Alle Ausgaben / 2009 Bibelarbeit von Katrin Keita

Auf der Suche nach Eden

Bibelarbeit zu Genesis 2

Von Katrin Keita


Wo ist der Garten Eden? Wo liegt das Paradies? Eine Gartenzeitschrift, einige Sauna-Clubs, mehrere Restaurants, eine Massage-Praxis, ein Tierheim, eine Diskothek, einen Radio-Sender: das alles findet die Suchmaschine im Internet unter dem Stichwort „Garten Eden“.

Der „Garten Eden“ und sein begrifflicher Zwilling, das „Paradies“, sind scheinbar allgegenwärtig. Die Werbung bedient sich ihrer, um die Erfüllung all unserer Wünsche zu suggerieren. Unter www.paradies.de kann ich Bettwaren und Matratzen bestellen. Der Begriff „Urlaubsparadies“ ist schon so „abgenudelt“, dass er kaum noch tiefe Sehnsüchte weckt. Der neueste Slogan einer großen Baumarkt-Kette fordert mich auf: „Hol dir das Paradies nach Hause.“

Aber ich bin auf der Suche nach dem eigentlichen, dem alten, dem biblischen Garten Eden. Ich bemühe noch einmal die Suchmaschine, tippe meine Frage ein: „Wo ist der Garten Eden?“ Nach einem Klick werde ich auf eine Seite der Berliner Zeitung aufmerksam gemacht, die eine Antwort zu haben scheint: „Ost-Türkei: Forscher finden Garten Eden“ titelt sie am 1. März 2009. Und die Unterzeile lautet: „Im Südosten Anatoliens haben Wissenschaftler die Überreste des biblischen Paradieses gefunden“. Ich hätte nicht gedacht, dass es eine so einfache Antwort auf meine Frage gibt! Beim Lesen stelle ich fest: So einfach ist es wohl doch nicht. Ein gigantisches, wahrscheinlich steinzeitliches Heiligtum haben die Forscherinnen und Forscher in Göbekli Tepe gefunden. Es ist von Menschen errichtet worden, die Tiere jagten und Essbares sammelten, um zu überleben. Der Fundort des Heiligtums liegt im Umkreis des Gebietes, in dem Genetiker den Ursprung unseres Kulturgetreides und damit den Ursprung des Ackerbaus vermuten. Möglicherweise sind also erstmals in dieser Region Menschen dazu übergegangen, den Boden zu bearbeiten, anstatt einfach nur zu sammeln, was die Natur von sich aus hervorbringt. Dass die biblische Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies diesen Übergang reflektieren könnte, ist schon vielfach gesehen worden. Doch daraus zu konstruieren, dass der biblische Garten Eden deshalb in der Ost-Türkei gelegen haben muss, ist reichlich spekulativ.


Gleich neben Indien?

Bei meiner Internet-Recherche bin ich aber noch auf eine weitere spannende Spur des Gartens Eden gestoßen. Auf der Ebstorfer Weltkarte, die aus dem Hochmittelalter stammt, ist der Garten Eden eingezeichnet, und zwar im Osten, gleich neben Indien. Auf der Karte liegt der Osten oben, unmittelbar benachbart dem Gesicht Jesu. Die ganze Welt erscheint als Leib Christi. An der Seite der als Kugel dargestellten Welt zeigen sich die Hände Christi, unten schauen seine Füße hervor. Im Zentrum der Weltkarte liegt Jerusalem. Das Paradies befindet sich also nach der mittelalterlichen Auffassung im Osten. Im Osten? Wieso im Osten? Ich lese den Bibeltext 1.Mose 2,8 nach: Nun legte Adonaj, also Gott, einen Garten in Eden an, das ist im Osten, und setzte das gerade geformte Menschenwesen dort hinein. (1)

Liegt das Paradies wirklich im Osten? Im hebräischen Text steht das Wort miqädäm. Es kann zwei Bedeutungen haben: „im Osten“ oder „in der Vorzeit“. Grammatikalisch ist hier beides möglich. Bezeichnet miqädäm eine Richtung, wird es jedoch meist mit einer Ortsangabe und mit der Präposition „hin … zu“ verbunden. Oder es steht parallel zu einer anderen Himmelsrichtung wie zum Beispiel „Westen“. Beides ist hier nicht der Fall. Zudem gibt es keine anderen biblischen Texte, in denen zu lesen ist, dass der Ausgangspunkt der Menschheit im Osten lag. Die Übersetzung „Vorzeit“ erscheint deshalb nicht nur möglich, sondern sie ist an dieser Stelle vorzuziehen. Ich versuche eine eigene Übersetzung des ersten Teils von 1.Mose 2 und begegne mehreren weiteren geographischen Angaben in der Erzählung vom Garten Eden:

4Als Adonaj, Gott, Erde und Himmel machte – 5noch war kein Gesträuch des Feldes auf der Erde, und es wuchs noch kein Kraut des Feldes, denn Adonaj, Gott, hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde, und es gab keinen Menschen, um den Boden zu bearbeiten, 6und Grundwasser stieg auf von der Erde und tränkte die ganze Oberfläche des Erdbodens – 7da bildete Adonaj, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdboden, und blies seiner Nase Lebensatem ein. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen. 8Und Adonaj, Gott, pflanzte einen Garten in Eden, zu Vorzeiten, und er setzte dort -hinein den Menschen, den er gebildet hatte. 9Adonaj, Gott, ließ sprießen aus dem Erdboden allerlei Bäume, lieblich anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. 10Und ein Fluss entspringt in Eden, den Garten zu bewässern; von dort teilt er sich und wird zu vier Armen. 11Der Name des ersten ist Pischon: Der umfließt das ganze Land Chawila, wo das Gold ist. 12Und das Gold dieses Landes ist gut; dort gibt es Bedolach-Harz und Schoham-Steine. 13Der Name des zweiten Flusses ist Gichon: Der umfließt das ganze Land Kusch. 14Der Name des dritten Flusses ist Chiddekel: Der fließt östlich von Assur. Der vierte Fluss ist der Euphrat. 15Und Adonaj, Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, um ihn zu bebauen und zu hüten.


Nahe Euphrat und Tigris?

Ein Fluss entspringt in Eden, der teilt sich in vier Arme: Pischon, Gichon, Chiddekel und Euphrat. Der Euphrat ist bekannt. Der Chiddekel wird meist mit dem Tigris identifiziert. Euphrat und Tigris sind im heutigen Irak zu suchen. Doch die anderen beiden Flüsse werfen große Fragen auf. Eine Quelle namens Gichon gibt es in Jerusalem (1 Könige 1,38), aber von einem Fluss kann keine Rede sein. Einige setzen den Gichon mit dem Nil gleich. Das mit dem Gichon verbundene Land Kusch könnte Äthiopien sein, was jedoch nicht zu der Gichon-Quelle in Jerusalem passt. Der Pischon ist unbekannt. Die Mutmaßungen, welcher Fluss gemeint sein könnte, reichen von der Donau bis zum Ganges. Wo das Land Chawila lag, bleibt ein Rätsel. Die verschiedenen geographischen Angaben lassen sich nicht zur Deckung bringen. Sie halten es in der Schwebe, wo der Garten Eden zu verorten ist.

Wo ist der Garten Eden? Vielleicht kann ich die Paradies-Erzählung auch ganz anders lesen, gewissermaßen gegen den Strich, nämlich von ihrem Ende in Kapitel 3 her: 23Da schickte Adonaj, Gott, den Menschen aus dem Garten Eden, um den Erdboden zu bearbeiten, von dem er genommen ist. 24Und er vertrieb den Menschen, und ließ östlich des Gartens Eden wohnen die Cherubim und die Flamme des Wirbel-Schwertes, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.

Zwei Dinge fallen mir auf: Das eine ist die Richtung, in der die Menschen den Garten Eden verlassen mussten: Nach Osten hin, denn sonst würden dort nicht die Wächter stehen, um eine Rückkehr in den Garten zu verhindern.

Das andere ist das Wort garasch. Es bedeutet „vertreiben“. Mir ist das Wort im Hoseabuch begegnet. Dort steht es in einem ähnlichen Zusammenhang. Gott vertreibt Menschen, weil sie gegen sein Gebot gehandelt haben. In Hosea 9,15 heißt es: Wegen ihrer bösen Taten vertreibe ich sie aus meinem Haus. Mit dem „Haus Gottes“ ist das Land gemeint, in dem Israel lebt. Der Prophet Hosea droht Menschen seines Volks das Exil an. Und das Exil liegt für Israel und Juda immer im Osten! 722 v. Chr. wird die israelitische Oberschicht nach Assyrien verschleppt, 597 und 587 v. Chr. werden Judäerinnen und Judäer nach Babylonien weggeführt.


Ort der Sehnsucht

Wenn ich diesen Spuren nachgehe, dann lese ich den Text als Momentaufnahme aus der Zeit des babylonischen Exils. Die Vertreibung aus dem Paradies könnte demnach die Vertreibung aus dem Land spiegeln.(2) Dann wäre der Garten Eden nicht im Osten zu suchen. Dann stellte das Paradies ein idealisiertes Abbild des Landes dar, in dem Israel und Juda gelebt haben.(3) Dann wäre es aus der Perspektive der Menschen, die die Garten-Eden-Geschichte aufgeschrieben haben, der Ort, wo sie oder ihre Mütter und Väter einst lebten. Wo sie verwurzelt waren. Wo die Verehrung ihres Gottes möglich war. Wohin sie sich zurücksehnten: An den Strömen Babels – dort saßen wir und weinten, wenn wir uns an Zion erinnerten. (Psalm 137,1) Wo sie nicht sein konnten, weil ihnen ein babylonischer Cherub den Weg versperrt.(4)

Weitere Hinweise führen in dieselbe Richtung. Immer wieder wird das Land mit Worten beschrieben, die an ein Paradies denken lassen. Eine der bekanntesten Charakterisierungen steht in 4.Mose 13,27: das Land, das von Milch und Honig trieft. Eine andere findet sich in 5.Mose 8,7-9: 7Ja, Adonaj, Gott für dich, bringt dich in ein gutes Land, mit Flussläufen, Quellen und Grundwasser, das in den Tälern und im Gebirge hervorquillt, 8ein Land voller Weizen und Gerste, voller Weinstöcke, Feigen- und Granatbäume, ein Land der Olivenbäume und des Honigs, 9ein Land, in dem du dein Brot nicht in Armut essen musst und es dir nicht an irgend etwas mangelt, ein Land, dessen Gestein eisenhaltig ist und aus dessen Gebirge du Erz gewinnst.

Das Zentrum des Landes, Jerusalem, wird entgegen der Wirklichkeit als wasserreiche Stadt geschildert: Die Arme eines Stromes erfreuen die Stadt Gottes. (Ps 46,5) Doch Paradies und Land verbindet noch mehr. Gott hat den ersten Menschen den Garten Eden gegeben, und er hat Israel das Land gegeben. Sowohl das Leben der Menschen im Paradies als auch ihr Leben im Land war mit bestimmten Verpflichtungen Gott gegenüber verbunden. Der Verlust des Landes wie des Paradieses wird biblisch damit begründet, dass Israel diese Verpflichtungen gebrochen hat (z.B. 2. Chronik 36,11-21).


Eden ist das Land

Wo ist also der Garten Eden? Der Garten Eden ist das Land. Das Land ist das Paradies. Der Garten Eden liegt auf Erden, nicht im Himmel. Er ist unerreichbar, aber nicht entrückt.

Es bleibt zu fragen: Wo ist unser Garten Eden? Wo ist unser ganz persönliches Paradies? Wo ist der Ort, aus dem wir Kraft schöpfen können? Wo ist der Ort, nach dem wir uns sehnen? Der uns unerreichbar scheint, der aber nicht verloren ist, weil wir ihn kennen, uns an ihn erinnern? Zu dem wir uns immer wieder auf den Weg machen wollten, es aber nicht geschafft haben, weil so vieles andere dringender war?

Unser Garten Eden kann ein Baum in unserem Heimatdorf sein, auf den wir als Kind geklettert sind. Oder ein Haus, in dem wir uns geborgen fühlten. Ein Garten, der unsere Seele berührt hat. Ein Berg, auf dem wir die Nähe Gottes spürten. Vergessen Sie Ihr Paradies nicht. Halten Sie die Sehnsucht wach. Und wann immer es möglich ist, kehren Sie zurück zu Ihrem Garten Eden. Der Cherub steht schon lange nicht mehr davor.


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:

–  kritische Auseinandersetzung mit dem inflationären Gebrauch des Paradies-Begriffs in den Medien
–  Orte in der eigenen Biographie, die Kraftquellen sein können, ins Bewusstsein rufen
– Ermutigung, sich dieser Orte zu erinnern und wieder mit ihnen in Berührung zu kommen


Zeit:

1,5 bis 2 Stunden


Material:

– verschiedene alte Zeitschriften
(z.B. Spiegel, Focus, Frauenmagazine)
– weißes Plakat (für die Collage), Scheren, Klebestifte
– Bibel in gerechter Sprache
– Papier, Stifte
Für AbonnentInnen sind die Texte und Bilder unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet.


Ablauf:


Einstieg
Die Zeitschriften werden verteilt; die Frauen durchsuchen sie (evtl. in kleinen Gruppen) nach Bezugnahmen auf die biblische Paradies-Geschichte. Die entsprechenden Bilder und Texte werden ausgeschnitten und zu einer gemein-samen Collage verarbeitet.


Bibelarbeit
– Lesen des Textes 1.Mose 2,4-15 und 3,23-24 (Bibel in gerechter Sprache)
– Die Frauen überlegen gemeinsam, wo der Garten Eden gelegen haben könnte.
– Eventuell Betrachtung der Ebstorfer Weltkarte. Input der Gruppenleitung: Die Verortung des Gartens Eden ist unsicher. Der Garten Eden könnte mit dem Land Israel identifiziert werden.
–  Die Teilnehmerinnen ziehen sich für einen Moment zurück und denken über Orte in ihrer Biographie nach, die für sie ein Stück Paradies gewesen sind. Sie können diese Orte skizzieren oder einige Stichworte dazu aufschreiben.


Abschluss
Jede Frau, die das möchte, sollte Zeit bekommen, von ihrem eigenen Paradies zu erzählen. Wenn gewünscht, kann aus den persönlichen Skizzen und Notizen eine zweite Collage erstellt werden.


Dr. Katrin Keita, Jahrgang 1969, arbeitet als freie Theologin und Journalistin in Dinslaken.


Verwendete Literatur:

Werner Berg: Israels Land, der Garten Gottes.
Der Garten als Bild des Heiles im Alten Testament, In: Biblische Zeitschrift 32 (1988), S. 35-51
chrismon. Das evangelische Magazin, Heft 04/2009 (Titel: Lass uns wieder rein! Okay, wir haben das Paradies verspielt. Aber das kann doch nicht alles gewesen sein)
Frank Crüsemann/Marlene Crüsemann: Die Gegenwart des Verlorenen, in: „Schau an der schönen Gärten Zier…“ Über irdische und himmlische Paradiese. Zu Kult und Kulturgeschichte des Gartens, Jabboq Bd. 7, Gütersloh 2007, S. 25-68
Katrin Keita: Gottes Land. Exegetische Studien zur Land-Thematik im Hoseabuch in kanonischer Perspektive, Hildesheim 2007, S. 305-332


Anmerkungen:

1 Sofern nicht anders angegeben, alle Übersetzungen in dieser Bibelarbeit nach: Ulrike Bail u.a. (Hgg.): Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006. Das Buch Genesis / 1.Mose wurde übersetzt von Frank Crüsemann und Jürgen Ebach.

2 Hier kommt die Frage nach dem Alter der Garten-Eden-Erzählung ins Spiel. Lange wurde angenommen, dass sie etwa um 950 v. Chr. entstanden ist. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Stimmen, die die Endfassung des Textes für bedeutend jünger halten (etwa 500–400 v. Chr).

3 In der jüdischen Auslegung ist diese These weit verbreitet.

4 Der Name „Cherub“ stammt aus dem Babylonischen. Cherubim sind geflügelte Mischwesen aus Mensch und Tier, die in der babylonisch-assyrischen Kunst häufig dargestellt werden.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang