Seit der Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ (1988-1998) ist der Name Aruna Gnanadason vielen in Deutschland ein Begriff. Als Koordinatorin des Frauenprogramms des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)hat sie Einfluss – und sie nutzt ihn, um die Stimme der Frauen zu Gehör zu bringen.
Aruna Gnanadason kommt aus Indien. Sie gehört zur Church of South India und erhält ihre theologische Ausbildung am United Theological College in Bangalore. Sie engagiert sich u.a. bei Vimochana, einem Forum für Frauenrechte in Bangalore und anderen Frauengruppen in Tamil Nadu. Ab 1974 arbeitet sie als Dozentin am Vicharodaya College, dem Frauen College für dynamische Bildung im Ecumenical Christian Center Whitefield in Bangalore, ab 1976 als Dekanin des Programms. 1982 wird sie Stabsmitglied im Frauenreferat des Indischen Christinnenrates, einer Abteilung des Nationalen Kirchenrates in Indien. Sie leistet dort Gleichstellungsarbeit, baut eine Frauenbewegung innerhalb der Kirchen auf und vernetzt Kirchenfrauen mit der säkularen Frauenbewegung. Sie organisiert nationale und regionale Konferenzen für städtische und ländliche Frauen zu Themen wie Frauen und Entwicklung, Frauen in Kirche und Gesellschaft, Gewalt gegen Frauen, Frauen für eine gerechte Gesellschaft, Frauen und Gesundheit, Wissenschaft und Technik mit ihren Auswirkungen auf Frauen.
Sie macht Lobbyarbeit zu Frauenthemen bei der Indischen Regierung, referiert zu Themen wie Frauen und Arbeit, Menschenrechte und Frauenrechte, Ökofeministische Theologie oder Indische Feministische Theologie und ist an Treffen in Europa, Nordamerika und Asien zu Nord-Süd-Fragen beteiligt.
Sie schreibt für christliche und säkulare Publikationen, gibt z.B. den DECADE LINK heraus, ein regelmäßig erscheinendes Nachrichtenblatt während der Ökumenischen Dekade, ist Autorin und Mitherausgeberin mehrerer Bücher.
1983 arbeitet sie im Gottesdienst-Ausschuss der Vollversammlung des ÖRK in Vancouver mit. In der Zeit zwischen den Vollversammlungen von Vancouver und Canberra ist sie stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu Frauen in Kirche und Gesellschaft des ÖRK. In dieser Eigenschaft ist sie auch Mitglied der Beratungsgruppe, die die Zusammenkunft in Seoul zu „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ organisiert.
Im Mai 1991 wird sie Koordinatorin des Frauenprogramms des ÖRK.
Aruna Gnanadason hat zwei Ehrendoktorate erhalten: von der Akademie der Indian Ecumenical Theology and Church Administration und erst kürzlich vom Senate of Serampore Colleges, Indien. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Söhnen.
Wenn Aruna Gnanadason in einem ihrer Vorträge die weltweite Perspektive vermittelt, tritt sie engagiert und kraftvoll auf. Sei es in Afrika oder den USA, in Asien oder Europa – immer verknüpft sie die Situation von Frauen vor Ort mit den globalen Herausforderungen, findet die passenden Worte, um Frauen in ihrem Engagement verbindlich zu stärken. So hat sie den Frauen – und wenigen Männern – bei der bundesdeutschen Konferenz zum Abschluss der Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ die richtigen Worte für die Schlusserklärung zur Verfügung gestellt, als alle um einen sammelnden Gedanken rangen:
„Die Dekade ruft nach einem neuen Verständnis für das, was es bedeutet, Kirche zu sein – es ist deshalb ein tieferes ekklesiologisches Anliegen und nicht nur eins der Gerechtigkeit oder des fairen Ausgleichs. Frauen geben sich nicht zufrieden mit kleinen, ersatzweisen Zugeständnissen – sie verlangen nach etwas mehr. Im Grunde möchten Frauen eine neue Kirche aufbauen, eine Kirche, die von ihrer hierarchischen und lähmenden Institutionalisierung befreit wird, so dass sie wirklich zu einer Bewegung betroffener und engagierter Männer und Frauen wird, die sich um Dienste des Heilens und der Versöhnung bemühen.“
Was „empowerment“ von Frauen bedeutet, ist an Aruna Gnanadason ablesbar. Dieses nahezu unübersetzbare englische Wort von der Befähigung von Frauen und deren In-Macht-, In-Kraft-Setzen macht nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Persönlichkeit aus. Und dieser Funke springt über.
