Alle Ausgaben / 2012 Frauen in Bewegung von Karin Nungeßer

Bernhard Deutz – Instrumentenbauer eigener Art

Die Sehnsucht, mitten im Klang zu sein

Von Karin Nungeßer

Seit über 20 Jahren entwickelt Bernhard Deutz neuartige Instrumente und Klangkörper, nicht nur zum therapeutischen Einsatz. Ich habe ihn in seiner KlangWerkstatt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg besucht.

Es gibt Räume, die betritt man und fühlt sich gleich freundlich aufgenommen. Der Klangraum von Bernhard Deutz ist so ein Raum. Leichte, fast transparente Stoffbahnen filtern sanft einen Teil des Lichts, das von draußen durch die hohen Erdgeschossfenster fällt; am Boden lädt ein fein gewebter, heller Sisalteppich zum Herumlaufen und Umschauen ein. Nichts lenkt an den weiß getünchten Wänden den Blick von den Instrumenten ab, die nebenan von Hand gefertigt und hier wie Kunstwerke präsentiert werden: zwei- und viersaitige Chrottas in warmen Honigtönen, die optisch an Cello, Geige oder Kontrabass erinnern (aber leichter zu spielen sind); Kinderharfen in organisch-runden Formen mit sieben oder neun Saiten – eine für jeden Ton, sodass die Saiten beim Spielen nicht zusätzlich gegriffen werden müssen.

An einer Wand lehnen aufgeschnittene Bambusrohre, die mit einer Resonanzdecke aus Tonhölzern ausgestattet und so lang sind, dass ihre Saiten von bis
zu acht Personen gleichzeitig gezupft, angeschlagen oder mit dem Bogen gestrichen werden können. Helle Monochorde umschmeicheln mit ihrem perlend-heiteren Klang die Ohren: schmale, glatte Kästen aus leichtem Bergfichtenholz, deren Saiten alle auf denselben Ton gestimmt sind – und die deshalb selbst dann nicht „falsch“ klingen können, wenn Ungeübte sie spielen. Dazu die skulpturartigen Körperinstrumente, die Deutz in den vergangenen Jahren vor allem für den therapeutischen Einsatz entwickelt hat: mächtig und imposant wie ein dunkel hölzerner Thron der Klangstuhl mit seinem kegelförmigen Sitzkorpus und der gewölbten Rückenlehne, die filigrane, fast schwebend anmutende Klangliege und die in vielen unterschiedlichen Ausführungen gefertigte Körpertambura – ein heller, leicht gewölbter Resonanzkörper mit 24 oder 28 Saiten, der auf den Körper gelegt werden und mit dem man sich und andere „bespielen“ kann.

Dann betritt der Hausherr den Raum, und unverkennbar: Er passt hierher. Bernhard Deutz – freundliche, dunkle Augen hinter einer randlosen Brille, kurze graue Haare, schlaksige, fast jungenhafte Gestalt – strahlt eine ähnlich nüchtern-herzliche Klarheit aus wie der Raum, der ihn umgibt. Fragen nach seiner Arbeit, seinem Leben begegnet er gelassen. Manchen Antworten spürt er noch einen Augenblick nach, als müsse er erst entscheiden, ob das Gesagte noch einer Ergänzung bedarf. Seine Sätze sind druckreif, klug, genau durchdacht. So spricht einer, der weiß, was er tut und warum er´s tut. Der mit sich selbst und seiner Arbeit im Einklang ist.

Das war, wenn man Deutz erzählen hört, nicht immer so. Anfang der Siebzigerjahre verlässt er nach dem Abitur „fluchtartig“, wie er sagt, die katholische Stadt, in der er aufgewachsen ist. Er geht über Heidelberg nach Berlin, schreibt sich zum Studium an der Freien Universität ein. Es sind politisch sehr bewegte Zeiten, die Studentenproteste liegen noch nicht lange zurück, das Aufbegehren gegen autoritäre Strukturen, die Suche nach alternativen Lebensformen gehen weiter. Die ersten Häuser werden besetzt, neue soziale Bewegungen entstehen. Auch Deutz ist ein Teil davon: „Damals drehte sich ja alles um die Frage ,Was hat politische Relevanz – oder nicht?'“, erinnert er sich, „da war der Elfenbeinturm Musikwissenschaft nicht unterzubringen.“

