Ausgabe 2 / 2009 Editorial von Margot Papenheim

aushalten und gestalten

Von Margot Papenheim


Gut war's, Helgas Fest zum Neunzigsten am letzten Dienstag. Ganz müde, aber glücklich ist die alte Dame am Abend schlafen gegangen. Helga ist die Mutter meiner Freundin Regina, lebt noch immer in ihrem alten Haus und will auf keinen Fall da raus. Auch, wenn es eigentlich zu groß für sie ist. Auch, wenn sie eigentlich nicht mehr allein leben kann.

Körperlich ist Helga noch ganz gut dabei, nur geistig hat sie in den letzten Jahren stark nachgelassen. Aber Regina hat es – mit Hilfe von Tagespflege, NachbarInnen und ÄrztInnen – so organisiert, dass es, vorerst jedenfalls, noch geht. An ihren freien Wochenenden fährt sie regelmäßig die fast zweihundert Kilometer hin und wieder zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Und zwischendrin auch, wenn Reparaturen am Haus anstehen oder die Mutter zur Ohrenärztin muss oder die Pflegerin plötzlich ausfällt.

Am Morgen nach dem Fest, erzählt Regina, klingelt das Telefon. Mutters beste Freundin Karin will Ingrid zum Geburtstag gratulieren. Ingrid? Regina wusste gar nicht, dass Ingrid – ebenfalls früher immer dabei, wenn die Damen sich zum Bridgeabend trafen – auch Geburtstag hat. Egal. Sie gibt Karin die Telefonnummer von Ingrid – und einen schönen Gruß auch von ihr soll sie ausrichten, bitte. Wenig später wieder das Telefon. Wieder Karin. Hörbar verwirrt und etwas beschämt rückt sie nach und nach damit heraus, dass sie alles durcheinander gebracht hat. Natürlich hat nicht Ingrid Geburtstag, sondern Helga. Sie hatte also wohl! die richtige Nummer angerufen. Bloß einen Tag zu spät…

Regina und ich lachen los – und kämpfen gleichzeitig mit den Tränen. Natürlich haben wir schon als Kinder gelernt, dass man nicht über Alte und Kranke lacht. Schon gar nicht, wenn es die die eigene Mutter, der eigene Vater ist. Und doch ist das befreiende Lachen über die urkomische Situation so echt, wie es die Tränen über die todtraurige Situation sind. Und beides, Lachen und Weinen, schützt vor der Verzweiflung. Hilft, dass Menschen es aushalten können, ihre Lieben zu pflegen – wohl wissend, dass es keine Besserung oder gar Heilung mehr geben wird.

Was darüber hinaus hilft, Zeiten der Pflege – auch – als Zeiten gelungenen, guten Lebens zu erfahren, steht im Fokus dieser Ausgabe der ahzw.

Hinweis der Redaktion: Diese Ausgabe der ahzw betrachtet das Thema Pflege unter dem Aspekt der familiären Pflege. Weitere Aspekte – wie die gesellschaftlich-politisch brisanten Fragen nach langfristiger Finanzierung von Pflege in einer alternden Gesellschaft oder den immer wichtiger werdenden Alternativen zur familiären Pflege – bearbeitet die EFiD in anderen Zusammenhängen – vgl. dazu den Hinweis auf S. 13 zur Ausgabe 441 der mitteilungen der Ev. Frauen in Deutschland.

Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Pflege steht ihrerseits im größeren Kontext FRAUEN GESTALTEN ALTER – beschlossen von der Mitgliederversammlung der EFiD als mehrjähriger Schwerpunkt der verbandlichen Arbeit. Weitere Informationen dazu demnächst auf der EFiD-Website unter:
www.evangelischefrauen-deutschland.de

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