Alle Ausgaben / 2012 Artikel von Gisela Egler-Köksal

Auf ewig einander fremd?

Kennen-Lern-Ort christliche Gemeinde

Von Gisela Egler-Köksal

Von Beginn an haben sich Menschen unterschiedlichster Herkunft von der christlichen Botschaft ansprechen lassen. Die Christinnen und Christen waren anfangs ein „bunter Haufen“ unterschiedlicher Kulturen und gesellschaftlicher Zugehörigkeiten.

Sie lebten in den Schmelztiegeln der großen Städte rund um das Mittelmeer. Auf der Suche nach Arbeit wanderten viele von einem Ort zum anderen. Immer wieder kam es in den Gemeinden zu Auseinandersetzungen: Wer gehört dazu? Wie verhalten Christinnen und Christen sich „richtig“ – etwa im Gottesdienst, beim gemeinsamen Essen und in der Fürsorge füreinander? Paulus beschreibt die Leitlinie der Zugehörigkeit so: „Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.“ (Galater 3,18; Übersetzung der Zürcher Bibel)

Nicht die Herkunft ist für Paulus entscheidend, sondern die gemeinsame Gegenwart, das Verbindende, nämlich das Einssein in Jesus Christus. Von dieser Maxime her schaut er, was für die Gemeinde jeweils hilfreich ist und was dem Zusammenhalt schaden würde. Offensichtlich werden diese Themen in den Gemeinden sehr kontrovers diskutiert, sonst hätte Paulus nicht so klar und deutlich Stellung bezogen und seine Überzeugung nicht so pointiert vorgetragen.

„Einssein in Christus“ in Deutschland

In Deutschland leben heute Christinnen und Christen aus vielen Ländern dieser Erde. Evangelische und katholische Ortsgemeinden waren und sind dabei häufig Orte, die christliche EinwanderInnen aufsuchen, eben weil sie sich im Glauben verbunden sehen: Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg, später Aussiedlerinnen und Aussiedler, Auslandsgemeinden von ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlingen und Studierenden. Austausch zwischen den verschiedenen Konfessionen und Sprachgruppen gibt es außerhalb der eingespielten Kreise und der etablierten Ökumene der beiden Großkirchen allerdings relativ wenig.

Für die Menschen in den Gemeinden beginnt der Kontakt oft damit, dass sie gemeinsam Kirchen und Gemeinderäume nutzen. Der Weg ist dabei meist so: GemeindeleiterInnen oder PfarrerInnen der EinwanderInnengemeinden fragen bei evangelischen und katholischen Ortsgemeinden nach einem Raum, in dem sie Gottesdienst feiern können. Daraus wird dann ein Mieter-Vermieter-Verhältnis. Austausch gibt es oft nur bei Konflikten wegen der Raumnutzung. Manchmal werden gemeinsame Gottesdienste gefeiert – doch dabei bleibt es dann auch. Dass dies so ist, hängt häufig auch mit dem Selbstverständnis der Ortsgemeinden zusammen, die in Generationen gewachsen sind und ihre festen Strukturen und Selbstverständlichkeiten entwickelt haben.

Kultur und Glauben

Vieles, was für uns ganz selbstverständlich zum Gemeindeleben dazugehört, ist in unserer jeweiligen Kultur beheimatet. Denken wir nur an den Adventskranz, den Weihnachtsbaum, die Trommeln, die bunten Gewänder und die Kerzen. Was jeweils „selbstverständlich“ erscheint, ist weitgehend kulturell verankert, Wenn wir mit ChristInnen anderer Prägung Gottesdienste feiern, merken wir, wie ungewohnt dies ist und dass wir uns fremd fühlen. Gleichzeitig sind wir neugierig und gespannt. Wir müssen nicht mehr weit reisen, um „ganz andere Welten“ kennenzulernen. Mit „wir“ meine ich hier übrigens beide – „uns“ ebenso wie „die anderen“!

„Kultur bedeutet Beheimatung, aber eben immer auch Begrenzung auf diejenigen, die diese kulturelle Prägung schätzen und sich in ihr auskennen. … Die jeweilige kulturelle Prägung des Christentums wird in der konkreten Begegnung deutlich“1) – bei Gesprächen oder auch gemeinsam gefeierten Gottesdiensten. In der Begegnung erleben wir unsere Grenzen und tauchen in für uns Neues ein. Wie kann beides seinen Raum finden: das berechtigte Bedürfnis nach Beheimatung und die ebenso wichtige Öffnung für ChristInnen, die kulturell anders verortet sind? Dabei spielt die jeweilige soziale und gesellschaftliche Verortung in der Gesellschaft eine wesentliche Rolle. Ob man eine sichere Arbeit und Wohnung hat, krank oder gesund ist, einen legalen oder nicht gesicherten Aufenthalt, eine gemeinsame Sprache hat, in der man sich verständigen kann oder nicht – all das beeinflusst die eigenen Möglichkeiten sich anderen zu öffnen und für sie da zu sein. „Wer im Alltag …
immer wieder die Erfahrung von rassistischer Ausgrenzung macht, hat meist nicht die Kraft, sich am Wochenende in der Kirche nochmals erheblichen Fremdheitserfahrungen auszusetzen. Dann ist es gut, mit Gott so zu reden, wie es aus meinem Herzen kommt – egal mit welcher Zunge.“2)

