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Ausgedörrt

Von Lebens Durst und Quellen

Von Susanne Schneider-Riede

Quellen sind etwas Wunderbares. Auf meiner letzten Pilgerwanderung „Auf dem Weg des Buches“ in Österreich war es richtig heiß. Ich hatte meinen einen Liter Wasser recht schnell getrunken, und nun galt es, auf die nächste Quelle zu hoffen. Wie sehr habe ich mich gefreut, als wir dann eine Quelle fanden!

Die Kühe, die auch trinken wollten, waren zwar nicht so begeistert, dass wir unsere Trinkflaschen füllten, aber der erste Schluck tat richtig gut. Ich habe auf dieser Wanderung wieder einmal richtig Durst gehabt und erlebt, was es heißt auf eine Quelle zu hoffen.

Mit dem Durst ist es so eine Sache, das haben mich unsere Neffen gelehrt. Sie vergessen oft zu trinken. Ich habe mit ihnen einmal den Hand-Test gemacht: Ich habe die Haut über dem Handrücken hochgezogen – und siehe da, ihre Haut blieb so zusammengequetscht stehen. Das war ein deutliches Zeichen, sie hatten zu wenig getrunken. Dieser Test hat die Jungs doch sehr beeindruckt, und die Tante hat es natürlich gefreut, dass sie daraufhin gleich zwei große Apfelsaftschorle getrunken haben. In kürzester Zeit fiel der Hand-Test positiv aus.

Sehnsucht spüren

So wie unseren Neffen geht es mir manchmal in Sachen Lebensdurst: Ich spüre ihn gar nicht mehr so stark. Auch ich vergesse zu trinken und trinke zu wenig. Wenn ich im Hamsterrad des Lebens unterwegs bin, spüre ich keine Sehnsucht nach Leben, dann funktioniere ich. Es ist für mich sehr heilsam geworden, darauf zu achten, wann sich bei mir „Durst“ meldet, oder auch mich bewusst zu fragen: Wann habe ich zum letzten Mal wirklich Durst gespürt – Lebensdurst? Vielleicht nach einer langen Wanderung? Nach einer anstrengenden Arbeit? In der christlichen geistlichen Tradition geht es darum, die inneren Regungen wahrzunehmen, der eigenen Sehnsucht auf die Spur zu kommen, den Lebensdurst in sich wahrzunehmen. Im Vertrauen darauf, dass Gott uns ins Leben locken will.

Der Hand-Test hat auf unsere Neffen eine durchschlagende Wirkung gehabt. Ob es so einen Test auch in geistlichen Fragen, in Lebensquellenfragen gibt? Wenn ich mich nur noch ausgetrocknet fühle, wenn ich keine Freude mehr am Leben habe, wenn ich nur noch auf mich starren kann und die anderen aus dem Blick verliere – oder wenn ich nur auf andere schauen kann und mich selber ganz und gar aus den Blick verliere: Das ist dann ein deutliches Zeichen, dass ich zu wenig auf die Quelle des Lebens geachtet habe.

Lebensquellen finden

Und dann heißt es trinken, trinken, trinken: neu auf Gottes Ideen für mein Leben hören; mich an meine Taufe erinnern, mich daran erinnern, dass Gott mit mir unterwegs sein will; mich daran erinnern, dass Gott mit mir mein Leben sinnvoll gestalten will. Gott will für uns gelingende Beziehungen – zu mir selbst, zu anderen und zu dieser Welt. Diese Erinnerung ist für mich immer wieder der Zugang zu einer besonderen Lebensquelle. Wie auf der Pilgerwanderung muss ich nach ihr auch immer wieder bewusst Ausschau halten, manchmal begegnet sie mir aber auch überraschend. Jede und jeder von uns trägt Erfahrungen in sich, die etwas mit unseren ganz persönlichen Lebensquellen zu tun haben. Wenn ich mir meine persönlichen Lebensquellerfahrungen in Erinnerung rufen kann, dann kann ich diese mir sozusagen innerlich vergegenwärtigen und daraus „trinken“.

