Alle Ausgaben / 2004 Andacht von Dagmar Althausen

Beten kann helfen

Von Dagmar Althausen


„Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre“, sagt Jesus nach Lukas 22,32 zu Petrus. Dass Glaube „aufhören“ kann, wissen wir nur zu gut. Wenn wir nicht Augen und Ohren und Herz verschließen vor den Katastrophen, die die Menschheit insgesamt oder einzelne Völker treffen, Menschen in unserem persönlichen Umfeld oder eben auch uns selbst, dann wird unser Glaube oft bis in die Grundfesten erschüttert. Und gegen solche Bedrohungen des Glaubens soll das Gebet helfen?

Biblischer Zusammenhang

In irgendeinem Jerusalemer Hinterzimmer sitzt Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern zusammen. Die Atmosphäre ist angespannt. Sie haben gerade das Paschamahl miteinander gefeiert. Das letzte, „bis das Reich Gottes kommt“, hat Jesus ihnen angekündigt. Er hat von seinem bevorstehenden Leidensweg gesprochen und vom Verrat, den einer von ihnen begehen wird. Judas hat daraufhin den Raum verlassen, die anderen aber haben immer noch nicht ganz begriffen, was jetzt auf sie zukommen wird. Sie streiten darüber, wer unter ihnen der Größte sei! „Der Größte unter euch soll wie ein Diener sein“, sagt Jesus. Und er sagt ihnen zu, dass sie in seinem Reich an seinem Tisch sitzen werden.

Dann wendet der Meister sich direkt an Simon Petrus: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Empört beteuert Petrus seine Treue. Bis ins Gefängnis, ja, bis in den Tod würde er für Jesus gehen! Jesus weiß, dass die heroischen Worte nur heiße Luft sind. Dreimal wird Petrus ihn verleugnet haben, bevor der Hahn kräht…

Die Jahreslosung ist also ein Satz aus einem kurzen Dialog zwischen Jesus und Petrus. Jesus greift das Bild vom Satan, der die Getreuen Gottes prüfen will, aus dem Buch Hiob auf. Bei diesem „Sieben des Weizens“, der Trennung von Spreu und Weizen mit Blick auf das kommende Reich Gottes geht es recht ruppig zu. Da wird der Weizen im Sieb hin und her geschüttelt, in die Luft geworfen und wieder geschüttelt. Der Evangelist hat dabei wohl nicht nur an die bevorstehende Gefangennahme Jesu – und das Versagen des Petrus und auch der anderen in dieser Nacht – gedacht. Er hatte auch die Gemeinde im Blick, für die er sein Evangelium geschrieben hat, die Verfolgungen, in denen der Glaube nicht immer standhielt.

Jesus verheißt nicht, dass er die Versuchungen von Petrus fernhalten wird. Sie werden ihm – wie später der verfolgten Gemeinde – nicht erspart bleiben. Aber er lässt sie in der Bedrohung nicht allein! Ihre Schwäche und ihr Versagen sind nicht das Ende der Geschichte: „Wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Diese Verheißung, die zugleich ein Auftrag ist, kommt aus der Gewissheit, dass der geprüfte Glaube ein gestärkter Glaube ist. Wer so „durchgeschüttelt“ wurde, kann seinerseits nun andere in ihrem Glauben stärken.

Gedanken zur Jahreslosung

„Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Das sagte Jesus zunächst zu Petrus, der aber stellvertretend für alle Jüngerinnen und Jünger angesprochen ist – stellvertretend damit auch für uns. Wohl wissend, dass sie ihn noch in derselben Nacht verlassen und verraten und verleugnen werden, macht Jesus dennoch keine Vorwürfe. Redet nicht appellierend oder moralisierend auf sie ein. Fordert nicht tieferen Glauben oder konsequenteren Einsatz. Jesus weiß um unser Menschsein, weiß darum, dass wir angefochten sind und bleiben werden. Er weiß aber auch, dass aus leidvollem Versagen neuer Glaube erwachsen kann. Und er sagt zu, für uns darum zu bitten.

Damit zeigt Jesus uns auch, was wir selbst tun können: betend für die Schwester, den Bruder einstehen, ihr und ihm den Rücken frei halten. Wir können stellvertretend für die Nächsten beten, auch und gerade dann, wenn sie selbst es nicht mehr können. Mir fällt da die noch junge Frau ein, deren Mann vom Birnbaum fiel und in ihren Armen starb. Eines Abends – wir hatten einige Stunden zusammen geschwiegen und getrauert – sagte sie an der Gartenpforte zu mir: „Ich kann nicht mehr beten.“ Ich hoffe, es hat sie ein wenig getröstet, als ich darauf antwortete: „Dann bete ich für Sie – und andere in der Gemeinde auch.“ Und ich erinnere mich daran, wie gut mir oft der Satz tat: „Ich bete für Sie, Frau Pfarrer!“ Zu wissen, dass Frauen aus der Gemeinde für mich und andere beten, hat mich durch manche Krisenzeit hindurch getragen.