Pfad-FinderInnen

NeulandbegeherInnen, ReiseführerInnen und DolmetscherInnen, die in der Welt der Etablierten und der Zugewanderten zu Hause sind, werden gebraucht – besonders bei Konflikten.3) Das Miteinander-im-Kontakt-sein über die „Kulturgrenzen“ hinweg ist häufig noch von kolonialen Bildern geprägt. Diese gilt es aufzudecken und durch neue, für das Miteinander hilfreichere zu ersetzen. Diese „ReiseführerInnen“ werden gebraucht, wenn Themen wie Armut, Abschiebung, Vorstellungen von Partnerschaft und Einstellungen zur -Homosexualität auf den Tisch kommen.4) Solche „DolmetscherInnen“ werden auch gebraucht, wenn es um die „Schlüsselfrage“ geht, es zu Konflikten in der Raumnutzung kommt. Sie werden gebraucht, um die jeweiligen Erwartungen aneinander zu klären und miteinander auf einen guten Weg zu kommen. Denn sie wissen darum, dass viel Geduld gebraucht wird, Neugier und vor allem Humor, den Mut Fehler zu machen und diese nachher zuzugeben und die Freude, auch über sich selbst lachen zu können. Last not least nehmen sie Paulus ernst und wissen, dass Auseinandersetzungen und -Konflikte in christlichen Gemeinden dazu gehören.

Und es braucht FreundInnen. Vielleicht ist es ja so einfach und zugleich so komplex: Machen wir uns auf die Suche nach FreundInnen! Seien wir neugierig! Stärken wir unsere Fähigkeit uns zu befreunden!

Ökumenische Leitsätze

Für ein Kennenlernen und Zusammenarbeiten auf Augenhöhe – sei es als Frauengruppen, als Gemeinden oder auch als einzelne Christinnen und Christen – sind die ökumenischen Leitsätze, die sich die Mitgliedsverbände des Christinnenrates gegeben haben, eine gute Grundlage.5) Es heißt dort:

Ökumenisches Denken und Handeln wird getragen von/vom

-Vertrauen in die begleitende, tragende, ergänzende und korrigierende Geistkraft Gottes;
-Reflexion und Pflege der je eigenen konfessionellen Tradition und die
-Bereitschaft, sie mit „den anderen“ zu teilen, aber auch, sich in aller Offenheit mit ihnen auseinander zu setzen;
-Wert schätzendem Interesse an den je anderen konfessionellen Traditionen, Stärken und Eigenheiten und die Bereitschaft, sich von diesen bereichern zu lassen;
-Bereitschaft, den Reichtum der Vielfalt christlicher Konfessionen zu erkennen und die Begrenztheit der je eigenen Konfession wahrzunehmen;
-Mut zu neuen Schritten im ökumenischen Miteinander;
-Erinnern und Aufgreifen christlicher Frauentraditionen (z. B. Mystik);
-Willen zur intellektuellen Auseinandersetzung mit den theologischen Differenzen und Fortschritten zwischen den Kirchen und Konfessionen und ihren jeweiligen historischen Ursachen
-Bereitschaft zum gemeinsamen Zeugnis vom Gott des Lebens und von der heilenden und befreienden Reich-Gottes-Botschaft Jesu Christi;
-Praxis gemeinsamen Gebetes und gemeinsamer Gottesdienste, in deren Vielfalt Bereicherung erlebt und Einheit erfahren werden kann.

Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit
für beide Einheiten je ca. 1,5 Stunden

„Gut-tu-Erfahrungen“ in der Fremde

Material
Flipchart oder Wandtafel, dicke Stifte, Papier und Stifte, Karten

Ablauf
– Fremdheitserfahrungen
Stellen wir uns vor: Wir sind „neu“ in einer Stadt, in einem Dorf, in einem Land, in einer Gruppe, an einem Arbeitsplatz, in einer Gemeinde. Woran merken wir, dass wir nocht nicht dazu gehören? Was haben wir selbst erlebt?

„Fremdheitserfahrungen“ in kleinen Gruppen sammeln und auf Karten schreiben; anschließend Austausch im Plenum / Karten aufhängen

– „Gut-Tu-Erfahrungen“
Was hat mir schon einmal geholfen, mich in einer neuen oder fremden Situation zurechtzufinden und mich „heimisch“ zu fühlen?

