Ausgabe 2 / 2008 Material von Edvard Hoem

Beständig und treu

Von Edvard Hoem


Mama, liebst du den Papa? fragte ich Mutter einmal in meiner fernen Kindheit. Sie hielt inne und sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nie zuvor gesehen hatte. Dann sagte sie mit fremder Stimme das, was mich fünfzig Jahre lang nicht loslassen sollte: „Ich hatte Vater nicht lieb, als ich mit ihm zusammenkam, aber ich habe ihn lieb gewonnen, weil er beständig war, beständig und treu, und das ist genauso wichtig wie Liebe.“

Ich blättere in Vaters Logbüchern, und mein Blick bleibt an einem dunklen Vorweihnachtsabend hängen, dem 15. Dezember 1946. Da steht Nylund, Øyer. Das ist Mutters Elternhaus im Gudbrandsdal. An diesem Abend predigte Vater über den 95. Psalm, Vers 7: Denn er ist unser Gott und wir sind das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand. Später an diesem Abend konnten wir dann alle sehen, dass Vater diese Frau wollte, die ein Kind von einem anderen hatte. Vier Monate später verlobten sich Mutter und Vater. Aber die Geschichte begann viel früher. Mutter war im Frühherbst zu Kristine und Gunnar Engeseth gezogen. Als sie an jenem Abend von der Arbeit im  Pflegeheim zurückkam, wusste sie, dass ein Prediger im Haus war und eine Andacht stattgefunden hatte. Die Teilnehmer saßen noch in der Stube und unterhielten sich. Mutter wollte nur eines: schlafen gehen. Als er mit den Wirtsleuten zu Abend aß, fragte er, warum die junge Frau, die bei ihnen wohnte, so furchtbar traurig sei, sie sahen sich an und sagten, es sei mehr als Traurigkeit. Sie erwarte ein Kind von einem Deutschen, der im Herbst  verschwunden sei.
Ach ja?
Ja, so hinge das zusammen.
Da sagte er: Ich kann sie doch nehmen!

Einmal verlangte Mutter von Vater, dass er mich schlagen solle; ich hatte mit Streichhölzern gespielt. Da ging er ratlos umher, bis er hinter dem Vorratshaus ein paar lange Grashalme fand. Mit denen schlug er mich auf den Hintern. Das tat überhaupt nicht weh, und Mutter, die Zeuge dieser Bestrafung war, zeigte deutlich, dass es ihr die Sprache verschlug. Dann lachte sie.
Ich stand zwischen ihnen und sah von einem zum anderen. Da begriff ich, dass ich aus einem ungewöhnlichen Elternhaus kam.


Edvard Hoem

aus:
Die Geschichte von Mutter und Vater

aus dem Norwegischen
von Ebba D. Drolshagen
(c) der deutschen Ausgabe
Insel Verlag
Frankfurt am Main und Leipzig 2007

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