Andererseits begegnen uns oft tiefe Zweifel daran, ob Gebet überhaupt etwas „nützt“. Im Altersheim hörte ich manchmal ein resigniertes „Ich fühle mich so nutzlos. Was kann ich alte, schwache Frau schon noch tun?“ Wenn ich dann sagte: „Sie können beten!“, war ein verständnisloses Achselzucken häufig die einzige Antwort.

Diese Jahreslosung hebt die Bedeutung der Fürbitte hervor. Und ich denke, dass es dieser Erinnerung dringend bedarf. Zwar sagen wir gewohnheitsmäßig „Da hilft nur noch beten“, wenn wir selbst an Grenzen stoßen oder hilflos andere in scheinbar ausweglosen Lagen sehen. Gemeint ist damit aber eher: „Da hilft nichts mehr. Da kann ich nichts mehr tun.“ Vielen scheint Beten weltfremd zu sein, sinnlos. Meiner Meinung nach reicht es aber nicht, sich für andere einzusetzen, ohne für sie zu beten. Sicher kann das Gebet die helfende Tat nicht ersetzen! Ich denke, dass fürbittendes Beten und helfendes Tun überhaupt nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Beides hat seine Berechtigung – aber ich vermute, dass viele Christinnen und Christen eher zu wenig als zu viel beten. Von mir selbst jedenfalls weiß ich, wie wenig ich für andere bete, welche geringe Rolle die Fürbitte in meiner Frömmigkeit spielt. Da geht es mir wie dem Kirchenvorsteher, der mir einmal sagte: „Die Fürbitte ist das Wichtigste. Aber im Alltag ver gesse ich das oft. Da bleibt das dann beim Stoßgebet.“

Jesus betet für Petrus, dass sein „Glaube nicht aufhöre“. Was tun wir Christinnen und Christen in unseren Kirchen nicht alles, damit der Glaube in der Welt nicht aufhört! Wir starten Kampagnen wie „Evangelisch aus gutem Grund“ oder für den arbeitsfreien Sonntag. In meiner früheren Gemeinde habe ich mich mit einigen anderen besonders darum bemüht, die Schaukästen ansprechend zu gestalten. Und viel Energie und Phantasie haben wir darauf verwendet, attraktive Veranstaltungen oder Rüstzeiten für Jugendliche oder junge Erwachsene zu organisieren. Wir arbeiten in Gremien und Vereinen mit, engagieren uns für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Nichts davon ist falsch oder überflüssig. Aber auch das Gebet dient der Vollendung des Reiches Gottes. Ohne Gebet wird es nicht kommen.

Andacht in der Gruppe

Lied: EG 272 – Ich lobe meinen Gott

Gebet:
Zwischen Hoffen und Bangen schwanken unsere Gefühle, wenn wir an das Jahr 2005 denken. Du, Gott, legst es in unsere Hand, damit wir es gestalten. Wir brauchen Weitsicht – und die Hoffnung, dass Gutes entstehen kann, wenn wir verantwortlich handeln. Wir brauchen Mut, um Abschied zu nehmen von liebgewordenem Alten, und die Freiheit, uns an erlebter Geschichte zu erfreuen, um sie mit dem, was kommen wird, zu verbinden. Wir brauchen Vertrauen und Geduld, wo es gilt, Unabänderliches zu ertragen. Lass uns unsere Zeit aus deiner Hand nehmen, Gott, und sie bewusst leben – in ausgewogener Spannung zwischen Ruhe und Aktion. Nur so – durch Gebet und Tat – kann Neues entstehen bei uns und in der Welt. So bist du unter uns lebendig, Gott, und begleitest uns durch die Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen

Bildbetrachtung:
Ein Bild aus der Vergangenheit. Wilhelm Leibl malte die „Drei Frauen in der Kirche“ um 1880 in dem bayrischen Dorf Berblingen. (Anm. d. Red.: Das Bild ist abgedruckt in der Ausgabe 4-2005 der ahzw, S. 21; es kann nicht mehr als Farbpostkarte geliefert werden.) Eine Idylle, wie wir sie heute im 21. Jahrhundert kaum mehr vorfinden. Aber wenn ich die drei Frauen genauer betrachte, finde ich nichts Idyllisches. Jede ist in sich gekehrt und sehr konzentriert. Sie haben sich nicht erschöpft vom Einkaufsstress auf eine Bank gesetzt, um ein wenig auszuruhen. Diese Frauen sind mit einem Anliegen in die Kirche gekommen. Sie haben ihre Bibel oder ihr Gesangbuch mitgenommen, um zu beten. Es wirkt fast, als erledigten sie hier eine Aufgabe, einen Auftrag.
Sie sehen nicht verzweifelt aus. Sie ringen nicht ihre Hände und bringen ihre Klage vor Gott oder flehen ihn an. Diese Frauen sind konzentriert, suchen nach Antworten, lauschen gespannt. Es wird sehr unterschiedlich sein, was sie Gott antragen. Aber sie tun es mit Nachdruck.
Jede betet auf eine andere Weise. Die älteste ist vertieft in ihre Bibel. Es wirkt fast, als wenn sie jedes Wort einzeln buchstabierte, damit sie auch ja nichts überliest. Die Frau an der Wand hat ihren Blick erhoben, vielleicht zum Altar oder Kruzifix. Ihre Hände zusammengelegt, ist sie bereit zu empfangen. Die Jüngste hat ebenfalls ein Buch in der Hand. Es könnte eine Bibel, aber auch ein Gesang- oder anderes Gebetbuch sein. Vielleicht liest sie mehrere kürzere Abschnitte, vergleicht Texte oder sucht zu einem Thema mehrere Worte. Drei Frauen aus drei Generationen, die in die Kirche gekommen sind, um zu beten. Warum gibt es solch ein Bild nur aus dem 19. Jahrhundert?
Not tut es uns auch heute! Wir brauchen die Fürbitte! Durch sie stehen wir füreinander ein, tragen und begleiten uns gegenseitig. Die Jahreslosung für das Jahr 2005 erinnert uns daran: Wir brauchen beides für diese Welt, Gebet und Tat. „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“

Lied: EG 165, 1.2.6.8 – Gott ist gegenwärtig

Fürbittengebet:
Stellen Sie um eine große (Altar-)Kerze mehrere Teelichter (ein paar mehr als Teilnehmerinnen). Leiten Sie die gemeinsame Fürbitte mit folgenden Worten ein:
Gott, schenke uns allen die Gnade, beten zu können. Lass unser ganzes Leben ein Gespräch mit dir sein. Hilf uns darauf zu vertrauen, dass du unser Reden und Schweigen verstehst.

Möglichkeit 1:
Laden Sie die Frauen nun zu persönlichen Fürbitten ein. Bitten Sie sie, bei jeder Fürbitte (oder auch schweigend) eine der Kerzen anzuzünden. Sie können nach jeder Bitte ein Kyrie singen: das in Ihrer Gemeinde bekannte, z.B. EG 178,9 oder EG 178,12. Beschließen können Sie das Fürbittgebet mit dem Vaterunser.

Möglichkeit 2:
Schließen Sie an die einleitenden Worte folgendes Gebet an:
Wir bitten für alle, die einsam sind, weil sie nicht beachtet werden, die sich für klein und gering halten, weil sie sich von anderen unverstanden fühlen.
Wir bitten für alle, die traurig sind, weil sie einen Menschen verloren haben, der ihnen wichtig war, die enttäuscht und verletzt wurden, die voller Kummer und Sorge sind, weil ihre Pläne zerbrochen und ihre Hoffnungen dahin sind.
Wir bitten für alle, die sich ihrer Aufgabe im Leben nicht gewachsen fühlen: Kinder, die Angst vor der Schule und deren Anforderungen haben; Eltern, die sich sorgen um die Zukunft ihrer Kinder; Eheleute, die wissen, dass sie nicht mehr miteinander leben können; Kranke, die vergeblich auf Heilung warten; Pflegende, die über ihre Kräfte arbeiten müssen.
Wir bitten für einen Menschen, von dem wir wissen, dass er unsere Fürbitte besonders braucht. In der Stille sagen wir dir den Namen und unser Anliegen.
(Stille)
Wir bitten für alle, die unter Krieg und Folter, Hunger und Elend leiden, die keine Stimme haben, für deren Schicksal sich niemand interessiert.
Amen

Dagmar Althausen, geb. 1959 in Ostberlin, war nach dem Theologiestudium in Halle/Saale zunächst Pfarrerin einer kleinen Dorfgemeinde in der Mark Brandenburg, dann in der Ev. Klosterkirchengemeinde in Cottbus. Nach drei Jahren als Superintendentin in Weißwasser (Ev. Kirche der schles. Oberlausitz) wurde sie 2002 Leitende Pfarrerin der EFHiD.

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