Ausgabe 2 / 2016 Frauen in Bewegung von Gudrun Fischer

Arbeits- und andere Beziehungen

Supervisorin Barbara Neuhoff im Porträt

Von Gudrun Fischer

„Ich arbeite auch im psychiatrischen Bereich. Da hat es in Bremen in den 80er Jahren die Auflösungen der ge­schlossenen Kliniken gegeben. Ganz persönliche Versprechen wie ‚du kommst nie mehr wieder in ein Heim' wurden gegeben. Die Mitarbeitenden haben dann Weihnachten oder Geburtstage mit PatientInnen verbracht. Die Idee war ja, dass PatientInnen in eine Gemeinschaft eingebunden sind. Doch wenn Sie private Beziehungen mit dem Klientel ein­gehen, kann es übergriffig werden. Es braucht das Persönliche darin – aber nicht das Private.“

Erster Stock in einem großen Altbremer Haus. Knarrende gelbe Holzböden, hohe Decken mit großen Fenstern, die auf eine befahrene Straße gehen. Der große Raum ist sparsam eingerichtet. Nur ein paar Stühle stehen im Kreis. Erwartungsvoll. Wie viele Sorgen werden sie morgen zu hören bekommen? Welche Konflikte wurden gestern auf ihnen gelöst? Hinter dem Raum für Supervisionen liegt das kleine Arbeitszimmer. Ein Schreibtisch, ein Strauß bunter Tulpen. Dieses Haus ist nicht ihr privates Zuhause. Auch sie habe irgendwann erkannt, dass es besser sei, Arbeit und Privatleben zu trennen. Barbara Neuhoff ist schmal und sitzt aufrecht, ganz in schwarz gekleidet. Ihre Stiefel gehen über die Waden, ein bequemes Kleid wirkt zeitlos mit seiner weichen Jacke. Weißblonde glatte Haare, die Welle nach innen liegt auf der Schulter. Gewissheit strahlt die Super­visorin aus, aber keine Ruhe. Sie unterstreicht ihre Aussagen mit den Händen, was weniger nervös wirkt als lebendig.

Eine Person, viele Rollen

Fangen wir mit einer zentralen Frage an. Was ist der Unterschied zwischen Arbeitsbeziehungen und anderen Beziehungen? „Sobald Menschen miteinander zu tun haben, haben sie Beziehungen. Wenn Sie in die Bäckerei da vorne gehen und ein Brötchen kaufen, dann haben Sie eine kurze Beziehung mit der Verkäuferin, auch wenn Sie sich ganz raus halten, auf den Boden schauen und sagen, dieses Brötchen möchte ich. Selbst dann ist es eine Beziehung. In der Sie nicht in Kontakt gehen.“

Doch was für eine Beziehung ist es? „Die Bäckereifachverkäuferin ist im Job und hat die Aufgabe, Brötchen zu verkaufen und nicht ihre persönlichen Themen in das Gespräch zu bringen.“ Beziehungen sind von Rollen geprägt, betont Neuhoff. So ist das im privaten als auch im beruflichen Bereich. „Im privaten Bereich sind Sie in der Rolle als Freundin, Mitbewohnerin, Schwester, Tochter, Mut­ter, als Nachbarin. Sie verhalten sich der Rolle angemessen.“ Doch ist die Rolle immer klar? „Sie haben durchaus mehrere Rollen gleichzeitig. Wir sind zwei Frauen, die hier sitzen. Sie bleiben Frau, aus der Rolle der Frau gehen Sie nicht heraus, die gehört ja zu Ihrer Person. Sie haben hier auch die Rolle der Journalistin, der Fragenden, und ich habe die Rolle der Interviewten. Das ist eine Basis für das, was hier passiert. In den Rollen sind Sie natürlich auch als Person darin.“

Alles unter einem Hut?

In den 70ern, 80ern, erklärt die Supervisorin, sei es ein Credo gewesen, authentisch zu leben. Und sie, die angehende Therapeutin, hielt sich daran. Sie versuchte alles unter einen Hut zu bekommen: Freundschaften, Kinder, Beziehung, Arbeit. Sie wollte immer als ganze Person gesehen werden, in allen Rollen. Zusammen leben und arbeiten, alles zusammen. „Von dem sehr Getrennten ist es in das ganz Persönliche gegangen. Das hat auch damit zu tun, wie ich groß geworden bin. Das war ein bäuerlicher Betrieb, wir lebten zusammen und arbeiteten zusammen. Gleichwohl sind wir Töchter nach der Grundschule in die Stadt auf das Gymnasium gegangen. Das waren zwei ganz unterschiedliche Leben, einmal das schulische Leben und das Leben auf dem Hof. Meine Kindheit habe ich als sehr gehalten erlebt, sehr beschützt. Gleichzeitig war Arbeit immer ein Thema.“ Arbeit und Leben vermischten sich. „Auf dem Hof gab es auch Angestellte, die von meinen Eltern sehr respektvoll behandelt wurden. Aber zu den Angestellten gab es keine Freundschaft, da gab es immer eine Distanz.“ Arbeit betraf immer die gesamte Familie, so Neuhoff. Die Schule war davon vollkommen getrennt. „Das wollte ich später für mich nicht mehr, so getrennt. Deswegen habe ich gleich mit Freunden zusammen gearbeitet. Wir kauften ein Haus zusammen, wo wir mit Kindern alle zusammen gelebt haben.“