Nicht nur die ganz persönlichen, auch die Lebensquell-Erfahrungen der Heiligen Schrift, sozusagen „Fremderfahrungen“, können mir helfen, meinen Lebensdurst immer wieder neu zu stillen. Diese Spur entdecke ich auch in der Jahreslosung: Ich werde den Dürstenden aus der Quelle des Lebenswassers umsonst geben. (Offb 21,6)

Ideen für (Frauen-)Gruppen

Material
– Blätter und Stifte; für die erste Übung ggf. Material zum Zeichnen und/oder Gestalten
– Papierstreifen mit Psalmversen

Kopiervorlagen sind für Abonnent_innen unter www.ahzw-online.de/Material zum Herunterladen vorbereitet.

Ablauf
Viele von uns kennen ihre Lebensquelle, manche auch die Erfahrung des Vertrocknens und der Sehnsucht, die Lebensquellen wieder neu zu spüren.

Übung 1: Quellen – Auf die eigenen Lebensquellen schauen
– Was ist für Sie eine Lebensquelle? – Zeit für jede(n), dieser Frage persönlich nachzusinnen. – 10 Minuten in der Stille
– Austausch in Triaden
– dreimal 5 Minuten
– Was haben wir alles entdeckt?
– Austausch im Plenum
– Einen Moment inne halten …

Hinweis für die Übungsanleitung:
Eine Variante dieser Übung ist auch, die eigene Lebensquelle – beziehungsweise die eigenen Lebensquellen – mit Farben oder Materialien darzustellen. Dazu braucht es etwa 45 Minuten Zeit.
Wichtig ist bei diesem ersten Schritt, dass die Gruppe sich Stille gönnt und jede(r) wahrhaft einen Moment zu sich kommen darf.
Beim zweiten Schritt, dem Austausch, ist die Gruppe eingeladen, sich gegenseitig wahrzunehmen, wirklich aufeinander zu hören, nicht zu diskutieren, sondern in der aufmerksamen Grundhaltung für die andere sich von den Entdeckungen der anderen bereichern zu lassen. In der geistlichen Tradition ist das ein Anhörkreis.
Der dritte Schritt ist dem gegenseitigen Bereichern gewidmet. Bilder oder einzelne Worte können in die Mitte gelegt werden.
Der vierte Schritt – das Innehalten – kann in einen Liedruf münden (z.B. Laudate omnes gentes) oder in einen stillen Blickkontakt zu jeder einzelnen in der Dankbarkeit für das gegenseitige das Anteilgeben.

Übung 2: Biblische Impulse – „Fremd­erfahrungen“ als Angebote für mich
Durst – Quelle – Durststillen: Das ist für die Menschen zur biblischen Zeit eine ganz existentielle Erfahrung. Diese Menschen lebten in heißen Gefilden, Wasser war etwas ganz Kostbares. Diese existentielle Erfahrung aus dem täglichen Leben wird auf die Beziehung zu Gott übertragen. Im Gebetsbuch der Bibel, in den Psalmen heißt es zum Beispiel:
– Bei dir ist die Quelle des Lebens.
(Ps 36,10a)
– Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. (Ps 42,2)
– Gott, du bist mein Gott, den ich ­suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein Leib verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. (Ps 63,2)
– Du hast Quellen und Bäche her­vorbrechen lassen und ließest starke Ströme versiegen. (Ps 74,15)
– Alle meine Quellen sind in dir!
(Ps 87,7)

Die „Quelle des Lebens“ ist in biblischer Tradition Gott. Diese Quelle kann auch „verschüttet“ sein, Menschen können den Zugang zu ihr vergessen. Die Suche nach dieser besonderen Quelle ist aber immer wieder möglich. So haben es die Menschen, die uns ihre Lebens- und Glaubenserfahrungen in der Heiligen Schrift zur Verfügung stellen, erlebt. So bezeugen sie es uns bis heute. Mit dieser zweiten Übung sind wir eingeladen, uns in ihren Erfahrungen zu bergen.

– Suchen Sie sich eines der Psalmworte aus: Welches spricht sie im Moment an?
– Psalmworte sind in genügender Zahl im Raum ausgelegt.
– Ich lade Sie ein, „Ihr“ Psalmwort abzuschreiben und auf einen kurzen Spaziergang mitzunehmen. Sagen Sie es dabei gern auch einmal laut vor sich hin und murmeln es dann eine Weile. – Die Erfahrung von Martin Luther ist: Das Wort Gottes ist wie ein Würz-und Heilkraut. Je mehr man daran reibt, desto stärker riecht und wirkt es…
– Wie waren unsere „Murmelerfahrungen“? Was sagt mir „mein“ Psalmwort über mich und meinen „Durst“? – Kurze persönliche „Besinnungs-Runde“ und die innere Klärung: An welchen Entdeckungen möchte ich andere teilhaben lassen?
– Tun Sie sich jetzt mit anderen (Frauen) zu Fünfergruppen zusammen, die Ihnen noch nicht so vertraut sind. Und dann lassen Sie sich gegenseitig teilhaben an den Entdeckungen, die Sie für sich gemacht habe.

ODER Übung: Schriftbetrachtung – Einladung zum Kino im Kopf
Gott beklagt sich im Jeremiabuch, dass sich die Menschen (beziehungsweise Israel) von ihm als Lebensquelle abwenden. Gottes Klage ist letztlich ein leidenschaftliches Werben darum, dass sein Volk sich von den Ersatzquellen, den rissigen Zisternen wieder ihm zuwendet. So heißt es im Jeremiabuch: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und das Wasser nicht halten. (Jer 2,13)

– Ich stelle jetzt einige Fragen zu dieser Schriftstelle in den Raum. Halten Sie bitte Ihre Gefühle und Gedanken dazu kurz schriftlich fest. Schreiben Sie sie einfach so auf, wie sie kommen …
– Lassen Sie die Bilder auf sich wirken: „Quell des lebendigen Wassers“ – „Zisterne mit Rissen“: Welche Gedanken, welche Gefühle tauchen da in Ihnen auf?
– Kennen Sie solche Erfahrungen der Fülle, der Lebendigkeit, vielleicht auch der Trockenheit, der Vergeblichkeit – auch in Hinblick auf Gott?
– Mit „Zisternen“ begnügen: Was löst dieser Halbsatz in Ihnen aus?
– Die „Zisternen“ wieder mit „Wasser des Lebens“ zu tauschen: Was löst dieser Halbsatz in Ihnen aus?

Schauen Sie auf das, was Sie gerade (automatisch) aufgeschrieben haben: Was entdecken Sie? Klären Sie für sich, was Sie mit den anderen teilen wollen.
– Ich lade Sie ein, sich jetzt in Fünfergruppen mit anderen (Frauen) zusammenzutun, die Ihnen noch nicht so vertraut sind. Lassen Sie sich gegenseitig teilhaben an den Entdeckungen, die Sie für sich gemacht haben.

