Ausgabe 1 / 2008 Artikel von Beate Blatz

Bauhaus

Vom Höhlenfeuer zur Frankfurter Küche

Von Beate Blatz


Am Anfang war das Feuer. Es loderte in der Mitte der Höhle. Die Geschichte der Küche beginnt vor etwa 20.000 Jahren. Es ist die Geschichte von der Zähmung des Feuers, vom Rohen und Gekochten, die Geschichte vom Kessel zum Kochstudio. Und es ist auch die Geschichte von der Ordnung des Zusammenlebens. Von Genuss und Experiment, von Improvisation und Ausprobieren und von der Arbeit.

Wie stellt man/frau es an, dass die Beute nicht im Feuer verbrennt, wohl aber gut gegart aus der Glut hervorgezogen werden kann? Das erste Küchenutensil ist der Spieß, auf dem die Beute im Feuer gedreht und gewendet wird. Der erste Herd liegt auf dem Höhlenboden, aufgeschichtet aus Steinen, manchmal mit Lehm ausgestrichen und geglättet. Es gibt weder Geschirr noch Töpfe. Um Flüssigkeiten zu erhitzen, werden heiße Steine in wassergefüllte Kalebassen oder Lederschläuche geworfen: die Urform des Tauchsieders. Getreide und Hülsenfrüchte werden in Mörsern zermahlen, um nahrhafter Brei zu werden. Wo gekocht und gegessen wird, ist, so lässt die Geschichte des Wortes „Herd“ schließen, zu Hause oder der Mittelpunkt des Hauses.(1)


Frei lodernde Glut

Die RömerInnen verstehen etwas von Haustechnik: Sie kennen Pochiertöpfe, Küchenkeramik, fein verzierte Gläser. Benutzen Messer und speisen im Liegen. Die vornehmen Leute entdecken das Tafelgeschirr und den Dienst der SklavInnen, die weniger Betuchten müssen ihre Speisen selbst zerkleinern und erzählen andere Geschichten.

In der Mitte aller Küchen aber lodert das Feuer über Jahrtausende weiter frei im Raum. Die BewohnerInnen der Heimstatt können es umrunden, von überall her in die Glut sehen und sich wärmen, beim Kochen erzählen, Neues erfahren. Es hat seinen Platz im öffentlichen Raum der Behausung: im Hausflur. Wer kommt, ernährt sich von den Geschichten und Gerichten des Hauses, im Austausch für die Geschichten und Gerüchte aus der Welt draußen. Der Kessel hängt überm Feuer, die Reste dienen als Basis für die nächste Füllung an Brühen und Suppen und Brei. Brei als nahrhafte Speise der weniger Reichen, Fleisch und Brot gibt es vornehmlich in den reicheren Haushalten. Überm Eulenloch im Dach fließen Rauch und Geruch in den Himmel. Eine gefährliche Konstruktion: Funken stieben ungehindert umher und setzen ganze Städte in Brand.


Rauchmantel und Kamin

Knöchelhoch reicht die Umfriedung des Feuers in der neuen Zeit des Mittelalters. Wir schreiben das 10. Jahrhundert nach Christi Geburt: Kreuzzüge, wachsende Städte, Entdeckungen, nicht von der Mitte Europas aus, sondern von seinen Rändern, die Geschichten dringen nach innen. Auch in die Küchen. Städte und Burgen brennen ab, nicht nur in Kriegen, auch im Funkenflug. Die Eulenlöcher können den Qualm nicht mehr ausreichend kanalisieren.

Bereits 820 n.Chr. ist für St. Gallen eine Feuerstelle an einer Wand mit Rauchmantel und Schornstein belegt. Das Prinzip bewährt sich. Der Schornstein, der Schürstein, der Strebestein ist fortan belegt. Das Feuer wandert von der Mitte des Raumes zur Wand, seine Gefährlichkeit nochmals an die Kette gelegt: Aus dem mancherorts hölzernen Rauchgang wird der gemauerte Kamin. Gegessen wir mit den Händen, geschnitten mit Messern. Was bleibt, sind Spieß und Kessel. Der erstere dreht sich, angetrieben durch die aufsteigende Luft, in mitten des Kamins, der zweite hängt dort des Alltags. Die Feuerstelle wird auf einen Sockel erhoben, gemauert, geschichtet, vom übrigen Raum getrennt, architektonisches Stilmittel in Urform. Spieß und Kessel werden durch Höher- oder Tiefersetzen an die erforderliche Kochtemperatur angepasst. Für unterschiedliche Hitze müssen mehrere Kochstellen eingerichtet werden.