Deutz hängt das Fach an den Nagel, konzentriert sich stattdessen auf sein Studium der Sozialpädagogik, das er 1979 abschließt. Er engagiert sich in der Arbeit mit Randgruppen, betreut Jugend-WGs und setzt – gefördert vom Westberliner Senat, der durch solche Projekte die Hausbesetzerszene auszutrocknen versucht – mit Jugendlichen Wohnungen instand. Mitte der Achtzigerjahre zieht er in der Nähe von Bremen aufs Land und unterrichtet an der Kreisvolkshochschule arbeitslose Landjugendliche, die den Hauptschulabschluss nachholen sollen. Doch die sind wenig motiviert, Erfolgsgefühle, positive Rückmeldungen bei der Arbeit Mangelware. Nach sieben Jahren als Sozialpädagoge zieht Deutz die Reißleine: „Ich hab gespürt, wie diese Arbeit mich aussaugt und dass ich dabei in meinen eigenen Bedürfnissen vor die Hunde gehe.“

Was dann passiert, beschreibt Deutz, der seine Vorstellung vom großen Ganzen nicht religiös nennen möchte, obgleich er sich als spirituellen Menschen begreift, als „einen Lichtstrahl, der mein Leben traf“. Und wenn er diese Formulierung nicht so sachlich, so fast beiläufig und völlig gelassen verwenden würde, man wäre versucht, sie doch ein wenig zu pathetisch zu finden.

Der Lichtstrahl, von dem Deutz spricht und der sein Leben verändern wird, ist die Begegnung mit dem Instrumentenbau. Schon lange hat er Lust gehabt, sich ein eigenes Instrument zu bauen, jetzt tut er es. Er besucht einen Kurs, dann einen zweiten. Danach ist klar: Es steht ein Wechsel an. Vorsichtig fragt er beim Leiter des Kurses, ob der nicht jemanden suche. Und dann geht alles sehr schnell: Deutz lässt seinen Vertrag bei der Volkshochschule auslaufen, geht in die Eifel, klinkt sich in die Werkstatt seines Kursleiters ein und lernt. Mit seinem Lehrer Helmut Bleffert, selbst kein gelernter Instrumentenbauer, sondern Maler und Bildhauer, hat er großes Glück. Denn was er von ihm lernen kann, ist vor allem zweierlei: „Die Freiheit, mit Formen zu spielen, und den Mut, am Ende des 20. Jahrhunderts, wo es schon alles an Saiteninstrumenten gibt, etwas Neues in die Welt zu setzen.“

Davon macht Deutz in den folgenden Jahren regen Gebrauch. Schnell ist ihm klar, dass er musiktherapeutische Instrumente entwickeln möchte. Und wieder hat er Glück, dass nämlich, wie er sagt, „zu diesen Zeiten auf dem Arbeitsamt mit den Leuten noch anders umgegangen wurde“. Seinem Fachvermittler in Bremen erzählt er offen, was er vorhat: Er will sich seine eigene Werkstatt einrichten und sich gewissermaßen selbst umschulen, in einen Beruf, den es eigentlich noch nicht gibt und den er im Grunde selbst erfinden muss. Der Vermittler willigt ein, Deutz bekommt Arbeitslosenhilfe und bleibt von Vermittlungsversuchen verschont. Zwei Jahre, nachdem er in die Eifel gefahren ist, am Wochenende des Mauerfalls, gibt er seinen ersten Instrumentenbaukurs in Bremen, 1991 zieht er nach Berlin.
Es folgen über mehrere Jahre musiktherapeutische Weiterbildungen in klanggeleiteter Körper- und Trancearbeit. Als nicht-gläubiger Mensch findet Deutz dabei einen neuen Zugang zur Spiritualität. Er beschäftigt sich mit monochromen Klängen: dem Monochord, der Schamanentrommel, dem Didgeridoo. Dabei geht es ihm nicht primär darum, selbst musiktherapeutisch zu arbeiten; aber um neue Instrumente zu entwickeln, muss er wissen, wie Klänge wirken. Zum Beispiel für die Säuglings-Klangwiege, die er 1996 zum ersten Mal baut. Eine Neonatologe aus dem Spandauer Waldkrankenhaus, der selbst Cello spielte, hatte ihn nach einem Instrument gefragt, mit dem man Frühgeborene beim Nachreifen unterstützen könne. „Über die therapeutische Beschäftigung mit dem Monochordklang wusste ich, das ist ein Klang, bei dem es um Symbiose, um Geborgenheit geht und der bei ganz vielen Menschen Erinnerungen an ihre perinatale Phase auslöst.“ Deutz liest Aufsätze über die Musiktherapie mit Frühgeborenen, über die Hörentwicklung bei Säuglingen – und baut ein Saiteninstrument, das man in den Inkubator stellen kann: Das Baby liegt auf einem Resonanzkörper, von unten streichen Mutter oder Vater sanft die Saiten an und erzeugen so einen zarten Klangteppich, den das Kind nicht nur akustisch, sondern – ähnlich wie im Mutterbauch – mit dem ganzen Körper wahrnehmen kann. Als ihn einige Jahre später eine Musiktherapeutin anspricht, die mit Wachkomapatienten arbeitet, speckt Deutz die Klangwiege ab, macht sie leichter und entwickelt das Instrument so weiter, dass man es den PatientInnen auf den Körper legen kann. Schon vor der Frühgeborenen-Klangwiege hat er einen Klangstuhl für die Arbeit mit schwerstbehinderten Erwachsenen entwickelt, für den es beim internationalen Wettbewerb der World Federation of Music Therapy in Hamburg den zweiten Preis gab.

Doch neben dem Heilmachen, der Heilung für andere, was treibt ihn an, was steht im Zentrum seiner Lust am Erfinden neuer Instrumente und Klangkörper? Das habe, sagt Deutz, viel mit der eigenen Lust und Sehnsucht zu tun, „in den Klang hineinzukriechen und mittendrin zu sein“. Denn wer auf einem Instrument Platz nehme oder umgekehrt das Instrument auf den Körper gelegt bekomme, erlebe, wie der Körper Teil des Instruments werde. Dann wanderten die Schwingungen über die Knochenleitungen, über die Körperflüssigkeiten, über die Haut in alle Körperzellen – „und dann ist man wirklich mitten im Klang“. Wie der Dirigent im Orchester, ein zweiter Traumberuf, den Deutz gerne ausgeübt hätte.

Geht es dabei auch um Transzendenz? Ja, sagt Deutz, in dem Sinne, dass es noch andere Dimensionen über unser materielles Sein hinaus gibt. Auch müsse er, der schon als Zwanzigjähriger lieber die h-Moll-Messe von Bach als die neueste Stones-Platte hörte, sich heute nicht mehr von seinen musikalischen Wurzeln abgrenzen und davon, „dass das Wurzeln mit einem christlichen Hintergrund sind“. Trotzdem, religiös kann er das für sich nicht nennen. Sieben Jahre hat er als Grundschüler im Aachener Domchor gesungen, beglückt vom Klang der Chorwerke der abendländischen Vokalpolyphonie, abgestoßen von dem, was er die „katholische Untertanenfabrik“ nennt: „Ich hab mich gerettet, indem ich den Klang vom Wort abgespalten habe – mich hat nie das Wort interessiert, immer nur der pure Klang, und das ist bis heute so.“

Klang, das habe für ihn viel mit Fülle, Geborgenheit, Vitalität zu tun, sagt Deutz. Und wohl auch deshalb seien so viel mehr Frauen als Musiktherapeutinnen tätig, weil das ein Feld sei, das viel mit Selbsterfahrung zu tun habe. „Viele Männer haben weniger Mut dazu, so etwas auszuprobieren.“ Er selbst kennt da keine Berührungsängste: Großgeworden mit fünf Schwestern in einem Frauenhaushalt, habe er eben mehr „feminine Prägungen als andere Männer“, sagt er.

Hat einer wie Deutz noch Träume? Er lächelt, holt Atem, denkt kurz nach. Eine Vision, die er gerne verwirklichen möchte, sind Instrumente zum Umarmen und große, begehbare Klangobjekte, am liebsten im Rahmen eines großen Ausstellungsprojektes. „Mein Traum wäre es, die Werkstatt so weit zu bringen, dass sie ein Jahr ohne mich läuft. Dann könnte ich eine Auszeit nehmen und mich ganz dieser künstlerischen Seite zuwenden.“ Ideen gibt es viele, was noch fehlt, sind Auftraggeber und Sponsorinnen. Damit Deutz schaffen kann, was er schaffen möchte: neue Räume und Objekte, in deren Klang man für einen Moment verweilen kann.

Karin Nungeßer, geb. 1966, ist Journalistin und lebt abwechselnd in Berlin und Brandenburg. Sie liebt die Stille.

Mehr Informationen über die Instrumente, Klangerfahrungsseminare und Instrumentenbaukurse von Bernhard Deutz unter:
www.deutz-klangwerkstatt.de

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang