Alle Ausgaben / 2010 Material von Friedrich Schnack

Aufbewahrung der Winteräpfel

Von Friedrich Schnack


Mit Sorgfalt hatten wir die Winteräpfel geerntet. Nicht auf einmal hatten wir die Bäume geleert. Immer wieder griffen wir auswählend in das Gezweig. Die auf der Sonnenseite der Bäume gewachsenen Früchte waren früher pflückreif geworden als die auf der Schattenseite, die länger grün blieben, den an Licht benachteiligten ließen wir zur Ausbildung noch etwas Zeit, die andern, die gelb- und rotbäckigen, nahmen wir zuerst. Wie überall, kommt es auch bei den Bäumen auf den rechten Augenblick an. Faßte man den Apfel behutsam mit der Hand, ihn leicht nach oben hebend, löste sich der Stiel ohne Gewaltanwendung von der Ansatzstelle des Zweiges. Der Apfel war baumreif und pflückreif geworden.

Äpfel sind Individualisten. Je vornehmer einer ist, je edler seine Abkunft, um so empfindlicher ist er auch. Behutsam trugen wir in ausgepolsterten Weidenkörben die Ernte ein. In der gutgelüfteten Bodenkammer wurden die Früchte, nach Sorten unterschieden, auf langes heuriges Roggenstroh gelegt. Ehe die Früchte auf das eigentliche Winterlager kommen, sei es im Keller auf hölzerne Horden oder in einer Kammer, die bei Frost leicht angewärmt werden kann, müssen sie erst einmal in offener Luft schwitzen. Anscheinend ist dieses Schwitzen ein feiner Gärungsvorgang, bei dem Feuchte verdunstet und Säfte kreisen. Doch dürfen die Früchte nicht gar zu lang offen auf dem Stroh liegen, sie verlören nur an Saft. Da sie nun ausgebreitet waren, konnte man sie bequem auslesen. Angestoßene Früchte wurden weggetan.

Der Keller war zur Aufnahme der Ernte vorbereitet worden. Die Wände waren frisch gekalkt, Schimmelpilze und Bakterien abgetötet worden. Auch war der gestampfte Lehmboden sauber gekehrt. Die Horden hatten wir ebenfalls gereinigt. Was die Sonne uns geschenkt hatte, sollte uns der Moder nicht verderben. In diesem Keller hielt sich das Obst alljährlich lange frisch und bekam die köstlichste Lagerreife. Er war nicht dumpf, auch nicht allzu warm, weder zu naß noch zu trocken. Ein Keller, gut für Fässer, für Wein oder Bier, ist auch gut für Obst. Und wir hatten Wein. Als es dann an der Zeit war und die Äpfel ausgeschwitzt hatten, legten wir sie auf die Horden, einen neben den andern. Als Unterlage diente eine dünne Schicht getrockneten Mooses, und wo es nicht ausreichte, nahmen wir Stroh. Die Apfelblume schaute nach unten, so wie sie am Baume nach unten geblickt hatte, der Stiel kam nach oben. Härtere Sorten, die Borsdorfer, Stettiner und Karthäuser, konnten gehäuft gut aufeinander liegen; mildere Sorten hingegen, insbesondere die Renetten, würden ein solches Massenlager nicht ebensogut vertragen.

Die Obstkammer war nicht weniger säuberlich hergerichtet worden. Ein kleines Eisenöfchen stand darin. Rings an den Wänden waren Lattengestelle befestigt. Auf jedem Rost lag eine andere Sorte. Goldgelb schimmerte die Goldrenette von Blenheim, gelbrot verwaschen Zuccamaglios Renette, goldgelb und zinnoberrot verwaschen der große plattrunde Freiherr von Berlepsch.

Die Goldparmäne lachte uns entgegen, der Danziger Kantapfel zeigte seine schöne, wachsbeduftete, rote Wange, und die gelbgrüne und rötlichgelbe Signe Tillisch, ein dänischer, nach Erdbeer duftender Kalvill für rauhere Lagen, war groß und schön, war königlich gerippt.

Friedrich Schnack
aus:
Das Winterbuch:
Gedichte und Prosa
(insel taschenbuch)
von Hans Bender,
Hans-Georg Schwark (Hg.)
Insel Verlag Taschenbuch
Auflage 14, 1983

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