Damals fand sie es praktisch, die Praxis zu Hause zu haben. Wegen der Versorgung der Kinder. Aber dann beschwerten sich die Kinder. ‚Da können wir nicht im Garten spielen, können nicht mehr durch das Haus laufen, wissen nicht, ob du in der Arbeit bist oder ob du gerade hier bist,' klagten sie. Die Supervisorin hat auch heute noch nahe Kolleginnen und Kollegen. „Mit einem hat sich, nachdem wir beruflich weiter auseinander gegangen sind, die Freundschaft intensiviert. Es ist wichtig, ein Gleichgewicht zu finden.“

Führten diese anfänglichen Experimente auch zu Konflikten? „Vieles ist daran nicht gelungen, vor allen Dingen, wenn Sie in der beruflichen Rolle sind und Ihre privaten Bedürfnisse und Wünsche mit dort hinein nehmen. Die kriegen Sie überhaupt nicht befriedigt.“ Überfrachtung ist das Stichwort. „Das ist ja manchmal so, dass Menschen sagen, das wäre ganz schön mit uns hier zusammen, wenn die Arbeit nicht wäre. Dann kippt das in das Private, und daraus entstehen Konflikte, die eher im privaten Bereich liegen.“ Und die Konflikte müssen gelöst werden, sonst behindern sie die Arbeit. „Im Beruflichen ist Leistung gefordert. Wenn der Arbeitsanfang um acht ist, muss ich um acht da sein. Ich werde dafür bezahlt, die Arbeit zu erledigen und stelle meine persönlichen Bedürfnisse nach hinten. Im Privaten, wenn ich um acht nicht da bin, dann komme ich eben um halb neun. Allerdings, wenn ich mich im Job zu sehr engagiere und meine eigenen Bedürfnisse ganz hinten an stelle, dann geht das in Ausbeutung über – oder in einen Burn-Out.“

Weitergehen beruflich …

Der Ausstieg aus den Experimenten begann so richtig, als Barbara Neuhoff nach Abschluss des Pädagogikstudiums eine Anstellung an der psychologischen Beratungsstelle der Universität bekam. Da wurde ihr klar, dass eine berufliche Vertiefung nötig war. Ein jahrelanger Zyklus von Fortbildungen folgte. Zunächst eine Ausbildung zur Familientherapeutin. Als im Zusammenhang mit dieser Arbeit immer mehr Anfragen nach Supervision eintrafen, begann sie eine Ausbildung zur Supervisorin. Und als klar wurde, dass die Dynamiken in Gruppen hoch kompliziert und immens spannend sind, setzte sie eine Ausbildung zur Trainerin für Gruppendynamik oben drauf.

Das war womöglich die härteste ihrer Ausbildungen, sagt Neuhoff. Die anspruchsvollste, die sieben Jahre dauerte und die von Anfang bis Ende eine praktische war. Sie fand ausschließlich in den Gruppen statt. Zu zweit mit einem ausbildenden Therapeuten, der jede ihrer Interventionen nach den Sitzungen hinterfragte und mit ihr durcharbeitete.

 … und mit der Familie

„Das ist der beste Beruf für mich. Er begeistert mich immer noch.“ Hier geht ihre Stimme in die Höhe, Freude klingt durch. Doch was sagte die Familie zu den vielen Verpflichtungen? Wie kamen die Kinder damit zurecht? „Nach der Geburt unseres Jüngsten waren die anderen zehn, zwölf und dreizehn Jahre alt. Da blieb ich ein dreiviertel Jahr zu Hause. Nachdem ich einmal den Flur geputzt hatte und die drei älteren Kinder mahnte, nicht sofort wieder drüber zu laufen, sagten sie: ‚Kannst du nicht mal wieder arbeiten gehen?' Also ging ich wieder arbeiten.“ Trotzdem waren immer viele Kinder auf Besuch im Haus. „Manchmal flüsterten unsere Kinder ihren Freundinnen und Freunden zu ‚du musst nicht auf alles antworten'. Wir waren einfach sehr interessiert. Die Freunde fühlten sich wohl, doch unseren Kindern war das unangenehm. Sie fanden, wir fragten zu viel. Heute reden sie anders darüber, aber damals war ihnen das ein bisschen zu viel.“

Keine Wunder, denn auch der Mann von Barbara Neuhoff ist Familientherapeut. Er arbeitet zwar in einem anderen Bereich, doch auch er hatte immer einen full-time-Job. Beide teilten die Erziehungsarbeit minutiös untereinander auf. „Ich konnte mich auf ihn verlassen, er war immer da, immer pünktlich. Wir gaben uns oft die Klinke in die Hand und versorgten die Kinder im Wechsel. Sie kamen früh in die Kindergruppe, in den Hort und in die Schule.“ Das klingt nach einem Leben im Akkord, mit wenig Freiraum. Vor allem, weil jetzt, da die Kinder aus dem Haus sind, das Berufsleben noch einmal richtig in Fahrt gekommen ist. Nie ein Burn-Out? Zum Glück nicht. Erholung zwischendurch verschafft sich Barbara Neuhoff mit Ausstellungsbesuchen, Konzerten, Musik. Und Abstand stellt sie gelegentlich am Wochenende her, wenn sie in ihr gepachtetes Häuschen an die Ostsee fährt.

