Ausgabe 1 / 2010 Bibelarbeit von Frank Crüsemann

Bemächtigt euch der Erde

Bibelarbeit zu Genesis 1

Von Frank Crüsemann


Über der gesamten Neuzeit steht das Wort des Philosophen Descartes, eines der Begründer des modernen naturwissenschaftlichen Denkens, dass die Menschen sich mit Hilfe von Technik und Naturwissenschaft endlich zu realen Herren dieser Welt machen können.

Dabei beruft Descartes sich ausdrücklich auf das sogenannte dominium
terrae, die von Gott den Menschen nach Gen 1,26-28 zugesprochene Herrschaft über die Erde und die Tiere.(1)


Geborene Herren der Welt?

Alle positiven Wertungen der Naturwissenschaft bis hin zu heutigen Stimmen für die Gentechnik berufen sich auf dieses göttliche Mandat. Für Descartes, der in seinem Denken nur Vernunft und Materie kennt, sind Tiere nichts als Materie und ihre Hilfeschreie so etwas wie das Quietschen einer nicht geölten Tür. Die schrecklichen Folgen bis heute sind unübersehbar.

Ähnlich hat Immanuel Kant geurteilt.
Er sagt im Zusammenhang von 3,21: „Das erstemal, dass [der Mensch] zum Schafe sagte: der Pelz, den du trägst, hat dir die Natur nicht für dich, sondern für mich gegeben, ihm ihn abzog, und sich selbst anlegte (v. 21): ward er eines Vorrechtes inne, welches er, vermöge seiner Natur, über alle Tiere hatte, die er nun nicht mehr als seine Mitgenossen an der Schöpfung, sondern als seinem Willen überlassene Mittel und Werkzeuge zur Erreichung seiner beliebigen Absichten ansah.“(2) Aus dem Satz, dass Gott den beiden ersten Menschen selbst Kleider macht, wird die Legitimierung von Gewalt gegen die Tiere. Dabei wird jegliche Solidarität aufgekündigt: Sie sind nicht mehr „Mitgenossen an der Schöpfung“.

Kein Zweifel: Die moderne Naturwissenschaft und ihr Umgang mit der Natur haben sich biblisch legitimiert und sich dabei vor allem auf ein bestimmtes Verständnis der Aussagen über die Menschen in Gen 1 und 2f bezogen. Kirche und Theologie haben dem lange Zeit entsprochen oder doch zumindest nicht widersprochen. Doch seit die Umweltkatastrophen unübersehbar geworden sind und die Ökologiebewegung begonnen hat, gab es eine heftige exegetische Diskussion über diese Texte und ist fraglich geworden, ob etwa aus Gen 1 ein unbegrenztes Mandat zur Unterwerfung der Natur abgeleitet werden kann. Ich habe zu keiner anderen Passage meiner Übersetzung in der „Bibel in gerechter Sprache“ so viele kritische und besorgte Rückfragen bekommen wie zu der von Gen 1,26ff.

Für den Umgang mit der Bibel stellen sich gerade bei Texten mit so weit reichenden Folgen grundsätzliche Fragen, von denen einige hier angedeutet und im Folgenden dann an den Texten verfolgt werden sollen.
Sicher lesen wir die Bibel immer von unseren eigenen Erfahrungen, Befürchtungen und Hoffnungen her, wir sind auch dabei Kinder unserer Zeit. Das heißt aber keineswegs, dass die Texte beliebig ausgelegt werden können und man alles in sie hineinlesen kann. Dem setzen sie Widerstände entgegen, man muss nur genau hinschauen und sie selbst zu Wort kommen lassen. Dabei entscheidet sich, ob wir der Bibel wirklich trauen, oder ob wir ihr da den Mund verbieten, wo sie zunächst anderes sagt, als wir für richtig halten.

Ein Problem des Umgangs mit den biblischen Texten ist die verbreitete Wahrnehmung in „Perikopen“, in kleinen „herausgehauenen“ Abschnitten, wie sie etwa den Predigten zugrunde liegen. Und dabei wird erwartet, dass die ganze Wahrheit jeweils in einem solchen Abschnitt zu finden ist. Doch die Bibel erzählt größere Zusammenhänge, und der wahre Sinn erschließt sich oft erst, wenn man diese wahrnimmt.