Stillarbeit oder Partnerinnengespräch: drei „Gut-Tu-Punkte“ auf Karten schreiben; dann wieder Austausch im Plenum / Karten aufhängen

Spielen: 3er-Gruppen bilden mit der Aufgabe, dass eine einer anderen den Weg vom Bahnhof zur Kirche o. ä. beschreibt – überwiegend in Fantasiesprache, evtl. mit für beide verständlichen „Sprachbrocken“ (dt., engl.)
Die „Beschreiberin“ bedient sich als Verhaltensweise entweder bei den „Fremdheitserfahrungen“ oder lässt ihr Handeln von den „Gut-Tu-Erfahrungen“ leiten. Die Frauen überlegen, wen sie jeweils spielen (Haarfarbe, Hautfarbe, Kleidungsart).
Die dritte Frau ist Beobachterin. Je nach vorhandener Zeit werden die Rollen getauscht. Austausch darüber zunächst in der Kleingruppe, dann im Plenum.

Ökumenischen Leitsätze

Material
Papierrolle oder große Plakate (für die Tische) Stifte, je einen Leitsatz auf ein Din A4 Blatt kopieren (entweder alle Leitsätze oder eine Auswahl)
Kopiervorlagen für AbonnentInnen – unter www.ahzw-online.de / Service
zum Herunterladen

Vorbereitung: Tische so im Raum verteilen, dass sie bequem umrundet werden können; auf jedem Tisch liegen eine oder zwei der „Leitsätze“ sowie Papierrollen oder Plakate und Stifte

Ablauf
– Einführung:
Heutzutage leben Christinnen und Christen unterschiedlichster Traditionen aus vielen Ländern der Welt in Deutschland. Welche Haltung hilft uns, einander auf Augenhöhe zu begegnen und über die verschiedenen Wege unseren Glauben zu leben in Kontakt zu kommen? Im Christinnenrat haben sich konfessionelle und ökumenische Frauenorganisationen in Deutschland zusammengeschlossen, um die ökumenische Gemeinschaft unter den Frauen zu stärken und die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen in den ökumenischen Dialog einzubringen. Nach einem intensiven Diskussionsprozess haben die Mitglieder sich auf „Ökumenische Leitsätze“ für die Zusammenarbeit und die je eigene ökumenische Weiterentwicklung verständigt. Einige dieser Leitsätze sind auf den Tischen verteilt. Ich bitte Sie, von einem Tisch zum anderen zu gehen, sich die Sätze in Ruhe durchzulesen und Eindrücke und Gedanken dazuzuschreiben. Bitte sprechen Sie dabei nicht miteinander, sondern nutzen Sie nur den schriftlichen Austausch. – ca. 15-20 Minuten

-Plenum
Die Leitsätze und die Kommentare werden nacheinander vorgelesen und diskutiert.

-Abschluss
Wenn ich einen Traum von der Kirche habe, so ist es der Traum von den offenen Türen gerade für die Fremden, die anders sprechen, essen, riechen. Mein Haus wünsche ich mir nicht als eine für andere unbetretbare Festung, sondern mit vielen Türen. Heimat, die wir nur für uns selber besitzen, macht uns eng und muffig. Jeder Gast bringt etwas mit ins Haus, das wir selber nicht haben. Heimat und Exil gehören zusammen, weil wir ganz zu Hause auch im schönsten Haus nicht sind.

D. Sölle, aus: Mutanfälle, Hamburg 1993, zit. nach: Gesammelte Werke Bd. 3, Stuttgart 2006, S. 291 f

Anmerkungen

1 Martina Severin-Kaiser, Interkonfessioneller Gemeindedialog in Hamburg, in:
Glauben leben – vielfältig, international, interkulturell. Migrationsgemeinden und deutsche Gemeinden auf dem Weg, Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, S. 44. Diese sehr lohnenswerte Broschüre kann kostenlos bestellt werden unter: http://www.kirchliche-dienste.de/themen/88/1562/0/0/0.htm
2 ebd., S. 44
3 Vgl. ebd., S. 46
4 Vgl. ebd., S.46
5 Zum Christinnenrat haben sich im Jahr 2000 viele der bundesweit tätigen konfessionellen und ökumenischen Frauenorganisationen in Deutschland zusammengeschlossen, um gemeinsam die ökumenischen Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen in den ökumenischen Dialog der Kirchen einzubringen. Mehr unter: www.christinnenrat.de; die Ökumenischen Leitsätze sind dort vollständig unter „Presse und Positionspapiere“eingestellt.

Gisela Egler-Köksal, geb. 1960, ist Pfarrerin der Ev. Personalkirchengemeinde Christus-Immanuel im Ökumenischen Zentrum Christuskirche Frankfurt/Main.

In diesem Zentrum üben sich ChristInnen der Christus-Immanuel Gemeinde, der Ev. Oromo-Gemeinde aus der Tradition der äthiopischen Ev. Kirche Mekane Yesus, der Serbisch-Orthodoxer Gemeinde Rhein-Main und einer chinesisch-christlichen Gemeinde mehr oder weniger im „Einssein in Christus“. Außerdem arbeiten Engagierte des Zentrums zusammen mit Gruppen und Gemeinden zu ökumenischen und entwicklungspolitischen Herausforderungen in unserem Leben.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang