschädigung. Das Bild ist beschädigt! Willkürlich gesetzte Kratzer – so wirkt es – verteilt über das ganze Bild. Sie überziehen das Gesicht, den Arm, die Umgebung.

– Welche Fragen wirft das Bild auf? (z.B.: Was ist das für eine junge Frau? Wo befindet sie sich? Warum greift sie zur Waffe? Auf wen oder was zielt sie ab? Was möchte sie wohl aus ihrem Leben beseitigen? Wovor versteckt sie sich hinter der Waffe und den erhobenen Händen? Warum ist das Bild verkratzt?)
– Vermutungen äußern lassen

Das Bild von der verschwommenen Frau hinter der Tatwaffe hält uns einen Spiegel vor. Es zeigt uns, den Betrachterinnen, auf, worauf wir uns so oft konzentrieren, nämlich auf die Tat. Auf die Tat fokussieren wir uns – der Mensch tritt dahinter zurück. Nur schemenhaft nehmen wir die Frau, den Mann wahr, der gestohlen hat, die gemordet hat. Liegt das daran, dass sich die Gestalt selber hinter der Waffe verbirgt? Dass sie sie vor sich stellt, zwischen sich und uns? Dass wir im Moment der Bedrohung blind werden für die Bedürfnisse der anderen? Wer fragt nach der Frau dahinter? Und: Fragen wir nicht oft erst dann, wenn es zu spät ist?

– Reaktionen abwarten

Die schöne glatte Oberfläche ist angekratzt. Wir könnten einen scharfen Gegenstand verwenden oder dicke Stifte und das Bild weiter verschwinden lassen. Bis es uns nicht mehr ansieht, mit den stechenden Augen und dem Pistolenlauf. Wie wir das so oft machen: ab ins Gefängnis, wegsperren, raus aus unserem Blick!

Wir könnten aber auch versuchen, die Beschädigungen an Leib und Seele wahrzunehmen, sie an uns heranzulassen, helfen, sie zu beseitigen. Das ist viel mühsamer. Und vielleicht wird das „Bild“ nie mehr so unbeschadet, wie es einmal war. Aber einen Versuch ist es wert – meinen Sie nicht auch?

– Zeit der Stille
– Abschluss: Wie könnten die „Beschädigungen“ beseitigt werden? Was bräuchte es? Was können wir tun?

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