Um das Verhältnis zu Natur und Tieren zu verstehen, müssen wir mindestens bis Gen 9 weiterlesen, wo die ersten Gebote dazu stehen, und im Grunde noch sehr viel weiter. Denn das, was von Gott her gilt, steht auch bei diesem Thema in der Tora. Hier, am Sinai, spricht Gott zu seinem Volk Israel, und da finden sich die einschlägigen Gebote und Gesetze. Es ist nicht zuletzt die christliche, vor allem protestantische Ablehnung und Abwertung des alttestamentlichen Gesetzes, die solche Bezugnahmen auf die Bibel ermöglicht haben, wie sie eingangs zitiert wurden, und die der vermeintlich grenzenlosen modernen Überlegenheit über die
Mitgeschöpfe zugrunde liegen.


Geschaffen als Gottes Bild

Zunächst also ein Blick auf die Zusage der Herrschaft über Erde und Tiere in Gen 1.

26 Da sprach Gott: „Wir wollen Menschen machen – als unser Bild, etwa in unserer Gestalt. Sie sollen niederzwingen die Fische des Meeres, die Flugtiere des Himmels,
das Vieh, die ganze Erde, alle Kriechtiere, die auf dem Boden kriechen.“ 27 Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen. 28 Dann segnete Gott sie, indem Gott zu ihnen sprach: „Seid fruchtbar, vermehrt euch, füllt die Erde und bemächtigt euch ihrer. Zwingt nieder die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, und alle Tiere, die auf der Erde kriechen.“ 29 Da sprach Gott: „Seht, ich übergebe euch alle Samen aussäenden Gewächse auf der gesamten Erdfläche, sowie jeden Baum, an dem Samen aussäende Baumfrüchte sind. Das soll eure Nahrung sein. 30 Auch allen Tieren des Landes, allen Vögeln des Himmels, allem, was auf der Erde kriecht, was immer mit einer Kehle lebt, soll alles grüne Gewächs als Speise dienen.“ So geschah es. 31 Und Gott sah alles, was Gott gemacht hatte: Sieh hin, es ist sehr gut. Es wurde Abend, es wurde Morgen: der sechste Tag.

In mancher Hinsicht dienen alle folgenden Sätze der Auslegung und Näherbestimmung dieses Doppel-Begriffs: als unser Bild, gleichsam in unserer Gestalt. In welcher Hinsicht ist der Mensch „Bild Gottes“?

In der Umwelt Israels ist eindeutig und vielfach belegt, wer Bild Gottes ist: Bild Gottes ist der König. So etwa in Babylonien, wo der König als Ebenbild des Gottes Marduk oder des Sonnengottes Schamasch bezeichnet werden kann, vor allem aber in Ägypten.(3) So sagt der Gott Amun zum König: „Du bist mein geliebter Sohn…, mein Abbild, das ich auf Erden gestellt habe, in Frieden lasse ich dich das Land regieren“. Oder der König Rahotep wird von seinen Beamten angeredet: „Als sein Abbild hat Re dich eingesetzt, zur Rettung der Schiffbrüchigen (d.h. der Schwachen, im Leben Gescheiterten)“. Interessanterweise wird auch eine Pharaonin wie Hatschepsut als „lebendiges Abbild“ des (männlichen) Gottes Re bezeichnet.

Entscheidend ist, dass diese Aussagen mit Beauftragungen zur Herrschaft verbunden sind. Der König ist Bild einer Gottheit nicht im Sinne äußerer Ähnlichkeit, sondern als Repräsentant ihrer Herrschaft auf Erden, um eine heilsame und friedliche Herrschaft auszuüben. In Gen 1 steht anstelle des Königs Adam, Mensch. Das ist hier als Kollektiv gedacht: Die Menschheit, alle Menschen werden von Gott als Symbol von Gottes eigener Herrschaft geschaffen, ihre Herrschaft hängt unmittelbar mit dem Bildcharakter zusammen. Gott vertraut seinem Bild seine Erde und seine Tiere an, sie sollen anstelle Gottes herrschen. Das ist die Grundaussage.


Anstelle Gottes herrschen

Wie aber sieht diese Herrschaft genau aus – und wo ist ihre Grenze? Dabei muss es zunächst um die genaue Bedeutung der in Vers 26 und 28 verwendeten hebräischen Worte gehen. Ich nenne im Folgenden alle anderen Vorkommen dieser Verben in der hebräischen Bibel, so können sich alle, auch ohne Kenntnis der Ausgangssprachen, ein eigene Bild machen.