Nachdem die Dekade das Ausmaß an Gewalt und Ausgrenzung gezeigt hat, unter dem Frauen weltweit auch in der Kirche leiden, lädt Aruna Gnanadason nun einzelne Frauen, Frauengruppen wie auch Gruppierungen von Frauen und Männern dazu ein, sich in einen offenen Prozess zum Thema „Kirche-Sein: Stimmen und Visionen von Frauen“ einzubringen. Dieser Prozess ist als ein Beitrag zum ÖRK-Programm „Kirche-sein“ gedacht, das bis zum Jahr 2005 dauern soll. Sie sagt: „Die größte Herausforderung, der wir uns nach wie vor in vielen Situationen gegenübersehen, ist vielleicht die Frage, wie wir den Kirchen unsere Träume und Hoffnungen für die ökumenische Bewegung und für die Kirche verständlich machen können.“ In einer Zeit, in der auch wir als Frauengruppen und -verbände in den bundesdeutschen Kirchen von vielen strukturellen Überlegungen betroffen, aber hoffentlich auch an ihnen beteiligt sind, könnte sich unsere Beteiligung an einem solchen „globalen“ Prozess „Kirche-Sein“ auch vertiefend auf unser Selbstverständnis als Kirche und unser Verhältnis zur Kirche auswirken.
Aruna Gnanadason redet eindeutig, klar und zielgerichtet. Ihre Theologie ist ohne konkreten Lebensbezug undenkbar. Mit wachem Bewusstsein erhebt sie ihre Stimme für Frauen weltweit. Sie ist nicht nur als Expertin für die Situation asiatischer Frauen in Kirche und Gesellschaft zu benennen. Da sie seit Jahren in Genf lebt, weist sie auch uns als europäische Frauen immer wieder darauf hin, mit offenen Augen wahrzunehmen, was hier geschieht an häuslicher Gewalt, Bulimie, Menschenhandel und anderem mehr. Zum Rassismus in Europa, den sie und ihre Familie am eigenen Leib erleben, kann sie einige Geschichten erzählen. Die Aufregung über sogenannte Flüchtlingsströme in westeuropäischen Ländern findet sie völlig unangemessen angesichts vieler anderer Länder weltweit mit ungleich höheren Flüchtlingszahlen.
Aruna Gnanadason ist eine global denkende und handelnde Frau, die sich von den Herausforderungen der Globalisierung nicht niederdrücken lässt. Sie benutzt sie vielmehr, um ermutigende Überwindungsstrategien und -maßnehmen zur Sprache zu bringen. Sicher wird sie auch weiterhin weltweit ihre Stimme zu den Herausforderungen erheben, denen Frauen auf unserem Globus begegnen. Und sie wird überall dort Einspruch erheben, wo unter dem Deckmantel der „Globalisierung“ Frauenrechte beschnitten und das Leiden von Frauen weltweit legitimiert werden sollen.
„Ich glaube, wenn wir alle vergossenen und unvergossenen Tränen der Frauen auf der ganzen Welt sammelten, könnten auch wir unsere Kirche zu einem neuen Leben voller Solidarität und Entschlossenheit taufen.
Die vergewaltigten Frauen aller Kriege und Konflikte, zusammen mit jenen, die ungewollte Kinder in sich tragen, die Frauen, die Belästigungen und Mißbrauch in seelsorgerischen Beziehungen und an ökumenischen Treffen ausgesetzt waren, die Frauen, die aus ihren eigenen unsicheren Familien flohen, die Frauen, die ihre Kinder in die Prostitution verkauften, nach einem eigenen Leben in der Prostitution – diese und viele andere Frauen rufen die Kirche auf, ihre Schreie zu hören und sie bei der Bewältigung ihres Schmerzes zu unterstützen. Sie machen aber auch klar, dass eine solche Solidarität nur möglich wird, wenn die Kirche bereit und willig ist, Frauen in ihren Anstrengungen bei der Schaffung sicherer Räume und gesicherter Arbeitsbedingungen zu unterstützen, damit sie furchtlos an der Gestaltung einer gerechten und friedlichen Welt für alle Menschen arbeiten können.“
Während des Dekadefestivals 1998 in Harare haben Frauen Wasser aus allen Kontinenten mitgebracht und symbolisch die Tränen der Frauen weltweit in einem großen Krug gesammelt. Aber immer noch warten die Frauen darauf, dass sich die Kirche mit dem Wasser aus diesem Krug zu einem neuen Leben voller Solidarität und Entschlossenheit taufen lässt.
Anja Vollendorf, geb. 1965, ist Pfarrerin bei der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen mit Arbeitsschwerpunkten in der Ökumene und zum Thema „Gewalt gegen Frauen“. Von 1997 bis 1999 war sie Pfarrerin der Westfälischen Arbeitsstelle „Ökumenische Dekade Kirchen in Solidarität mit den Frauen“.
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