Es ist eine beeindruckende Baustelle – dort, wo an der Leipziger Straße, zwischen Auswärtigem Amt und Rotem Rathaus gerade das House of One entsteht. 1 Eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche in einem Gebäude, gebaut rund um den „Kuppelsaal“, ein zentraler Raum für Veranstaltungen und Begegnungen. An der Stelle, wo die erste in Berlin gebaute Kirche und die ihr folgenden Petrikirchen standen. Die historischen Fundamente bleiben für künftige Besucher*innen sichtbar; sobald sie den Kuppelsaal betreten, wird der Glasboden unter ihren Füßen den Blick ins Untergeschoss, eine acht Meter hohe Halle mit den archäologischen Funden, freigeben.
Drei Männer, drei Religionen, ein Traum: Gregor Hoberg, Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde St. Petri St. Marien, hofft, dass Menschen hier „ihrem eigenen Glauben treu bleiben, aus seiner Kraft leben und miteinander und mit der säkularen Stadtgesellschaft in ein friedliebendes Gespräch treten“.2
Tovia Ben Chorin, zu der Zeit Rabbiner am Abraham-Geiger-Kolleg3 in Berlin, bewegt, dass „gerade ein Ort, der in seiner Geschichte auch finster war, ein Ort des potenziellen Friedens“ ist. Für Imam Kadir Sanci vom Forum Dialog Berlin4 ist es ein „Dialog der Herzen, der tätig ist und sichtbar wird in einer Idee und einem Bauwerk“. Deswegen beteiligen sich auch die Bundesregierung mit fast 29 Millionen und die Stadt Berlin mit knapp 17 Millionen Euro an den Baukosten von insgesamt 69,5 Millionen; die Differenz muss durch Spenden aufgebracht werden: von Großspender*innen ebenso wie von Unterstützung im Format „1 Baustein – 10 Euro“.
Wenig überraschend traf und trifft das Projekt aber auch auf Kritik. Für die einen ist es „das Wunder von Berlin“, „ausgerechnet in der Stadt, in der die Vernichtung des Judentums geplant wurde“.5 „Ein starkes Symbol nimmt Gestalt an“, titelt die Berliner Zeitung zur Grundsteinlegung am 27.5.2021.6 Als sechs Jahre zuvor der Plan Gestalt annahm, kommentierte dieselbe Zeitung „die Illusion vom Dialog der Religionen“ allerdings noch als „realitätsferne Kopfgeburt“ und „klassisches Potemkin’sches Dorf“, „eine fein ausgedachte Fassade…, die den wahren Zustand verdeckt“. Besser wäre da doch stattdessen eine Schule, in der „Leute jeden Glaubens und auch ohne Glauben, also die Berliner Mehrheit, die Sprachen der Bücher lernen könnten: Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Aramäisch“. Denn, so das Argument: „‘The One‘, dem ‚Einen‘ gefiele die vielsprachige Hingabe zu seinem Wort gewiss.“7 Wenig Sympathie für die „Kirchenmoscheesynagoge in Berlin“8 zeigt auch Henryk M. Broder anlässlich der Grundsteinlegung. Für ihn klingt das House of One „eher nach einer Mehrzweckhalle als nach Erfolg versprechender Verständigung“ – und das, befindet er, „hat Gott sicherlich so nicht gewollt.“9
Woher die Berliner Zeitung und Henryk M. Broder wissen, was Gott gewollt oder Gott nicht gefallen hat, sei dahingestellt. Gleichwohl: „nur“ Männer, „nur“ evangelisch, „nur“ eine muslimische Dialoginitiative, „nur“ die drei Buchreligionen, die falschen Geldgeber*innen – mit ein bisschen Googeln finden sich leicht diese und weitere Einwände, die, soweit ich es einschätzen kann, keineswegs alle ohne Weiteres vom Tisch zu wischen sind.
Und doch: Das House of One wächst weiter. Auch als Baustelle ist bereits viel Leben drin. In einem Baucontainer können Interessierte sich das Projekt erläutern lassen, Mitarbeiter*innen können angefragt werden, Veranstaltungen finden statt – etwa ein gemeinsames Friedensgebet am ersten Tag des Chanukkafestes 2023, an dem auch Vertreter*innen der St. George’s Anglican Church Berlin, des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin, des Buddhistischen Zentrums Bodhicharya, einer evangelischen Kirchengemeinde aus Prenzlauer Berg und der Domprediger des Berliner Doms beteiligt waren. Gemeinsam mit anderen Einrichtungen in Hamburg, Hannover, München und Wilhelmshaven wurde ein weltweites Netzwerk multi-religiöser Einrichtungen gegründet, zu dem unter anderem der Campus der Religionen in Wien, das Haus der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern und die Peace Cathedral in Tbilisi in Georgien gehören.10 Und: Unter dem Dach des House of One lebt bereits das spannende Frauenprojekt 331 – 3 Frauen 3 Religionen 1 Thema. Die erste Folge des Podcasts erschien im Mai 2021, im März 2024 ging die 64. Folge online.11
Drei Frauen: die Judaistin Rebecca Rogowski, die Pfarrerin Maike Schöfer und die islamische Theologin Kübra Dalkilic sprechen beispielsweise über
– religiöse Praktiken wie etwa die Formen, in denen sie in ihren Religionen fasten, die großen und kleinen religiösen Feste feiern oder sich von ihren Toten verabschieden
– Frauen, Geschlechterrollen, Feminismus und die Frage, wie offen Religionen für Veränderungen sind
– gesellschaftlich-politische Themen wie Klimakrise oder Krieg, Rassismus, Missbrauch oder die Frage „Was ist Heimat – und gibt es mehr als eine?“
– theologische Themen wie Jenseitsvorstellungen oder „Synagoge, Kirche Moschee – Braucht Gott überhaupt ein Haus?“
Manchmal nehmen sie ihre Folgen auf, manchmal sind sie live zu hören. In dem Falle haben sie auch einen 4. Stuhl dabei, auf dem eine Teilnehmerin spontan Platz nehmen und mitreden kann. Wichtig ist ihnen, dass sie immer nur für sich selbst und aus ihrer jeweiligen Perspektive reden, aber niemals als „Vertreterinnen“ ihrer Religionen. Und: Jede bestimmt selbst, was sie sagen will oder auch nicht, weil es ihr beispielsweise zu privat ist. Zusammengefunden haben sie, weil eins sie verbindet: Sie sprechen miteinander „für sich selbst“, weil jede von ihnen an anderen Perspektiven, genauer, den Perspektiven der jeweils anderen interessiert ist. Und sie tun es öffentlich, weil sie im House of One einen für alle offenen Raum sehen. Meine persönliche Lieblingsfolge bisher ist die 51ste vom Juli 2023, die sie live vom Interreligiösen Frauenmahl in Stuttgart gesendet haben. „fromm, frei, feministisch – Wie verträgt sich das mit unserem Glauben?“ Besonders fasziniert hat mich der Austausch darüber, welche Reihenfolge nach Bedeutung diese „3 f“ für jede von ihnen hat.
„Unsere Welt braucht dringender denn je Orte …, an denen wir lernen, in unserem ‚einen Welthaus‘ gemeinsam zu leben, wie Martin Luther King einst in Berlin sagte.“ Es war der 13. September 1964, als der amerikanische Bürgerrechtler überraschend nach Ost-Berlin kam und in der Marienkirche predigte. In der Gemeinde, auf deren Gelände jetzt das House of One entsteht. „Er kam, sprach und säte Hoffnung“, so ein Spiegel-Artikel 55 Jahre später.11 Hoffnung säen – wie schön, wenn das auch dem House of One gelingen würde.
Margot Papenheim ist röm.-kath. Theologin und Redakteurin der leicht & SINN.
Anmerkungen
1) Foto Entwurf House of One©KuehnMalvezzi / Davide Abbonacci; Foto S. 51 : Maike Schöfer, Rebecca Rogowski, Kübra Dalkilic ©Anastasia Wiaterek
2) Informationen und Zitate, soweit nicht anders angegeben, hier wie im Folgenden von der Website des Projekts www.house-of-one.org
3) Tovia Ben Chorin ging 2015 als Rabbiner nach St. Gallen, wo er im März 2022 verstarb. Sein Nachfolger im Präsidium der Stiftung House of One ist Rabbiner Andreas Nachama.
4) www.forumdialog.org
5) Gunnar Lammert-Türk, Drei-Religionen-Haus „House of One“ – Das Wunder von Berlin (deutschlandfunkkultur.de) am 01.02.2015; Zugriff 10.02.2024
6) www.berliner-zeitung.de vom 27.05.2021; Zugriff 16.02.2024
7) Berliner Zeitung, Kommentar am 30.12.2016 zum „House of One“: Die Illusion vom Dialog der Religionen (berliner-zeitung.de); Zugriff 10.02.2024
8) Überschrift Artikel Malte Lehming im TAGESSPIEGEL online am 26.05.2019, 14:09 Uhr; Zugriff 12.02.2024
9) Die Welt, 31.05.2021
10) Informationen unter www.houseofone.org/netzwerk
11) Alle Folgen unter: https://331houseofone.podigee.io
12) https://www.spiegel.de/geschichte/martin-luther-king-in-ost-berlin-a-948492.html; Zugriff am 16.02.2024
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