Ausgabe 1 / 2017 Material von Anja Dargatz

Armut, Kinder, Arbeitskampf

Der Weg einer Gewerkschafterin in die Politik: Ana Isabel Fuentes Mercado

Von Anja Dargatz

Geboren in der Minenarbeitersiedlung Siglo XX in Llallagua in Bolivien, kennt Isabel die Arbeitswelt in all ihren Facetten. Mit neun Jahren arbeitete sie nach der Schule als Hausangestellte bei ihrer Lehrerin, mit zehn half sie in einem Schuhgeschäft, mit 14 holte ihre Tante sie nach La Paz, um dort Brot zu verkaufen. Ihr stetes Bemühen, die Schule weiterzuführen, wurde endgültig durch Schwangerschaft und Heirat beendet – Jahre der informellen Ausbeutung im Familienbetrieb ihres Mannes folgten. Heute ist Ana Isabel Fuentes Mercado geschieden, mit zwei erwachsenen Kindern, und lebt als Textilarbeiterin von 150 Euro im Monat – seit 2010 ist sie Gewerkschafterin.

Als führendes Mitglied der Fabrikarbeiter_innengewerkschaft kandidierte sie bei den Wahlen im Oktober auf einem aussichtsreichen Platz für die regierende Partei, dem Movimiento al Socialismo (MAS), verpasste allerdings den Einzug in das Parlament ganz knapp. Dennoch für Isabel eine wichtige Entscheidung und ein weiterer Schritt im Einsatz für menschenwürdige Arbeit für Frauen und Männer.

Isabel, wie kam es zu der Entscheidung,
als Abgeordnete zu kandidieren?

Ana Isabel Fuentes Mercado: In einer Vollversammlung der Fabrikarbeitergewerkschaft ging es darum, Kandidat_innen für die Listenplätze zu benennen und es wurde beschlossen, eine Frau zu benennen. Da haben die compañeros mich vorgeschlagen. Sie kennen mich als Kämpferin, als eine, die sie immer unterstützt und angeführt hat. Ich war total überrascht, nervös und habe erstmal zu allem geschwiegen. Erst danach habe ich überlegt: Was ist der nächste Schritt? Was sind meine Vorschläge, die ich einbringen will?

Wie sieht deine politische Agenda aus?
Welche Ideen möchtest du umsetzen?

Ana Isabel Fuentes Mercado: Wir brauchen Gleichheit von Frauen und Männern. Wir müssen Frauen stärken, damit sie ihre Rechte kennen, damit sie trotz ihrer Verantwortung für Kinder und Familie politische Posten übernehmen können. Wir brauchen Kindergärten. Mobbing und sonstige Belästigungen am Arbeitsplatz müssen bekämpft werden. Wir brauchen mehr Fabriken, mehr Produktion, damit die Menschen würdige Arbeit haben. Dazu gehört auch die Nationalisierung der Kooperativen, die den Großteil der Mineralien ausbeuten, ohne Steuern zu zahlen und ohne gute Arbeitsplätze zu schaffen. Warum werden Unternehmen nationalisiert, aber nicht Kooperativen? Ich komme aus ­einer bescheidenen Familie, so will ich auch bleiben. Ich will etwas für die compañeros verbessern, will das, was ich habe, mit ihnen teilen, von ganzem Herzen.

Was war die größte Herausforderung für
deinen Wahlkampf?

Ana Isabel Fuentes Mercado: Die compañeros sagten mir, dass ich Plakate, Aufkleber, T-Shirts, Transparente und solche Dinge für den Wahlkampf brauche. Aber ich lebe nur vom Mindestlohn und muss damit noch die Ausbildung meiner Kinder unterstützen – ich habe kein Geld, um den Wahlkampf zu finanzieren. Wenn sie wollen, dass ich kandidiere, müssten sie mich doch eigentlich unterstützen, oder? Das Problem hat sich bis zum Ende nicht gelöst. Generell ist es nicht leicht, sich zu engagieren und eine Familie zu haben – manchmal kommt man sich wie ein Gast im eigenen Haus vor, weil man so selten da ist.

Wo fandest du während des Wahlkampfes
Unterstützung für deine politischen Ideen?

Ana Isabel Fuentes Mercado: Viele compañeros aus verschiedenen Gewerkschaften unterstützen mich und meine Ideen. Sie bitten mich, dass ich mich einsetze – und dass ich den Kontakt zur Basis halte. Auch Männer tun das. Aber ich sehe auch Allianzen mit den anderen Sektoren, dem MAS, den Barolina Sisa (der indigenen Frauenorganisation), auch sie sind Kämpferinnen, genauso wie die Hausangestellten, die Universitätsangestellten, die Jugendorganisationen. Auf meiner Liste waren 50 Prozent Frauen – mit denen muss man sich verbünden, um sich gegenseitig zu informieren, fortzubilden, die Forderungen vorwärtszutreiben. Nur mit dieser Einheit können wir etwas erreichen.

Wie würdest du das Verhältnis von Männern und Frauen in deinem politischen Umfeld beschreiben?

Ana Isabel Fuentes Mercado: In der Fabrikgewerkschaft gibt es auf nationaler Ebene eine einzige Frau, auf regionaler Ebene sind wir in La Paz zehn. Viele Verbände haben nur eine oder gar keine Frau im Vorstand. Wir Frauen sind nicht daran gewöhnt, uns weiterzubilden und uns einzumischen. Deshalb nehmen die Männer uns auch nicht wahr und berücksichtigen unsere Belange nicht. Frauen können verantwortungsvolle Posten ausführen – wir müssen es nur lernen. Manche sorgen sich, was der Ehemann dazu sagen könnte, die Familie.
Gewerkschaftstreffen stehen im Ruf, dass da nur getrunken wird. Aber der erste Schritt ist, mit dem Partner zu reden zu zeigen, dass das nicht so ist. Viele sagen, dass man sich in einem aussichtslosen Kampf wirft, den man nur verlieren kann. Na und? Wenn das so ist, wissen wir, warum wir verloren haben, und lernen daraus.

Seit 2013 nimmst du an Veranstaltungen der
Friedrich-Ebert-Stiftung teil. Welche Bedeutung
hat die Arbeit der FES für dich?

Ana Isabel Fuentes Mercado: Ich habe so viel gelernt. Was Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz bedeuten, was Patriarchat bedeutet. Ich habe meine Rechte kennengelernt. Früher habe ich nie viel geredet – dank der FES habe ich angefangen, mich einzubringen und zu reden: nicht irgendwas, sondern so, dass man mich versteht, dass ich rüberbringen kann, was ich gelernt habe. Was ich gelernt habe, können auch andere lernen. Es ist meine Aufgabe, andere Frauen dabei zu unterstützen.

aus:
GENDER MATTERS! –
Damenwahl?! Geschlecht und Wahlen
Infobrief zur geschlechterpolitischen Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung – Nr. 4, S. 23-25.
Das Interview führte Anja Dargatz (43). Sie arbeitet seit 2000 für die Friedrich-Ebert-Stiftung und war von 2012 bis 2016 Leiterin des Landesbüros
in Bolivien © Friedrich-Ebert-Stiftung

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