Alle Ausgaben / 2010 Andacht von Anja Huesmann und Dagmar Wolf

Beschenkt von Gott

Andacht zur Segnung der Kinder

Von Anja Huesmann und Dagmar Wolf


– Gestaltung der Mitte:
Bibel, blaues Tuch, Kerze
– auf dem Tuch verteilt: Sand, Muscheln, Holzstückchen, Murmeln


Eingang

Wir halten diese Andacht im Namen Gottes, der uns geschaffen und uns unsere Lebenszeit geschenkt hat,
Mk 10,13-16 aufschlagen und auf das Tuch in die Mitte legen

im Namen Jesu, der uns mit seinem Leben und seiner bedingungslosen Liebe ein gutes Bild von uns geschenkt hat,
zwei Holzstücke in Kreuzform übereinander legen

und im Namen des Heiligen Geistes, der unser Herz öffnet, damit wir freudig und vertrauensvoll wie ein Kind empfangen können, was uns gut tut und uns heil werden lässt.
Kerze in der Mitte anzünden
Lied: Meine Zeit steht in deinen Händen (EG 644, alle Strophen)

Liebe Frauen,

endlich ruhig sein können, sich endlich geborgen fühlen können – wie oft wünschen wir uns das? Und wie oft haben wir das Gefühl, dass wir von Termin zu Termin hetzen, dass die Sorgen und Nöte kein Ende nehmen. Die Hektik des Alltags mit allen seinen kleinen und großen Ängsten hat uns voll im Griff, die innere Mühle der Unruhe mahlt und mahlt – abschalten, wie soll das gehen?

Vielleicht einfach, indem wir die Blickrichtung wechseln, indem wir nicht weiterhetzen, den Blick auf die Uhr, auf den nächsten Termin gerichtet, sondern indem wir uns konzentrieren auf das, was das Leben da ganz zufällig vor uns ausbreitet: Lassen Sie uns einen Blick auf die Mitte werfen!


Meditation

Setzen Sie sich aufrecht hin.
Spüren Sie Ihre Füße auf dem Boden. Legen Sie Ihre Hände locker auf Ihren Schenkeln ab.
Atmen Sie ruhig und langsam ein und wieder aus, und noch einmal ein und wieder aus. Sie spüren, wie Ihr Atem ruhiger wird, wie Sie sich mehr und mehr auf den Augenblick einlassen können. Sie sitzen hier, atmen und schauen ganz einfach.

Nun konzentrieren Sie sich bitte auf die Gegenstände, die in unserer Mitte ausgebreitet sind:
Wir sehen die Farbe Blau – ahnen dahinter das Meer mit seinem Wellenschlag, seinem Kommen und Gehen als Vorschein auf die Ewigkeit. Wir hören den Atem des Meeres, hören das ruhige Rollen der Wellen. Wir vernehmen seine Einladung, mit dem Kommen und Gehen der Wellen mitzugehen, mitzuatmen.

Wir sehen den Sand – wir ahnen dahinter das Vergehen der Zeit, wie das Leben unaufhaltsam dahinfliegt. Wir spüren, wie der Wind uns den Sand gegen die Beine trägt, wie der Sand sich auf unserer Haut reibt, und wir fühlen die Berührung, mal sanft streichelnd, mal wie kleine Nadelpiekser, und empfinden beides als gleichermaßen wohltuend in seinem steten Wechsel aus Beruhigung und Belebung.

Wir sehen die Muscheln, sehen die in sich gekrümmten ebenmäßigen Linien und Formen, spüren, wie Wasser, Wellen und Sand die Formen in ihrer Vielfalt geprägt haben.

Wir sehen auf das vom Wasser bearbeitete Holz, fühlen, wie die Kräfte des Meeres seine Oberfläche verändert, seine Rinde geglättet haben, so dass die feine Maserung des Holzes wie ein neues Gesicht unter der alten Borke aufscheint.

Wir sehen Murmeln – diese schimmernden Perlen der Kindheit, vom Meer mitgenommen und an einem neuen Platz wieder angespült wie eine Einladung zu einem neuen Spiel…

Stille

Lied: Sollt ich meinem Gott nicht singen? (EG 325, 1+6+7+10)

Gedanken zu Mk 10,13-16

Die Murmeln in der Mitte – ein Kind würde sofort loslegen mit dem Spiel. Alles andere wäre nebensächlich. Die Freude an der schönen Form, an den Farben, an ihrem Glänzen, am zarten Klickern, wenn das Glas mehrerer Murmeln aufeinandertrifft, würde das Kind ganz erfüllen. Kinder können das: Sie greifen ganz einfach zu, weil sie dem, was das Leben da vor ihnen ausbreitet, trauen. Sie lassen die Gelegenheit, den schönen Augenblick nicht einfach vorüberziehen, sondern sie halten die Zeit an, indem sie das, was sie tun, mit besonderer Intensität, Hingabe und Selbstvergessenheit tun.

Damit eröffnen die Kinder uns, ihren erwachsenen Betrachtern, eine Ahnung davon, was „Achtsamkeit“ bedeuten kann: Achtsamkeit heißt, vollständig im Augenblick zu leben, sich einfach an ihm zu freuen, ihn zu genießen und gerade nicht in typisch gestresster Erwachsenenmanier ständig mit dem Gestern zu hadern oder das Morgen zu planen. Das haben die Kinder uns Erwachsenen voraus: diese besondere Gabe, sich vertrauensvoll dem Augenblick hinzugeben. Und genau das kann auch der Grund dafür sein, dass der Evangelist Markus von Jesus erzählt, wie er die Kinder segnet und sie den Erwachsenen als Vorbild dafür hinstellt, ins Reich Gottes zu kommen.

Hören wir Mk 10,13-16:

(13) Und sie brachten Kinder zu ihm, dass er sie berühre. Die Jünger aber fuhren sie an. (14) Jesus aber, der es sah, wurde unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. (15) Amen ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen. (16) Und er schloss sie in die Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.(1)

Der Fall ist klar. Der Evangelist Markus sagt uns: Es sind die Kinder und gerade nicht die Erwachsenen mit ihren Bedenken und ihrem Statusdenken, denen Jesus das Reich Gottes verheißt. Wir Erwachsenen neigen allzu sehr dazu, uns auf unsere eigenen Leistungen und Verdienste zu verlassen. Wir rennen, sorgen und planen den ganzen Tag, um am Ende stolz auf unser Werk zu zeigen und um dann, je müder und abgekämpfter wir uns dabei fühlen, desto verbissener am nächsten Tag weiter zu ackern.

Was wir dabei oft vergessen, ist, dass wir gar nicht alles selbst in Händen halten und erledigen müssen. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass wir gehalten werden. Gott hat uns schon am Sinai in der Namensoffenbarung zugesagt, dass er unsere Wege mit uns geht: Wenn wir ihm trauen, können wir schon jetzt seine Präsenz und damit sein Reich spüren. Doch es ist genau diese Haltung des unbedingten Vertrauens, die uns so schwer fällt, die aber für ein Kind ganz selbstverständlich ist. Ein Kind fragt nicht erst skeptisch nach, wenn es etwas geschenkt bekommt – es lässt sich einfach beschenken und freut sich darüber. So wie es sich eben an einem schönen Spiel, an einer liebevollen Geste oder an seiner Lieblingsspeise erfreuen kann.

Es ist diese grundsätzlich andere Haltung des Kindes, auf die Jesus unseren Blick lenkt: Seht euch die Kinder an! Er führt dazu gar nicht einmal im Einzelnen aus, was es denn für Eigenschaften sein könnten, die der Grund dafür sind, dass er ausgerechnet den Kindern das Reich Gottes verspricht. Nach dem damaligen jüdischen Verständnis galten die Kinder so gut wie nichts, da sie bezogen auf das Einhalten der Thora (der Gebote) keine Verdienste vor Gott vorzuweisen hatten. Und ausgerechnet diesen Wesen sagt Jesus nun – zum Unwillen der Jünger – zu, dass ihnen das Reich Gottes offen stehe.

Wie so oft, versucht Jesus auch hier, gängige Erwartungsmuster aufzubrechen. Er versucht, den Erwachsenen, die sich und ihren Wert ausschließlich von ihren Leistungen abhängig machen, eine neue Sichtweise auf sich selbst zu schenken: die achtsame, lebensbejahende Grundeinstellung der Kinder. Denn wer das Leben, wer den Augenblick als Geschenk „annehmen kann“ wie ein Kind, erfährt schon jetzt, was er, was sie sonst vielleicht nie so erwartet hätte: Er, sie erfährt, wie bereichernd und immer wieder neu begeisternd Gottes Nähe und Gottes Liebe sein kann. Das Leben wird zu einer Verheißung neuer Schätze, die gefunden, gehoben und genossen werden wollen wie die Perle im Acker – oder die Murmel im Spiel oder der Urlaub am Meer.

Wir müssen nur einmal probehalber unsere Blickrichtung ändern: Lasst uns auf die Kinder schauen und es wie sie machen. Lasst uns – wie sie – den Augenblick achten, ihn freudig als Geschenk aus Gottes Hand entgegennehmen, ihn in Händen halten und uns ihm ganz hingeben. Denn nur so verfliegt der Augenblick nicht „ungelebt“, nur weil wir mit unseren Gedanken ganz woanders sind, nicht im Hier und Jetzt – und damit weder bei uns selbst noch bei unserem Nächsten. Thomas Mann findet dafür die folgenden Worte: „Halte die Zeit! Überwache sie, jede Stunde, jede Minute! Unbeaufsichtigt, entschlüpft sie, dem Eidechslein gleich, glatt und treulos, ein Nixenweib.
Heilige den Augenblick!“(2)

Lied: Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen (EG 352, 1+ 3+5)

Gebet

Guter Gott, wie schwer fällt es uns oft, uns ganz auf dich zu verlassen: Wir möchten gerne selbst die Entscheidungen treffen, unsere eigenen Pläne machen, unsere Sorgen vermehren, unser Leben verplanen. Lass nicht zu, dass wir dadurch unser Gespür für dich, für unsere Mitmenschen und letztlich für uns selbst verlieren. Komm uns in die Quere und unterbrich unser Sorgen, damit wir endlich lernen, vertrauen zu können wie ein Kind.

Gemeinsam rufen wir zu dir:
Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich, wandle sie in Weite – Herr erbarme dich.
Kyrieruf nach LW 21

Guter Gott, wir leben in einer Welt, in der es scheinbar nur darum geht, wer am schnellsten am Ziel ist. Viele Menschen um uns herum und auch wir selbst sind ständig in Bewegung. Dabei übersehen wir so viel, laufen an unserem Heil und an unendlich viel Elend einfach nur vorbei, weil wir es eilig haben. Hilf du uns dabei, diesen Zustand zu bemerken. Lass uns ein Gespür dafür entwickeln, dass du uns jeden Augenblick unseres Lebens liebevoll anschaust. Lass nicht zu, dass wir an dieser Liebe vorbeirennen.

Gemeinsam rufen wir zu dir:
Meine engen Grenzen…

Guter Gott, wir bitten dich, mach dich gemeinsam mit uns auf den Weg. Begleite und stärke uns, wenn wir lieber wegrennen würden. Gib uns die Kraft, die wir brauchen, um die Nöte der Menschen um uns herum anzusehen und mitzutragen. Lehre du uns, solidarisch zu sein mit all denen, die du uns ans Herz legen willst.

Gemeinsam rufen wir zu dir:
Meine engen Grenzen…

Guter Gott,
in der Stille will ich dir jetzt sagen, was mich bewegt und auf das hören, was du mir ins Herz sprechen möchtest…

Zeit für stilles Gebet


Vater unser

Lied: Meine engen Grenzen (alle Strophen)


Segen

Dein Rennen und Hasten, deine Ziellosigkeit und Resignation, deine Mutlosigkeit und deine Überforderung
sollen gesegnet sein.

Deine kleinen Anfänge und großen Rückschläge, dein Mühen und Sorgen, deine Ängste und deine Sensibilität
sollen gesegnet sein.

Dein Gespür für den Menschen neben dir, deine Verletzlichkeit und Kindlichkeit, deine Kreativität und deine Verspieltheit
sollen gesegnet sein.

Dein Weg hinaus in die Welt, deine Freude an den Gerüchen des Sommers, deine Bewunderung für die Schönheiten des Lebens
sollen gesegnet sein.

Du Kind Gottes sollst gesegnet sein – in jedem Augenblick deines Lebens!
Amen.


Anja Huesmann, Jg. 1973, ist Deutsch- und Religionslehrerin am Schiller-Gymnasium Hameln.
Dr. Dagmar Wolf, Jg. 1964, ist Fachleiterin für ev. Religion am Studienseminar Hameln für das Lehramt an Gymnasien.


Anmerkungen

1 Joachim Gnilka: Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband. Zürich und Neukirchen-Vluyn: Benziger und Neukirchener Verlag, S. 79
2 Thomas Mann: Lotte in Weimar. Frankfurt: Fischer 1982

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