Zwei Probleme bleiben: Funkenflug und Holzverbrauch. Unsere VorfahrInnen erfinden die Grundform des Herdes, die Feuerkammer, dreiseitig ummauert, darauf eine eiserne Platte. Den Kessel ersetzen Töpfe mit glattem Boden und gutem Halt auf der Eisenplatte, dazu Pfannen, in denen gebraten werden kann. Das Jahr 1735 markiert endgültig das Ende des Höhlenfeuers: Töpfe werden in Feuerlöcher eingehängt, so dass weder das Feuer ausschlagen kann noch Wärme verloren geht. Während in den vornehmen Haushalten lange Tische, fern der Küche aufgebaut und mit Besteck versehen, über das Mittelalter hinaus die Grenze zwischen Genuss am Essen und der Arbeit der Zubereitung ziehen, bleibt für die „einfachen Leute“ bis weit ins 18. Jahrhundert die Küche Aufenthaltsraum und Produktionsstätte. Und der Herd Synonym für das Haus und die Gemeinschaft derer, die darin leben – und arbeiten.


Technik und Design

1798. Benjamin Graf Rumfort betreibt wissenschaftliche Experimente über Wärmeentwicklung – beim Kanonenbohren – und das Verhalten von Gasen und Rauch. Er entwickelt Baupläne für Energiesparöfen, bei denen durch horizontale Heißluftkanäle von einer Feuerstelle aus mehrere Feuerstellen beheizt werden können, und konstruiert einen der ersten Gusseisenherde. In den folgenden Jahrzehnten werden gusseiserne, Holz- und Kohleherde zur Perfektion gebracht. Abdeckungen, Öffnungen, Erweiterungen, Form und Verzierung werden ausprobiert. Wohlhabende Familien leisten sich das neue Möbel. Ab 1860 ziehen die neuen Herde ein in die Küchen des Deutschen Reiches. Nach und nach, ab 1900, ersetzt das Gas die Holz- und Kohlefeuer in den Städten.

1893, Chicago. Weltausstellung. Die Welt wird des ersten Elektroherds gewahr. Noch ist das Versorgungsnetz für die neue Energie zu dünn, sind die Geräte unausgereift. Und doch kündigt sich ein technischer Durchbruch an. Der Kessel verschwindet – und mit ihm die Breis und Eintöpfe, jedenfalls da, wo man der Mode folgen kann. Die Industrialisierung beschleunigt das Leben – und macht noch mehr Platz für Design. Der Fleischwolf, durch den alles gedreht wird, wird zum symptomatischen Küchenutensil: Schnell soll gekocht, schneller gegessen sein, um den Produktionsprozessen folgen zu können. Leicht können mehrere Töpfe gleichzeitig auf dem Herd überwacht werden.

Auf dem Land bleiben Kochen, Planung, Vorratshaltung in der Hand der Familienmitglieder. In der Stadt, im Umfeld der Fabriken, leben Kleinfamilien. Statt Haus, Hof und Herd bestimmt die Mietwohnung den Lebensrhythmus. Die Wohnküche wird zum Mittelpunkt des familiären Lebens. Multifunktional, warm, heimelig. Der Küchentisch ist der Mittelpunkt der Familie. In der Küche wird gegessen, gewaschen, gekocht, erzählt, gelesen, diskutiert. An der Wand der Spülstein und der Herd, der Schrank.

In den „gehobenen Häusern“ wird die Küche vom übrigen Wohnraum getrennt. „Das Personal“ schafft in der Küche. Im Esszimmer bleibt die „Herr-schaft“ unbelästigt von Gerüchen und Geräuschen der Produktion – und erfährt die wesentlichen Geschichten und Gerüchte zu spät oder gar nicht. Höhepunkt dieser Kultur: der Buckingham Palast in London, in dem der Verkehr zwischen DienerInnenschaft und Royalität per Ampel geregelt ist. Befindet sich die Queen im Flur, schaltet die Ampel zwischen Bedienstetenpassage und Hauptkorridor auf rot.


Von der Wohn- zur Arbeitsküche

In der Weimarer Republik werden Weichen für neue gesellschaftliche Werte gestellt: Jede/r Bürger/in hat das Recht auf gesundes Wohnen. Heraus aus den engen Wohnküchen, den Dämpfen, dem Schimmel, der Atemnot! Wohnungsbauprojekte sollen Abhilfe schaffen. Nach dem Ersten Weltkrieg steht der Aufbau einer modernen Gesellschaft in Frieden und Wohlstand im Vordergrund. Kostengünstig, rationell, funktionell heißen die Stichworte, unter denen namhafte ArchitektInnen ganze Stadtviertel konzipieren – Ernst May, Direktor des Bauamtes, und Margarete Schütte-Lihotzky in Frankfurt, Walter Riephahn, Schüler von Walter Gropius, in Köln. In Stuttgart wird die Werkbundsiedlung Weißenhof gebaut. Gesundheit, Hygiene, Sachlichkeit und vor allem Rationalisierung von Arbeits- und Tagesabläufen stehen im Mittelpunkt der Wohnungsbauideen. Geräte sollen der Hausfrau helfen, Zeit, Kraft und Geld zu sparen. Auf Minimalgrundriss entstehen Wohnungen, für die genormte Möbel, vorgefertigte Bauteile, Auszieh- und Klappvorrichtungen optimale Raumausnutzung, kostengünstiges Bauen und erschwingliche Mieten garantierten.

1926 veröffentlicht Erna Meyer ihr Buch „Der neue Haushalt. Ein Wegweiser zur wirtschaftlichen Betriebsführung“. Die häusliche Berufsarbeit der Frauen soll entsprechend der außerhäuslichen Berufsarbeit aufgewertet werden. Rationalisierungskonzepte sollen die heimische Entwicklung befördern, denn: „Zum Wohnen, das über einfachstes Hausen hinaus geht, zum guten Wohnen also, gehört erheblich mehr als Wetterschutz und saubere Beseitigung der Abfälle, zum guten Wohnen gehört u.a. die ganze Summe von Bedingungen, die die Abwicklung der Alltäglichkeit zusammendrängen aus ein Minimum an Kraft- und Zeitaufwand.“(2) Die Frau soll im angemessenen baulichen Rahmen als „schöpferische Meisterin“ ihr Werk tun können. In zehn Geboten fasst Meyer zusammen:

1 Die Wege innerhalb der Wohnung sind auf ein Mindestmaß zu beschränken.
2 Die Einrichtung ist so zu gestalten, dass die Wohnung mühelos sauber zu halten ist.
3 Die Ergonomie des Arbeitswerkzeugs ist an den Bedarf anzupassen, das heißt sowohl in der Erreichbarkeit als auch
4 in ihrem Zustand der Handhabung.
5 Angemessene Arbeitshöhen sind zu ermitteln, damit die Arbeit in richtiger Körperhaltung verrichtet werden kann.
6 Es ist für Belichtung und Belüftung des Arbeitsplatzes zu sorgen.
7 Es sind ausreichende Pausen von 5 bis 15 Minuten einzulegen.
8 Es ist auf Fitness des Körpers auch außerhalb der Arbeitszeiten zu achten, ebenso auf korrekte Arbeitskleidung.
9 Jede Verrichtung soll bis ins Detail bedacht sein.
10 Die günstigsten Arbeitsabläufe sollen überlegt und sorgfältig aufeinander abgestimmt werden.

In Frankfurt wird dieses Konzept umgesetzt, „die Frankfurter Küche“ zum Symbol ihrer Zeit. Ihre Erfinderin, die Österreicherin Margarete Schütte-Lihotzky, fasst ihr Programm zusammen: „Eine Küche ist eigentlich nichts anderes als ein Laboratorium, und es ließe sich auch viel besser darin arbeiten, wenn sie auch so ähnlich eingerichtet wäre. Sie müsste aussehen wie eine Apotheke, … wo jede Kleinigkeit sein ganz besonderes Gefach oder seinen ganz bestimmten Platz hat, mit genauer Aufschrift, alles womöglich auf ein und dasselbe Maß gebracht.“(3) Ihr Ziel: die Trennung des weiblichen häuslichen Arbeitsbereiches vom gesellschaftlichen Bereich der Wohnung, in den sich die Frau nach getaner Arbeit zurückziehen kann. Wie in den Fabriken sollen Arbeitsabläufe durch Vermessung der Arbeitsgänge optimiert werden. Mittels Anordnung von Schränken, Herd und Arbeitsflächen sollen kurze Wege Zeit- und Kraft sparen. Architektonisches Vorbild sind die Schifffahrtsküchen und die Speisewagenküche der Mitropa.

Die Küche, die das Laboratorium der Frau sein soll, das, gleichwertig dem des Mannes, die Arbeit der Hausfrau ins rechte Licht rückt, hat folgende Ausstattung: 1. Herd, 2. Abstellplatte, 3. Kochkiste, 4. klappbares Bügelbrett, 5. Speiseschrank, 6. Drehstuhl, 7. Tisch, 8. Abfalleinwurf, 9. Abtropfbrett, 10. Spülbecken, 11. Vorratsschubladen (Schütten), 12. Tropfschrank, 13. Müll- und Besenschrank, 14. Heizkörper, 15. herausziehbare Abstellplatten, 16. Geschirrschrank mit verglasten Schiebfenstern, 17. Tellergestell.

Das Konzept ist genial. Von Bulthaupt bis Ikea sind Schütte-Lihotzkys Ideen heute noch gegenwärtig und beeinflussen sogar die MacherInnen der intelligenten Küche mit elektronisch vernetzten Küchengeräten. Die Nutzerinnen haben sich allerdings nicht immer an die kühle Klarheit des Konzepts gehalten. Statt Arbeitsraum der Hausfrau zu sein, werden viele Frankfurter Küchen doch wieder Mittelpunkt des familiären Lebens: Tisch und Stühle ins kleine Rechteck gezwängt, damit die Hausaufgaben unter den Augen der Mutter gemacht werden und die ganze Familie zusammen sitzen kann. Und immer noch nehmen die Menschen die Küche und bauen sie in ihr Familienleben ein – als Wohnküche, als Spielküche, als Mittelpunkt des häuslichen Lebens. Eben als „Herd“.


Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel: Die Frauen werden angeregt, die Rolle und Funktion von Küche(n) innerhalb der Wohnung, des Hauses, der Familie/der Gruppe zu untersuchen.

Material: Kataloge von Küchenherstellern/Möbelhäusern, Küchen-Fotos; Zeichenkarton, Schere, Stifte, Papier

Ablauf:
1. Erzählen
Welche Küche hat in Ihrem Leben eine große Rolle gespielt? Warum? Wie sah diese Küche aus?

2. Planen
In Kleingruppen entwickeln die Frauen (arbeitsteilig) eine Reihe von Regeln für eine Küche für eine fünfköpfige Familie / für eine allein stehende Person / für einen alten Menschen / für eine Linkshänderin / für ihre Idealküche.
Die Ergebnisse werden auf Papierbögen geschrieben, im Plenum vorgestellt und diskutiert. Die Leiterin kann aus dem Beitrag oben die Regeln für eine „Frankfurter Küche“ daneben stellen.

3. Bauen
Dieselben Kleingruppen verfeinern aufgrund der Diskussion im Plenum ihre Regeln und konstruieren dann die Küche ihrer Wahl mit den vorhandenen Materialien in Form einer Puppenstube. Vielleicht eine gute Grundlage für eine Ausstellung beim nächsten Gemeindefest? Oder Anstoß für einen vergnüglichen gemeinsamen Nachmittag in einem großen Möbelhaus oder für den nächsten Ausflug mit Betriebsbesuch bei einer Küchenfirma?



Dr. Beate Blatz, geb. 1956, hat Vergleichende Religionswissenschaften, Ev. Theologie und Anglistik studiert. Nach ihrer Promotion hat sie zunächst als Verlagsredakteurin und dann in der Unternehmenskommunikation und –entwicklung für kirchliche und privatwirtschaftliche Einrichtungen, Vereine und Verbände gearbeitet. Derzeit ist sie Generalsekretärin der EFD und ab Januar 2008 Leiterin des neuen gemeinsamen Frauenverbandes „Evangelische Frauen in Deutschland“.


Anmerkungen
1
„Herd“ = Boden als Feuerstätte, Glutsteine, Haus, Wohnung: Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 21. Auflage, S. 304
2 Erna Meyer, Die Wohnung als Arbeitsstätte der Hausfrau. In: Fritz Block (Hg.), Probleme des Bauens. Der Wohnbau, Potsdam 1928, S. 164
3 Margarete Schütte-Lihotzky, Erinnerungen aus dem Widerstand 1938-1945, Konkret Literaturverlag Hamburg, S. 23

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