Übung 3: Kennen wir die Erfahrung der „modernen Menschen“?
Eine Weisheitsgeschichte aus unseren Tagen ist überschrieben mit „Der moderne Mensch“:
Ein moderner Mensch verirrte sich in einer Wüste. Tage- und nächtelang irrte er umher. Wie lange braucht man, um zu verhungern und zu verdursten? Das überlegte er sich beständig. Er wusste, dass man länger ohne Nahrung leben kann als ohne etwas zu trinken. Die unbarmherzige Sonnenglut hatte ihn ausgedörrt. Er fieberte. Wenn er erschöpft ein paar Stunden schlief, träumte er von Wasser, von Orangen und Datteln. Dann erwachte er zu schlimmerer Qual und taumelte weiter. Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. „Aha – eine Fata morgana!“, dachte er. „Eine Luftspiegelung, die mich narrt und zur Verzweiflung treiben will, denn in Wirklichkeit ist gar nichts da.“ Er näherte sich der Oase, aber sie verschwand nicht. Sie wurde im Gegenteil immer deutlicher. Er sah die Dattelpalmen, das Gras und die Felsen, zwischen denen eine Quelle entsprang.
„Es kann natürlich auch eine Hungerfantasie sein, die mir mein halbwahnsinniges Hirn vorgaukelt“, dachte er. „Solche Fantasien hat man ja in meinem Zustand. Natürlich – und jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln. Eine Gehörhalluzination. Wie grausam die Natur ist!“ – Mit diesem Gedanken brach er zusammen. Er starb mit einem lautlosen Fluch über die unerbittliche Bösartigkeit des Lebens.
Eine Stunde später fanden ihn zwei Beduinen. „Kannst du so etwas verstehen?“, sagte der eine zum anderen. „Die Datteln wachsen ihm ja beinahe in den Mund – er hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Und dicht neben der Quelle liegt er, mitten in der schönsten Oase – verhungert und verdurstet. Wie ist das möglich?“ „Er war ein moderner Mensch“, antwortete der andere Beduine. „Er hat nicht daran geglaubt.“ (Quelle unbekannt)

– Schreiben Sie einen Brief an den „modernen Menschen“. – Spüren Sie in sich nach, ob Sie ihn gut verstehen können oder ihm eher Fragen stellen wollen.
– Kommt Ihnen der „moderne Mensch“ bekannt vor? Oder ist er Ihrem Empfinden ganz fremd? Zeit zur Besinnung, dann Austausch in Kleingruppen (z.B. Triaden)

ODER Übung: „Schale sein“!
Die Suche nach Lebensquellen findet sich in der biblischen und auch in der christlichen Tradition. Es ist also kein modernes Phänomen, dass wir uns uns von unseren Lebensquellen abgeschnitten fühlen. Es gehört wohl zu uns als Menschen, dass wir immer wieder neu unsere Lebensquellen suchen müssen – und können. Bernhard von Clairvaux, ein geistlicher Lehrer aus dem 11./12. Jahrhundert schreibt:
Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie erfüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter … Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird zur See. Die Schale schämt sich nicht, nicht überströmender zu sein als die Quelle… Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut? Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle, wenn nicht, schone dich.

– Schreiben Sie einen Brief an „Bernhard von Clairvaux“. – Spüren Sie in sich nach, ob Sie ihn gut verstehen können oder ihm eher Fragen stellen wollen.
–  Kommt Ihnen das Bild von der Schale beziehungsweise vom Kanal bekannt vor? Oder ist er Ihrem Empfinden ganz fremd? Zeit zur Besinnung, dann Austausch in Kleingruppen (z.B. Triaden)

Übung 4: Wo sind wir, wo bin ich angekommen?
– Abschlussrunde im Sinne eines Blitzlichtes
ODER (längere Variante): Wir nehmen die Bilder vom Anfang in den Blick, schauen noch einmal auf die biblischen Erfahrungssätze und auf den „modernen Menschen“ und /oder auf den Ratschlag des Geistlichen Lehrers aus dem 11./12. Jahrhundert.

Abschluss: Segenskreis

Lieder: Alle meine Quellen entspringen in dir / Schweige und höre / Da wohnt einen Sehnen tief in uns / Meine Hoffnung und meine Freude

Susanne Schneider-Riede, 55 Jahre, ist Pfarrerin und Rehaseelsorgerin in Gernsbach und Baden-Baden. Sie leitet die Fachstelle Geistliches Leben in der Evangelischen Landeskirche in Baden. – siehe www.ekiba.de/html/content/fachstelle_geistliches_leben.html

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