Da ist einmal das hebräische Verb radah, das in v. 26 und 28 auf die Tiere bezogen ist und traditionell mit „herrschen“ übersetzt wird.(4) Untersucht man seine übrigen Belege im Alten Testament, so wird das Wort im Bereich politischer und militärischer Herrschaft durchgängig zur Bezeichnung einer Herrschaft ohne bzw. gegen den Willen der Beherrschten verwendet.(5) Es geht also nicht um die üblichen Herrschaftsformen (maschal), wie die eines Königs über sein eigenes Volk oder auch die patriarchalische Herrschaft des Mannes über die Frau (Gen 3,16), die nicht immer offen gewaltförmig sind, sondern ein Moment der Zustimmung, des Gewohnten und damit Anerkannten enthalten. Die Übersetzung mit „herrschen“ ist also zu schwach, es geht um eine Herrschaft, bei der die aller Herrschaft innewohnende latente Gewalt unübersehbar ist (z.B. „niederzwingen“).

Ähnlich liegt es bei dem Verb kabasch, das in v. 28 das Verhältnis zur Erde bezeichnet. Auch hier ist, wenn man alle Belege(6) betrachtet, das traditionelle die Erde „untertan machen“ zu schwach. In Est 7,8 wird mit diesem Wort die versuchte Vergewaltigung einer Frau bezeichnet. Für diese „Vergewaltigung“ der Erde sind eher Übersetzungen wie „unterwerfen“ (Einheitsübersetzung) oder sich ihrer „bemächtigen“ (Buber) angemessen. Es sind also ausgesprochen harte Worte, die zweifellos ein Moment von Gewalt und Brutalität enthalten. Jede Abschwächung wäre eine Verfehlung des Textes.

Dennoch ist hier ebenso zweifellos nicht die neuzeitliche Naturbeherrschung formuliert. Dafür spricht nun ganz eindeutig die Fortsetzung in v. 29. Und das wird bei positiver Aufnahme wie bei der Kritik oft übersehen. Die hier formulierte Naturbeherrschung umschließt nicht einmal die Tötung von Tieren zur Nahrung. Es geht um eine Haltung, die ein nicht unbeträchtliches Maß an Gewalt gegenüber Tieren und Erde enthält und die dennoch jede Tötung von Tieren auch zum Zweck der Nahrung ausschließt. Was ist gemeint?

Ich habe keinen Zweifel, dass hier die seit dem Neolithikum für jede menschliche Existenz und Kultur grundlegende und notwendige Beherrschung der Erde durch Ackerbau und Bergbau, vor allem aber die Heranziehung von Tieren zum Ziehen von Pflügen und Wagen, zum Reiten und Lasttragen, für die Gewinnung von Milch und Wolle und für vieles andere gemeint ist. Das dazu notwendige Maß an Gewalt ist
in diesen Formulierungen, genau wie bei vielen Naturvölkern, nicht verdrängt und idealisiert worden. Um ein Schaf zu scheren, ein Pferd zuzureiten, eine Kuh zu melken ist Gewalt nötig – auf ägyptischen Reliefs weinen Kühe große Tränen, wenn ihre Milch von Menschen ihren Kälbchen gestohlen wird.(7) Und doch ist nur so das Leben von Menschen in kultureller Form möglich.

Es gibt für die christliche Exegese noch einen weiteren Vers, in dem üblicherweise eine göttliche Legitimation von Gewalt gegen Tiere gesehen wird. Das ist seltsamerweise Gen 3,21, wo es nur heißt, dass Gott die ersten Menschen vor der Vertreibung aus dem Paradies selbst bekleidet. Dazu sagt etwa Johannes
Calvin in seinem Genesis-Kommentar: „Man darf die Sache nicht so ansehen, als ob Gott das Amt eines Kürschners oder Kleidermachers übernommen habe. Gott hat vielmehr den Menschen die Geschicklichkeit verliehen. Dazu mussten sie Tiere, welche ja zu ihrem Gebrauch erschaffen waren, schlachten. Und Mose will sagen, dass Gott selbst sie auf diesen Gedanken gebracht habe.“(8)

Diese Deutung auf die Kleidung aus Fellen von Tieren, die dazu getötet werden müssen, ist weit verbreitet. Für den hebräischen Text ist das aber bestenfalls eine Möglichkeit.(9) Wörtlich steht da: „Gott machte Gewänder der Haut/Hautgewänder“. Das hebräische Wort ((or) bezeichnet bei Tieren das Fell, bei Menschen aber einfach die Haut. Sollte wirklich gemeint sein, dass Gott als erster die Regel durchbricht, die er selbst in Gen 1 aufgestellt hat, dass die Menschen von Pflanzen leben sollen und dass die Gewalt gegen Tiere das Töten nicht einschließt (1,28f)?

Merkwürdig, wie selbstverständlich die Gewalt gegen die Natur für die christliche Deutung ist, während die jüdische intensiv darüber diskutiert, was gemeint sein kann.(10) Geht es vielleicht um Felle schon toter Tiere, oder um das Scheren von Tieren, also um Wolle oder Filz, oder heißt es gar „Kleider für die Haut“? Dann gibt es hier gar keine Aussage darüber, woher der Stoff kommt. Es geht schlicht darum, dass Gott die Menschen schützt, indem er ihnen Kleider „macht“, so wie Gott vorher Menschen und Tiere „gemacht“ hat (2,4.18; 3,1; dazu oft in Kap. 1), und die Menschen sich eine erste Hülle aus Blättern „machen“ (3,7); es wird dasselbe Wort benutzt. Die menschliche Kleidung ist, so sagt es diese Geschichte, Teil der Schöpfung Gottes. Das schöpferische Wirken Gottes setzt sich danach fort in das hinein, was wir Menschen tun. Schöpfung und Kultur sind hier keine Gegensätze.


Gewalt begrenzen

In den ersten Kapiteln der Genesis wird tötende Gewalt gegen Tiere von Gott her nicht legitimiert, die Menschen waren so etwas wie Vegetarier. Der Satz aus 1,31, dass die Schöpfung in den Augen Gottes „sehr gut“ war, setzt das voraus. Ein sachgemäßes Verständnis kann nicht von der weiteren Geschichte absehen. Der Satz aus 1,31 wird deutlich in 6,12 wieder aufgenommen: „Da sah Gott die Erde an, und siehe sie war verdorben.“ Was die sehr gute Welt zerstört hat, ist in den vorangehenden Sätzen in Gen 6 eindeutig benannt: „Die Erde war voll von Gewalttat“ (6,11). Mit Kain und Abel begann es, die Folgen des Griffs nach der verbotenen Frucht realisieren sich vor allem als Gewalt. Alle nehmen sich, was sie für gut halten, notfalls auch durch Gewalt. Und diese Gewalt schließt die Tiere aktiv und passiv ein, sie betrifft „alles Fleisch“ (6,12). Die sehr gute Welt, wie sie in Gen 1 geschildert wurde, ist immer noch da: Der Himmel und die Erde, die Sterne und das Meer, die Pflanzen und die Tiere, Frauen und Männer und nicht zuletzt: Gott. Mitten in all dem jetzt aber auch das andere, die universale Gewalt.

Der Schlüssel zum Verständnis ist für mich die Annahme, dass es zu diesem „sehr gut“ gehört, dass diese Welt kein Mittel gegen die Gewalt besaß. Alles, was der Gewalt entgegentritt, um sie zu begrenzen und zu überwinden, hat selbst Anteil an der Gewalt. Das gilt für Gottes großen und gescheiterten Versuch, in der Flut die Gewalt mit Gewalt zu überwinden: Alles blieb wie vorher, die Menschen hatten sich nicht geändert (vgl. Gen 6,5 und 8,21). Das gilt auch für den danach mit dem Noah-Bund begonnen Versuch, die Gewalt durch das Recht zu begrenzen. Das ist der bis heute wichtigste Weg, es gibt keinen anderen, jedenfalls keinen, der an ihm vorbeiführt. Aber auch das Recht kann nicht völlig auf Gewalt verzichten, so sehr es auch das entscheidende Mittel ist, sie zu minimieren.

Diese ersten Begrenzungen der universalen Gewalt schließen neben dem Schutz des menschlichen Lebens (9,5f) auch die Tiere ein. Zwar dürfen sie jetzt getötet werden – allerdings ausschließlich zum Zweck der Nahrung (9,3f). Doch das Blut, das Symbol des Lebens, darf nicht gegessen werden: „Fleisch mit seiner Lebenskraft, seinem Blut, sollt ihr nicht essen“ (9,4). Was bis heute jüdische Speisesitte ist, erinnert bei jedem Fleischgenuss an die damit verbundene Problematik der Tötung und so daran, dass auch das tierische Leben Gott, und nicht den Menschen gehört.


Seele der Tiere achten

Für die dann am Sinai erlassenen Gebote zum Umgang mit Tieren ist das Blutverbot nur ein kleiner, aber wichtiger Teil. Sieht man etwa auf die Listen von Tieren, die nicht gegessen, also auch nicht getötet werden sollen (Lev 11; Dtn 14,2ff), bleiben nur wenige übrig, die erlaubt sind. Und für die Opfer im Tempel kommen noch weniger in Frage, eigentlich nur Schafe, Ziegen, Rinder, Tauben. Und die Grundregel, ein Jungtier nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen (Ex 23,19; Dtn 14,21), was zur Trennung von Fleisch und Milch im Judentum führt, entstammt wahrscheinlich auch einem „humanen“ Umgang mit den Tieren(11) – genau wie eine ganze Reihe weiterer eindeutiger Schutzregeln.(12)

All das ist uns ChristInnen fremd und wird oft sogar diffamiert. Intendiert
ist aber die in einer Welt der Gewalt größtmögliche Annäherung an die ursprüngliche Schöpfungsordnung und damit auch an das „sehr gut“ des Anfangs. Wenn wir diese Regeln nicht übernehmen wollen oder können,
sollten und müssen wir andere, ebenso gute ersinnen. Eine Formulierung
wie Spr 12,10 zeigt, was letztlich gilt: „Gerechte kennen die Empfindungen ihres Viehs“. Da steht das Wort, das traditionellerweise mit „Seele“ übersetzt wird (nefesch). Darum geht es biblisch – für Descartes und Kant und viele in ihrer Nachfolge bis heute fast unvorstellbar.


Für die Arbeit in der Gruppe

Material

beschriftete Transparente und Arbeitsblätter mit Bibelstellen für die Gruppenarbeit
(für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet)


Ablauf

Proklamationen
In den Ecken des Raumes stehen Frauen mit Transparenten und proklamieren Gen 1,26+28 in unterschiedlichen Übersetzungen:
– „Sie sollen niederzwingen die Fische des Meeres, die Flugtiere des Himmels, das Vieh, die ganze Erde, alle Kriechtiere, die auf dem Boden kriechen.“
– „Zwingt nieder die die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und alle Tiere, die auf der Erde kriechen.“
– „Bemächtigt euch der Erde“
– „… herrschen…“
– „… untertan machen…“
– „… unterwerfen…“

Die Leiterin wartet zunächst die Reaktionen der TN ab.
Gesprächsimpuls: Wer könnte solche Forderungen stellen? (mögliche Antworten: Machtmenschen, Ausbeuter, Naturwissenschaftler, Forscher…)

Harte Worte
Die Leiterin erläutert die Übersetzung Crüsemanns von Gen 1,26+28 mit „niederzwingen“ (aus Abschnitt „Anstelle Gottes herrschen“ die ersten drei Absätze).
Gesprächsimpuls: Wie erklären Sie sich diese harten Worte innerhalb des biblischen Schöpfungsberichts, der mit den Worten endet: „Sieh hin, es ist sehr gut“?

Notwendige Gewalt
Die Leiterin referiert die Erläuterungen Crüsemanns im Abschnitt „Anstelle Gottes herrschen“, 5. Absatz

Grenzziehungen der Tora
Überleitung: Die Bibel erzählt größere Zusammenhänge, und der wahre Sinn erschließt sich oft erst, wenn man diese wahrnimmt.
In Arbeitsgruppen sollen die Frauen sich – arbeitsteilig – mit Textstellen auseinandersetzen, die den „Herrschaftsauftrag“ interpretieren helfen:
Gen 1,29-31; Gen 6,11-12; Gen 9,3f; Lev 11; Dtn 14,2ff; Ex 23,19; Dtn 14,21; Dtn 22,6f; Dtn 25,4; Spr. 12,10
(Für theologisch weniger versierte Gruppen kann die Gruppenarbeit durch ein Referat der Leiterin ersetzt werden.)

Die Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen; die Leiterin ergänzt ggf. aus den Ausführungen zu den „Schutzregeln“ (Abschnitte „Gewalt begrenzen“ und „Seele der Tiere achten“).

Neue Regeln
Impuls: Wenn wir diese Regeln nicht übernehmen wollen oder können, sollten und müssen wir andere, ebenso gute ersinnen. Sie müssen so sein, dass in einer Welt der Gewalt größtmögliche Annäherung an die ursprüngliche Schöpfungsordnung und damit an das ‚sehr gut' des Anfangs erreicht wird.

Die Frauen entwickeln entsprechende Regeln in Gruppen und tragen sie anschließend im Plenum zusammen.

Gebet zum Abschluss
Guter Gott,
unser Leben ist oft von Kampf bestimmt.
Das Geldverdienen bereitet uns Mühsal,
und auch andere Aufgaben des täglichen Lebens fordern ihren Tribut.
Wir können nicht leben, ohne anderen Gewalt anzutun,
unseren Mitmenschen, unseren Mitgeschöpfen und der Natur.
Lass uns unsere Verantwortung wahrnehmen
und dort, wo es möglich ist,
die Gewalt auf ein Minimum beschränken.
Lass uns wachsam sein.
Lass uns unseren Beitrag dazu leisten,
um die ursprüngliche Schöpfungsordnung wiederherzustellen,
damit auch wir einst sagen können:
„Und siehe, es war sehr gut.“
Amen.


Prof. Dr. Frank Crüsemann, geb. 1938 in Bremen, hat bis zu seiner Emeritierung Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel gelehrt.
Er ist Mit-Herausgeber der Bibel in gerechter Sprache.

Vorschlag für die Bibelarbeit:
Simone Kluge, Mitglied im Redaktionsbeirat ahzw


Verwendete Literatur

J. Calvin: Auslegung der Genesis, übers. u. bearbeitet v. W. Goeters u. M. Simon, Neukirchen 1956
F. Crüsemann: Damit „Kain nicht Kain wird“. Die Wurzeln der Gewalt und ihre Überwindung in biblischer Sicht, in: ders. Maßstab: Tora. Israels Weisung für christliche Ethik, 2. Aufl. Gütersloh 2004, 88-104
F. Crüsemann: Der erste Segen: Gen 1,26 – 2,3, Bibel und Kirche 58, 2003, 108-118
R. Descartes: Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs (1637), reclam-Ausgabe, 1961
J. Ebach: Bild Gottes und Schrecken der Tiere. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen. Reflexionen. Geschichten, Neukirchen 1986, 16-47
J. Ebach: Dialektik der Aufklärung. Der Text für die Bibelarbeit am Donnerstag 1. Mose 3 und darin die Losung des Kirchentags aus 1. Mose 3,9, JK extra/2008, 2-10
B. Jacob: Das erste Buch der Tora: Genesis (1934), Nachdruck 1974, 2000
I. Kant: Mutmasslicher Anfang der Menschen-geschichte(1786); Werke in sechs Bänden, hg. v. W. Weischedel, Bd. VI, Darmstadt 1964, 82-102
O. Keel: Das Böcklein in der Milch seiner Mutter und Verwandtes, OBO 33, 1980
H.-P. Mathys (Hg.): Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt. Studien zu Würde und Auftrag des Menschen, BThSt 33, 1998, 75-93
B. Ockinga: Die Gottebenbildlichkeit im Alten Ägypten und im Alten Testament, Ägypten u. AT 7, Wiesbaden 1984


Anmerkungen

1 Abhandlungen über die Methode (1637) 80f.
2 Mutmaßlicher Anfang (1786) 91.
3 Die folgenden Beispiele bei Ockinga, Gottebenbildlichkeit 146f.
4 Luther, Zürcher B., Einheitsübersetzung, die Kommentare von Gunkel, v. Rad, Westermann u.a.
5 Vgl. Lev 25,43.46.53; 26,17; Num 24,19; 1 Kön 5,4.30; 9,23; Jes 14,2.6; Ez 29,15; 34,4; Ps 49,15; 68,28; 72,8; 110,2; Thr 1,13; Neh 9,28; 2 Chron 8,10; Jes 41,2
6 Jer 34,11Q.16; Mi 7,19; Sach 9,15; Esth 7,8; Neh 5,5; 2Chron 28,10; außerdem passivisch: Num 32,22.29; Jos 18,1; Neh 5,5; lChron 22,18; sowie 2Sam 8,11
7 Vgl. die Abb. bei Keel, Böcklein 49.
8 Genesis 63.
9 Dazu a. Ebach, Dialektik der Aufklärung 10.
10 Beispiele bei Jacob, Genesis 123f.
11 Dazu Keel, Böcklein.
12 Vgl. z.B. Dtn 22,6f; 25,4

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