Zusammen gearbeitet hat sie mit ihrem Mann auch. Das war eine Herausforderung. „Wir richteten es so ein, dass wir einmal im Jahr eine Woche Fortbildung zusammen gaben. Um uns zu erleben, um von einander zu profitieren, weil wir unterschiedlich arbeiten.“ Konsequent hielten sie die Vor- und die Nachbereitung für die Kurse aus dem Privaten heraus. Sie blieben für Besprechungen in der Praxis oder gingen nach der Arbeit in eine Kneipe. „Und wenn wir zu Hause waren, waren wir zu Hause. Die Trennung finde ich wichtig. Meine Arbeit ist für mich sehr gefühlsmäßig besetzt. Um arbeitsfähig zu bleiben, muss ich sie an einem anderen Ort lassen können.“ Trotzdem hatte sie auch heftige fachliche Auseinandersetzungen mit ihrem Partner. „Wenn es grummelte, sagte ich mir, das muss ich morgen ansprechen. Wenn wir einen Termin haben. So in der Art: ‚Mein Kollege, ich muss Dich mal ansprechen'.“ Nach zehn Jahren war Schluss mit den gemeinsamen Seminaren. „Wir merkten, jeder braucht seinen eigenen Bereich. Wir machen viel miteinander, dann müssen wir nicht auch noch zusammen arbeiten. Wir wollten unsere private Beziehung schützen. Da waren wir schon viele Jahre zusammen und wir hatten ja die Kinder. Wir konnten das gut beenden.“

Damit das Team funktioniert

Wie also gestalte ich eine gute Arbeitsbeziehung? „Manche denken, sie müssen den Kundinnen und Kunden gegenüber freundlich sein, aber ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber nicht. Das stelle ich sehr in Frage. Die Zeit, in der ich mit meinem Team zusammen bin, wird genauso bezahlt wie die andere Arbeitszeit, und ich bin dort in meiner beruflichen Aufgabe.“

Wichtig findet Barbara Neuhoff, immer respektvoll zu bleiben. Und sich bei Problemen Unterstützung zu holen. Zum Beispiel KollegInnen zu fragen: „Ich habe das so und so erlebt, wie hast du das erlebt?“ Oder andere in einer schwierigen Situation fragen: „Was für einen Eindruck habe ich auf dich gemacht?“ Rückmeldungen holen, rät die Supervisorin. „Sonst konstruiere ich mir meine Welt. Dann spreche ich den anderen schon so an, dass es nur einen Konflikt geben kann.“ Die Sachebene lässt sich einfach definieren. „Aber darunter gibt es die Ebene unseres Miteinanders. Und dann meine innerste Ebene. Was kommt zum Beispiel in der Sach­ebene an, wenn ich heute Nacht schlecht geschlafen habe?“ Immer wieder geht es um innerste Themen. Die sich in der Sachebene zeigen. Dafür lässt sich ein Bewusstsein entwickeln. „Es ist spannend, zu verstehen, was auf den verschie­denen Ebenen gleichzeitig passiert.“

Jetzt hat die Journalistin gelernt, wie komplex Arbeitsbeziehungen sein können. Doch was wissen wir über Barbara Neuhoff? Kann es sein, dass die Supervisorin so gut geschult ist, ihre Privatleben heraus zu halten, dass sie auch in der Rolle der Interviewten nicht allzu biographisch wird? Deshalb hier noch ein paar Daten im Telegrammstil: Barbara Neuhoff ist seit fast 30 Jahren im therapeutischen Bereich tätig, erst angestellt, dann selbständig. Schon als Schülerin beschloss sie bei einem Bremen-Ausflug: „Hier will ich einmal leben!“ Rosen und Hortensien zieht sie in ihren Gärten und entdeckt gerade mediterran-asiatische vegetarische Rezepte. Sie hat vier Kinder zwischen 23 und 36 Jahren und drei Enkelkinder, mit denen sie gerne Zeit verbringt. Aber: „Eine Alltags-Oma bin ich nicht!“

Gudrun Fischer, geb. 1962, ist Autorin und Journalistin. Sie arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für den Rundfunk und gelegentlich auch für Printmedien, lebt hauptsächlich in Bremen und ein paar Monate im Jahr in Brasilien.

Barbara Neuhoffs Praxis für Familientherapie, Supervision und Gruppendynamik ist in Bremen zu finden. Mehr zur Trainerin/Ausbilderin für Gruppendynamik unter: www.barbaraneuhoff.com

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